Im Dezember 2018 haben Verteidigungsministerium, Bundeswehr, Reservistenverband und die bayerische Landesregierung das Pilotprojekt „Landesregiment Bayern“ in München vorgestellt. Ab April 2019 soll für zwei Jahre getestet werden, ob das Konzept auch auf andere Bundesländer übertragbar ist. Die Bundeswehr erhofft sich davon tragfähigere Reservisten-Strukturen für Katastrophenhilfe, Host Nation Support, den Schutz kritischer Infrastruktur und den Heimatschutz bis hin zur Landes- und Bündnisverteidigung. Der Reservistenverband schielt bei der Neuausrichtung der sogenannten Reserve gar auf eine „Nationale Reserve“ mit bis zu 30.000 Dienstposten, die ähnlich einer Nationalgarde auch für Inlandseinsätze zur Verfügung stehen soll. Diese Forderung hatte die Bundeswehr noch 2017 mit Verweis auf grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken abgelehnt. Welche neuen Erkenntnisse sie zum Sinneswandel bewogen haben ist nicht bekannt.
Es begann mit einer Vision
Das Konzept der „Landesregimenter“ stammt aus der Feder des Präsidenten des Reservistenverbandes Oswin Veith. Auf der Jahrestagung der Reserve der Bundeswehr, die im Oktober 2016 erstmals vom Bundesministerium der Verteidigung und dem Reservistenverband ausgerichtet wurde, hatte Veith eine Vision:
„Ich träume davon, dass 2026 in jedem Bundesland ein Landesregiment mit einem charismatischen Kommandeur, einer Truppenfahne und einem Verband zwischen 800 und 2000 Reservisten zur Unterstützung von Polizei und Bundeswehr in Notlagen vorhanden ist“.[1]
In einem 2017 von Veith verfassten Leitlinien-Entwurf, der an verbandsinterne Führungskräfte versandt wurde, brachte Veith dann alle aktuellen Forderungen des Verbandes zusammen. So sprach er sich in dem Papier für eine allgemeine Dienstpflicht aus, mit der alle 16- bis 35-jährigen Bürger*innen zum „Dienst an der Gesellschaft“ verdonnert werden sollten. Diejenigen Dienstpflichtigen, die sich für einen Dienst in der Bundeswehr entscheiden würden, könnten dies in einem von 16 Landesregimentern in der Nähe ihres Heimatortes tun. Zusammengefasst sollten die Landesregimenter eine „Nationale Reserve“ mit rund 30.000 Dienstposten ergeben. Davon erhoffte er sich eine „emotionale Mobilisierung“: „Damit soll der Reservist, der sich bisher nicht engagiert hat oder engagieren wollte mit dem positiv belegten Begriff ‚National‘ angesprochen und motiviert werden.“[2]
Die Retour aus der Bundeswehrführung auf diesen Versuch, den durch die Aussetzung der Wehrpflicht schwindenden Reservistenverband wieder zu neuer Blüte zu verhelfen, kam allerdings einer schallenden Ohrfeige gleich. So zitierte die Bild aus einer internen Analyse der Bundeswehr: Die Leitlinien des Verbandes seien mit dem Grundgesetz „nicht vereinbar“. Die Strukturen der Landesregimenter „widersprechen dem Gewaltmonopol des Staates“ und einige der gewählten Formulierungen würden „die Grundsätze unserer freiheitlich und demokratischen Grundordnung auf den Kopf stellen“.[3]
Ein beeindruckendes Urteil für einen Verband, der für die freiwillige Reservistenarbeit neben der kostenlosen Überlassung von Büroflächen, Übungsplätzen und Material durch die Bundeswehr jährlich rund 14 Millionen Euro aus dem Verteidigungshaushalt erhält.
Die Wortmacht der Bundeswehr-Analyse hätte erwarten lassen, dass das gescholtene Konzept im Papierkorb und nicht im Wiedervorlagenstapel landet. Nach der Abfuhr hat der Reservistenverband allerdings nicht locker gelassen und scheint hinter den Kulissen in Verhandlungen gegangen zu sein.
Zugute kam dem Verband dabei wohl die aktuelle Aufrüstung im Rahmen der Refokussierung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung, wie sie im Weißbuch von 2016 formuliert wurde. So sieht die „Trendwende Personal“ auch eine Erhöhung der geplanten Posten für Reservist*innen vor. Dementsprechend werden Armeeführung und Ministerium aktuell nicht müde die Relevanz der Reserve zu betonen.
Vorläufig scheint der Reservistenverband die Forderung nach der Dienstpflicht hintenanzustellen um wenigstens das Konzept der Landesregimenter in die Tat umzusetzen. Die vorläufige Einigung zwischen Reservistenverband und Verteidigungsministerium wurde dann im Dezember 2018 in München festlich bekannt gegeben.[4] Ab April 2019 läuft ein Pilotprojekt, in dem ein „Landesregiment Bayern“ aufgestellt wird. Nach zweijähriger Laufzeit soll entschieden werden, ob sich dieses Konzept auch auf die anderen Bundesländer übertragen lässt. Fraglich bleibt dabei, was genau dazu geführt hat, alle verfassungsrechtlichen Bedenken über Bord zu werfen. So wurde das Pilotprojekt explizit als gemeinsames Konzept von Streitkräftebasis und Reservistenverband vorgestellt[5] und Veith persönlich für seine Idee gedankt.[6]
Geplante Strukturen des Landesregiments Bayern
Das geplante Landesregimet Bayern soll neben fünf aktiven Soldat*innen der Streitkräftebasis im Alltagsbetrieb vollständig aus Reservist*innen aus der Region bestehen. Im Katastrophen-, Spannungs- oder Verteidigungsfall sollen 50 weitere aktive Soldat*innen hinzukommen. Insgesamt sind aktuell rund 500 Dienstposten vorgesehen. Die Basis bilden die drei bereits bestehenden Regionalen Sicherungs- und Unterstützungs-Kompanien (RSUKp)[7] Ober-, Mittel- und Unterfranken. Die weiteren vier Bayrischen RSU-Kompanien bleiben vorerst außen vor.
Hinzu kommen soll ein neu gegründetes Stabs- und Versorgungsbataillon, das in der Aufbauphase beim Landeskommando in der Münchner Fürst-Wrede-Kaserne angedockt sein wird, bevor über den späteren Stationierungsort entschieden ist. Während die RSU-Kompanien das infanteristische Fußvolk des Landesregiments stellen, soll die Stabs- und Versorgungskompanie in die Lage versetzt werden die Führungs- und IT-Struktur, Logistik und Verpflegung der Reservistentruppe zu übernehmen. Damit entsteht nach der Auflösung der Heimatschutzstrukturen aus dem Kalten Krieg erstmals wieder eine eigenständige Reservisteneinheit innerhalb der Bundeswehr.
Größtes Problem des Pilotprojekts dürfte es werden, die passenden Offizier*innen und Spezialist*innen für die Stabs- und Versorgungskompanie zu finden.
Zudem drängt sich die Frage auf, ob das Landesregiment wie bereits die RSU-Kompanien an einen aktiven Truppenteil andockt, oder gar mit eigenem Material, Waffen, Fahrzeugen und Gebäuden ausgestattet werden soll.
Kaum verwundern kann hingegen, dass der Probelauf in Bayern stattfindet. Bereits jetzt läuft mit der Einrichtung von drei Regionalstäben im Rahmen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit ein Pilotprojekt mit Reservist*innen in Bayern. Zugute kommt der Bundeswehr dabei, dass sowohl das Gesamtaufkommen als auch der Anteil aktiver Reservist*innen überdurchschnittlich hoch ist.
Weiterhin kann sich die Armee sicher sein, dass sie von den lokalen politischen Eliten voll und ganz unterstützt wird. So erklärte der selbsternannte bayrische „Bundeswehrminister“,[8] Dr. Florian Herrmann, im zivilen Leben Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien, stellvertretend für die Landesregierung: „Für Bayern als Reservistenland Nummer eins steht fest: Wir wollen das Potenzial der Reserve noch besser nutzen.“[9]
Um welches Potenzial es sich in dieser Vorstellung handelt wird deutlich, wenn man betrachtet, dass sich die bayrische Landesregierung als einzige Landesvertretung kontinuierlich für eine Ausweitung der Inlandseinsätze der Bundeswehr stark macht. So war Bayern an GETEX,[10] der bundesweiten Anti-Terror-Übung von Polizei und Bundeswehr 2017, beteiligt und ließ es sich nicht nehmen, 2018 auf Länderebene eine vergleichbare Übung namens BAYTEX durchzuführen.
Auf dem Weg zur Nationalgarde?
Nach der klaren Zurückweisung 2017 scheint sich das Verteidigungsministerium schrittweise auf die Vision einer „Nationalen Reserve“ zuzubewegen. Dass diese auch für Inlandseinsätze mit der Polizei zur Verfügung stehen soll, ist in der Vision des Reservistenverbandes klar enthalten.
In den europäischen Nachbarländern fehlt es dafür nicht an Vorbildern.
Im Zuge des Ausnahmezustands in Frankreich nach den Terroranschlägen 2015 fiel die Entscheidung, eine „echte Nationalgarde“ aufzubauen. Dafür wurden in den letzten Jahren die Reserve der Armee auf vorläufig 40.000 und die Reserve von Nationalpolizei und Gendarmerie auf 15.000 Dienstposten aufgestockt.[11] Bereits während des vergangenen Ausnahmezustands wurde die Reserve genutzt, um die bis zu 10.000 Soldat*innen zu entlasten, die im Inland an öffentlichen Orten patrouillierten. Ziel der Nationalgarde mit einer geplanten Größe von 84.000 Angehörigen soll es sein, alle Inlandseinsätze der Armee zu übernehmen.
Das zentrale Argument für die „Nationale Reserve“ ist hingegen die Landes- und Bündnisverteidigung. Die vom Reservistenverband geforderten 30.000 Dienstposten – eine Verzehnfachung der aktuellen RSU-Kompanien – nähern sich der Größe der ehemaligen Heimatschutzkompanien der Bundeswehr aus dem Kalten Krieg an, die zwischen 1993 und 2007 aufgelöst wurden.
In Skandinavien, dem Baltikum und Polen wird schon länger auf die sogenannten Heimwehren – Reservistentruppen zur Landesverteidigung – gesetzt. Im Rahmen der aktuellen gegen Russland gerichteten Aufrüstung, wurden diese Strukturen in den letzten Jahren z.T. stark ausgebaut.
In Schweden wurde beispielsweise am 6. Juni 2018, dem Nationalfeiertag, erstmals seit 1975 die gesamte Heimwehr (22.000 Reservist*innen) zur unangekündigten Wehrübung einberufen. [12] Hauptziel der Übung war es, die Strukturen der Mobilmachung zu testen. Den gesamten Tag über waren Streitkräfte im öffentlichen Raum auf Patrouille und nahmen vorbereitete Verteidigungspositionen ein. Ziel der Armeeführung war es, mindestens die Hälfte der Heimwehr dazu zu bewegen ihren Alltag zu verlassen und in die Kasernen einzurücken.
In Dänemark wurde die dortige Heimwehr 2016 allerdings auch dazu genutzt, die Polizei bei den Grenzkontrollen an der deutschen Grenze zu entlasten.[13]
Unabhängig davon wie das Pilotprojekt Landesrgiment Bayern im Detail verlaufen wird, ist davon auszugehen, dass auch in Deutschland eine deutliche Aufstockung der territorialen Reserve bevorsteht. Ob sich die Ausrichtung eher an der Landes- und Bündnisverteidigung, oder am Einsatz im Inland im Sinne einer Nationalgarde orientiert, bleibt abzuwarten.
Die Zielrichtung der Verbindungsstrukturen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit, die zunehmenden Inlandseinsätze bei Naturkatastrophen, aber auch bei Gipfelprotesten und die kontinuierlichen Vorstöße, die Bundeswehr auch in die Terrorabwehr im Inland zu integrieren, lassen allerdings vermuten, dass mit dem Argument der Landesverteidigung eine deutlich größere eigenständige Reservistentruppe aufgebaut werden wird, die – sobald es politisch opportun erscheint – auch für repressive Einsätze im Inland bereitsteht.
Anmerkungen
[1] Reservistenverband, Dr. Victoria Eicker, Gemeinsam Zukunft der Reserve gestalten, 27.10.2016, reservistenverband.de
[2] Bild, Hanno Kautz, Heikles Konzept stößt auf Kritik – Reservisten fordern neue Volks-Armee, 14.07.2017, bild.de
[3] ebd.
[4] Streitkräftebasis, Felicia Englmann, Neue Struktur der Reserve: Auftakt für das Landesregiment Bayern, 19.12.218, streitkräftebasis.de
[5] ebd.
[6] Reservistenverband, Nadja Klöpping und Benjamin Vorhölter, Die Bundeswehr startet das Pilotprojekt Landesregiment, 07.01.2019, reservisteverband.de
[7] Zu den RSU-Kompanien und dem 2013 neu geordneten „Heimatschutz“ der Bundeswehr: IMI-Studie 2013/08a – in: AUSDRUCK (Juni 2013), Martin Kirsch, Der neue Heimatschutz der Bundeswehr – Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und das Kommando Territoriale Aufgaben als neue Instrumente für den Inlandseinsatz
[8] Florian Herrmann, Bayern bekommt ein Landesregiment, 19.12.2018, florian-herrmann.de
[9] Streitkräftebasis, Neue Struktur der Reserve: Auftakt für das Landesregiment Bayern
[10] IMI-Analyse 2017/10 – in: AUSDRUCK (April 2017), Martin Kirsch, GETEX – Polizei und Bundeswehr üben Anti-Terror-Einsatz im Inland, imi-online.de
[11] Französische Botschaft in Berlin, Bildung einer Nationalgarde in Frankreich, 17.10.2016. de.ambafrance.org
[13] Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Dänische Heimwehr unterstützt Polizei bei Grenzkontrollen, 14.06.2016, via youtube.com
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