Montag, 6. Januar 2020

Der Islam und die Einteilung der Gesellschaft in Klassen

"Und Allah hat einige von euch vor den anderen mit Gaben begünstigt." (16:71)

"... und Wir erhöhen einige von ihnen über die anderen im Rang..." (43:32) Diese Verse finden wir im Koran.
Wie kann man dann noch behaupten, der Islam kenne keine Gesellschaftsklassen?
Um darauf eingehen zu können, ob der Islam einem Klassensystem zustimmt oder nicht, müssen wir zuerst untersuchen, was darunter eigentlich zu verstehen ist. 
Wenn wir einen Blick auf das europäische Mittelalter werfen, so finden wir eine eindeutige Aufteilung in verschiedene Gesellschaftsschichten vor, nämlich die oberste Schicht der Adeligen und hohen Geistlichen und die des breiten Volkes, die sich so sehr in Bildung und Lebensumständen unterschieden, dass man auf den ersten Blick erkennen konnte, zu welcher Schicht der einzelne gehörte.
So waren Geistliche sehr leicht an ihren spezifischen Roben zu erkennen. Ihnen gehörte die hauptsächliche Autorität, und der Papst stellte eine starke oppositionelle Macht im Staat gegen Könige und Kaiser dar. Er war es, der sie krönte und ihnen auf diese Weise die Macht über ihre Völker verlieh. So war es auch meist ein mehr oder weniger geheimes Anliegen der Könige und des Kaisers, sich von der Autorität des Papstes zu befreien. Die Kirche verfugte außerdem über ein gewaltiges Vermögen, das sie aus Stiftungen von religiösen Spendern bezog, bzw. aus den Einnahmen der Kirchensteuern, die allen Gläubigen auferlegt wurden. Ja für einige Zeit unterhielt sie sogar ein eigenes Heer.
Der Adel hingegen war eine Gesellschaftsklasse, die durch Geburt zu diesem Vorzug kam. So wurde ein Kind adelig geboren und blieb es sein Leben lang, ungeachtet der Taten, die es als Erwachsener beging, und ob sie diesem Status entsprachen oder nicht.
In der Zeit des Feudalismus besaßen die Adeligen absolute Macht über das Volk, das durch die Leibeigenschaft völlig von ihnen abhängig gemacht worden war, und über das sie durch legislative, exekutive und judikative Autorität verfugten, durch die sie das Volk nach Willkür und Laune beherrschten. Ebenso wurde der Oberste Rat, der über die Gesetzgebung des Landes beriet und entschied aus dieser obersten Klasse zusammengestellt, die dabei freilich ihre eigenen Interessen im Auge hatte und nur darauf achtete, ihren Vorteil wahrzunehmen.
Das Volk bestand aus der breiten Masse der Armen, die keine Rechte, jedoch alle Pflichten besaßen. Sie erbten von einer Generation zur anderen nichts als Erniedrigung, Armut und Unterdrückung.
Dann geschah es, dass wichtige wirtschaftliche Veränderungen eine neue Gesellschaftsklasse hervorbrachten, nämlich die Bourgeoisie oder das Großbürgertum, unter deren Führung und auf den Schultern des Volkes die Französische Revolution dem Anschein nach der Klasseneinteilung aufhob und die Prinzipien von Freiheit. Gleichheit und Brüderlichkeit proklamierte.


Später war es genau diese Gruppe, die den Kapitalismus errichtete und durch ihn auf das Niveau der früheren Adeligen gelangte, jedoch mit einigen Verbesserungen für die breite Masse des Volkes, die durch neue ökonomische Entwicklungen erzwungen worden waren. Ein grundsätzliches Kennzeichen veränderte sich jedoch nicht, nämlich, dass diese oberste Schicht der Bürger mit dem Geld auch die Macht besaß, mit der sie die Regierung steuerte. Die vorgezeigte Freiheit, die durch die Möglichkeit der demokratischen Wahl garantiert werden soll, bietet noch ausreichend Mittel und Wege für die Mächtigen des Kapitals, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Und so finden sie zu ihren Sitzen im Parlament, um unter den verschiedensten schönen Titeln und Parolen ihre Interessen wahrzunehmen.
In England, von dem uns einst gesagt wurde, es sei die Mutter der Demokratie, gibt es bis heute das "House of Lords", oder auch Oberhaus genannt, in dem noch immer Gesetze aus der Feudalzeit gang und gäbe sind, wie z.B. die Bestimmung, dass alle Söhne und Töchter zum Vorteil des ältesten Sohnes vom Erbe ausgeschlossen werden, um damit zu verhindern, dass der Reichtum auf mehrere Nachkommen und deren Familien zerfällt, und um das Image der Familie zu erhalten, das aus der Feudalzeit des Mittelalters in die Neuzeit gerettet wurde.
So sieht das System der Gesellschaftsschichten aus. das im Wesentlichen bedeutet, dass die oberste besitzende Schicht die gesetzgebende Macht im Staate übernimmt, also das Kapital, die Macht und das Gesetz in seinen Händen hält, sei es nun auf direktem oder indirektem Weg. Das Volk bleibt dieser Schicht ausgeliefert und muss auf viele Rechte verzichten, um der besitzenden Klasse ihre Vorrangstellung zu gewährleisten.
Wenn wir uns diese Dinge vor Augen führen, fällt es uns nicht mehr schwer zu bemerken, dass es im Islam kein Klassensystem gibt. Denn es existieren im Islam keine Vorrangstellungen, die durch Geburt weitergegeben werden, wie wir dies bei den Adeligen des Westens finden. Dabei lassen wir selbstverständlich jene Auswüchse der islamischen Welt außer Acht, die dazu führten, dass der Thron durch Vererbung an die Söhne weitergegeben wurde, bzw. die Errichtung einer Schicht von "Noblen" und "Prinzen", denn dies alles hat nichts mit dem Islam zu tun. Das Auftauchen dieser Erscheinungen geht gemeinsam mit der Einführung von Alkohol, Glücksspiel und Zinsen in die muslimische Gesellschaft einher, ohne dass jemand behaupten könnte, dass diese Dinge im Islam erlaubt wären.
Des Weiteren gibt es im Islam keine Gesetze, die den Reichtum in den Händen weniger Privilegierter belassen, die ihn durch Erbe an einen ebenfalls Privilegierten weitergeben. Im Gegenteil, der Islam verabscheut solche Methoden und bestimmte mit Eindeutigkeit: "... damit es nicht nur bei den Reichen unter euch herumläuft", und erließ von anderer Seite klare Gesetze, die die Verteilung des Reichtums garantieren. Nach dem islamischen Erbgesetz wird das Vermögen auf eine möglichst große Anzahl von Personen aufgeteilt, so dass es von einer Generation zur nächsten bereits in der Gemeinschaft aufgegangen ist. Die Fälle, bei denen ein einzelner Erbe das gesamte Gut erbt, weil er keine Angehörigen besitzt, sind sehr selten und können nicht als repräsentativ gelten. Doch selbst hier gibt es vom Koran her eindeutige Bestimmungen, die uns an die Erbschaftssteuer der heutigen Tage erinnert: "Und wenn bei der Teilung anwesend sind die Verwandten und die Waisen und die Armen, so schenkt ihnen etwas davon und sprecht freundliche Worte zu ihnen." (4:8).
Auf diese Weise wird die Konzentration von Reichtum in der Hand eines einzelnen verhindert und macht jene, die durch besondere Umstände zu außergewöhnlichem Reichtum gelangen, zu Ausnahmen und nicht zur Klasse. Diese Einzelfälle haben keine Gelegenheit, sich zusammenzurotten, um eine Unterscheidung der Menschen in verschiedene Schichten zu erwirken. Die Geschichte beweist, dass diese ständige Neuverteilung des Vermögens in den islamischen Gesellschaften für lange Zeit tatsächlich der Fall war, so dass der Reiche von heute schon morgen der Arme sein konnte und umgekehrt. So kam es nicht zum Entstehen solcher Trennungsgrenzen zwischen Reich und Arm, denn man lebte im Bewusstsein, dass dies nichts anderes als der Ausdruck besonderer Lebensumstände ist, die sich schnell ändern können.
Was uns jedoch am wichtigsten erscheint, ist die Tatsache, dass das Gesetz im Islam von gar niemand gemacht oder manipuliert werden darf, da die Schari'a von Gott herabgesandt wurde, um alle Menschen ohne irgendwelche
Unterschiede zu richten. So gibt es keine Vorrechte, denn Allah hegt keine Vorlieben und unterdrückt niemanden. Von hier aus wird es klar, dass es im Islam keinen Platz für Gesellschaftsklassen geben kann, denn ihr Vorhandensein ist aufs Engste mit dem Vorrecht zur Gesetzgebung verbunden. Wenn dieses Vorrecht jedoch überhaupt nicht zur Debatte steht, so gibt es auch für niemanden einen Grund, sich einer besonderen Klasse zugehörig zählen zu wollen. Und was bleibt dann noch übrig, um ein Klassensystem zu errichten?
Was bedeuten dann aber die beiden Verse, die wir an den Anfang dieses Kapitels stellten?
Die Verse wollen nichts mehr, als eine reale Tatsache dieser Welt darstellen, nämlich, dass die Menschen in Einkommen und Rangstellung unterschiedlich sind. Nehmen wir hier nochmals Russland als Beispiel: Erhalten dort alle Menschen den gleichen Lohn für ihre Arbeit? Oder gibt es nicht vielmehr auch dort solche, die etwas mehr besitzen als andere? Nehmen dort alle den Rang eines Präsidenten ein, bzw. sind sie alle nur Regierte? Oder sind sie alle Generäle (bzw. einfache Soldaten)? Oder stehen nicht auch dort einige Menschen in ihren Positionen über anderen? Über diese Tatsache kommt man nicht hinweg, sondern es ist die Realität des Lebens. Die beiden Verse geben jedoch weder einen bestimmten Grund für diese Differenzierung an, noch wollen sie die Menschen dadurch in eine bestimmte Richtung führen. Sie behaupten nicht, dass diese Differenzierung durch den Kapitalismus, den Kommunismus oder durch den Islam geschaffen wurden. Ja sie behaupten nicht einmal, dass die Wirkung dieser Unterscheidung oder ihre Verteilung ständig gerecht sein müsse; auch nicht, dass sie ein dauerndes Unrecht darstelle. Sie stellen schlicht und einfach nur eine Tatsache fest, der wir nicht entrinnen können, da wir alle dem Gesetz und dem Willen des allmächtigen Schöpfers unterliegen, dessen Wirkungsbereich das gesamte Universum ist.
Es gibt nur eine einzige Klasse, deren Vorhandensein im Islam kurze Zeit akzeptiert und vom Koran reglementiert wurde, und dies sind die Sklaven. Wir haben über dieses Kapitel bereits ausführlich berichtet, und dessen Umstände, Voraussetzungen und Bestimmungen erklärt. Wir wollen nur noch wiederholen, dass der Islam nicht darauf aus war, diesen Zustand beizubehalten, da er von seiner Grundstellung her kein Prinzip der islamischen Gesellschaft ist.
Lesen Sie auch: Der Islam und die Sklaverei
Wie behandelte der Islam die Sklaven? Wir brauchen nicht nochmals zu wiederholen, was wir bereits behandelten, es soll hier nur eine beispielhafte Geschichte in die Erinnerung gerufen werden, durch die 'Umar das Prinzip der „Klassen“ im Islam errichtete!
In jener Geschichte, wird von einem der Noblen berichtet, der zur Hadsch ging, jedoch dabei durch seinen Hochmut, seine Mitbruder verletzte und seine Unwissenheit und Kleinheit des Glaubens zeigte, der sein Herz von diesen Gewohnheiten noch nicht gereinigt hatte. Er war einer jener, von denen es im Koran heißt: "Die Wüstenaraber sagen: Wir glauben. Sprich: Ihr glaubt nicht: sagt vielmehr: Wir haben den Islam angenommen, und der Glaube ist noch nicht in eure Herzen eingedrungen" (49:14) Während der Umschreitung der Ka'aba geschah es. dass ein "Sklave" auf das zu lange Gewand (auch das gilt als Zeichen des Hochmuts) des Noblen trat. Der "Edle" fühlte sich aufs Äußerste durch diese "Frechheit" des Sklaven beleidigt und ohrfeigte den Armen, denn das hielt er für die gerechte Vergeltung einer solchen Freveltat!
Der Sklave ging zu 'Umar. um sich über die Tat des noblen Herrn zu beschweren. - Lautete die Antwort des Kalifen: "Mach dir nichts draus! Denn dies ist ein reicher, edler Mann, und du bist nur ein Sklave und gehörst einer anderen Klasse an! Er besitzt Rechte, die du nicht besitzt!"? Erließ "Umar ein Gesetz, das die Reichen davor beschützte, von Armen auf ihr Gewand getreten zu werden? Oder ein Gesetz, dass den Sklaven dazu bestimmte, die Ohrfeige eines Reichen zu akzeptieren und zu ertragen? Nein, ganz und gar nicht! Was tatsächlich geschah, ist in der Geschichte verzeichnet und bekannt: 'Umar bestand auf Vergeltung und verfügte, dass der Sklave den Reichen ebenso zu ohrfeigen habe, um seine Ehre zu wahren und sein Recht wieder zurückzuholen. Das Gesetz Allahs unterscheidet nicht zwischen arm und reich, Sklave oder Edelmann! Die Geschichte endete damit, dass der Reiche diese Behandlungsweise nicht akzeptieren wollte, vor 'Umar floh und später auch den Islam aufgab, da er diesen göttlichen Gesetzen, die keine Vorrechte und keine Klassenunterschiede kennen, nicht zustimmen wollte!

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