Dossier
“Die sogenannten digitalen Assistenzsysteme des BAMF, „intelligente Grenzen“ in der EU und immer größer werdende Datenbanken: Wer ins Land kommt und bleiben darf, wird immer mehr von IT-Systemen bestimmt. Davon profitiert die Überwachungsindustrie, während Menschen von automatisierten Entscheidungen abhängig werden. Deutschland hat in den letzten Jahren massiv in Technik investiert, um Asylverfahren zu digitalisieren. Biometrische Bilder mit Datenbanken abgleichen, Handys ausgelesen und analysieren, Sprache durch automatische Erkennungssysteme schleifen. Ganz abgesehen von der Blockchain, die alles noch besser machen soll. Doch nicht nur in Deutschland werden zum Zweck der Migrationskontrollen immer mehr Daten genutzt. In Norwegen werden Facebook-Profile Geflüchteter ausgewertet, in Dänemark sogar USB-Armbänder. Die Grenzagentur Frontex soll für „intelligente Grenzen“ sorgen, Datenbanken werden EU-weit ausgebaut und zusammengelegt. Rechtschutzmechanismen versagen größtenteils. Worum es dabei geht? Schnellere Abschiebungen. Wer davon profitiert? Die Überwachungsindustrie. In Vorbereitung von Klageverfahren bringt die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) gemeinsam mit der Journalistin Anna Biselli im Laufe des Dezembers eine Studie heraus, die sich diesem Thema genauer widmet. Die Ergebnisse der Studie wollen Lea Beckmann und Anna Biselli gemeinsam vorstellen und kontextualisieren.” Audio und Video des Vortrags von Anna Biselli and Lea Beckmann am 27.12.2019 beim 36c3 . Siehe dazu:
- Studie: Handyauswertung von Flüchtlingen bringt kaum Ergebnisse
“Die Gesellschaft für Freiheitsrechte will gegen die Auswertung von Handydaten in Asylverfahren klagen. Sie bringe kaum verwertbare Ergebnisse und verletze Grundrechte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerspricht. Doch die Vorwürfe wiegen schwer. Die seit 2017 praktizierte routinemäßige Handydatenauswertung in Asylverfahren bringt laut einer Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte kaum verwertbare Ergebnisse. Seit der Einführung des Verfahrens im September 2017 habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hochgerechnet etwa 20.000 Mobiltelefone von Asylsuchenden ausgelesen und mehr als elf Millionen Euro in dieses Verfahren investiert, heißt es in einer Ende Dezember veröffentlichten Analyse von Behörden-internen Unterlagen . Das Bundesamt erklärte, die Studie ziehe nicht zulässige Schlüsse. Zwischen Januar 2018 und Juni 2019 sei das Auslesen in etwa einem Viertel der Fälle bereits an technischen Problemen gescheitert, heißt es in der Studie. Mehr als die Hälfte der erfolgten Datenträgerauswertungen hätte sich zudem als unbrauchbar erwiesen. Nur in ein bis zwei Prozent der verwertbaren Auswertungen hätten sich Widersprüche zu den Angaben gefunden, die die Asylsuchenden selbst in ihren Befragungen gemacht hatten. In allen übrigen Fällen habe der Test bestätigt, was Asylsuchende vorgetragen hatten. „Dem stehen Kosten von insgesamt 11,2 Millionen Euro von der Einführung 2017 bis Ende 2019gegenüber. Jährlich kommen für den Support der Systeme weitere Kosten in Höhe von schätzungsweise zwei Millionen Euro hinzu“, heißt es in der Analyse. Die Datenträgerauswertung sei demnach nicht nur kostspielig sowie intransparent und generiere kaum verwertbare Ergebnisse, sondern sie verletze auch Grundrechte . Bei kaum einer anderen gesellschaftlichen Gruppe seien verdachtsunabhängige und derartig intensive Rechtseingriffe vorstellbar, ohne dass die Rechts- und Verfassungsmäßigkeit durch Gerichte überprüft worden wäre, kritisieren die Studienautoren. Diese faktische Rechtsschutzlücke führe dazu, „dass das BAMF aktuell an ihnen neue Formen staatlicher Überwachung austesten kann“...” Beitrag vom 16.01.2020 beim Migazin - Dialektanalyse bei Geflüchteten: Automatisiertes Misstrauen
“Seit mehr als zwei Jahren analysiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit einer Software den Dialekt von Geflüchteten. (…) Ob das Verfahren geeignet ist, belastbare Hinweise auf die Herkunft Geflüchteter zu erhalten, steht in Zweifel. Zum einen merken Forschende an, dass Sprache nicht klar an Ländergrenzen festzumachen ist und sich je nach Lebensverlauf und Sozialisierung einer Person unterscheiden und wandeln kann. Zum anderen hat die Software derzeit laut Angaben des BAMF eine Fehlerquote von etwa 15 Prozent. In diesen Fällen liegt es an den Entscheider:innen, diese Fehler zu erkennen, um nicht ungerechtfertigte Zweifel an den Angaben der Antragsteller:innen in Asylentscheidungen einfließen zu lassen. (…) Jelpke kommentiert dazu gegenüber netzpolitik.org: „Der Einsatz technischer Assistenzsysteme wie der Spracherkennungssoftware ist Ausdruck einer Misstrauenskultur. Immer wieder wird Schutzsuchenden unterstellt, dass sie reihenweise falsche Angaben zu ihrer Identität und Herkunft machten. Dabei gibt es für diese Unterstellung gar keine Belege.“ Der Anteil der Asylverfahren, in welchen falsche Herkunftsangaben durch den Einsatz der Dialekterkennungssoftware aufgedeckt wurden, sei äußerst gering gewesen. Jelpkes Meinung nach sollte das BAMF besser seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich schulen, „anstatt auf fehleranfällige und teure technische Lösungen zu setzen“. (…) Eigentlich wollte das BAMF den Einsatz seiner Sprachanalyse-Software schon 2018 wissenschaftlich begleiten lassen. Bis heute ist nichts passiert. Auf eine Presseanfrage antwortete das Bundesamt Ende 2019: „Die wissenschaftliche Begleitung findet aktuell nicht statt, ist aber künftig geplant.“ Von einem konkreten Zeitraum ist mittlerweile keine Rede mehr. Währenddessen läuft das Programm seit mehr als zwei Jahren und wurde in den Asylverfahren von über zehntausend Menschen eingesetzt.” Artikel von Anna Biselli vom 9. Januar 2020 bei Netzpolitik - Siehe zum Thema auch:
- Dossier: Schengen-System SIS als Big Brother: Europäische Union will Fingerabdrücke und Gesichtsbilder gemeinsam speichern. Zentralisierung betrifft auch EU-Bürger
- Dossier: Überwachung per Eurosur: EU kauft Big-Brother-System für das Mittelmeer
- Grenzschutz: EU-Asylbehörde EASO beschattete Flüchtende in sozialen Medien
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