Am Dienstag, den 5. Februar 2019 hat Wirtschaftsminister Altmaier seinen Entwurf für eine „Nationale Industriestrategie 2030“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Dokument mit 22 Seiten fällt zunächst v.a. durch Rechtschreibfehler und tw. unvollständige Sätze auf. Inhaltlich bekennt es sich wiederholt zu Wettbewerb und Marktwirtschaft, denn dadurch „entsteht der größte Mehrwert für alle“, so das Papier.
Doch der Entwurf bleibt nicht in dieser Ideologie verhaftet, sondern befasst sich v.a. mit der Gefahr, dass deutsche Unternehmen oder ganze Branchen in diesem Wettbewerb unterliegen könnten. Dann freilich müsse der Staat eingreifen, sonst verkomme Deutschland „vom ‚rule-maker‘ zum ‚rule-taker’“ und werde „zur verlängerten Werkbank derjenigen Länder, die rechtzeitig gehandelt haben“. Freilich soll es bei diesen Eingriffen nur um die „Wiederherstellung von Vergleichbarkeit im Wettbewerb“ bzw. die „Beseitigung bestehender Ungleichheiten und Benachteiligungen“ gehen. Wir fassen zusammen: Wenn Deutschland in einzelnen Branchen keine Spitzenposition einnimmt, mit der sich die Industrien im Wettbewerb behaupten können, dann soll der Staat unterstützend eingreifen. Erst wenn deutsche Firmen stark genug sind, um sich international durchzusetzen, gelten wieder die Prinzipien des freien Marktes, die „bedeuten, dass der Erfolg einer einzelnen Volkswirtschaft nicht zu Lasten einer anderen Volkswirtschaft erfolgt“ und „alle gemeinsam wachsen und stärker werden“ können.
Darin, wie dieses staatliche Eingreifen aussehen kann und welche Branchen hierfür in Frage kommen, besteht der Kern des Entwurfs, der ihm in der Presse schon den Vorwurf der Planwirtschaft einbrachte. Man müsse das geltende Beihilfe- und Wettbewerbsrecht überprüfen und ggf. reformieren, um zeitlich begrenzten Beihilfen „in Bereichen von Innovationen mit hoch
innovativen Basiswirkungen“ zu ermöglichen. Außerdem müsse die Übernahme von deutschen durch ausländische Unternehmen verhindert werden können, „wenn dies zur Abwehr von Gefährdungen der nationalen Sicherheit, einschließlich des Bereichs der kritischen
Infrastrukturen, erforderlich ist“. Wenn zwar nicht unmittelbar die nationale Sicherheit, sondern nur die „Technologie- und Innovationsführerschaft“ bedroht ist, solle der Staat die heimische Wirtschaft dabei „ermutigen und unterstützen“ solche Übernahmen durch eigene Angebote zu verhindern. „Nur in sehr wichtigen Fällen“ solle der Staat „selbst als Erwerber von Unternehmensanteilen auftreten können“. Dabei macht der Entwurf am Beispiel der „Batteriezellproduktion“ deutlich, dass die staatliche Unterstützung auch die Bildung von Konsortien zum Ziel haben kann. Denn „Größe zählt – Size matters!“, lehrt uns der Entwurf unmissverständlich: „Wenn es in einem Land an Unternehmen fehlt, die die notwendige kritische Größe erreichen, um bedeutende Projekte zu realisieren und sich im internationalen Wettbewerb gegen große Konkurrenten zu behaupten,
führt dies faktisch zum Ausschluss von einem bedeutenden und wachsenden Teil des Weltmarktes.“ Und das geht – bei aller Liebe zum Wettbewerb – ja nun wirklich nicht. Deshalb gelte es, „deutsche oder europäische Fusionen, die mit Blick auf den Weltmarkt sinnvoll und notwendig sind“, politisch zu forcieren. Dies gelte insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung, denn „weltweit erfolgreiche Internet-Unternehmen der Plattform-Ökonomie entstehen derzeit noch fast ausschließlich in den USA und in China. Nicht hingegen in Deutschland und den meisten Ländern der EU. Eine Änderung dieses Zustands ist bislang nicht in Sicht. Hier besteht Handlungsbedarf.“
Und so besteht dann auch das fünfte und letzte Kriterium eines etwas großspurig angekündigten „neuen volkswirtschaftlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips“ in der Aussage, dass „[b]ei den überragend wichtigen Fragen von Plattform-Ökonomie, Künstlicher Intelligenz und Autonomem Fahren […] – wie seinerzeit im Falle von Airbus – eine unmittelbare staatliche Beteiligung zur Erreichung des Ziels erforderlich und gerechtfertigt“ erscheine. In Klammern wird diese Möglichkeit staatlich geförderter oder erzwungener Fusionen zu einem deutsch-europäischen Konzern, der mit „Wettbewerbern aus den USA oder China auf Augenhöhe“ konkurrieren kann, als „KI-Airbus“ bezeichnet. Denn Airbus gilt als „große neuere Erfolgsgeschichte“ staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft. Die Existenz des deutsch dominierten Konzerns geht auf die politisch forcierten Fusionen zunächst der deutschen Flugzeughersteller Bölkow, Dornier, Messerschmitt und Fokker und der Integration französischer und weiterer europäischer Luftfahrtunternehmen zurück, ein Prozess, der Jahrzehnte in Anspruch nahm, aber letztlich mit der Unterstützung des Daimler Konzerns einen der größten Flugzeugbauer und das siebtgrößte Rüstungsunternehmen weltweit (ohne China) mit hervorbrachte. Nun wird offenbar darüber nachgedacht, für den Bereich KI/Digitalisierung einen vergleichbaren global Player unter deutscher Führung aufzubauen.
Insofern ist der Leitlinienentwurf nicht nur ein Geschenk an die Industrie, sondern auch eine Warnung. Die existierenden Player sind zu Übernahmen und Fusionen aufgerufen und können dabei mit staatlicher Unterstützung rechnen. Der Verweis auf Airbus macht aber auch klar: Wenn sie dabei keinen Erfolg haben und nicht bald ernste Bemühungen erkennen lassen, wird die Regierung den den Prozess vorantreiben.
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