Freitag, 1. Februar 2019

Von Italienerinnen lernen: Feministinnen vernetzen sich international im Kampf gegen Feminizide und analysieren strukturelle Gewalt

Von wegen »Drama«


Von Johanna Montanari
RTX1VV64.jpg
Internationale Bewegung: Protestaktion gegen Feminizide in Buenos Aires (November 2015)
Deutsche Zusammenfassung des Manifests: kurzlink.de/KeineMehrManifest
Am Anfang war das Wort: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« So lautet ein berühmtes Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Diese Grenzen sind jedoch nicht einfach gegeben. Es werden Machtkämpfe ausgetragen, um sie einzureißen oder zu verteidigen.
Die in den USA lebende südafrikanische Soziologin Diana E. H. Russell brachte beim internationalen Tribunal über Gewalt gegen Frauen 1976 in Brüssel einen neuen Begriff ein: Femizid – das Töten von Frauen, weil sie Frauen sind. Darunter fallen Morde im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt sowie aufgrund patriarchaler Machtansprüche und Ehrbegriffe.
Mit diesem Wort machte sie ein Phänomen fassbar, das bis heute oft mit Begriffen wie »Beziehungsdrama« oder »Familientragödie« verschleiert wird. Marcela Lagarde, eine feministische Aktivistin, Professorin und Autorin aus Mexiko, entwickelte den Begriff von Russell weiter. Auch ihr Begriff, der eine Silbe länger ist, Feminizid, meint das Töten von Frauen, weil sie Frauen sind, enthält aber zusätzlich die Kritik an einer Rechtsstaatlichkeit, die Gewalt gegen Frauen begünstigt. Mit diesen beiden Worten vernetzen sich heute feministische Bewegungen weltweit.
Nach der brutalen Ermordung einer jungen Frau formierte sich im Juni 2015 in Argentinien die Bewegung »Ni una menos«. Der Name enthält die Forderung: Keine mehr – keine einzige weitere Frau soll getötet werden. Seitdem weitet sich die Bewegung aus, von Südamerika über Italien und Spanien bis nach Deutschland. In Italien heißt sie »Non una di meno«, in Deutschland »Keine mehr«.
»In Italien ist ›Non una di meno‹ eine richtige Massenbewegung«, erzählt Rina Schmeing anerkennend. »Und auch der Stand der Bewusstseinsbildung ist für mein Empfinden in Italien viel weiter als in Deutschland.« Schmeing lebt in Köln und hat zusammen mit drei feministischen Mitstreiterinnen, Merle Dyroff, Natalie Walther und Marlene Pardeller, das Manifest der »Non una di meno«-Bewegung übersetzt. Die Idee entstand, als zwei von ihnen einige Zeit in Bologna verbrachten. Die vier Frauen sind keine professionellen Übersetzerinnen, sondern wollen das Wissen, das in Italien erarbeitet wurde, nach Deutschland tragen. Eine der Übersetzerinnen, Pardeller, hat die Bewegung unter dem Hashtag »Keine mehr« im deutschsprachigen Internet bekannt gemacht.
Im Juni 2018 demonstrierten in Hamburg Feministinnen der Kampagnengruppe »Gemeinsam kämpfen« unter dem Motto »Ni una menos – nicht noch eine weniger«, nachdem einige Wochen zuvor Sandra P. und ihre einjährige Tochter Miriam am Jungfernstieg vom Expartner der Frau getötet worden waren.
Das Manifest »Wir haben einen Plan« wurde im November 2017 auf italienisch veröffentlicht. Tausende haben es innerhalb eines Jahres kollektiv verfasst. Es enthält eine ausführliche Gewaltanalyse und präzise politische Forderungen. Das Manifest schlüsselt verschiedene gesellschaftliche Bereiche auf, darunter Erziehung, Gesundheit, Migration und das Rechtssystem, und legt dar, welche Rolle strukturelle Gewalt dort spielt.
»Das gemeinsame Ziel ist im Manifest klar formuliert, nämlich die Beendigung männlicher Gewalt und geschlechtsbasierter Gewalt«, sagt Schmeing. Es geht also sowohl um Gewalt, die von Männern ausgeht, als auch um Gewalt, die Abweichungen von der heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Norm betrifft. Darauf bezieht sich das Sternchen hinter dem Wort Frauen in der deutschen Zusammenfassung des Manifests auf der Internetseite keinemehr.wordpress.com. Es geht auch darum, aus einer Opferrolle herauszukommen. »Wir wollen Autonomie, keine Hilfe«, heißt es im Manifest.
Die Zahlen, die das Bundesfamilienministerium Ende November 2018 veröffentlichte, zeigen, dass die Situation in Deutschland sich kaum von der in Italien unterscheidet: 2017 starben in der BRD 147 Frauen durch sogenannte Partnerschaftsgewalt. An jedem dritten Tag wird hier eine Frau von ihrem Mann, »Freund« oder Exmann umgebracht.
Auch in Italien wird an jedem dritten Tag eine Frau getötet. Perfide ist, dass Gewalt gegen Frauen sowie trans- und intersexuelle Menschen in Deutschland vor allem diskutiert wird, wenn sie rassistisch instrumentalisiert werden kann. Dabei ist dies, auch das belegen die Zahlen, ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Schmeing ist überzeugt, dass die feministische Bewegung in Deutschland von der italienischen lernen könnte. »Dadurch dass sich in Italien auf einen bestimmten Gewaltbegriff geeinigt wurde, konnten verschiedene Feminismen und verschiedene Generationen zusammenkommen – und es war klar, man zieht zusammen an einem Strang. Das liest man auch im Manifest. Manchmal wird total krass gegendert, manchmal überhaupt nicht.«
Hinter bestimmten Begriffen stehen Analysen, die wiederum für politische Kämpfe stehen. Die Begriffe Femizid und Feminizid ermöglichen internationale Verbindungsmöglichkeiten. In Deutschland braucht es noch eine Massenbewegung wie die in Italien. Die »Keine mehr«-Bewegung ruft zum Frauen*streik am 8. März 2019 auf. Vielleicht kann der Tag ein Anlass sein, die Grenzen der Welt erneut zur Verhandlung zu stellen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen