Dossier
“Gleich zu Beginn der Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss im Landtag Nordrhein-Westfalens drücken Landesjustizminister Peter Biesenbach und Landesinnenminister Herbert Reul (beide CDU) ihre Anteilnahme am Tod des 26-jährigen Amed A. aus. »Für diesen Fehler in meinem politischen Verantwortungsbereich bitte ich die Familie des Verstorbenen von ganzem Herzen um Entschuldigung«, erklärte Reul. Biesenbach zeigt sich »tief betroffen«. Gleichzeitig sagt er im ersten Satz seiner Stellungnahme, Amed A. habe den Brand im Haftraum »möglicherweise selbst verschuldet«. Einen Tag, bevor der Syrer seinen Verletzungen erlag, gab die Staatsanwaltschaft Kleve bekannt, dass er verwechselt worden sei, mit Amedy G., einem Mann aus Mali. Mit zwei Haftbefehlen wurde dieser wegen Diebstahls von der Staatsanwaltschaft Hamburg gesucht. Gegen die beteiligten Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung eingeleitet. Geleitet wird es von der Staatsanwaltschaft Kleve. Für Mouctar Bah von »Break The Silence«, der Initiative zur Aufarbeitung des Todes von Oury Jalloh, fühlt sich der Fall an wie ein Déjà-vu: »Das war Freiheitsberaubung. Und die Polizisten werden vermutlich eh nicht bestraft, weil sie vom System gedeckt werden«, sagt er dem »neuen deutschland«. (…) Man habe ein verkohltes Feuerzeug neben der verkohlten Matratze gefunden, heißt im Rechts- und Innenausschuss. 14 Beamte sollen an den Untersuchungen des Brandes beteiligt gewesen sein; einen unabhängigen Brandsachverständigen zog man aber erst am 2. Oktober hinzu, kurz nachdem Amed A. gestorben war. Es gebe Anhaltspunkte, dass Brandstiftung vorliege, die allerdings nicht konkreter ausgeführt werden. Als Raucher wurde Amed A. nicht geführt. Das Innenministerium jedoch erklärte: »Der Gefangene hat wohl doch geraucht«…” Beitrag von Dennis Pesch bei neues Deutschland vom 10. Oktober 2018 und dazu:
- „Wir haben den Amed Amed“ – Der Syrer Amad Ahmad starb nach einem Brand in der JVA Kleve, wo er fälschlicherweise saß. Interne Papiere zeigen nun, wie es dazu kam
“Mindestens drei Anfänge hat diese Geschichte, drei Fäden, die zu einem einzigen zusammenlaufen und am Ende in eine Katastrophe münden: Im September 2018 bricht in einer Gefängniszelle am Niederrhein ein Feuer aus. Der Insasse stirbt wenig später an den Folgen seiner Verletzungen. Das Opfer ist ein 26-jähriger Mann aus Syrien. Dass die Behörden versagt haben, ist unstrittig. Sie haben einem Unschuldigen ohne Grundlage die Freiheit entzogen, zweieinhalb Monate lang.Wie sich die Schuld genau verteilt, soll jetzt ein Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages klären. Nach Recherchen der taz und des NDR-Politikmagazins „Panorama 3“ muss ein erheblicher Anteil an dem katastrophalen Ende einer Behörde zugeschrieben werden, deren Rolle bisher kaum beachtet wurde: die Hamburger Staatsanwaltschaft. (…) Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelt offiziell gegen sechs örtliche Polizeibeamte wegen Freiheitsberaubung. Im Gespräch mit „Panorama 3“ und der taz macht Oberstaatsanwalt Günter Neifer klar, dass auch die Hamburger Kollegen im Fokus der Untersuchungen stünden. (…) Der Fehler bei der Identitätsfeststellung liege „ausschließlich im Verantwortungsbereich der Polizei“, teilt die Behörde nun mit. „Hinweise auf dienstliches oder strafrechtliches Fehlverhalten der eigenen Mitarbeiter“ sehe die Staatsanwaltschaft nicht. Auch die „sonstigen Geschäftsabläufe“ hätten „keinen bestimmenden Einfluss“ auf den Fall gehabt. Aufsicht über die Staatsanwaltschaft führt die Hamburger Justizbehörde. Die teilt auf Anfrage mit, nach Auskunft der Staatsanwaltschaft liege kein dienstliches Fehlverhalten vor. Deshalb gebe es keinen Grund für „ein Einschreiten“.” Beitrag von Stefan Buchen vom 29. Januar 2019 bei der taz online , siehe dazu den Bericht von Stefan Buchen und Philipp Hennig “Kleve: Fehlerkette bei Tod eines Häftlings” bei NDR Panorama 3 vom 29. Januar 2019 (Videolänge: 8:35 Min., abrufbar bis zum 29. Januar 2020)
- Tödlicher Brand in JVA Kleve: Was geschah in Zelle 143? Brandgutachter widersprechen der Staatsanwaltschaft
“Amad A. starb infolge eines Feuers in seiner Zelle der JVA Kleve. Der Syrer soll das Feuer selbst gelegt haben. Doch Experten bezweifeln laut Monitor, dass der Brand so ablief, wie von den Behörden dargestellt. (…) Die Brandforscher haben in einem Gutachten für Monitor den Brandverlauf anhand des Berichts des NRW-Justizministeriums analysiert. Ihr Fazit: “Der Brand ist so, wie er von der Staatsanwaltschaft beschrieben wird, nicht möglich”, sagt Brandexperte Korbinian Pasedag. “Aufgrund der fehlenden Ventilationsbedingungen in dem Haftraum in den 15 Brandminuten bis zu der Öffnung des Haftfensters ist ein Brandverlauf wie beschrieben nicht möglich”, so die Brandgutachter. (…) Dass Amad A. geschrien oder um Hilfe gerufen hat, dafür sprechen die Aussagen mehrerer Häftlinge. Ein Informant aus der JVA Kleve berichtet Monitor von Häftlingen, die sagten, dass sie Schreie von Amad A. gehört hätten. Ein anderer ehemaliger Häftling, der anonym bleiben möchte, erzählt im Interview ebenfalls vom Abend des Brandes: “Einige Leute haben ja auch gesehen, dass es da gebrannt hat. Amad wurde ja auch hilfeschreiend am Fenster gesehen. In der Freistunde wurde mir erzählt, dass Amad am Fenster war, um Hilfe gerufen hat, wohl auch gegen die Tür getreten hat.” (…) Laut den Berichten des NRW-Justizministeriums hat Amad A. um 19.19 Uhr doch auf den Knopf gedrückt. Ein JVA-Bediensteter habe den Ruf angenommen. Für neun Sekunden war ein Gesprächskanal offen. Ob, und wenn ja was in dieser Zeit besprochen wurde, ist unbekannt…” Beitrag von Julia Regis, WDR, vom 06.12.2018 bei tagesschau.de
- Tod unter Aufsicht – Aufklärung bleibt aus: Aktueller Bericht der NRW-Justiz wirft neue Fragen zum Brand in der Zelle des Syrers Amed A. in der Justizvollzugsanstalt Kleve auf
“Nach dem tödlichen Brand in der Justizvollzugsanstalt Kleve versucht sich die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zu entlasten. Das Ressort des wegen Falschaussagen in der Kritik stehenden Justizministers Klaus Biesenbach (CDU) legte am Mittwoch dem Rechtsausschuss des NRW-Landtages einen 63seitigen Bericht vor, der die bisherigen Ermittlungsergebnisse zum Ableben des inhaftierten syrischen Kurden Amed A. zusammenfasst. (…) Die danach häppchenweise an die Öffentlichkeit gelangten Informationen über den Tod des 26jährigen dokumentieren einen grotesken Justizskandal, die Opposition forderte Klaus Biesenbachs Rücktritt. Der erhoffte sich durch den Bericht des Justizministeriums, der junge Welt vorliegt, eine Verschnaufpause. Doch das Schriftstück wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. (…) Ob es tatsächlich bloß wiederholte »Versehen« waren, die dazu führten, dass der Syrer solange unschuldig in Haft blieb, ist nach dem Bericht genauso offen wie der genaue Hergang des tödlichen Brandes…” Beitrag von Peter Schaber bei der jungen Welt vom 8. November 2018
- Tod in der Zelle – Spendenkampagne im Fall Amad Ahmad gestartet
“… Für die lückenlose Aufklärung des Todes von Amad Ahmad wurde nun eine Spendenkampagne initiiert, um einen Rechtskostenfonds einzurichten. Die Organisator*innen der Kampagne – der ISD-Bund e.V., das Antirassistische Bündnis „Tribunal NSU-Komplex auflösen” sowie das Haus der Begegnung – Beth HaMifgash e.V. in Kleve – wollen eine Klage der Eltern des Verstorbenen und die kritische Begleitung der Ermittlungen unterstützen, und rufen daher zu Spenden auf. In dem Aufruf heißt es: „Der Fall von Oury Jalloh hat gezeigt: Gerade wenn Polizeikräfte in einen Tod verwickelt sind und angesichts von Ermittlungsfehlern der Staatsanwaltschaft müssen die Angehörigen, die Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit Ermittlungen und Gerichtsverfahren kritisch begleiten. Amad Ahmads Familie muss Einsicht in alle Akten erlangen. Das geht nur wenn sie selbst klagen.” Der Rechtskostenfonds von 10.000 Euro soll Anwaltskosten der Familie abdecken und eigene Gutachten von unabhängigen Sachverständigen finanzieren können. Auch alle Fahrtkosten der Familie zu Behörden sollen durch den Fonds gedeckt werden, heißt es weiter.” Meldung vom 22. Oktober 2018 von und bei Rote Hilfe Bielefeld und die Spendenkampagne bei GoFundMe
- Justizversagen: Warum verbrannte Amad A. in der JVA Kleve?
„Ein junger Mann macht sich auf einen gefährlichen Weg. Aus dem syrischen Bürgerkrieg flieht er nach Deutschland, wird von dort nach Ungarn zurückgeschickt, wird dort inhaftiert und schafft es dann doch wieder nach Deutschland, wo er schließlich als Flüchtling anerkannt wird. Alles scheint gut, er lernt hier Deutsch und lässt sich nichts zu Schulden kommen. Am 17. September ist er dann plötzlich tot, verbrannt in einem deutschen Provinzgefängnis im niederrheinischen Kleve. Was zunächst nach einem tragischen Fall klang, wächst sich jetzt zu einem regelrechten Justizskandal aus. Ein Skandal, der beängstigende Fragen aufwirft…“ Bericht von Gitti Müller, Shafagh Laghai und Martina Koch bei Monitor vom 25. Oktober 2018 (Videolänge: 8:42 Min., in der ARD-Mediathek abrufbar bis zum 25. Oktober 2019)
- Amad Ahmad: Neue Hinweise widersprechen Selbstmord-Theorie
“… Im Fall des aus Efrîn stammenden Kurden Amad Ahmad, der aufgrund von schwerwiegenden Behördenfehlern zwei Monate unschuldig im Gefängnis saß und am 29. September nach einem Brand in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Kleve verstarb, gibt es neue Hinweise darauf, die der Selbstmord-Theorie der Behörden widersprechen. Offenbar hat der 26-Jährige doch entgegen bisheriger Aussagen die Gegensprechanlage betätigt, um einen Alarm auslösen. Das berichteten auch der Kölner Stadtanzeiger und die Bild-Zeitung, der ein nichtöffentlicher Bericht des Justizministeriums an die Landtagsfraktionen vorliegt. Demnach hätten die Beamten der JVA Kleve nicht auf den Alarmruf reagiert. In dem Bericht heiße es, dass „entgegen der bisherigen Erkenntnislage“ doch noch Protokollierungsdaten aus der Haftanstalt gefunden worden seien. (…)Bisher verbreitete die Landesregierung NRW die Theorie, Amad Ahmad habe Selbstmord begangen. Doch daran gibt es nun begründete Zweifel. In dem Bericht des Justizministeriums heiße es außerdem: „Die Daten deuten nach Einschätzung der Polizei darauf hin, dass entgegen bisheriger Annahme am Brandtag gegen 19:19:10 Uhr die Gegensprechanlage in dem Haftraum 143 betätigt wurde”. Die Staatsanwaltschaft gehe nun unter anderem auch der Frage nach, ob und wann das mit der Sprechanlage ausgelöste Lichtsignal deaktiviert wurde. Nach Bild-Informationen sei die Gesundheitsakte von Amad Ahmad inzwischen beschlagnahmt worden, außerdem werde gegen einen Arzt der JVA wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen ermittelt. Laut Justizministerium bestehe der Verdacht, dass in der Gesundheitsakte Dinge standen, die „pflichtwidrig nicht zur Kenntnis gebracht“ worden seien. Erst dadurch wäre der Gefangene von der JVA eben nicht als suizidgefährdet eingeordnet worden…” Beitrag vom 19. Oktober 2018 von und bei ANFNews
- Amad Ahmad: Die Wahrheit herausfinden
“… Sein Sarg ist bedeckt mit Flaggen der Region Kurdistan, auch ein Bild von Amad Ahmad hängt daran. Die Beerdigung des jungen Mannes hat die kurdische Community in Bonn organisiert. Rund 50 Menschen stehen am Samstag auf dem Bonner Nordfriedhof, um sich von Amad Ahmad zu verabschieden, darunter auch sein Vater, Malak Zaher Ahmad. Er steht mit weiteren Angehörigen vor Beginn der Zeremonie frontal Vertretern der Landesregierung gegenüber. Innenminister Herbert Reul, Justizminister Peter Biesenbach und Vertreter des Landtags sind gekommen »Wer ist der Mörder meines Sohnes?«, steht auf dem Oberteil des Vaters. Auch Rassismus sei ein Grund dafür, dass Amad Ahmad nicht mehr unter ihnen weilt. Der Rechtsanwalt der Familie, Necdal Disli, sagt »nd«: »Es sind individuelle Fehler gemacht worden. Aber es gab in den letzten Monaten von manchen Parteien und Politikern auch eine Kampagne gegen Flüchtlinge«, kritisiert er. Dass Amad Ahmad niemand geglaubt hat, führt er darauf zurück, dass sich dieser Rassismus in den Institutionen niederschlägt. (…) Dass die Landesregierung an der Beerdigung teilnahm und Aufklärung versprach, sorgt für Hoffnung bei Vater und Angehörigen: »Das sie da waren, ist okay, aber es hält uns nicht davon ab, die Wahrheit herauszufinden«, so Ahmad…” Beitrag von Dennis Pesch bei neues Deutschland online vom 14. Oktober 2018
- Wir erinnern an unser Dossier Der Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh
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