Tatsächlich wurde in Genf vor fast 100 Jahren schon einmal eine historische Entscheidung für Syrien gefällt, die nicht zum Frieden, sondern zu Krieg, inneren Zerwürfnissen und schwerwiegendem Landraub führte.
Delegationen in Genf uneinig über Procedere und Inhalt der Syrien-Gespräche
Quelle: http://www.kp-l.org/
Mit einer offiziellen Begrüßung den UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan De Mistura am UNO-Sitz in Genf hat am Donnerstagabend die vierte Runde der innersyrischen Gespräche mit fast einstündiger Verspätung begonnen. Er wies darauf hin, daß auch die beiden Ko-Vorsitzenden der Genfer Gespräche, die USA und Rußland als Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat sowie »alle Staaten der Internationalen Syrien-Unterstützungsgruppe« (ISSG) im Saal anwesend waren. »Historische Momente« habe diese Halle erlebt, so De Mistura, dem die Anspannung der letzten Tage deutlich ins Gesicht geschrieben war. Er hoffe, daß die Syrer eines Tages auf ihre Geschichte zurückblicken und sagen könnten »hier hat die lange, schwierige Reise der Syrer zum Frieden begonnen.«Tatsächlich wurde in Genf vor fast 100 Jahren schon einmal eine historische Entscheidung für Syrien gefällt, die nicht zum Frieden, sondern zu Krieg, inneren Zerwürfnissen und schwerwiegendem Landraub führte. Am 12. August 1922 hatte der Völkerbund, Vorgänger der UNO, das französische Mandat für Syrien und Libanon bestätigt. Unmittelbar darauf teilte Frankreich Syrien in fünf Kleinstaaten auf, verschenkte das Gebiet von Alexandrette an die Türkei (1938) und trennte den Libanon von Syrien ab. Aufstände der Syrer wurden blutig niedergeschlagen, erst 1946 zogen die letzten französischen Truppen aus Syrien ab. Es folgten Kriege nach der Gründung des Staates Israel 1948. 1967 besetzte Israel die syrischen Golanhöhen, seit 2011 führen bewaffnete Gruppen mit ausländischer Unterstützung einen Abnutzungskrieg gegen die syrische Armee.
Kann also in Genf, wo ausländische Einmischung in Syrien 1922 besiegelt worden war, tatsächlich eine Lösung für den aktuellen Krieg gefunden werden?
Die Syrische Regierung akzeptiert die UNO als Vermittler und ist seit den ersten Gesprächen 2014 immer pünktlich mit einer Regierungsdelegation erschienen. Auch wenn es immer wieder Kritik an einzelnen Manövern der bisher drei UNO-Sonderbeauftragten gegeben haben mag, sieht Damaskus die UNO noch immer als Verteidiger des Völkerrechts und der UNO-Charta. Syrien gehörte 1945 zu den Gründungsmitgliedern der UNO.
Anders die vielfältige und zersplitterte Opposition, die bewaffnet oder politisch etwas in Syrien verändern möchte. Die innersyrische, zumeist unbewaffnete Opposition, denen das Völkerrecht ebenso wichtig ist wie politische Reformen in ihrer Heimat, ist bei den Gesprächen in Genf nicht vertreten. Auch die politische und militärische Vertretung der syrischen Kurden bleibt weiter ausgeschlossen. Nicht dabei sind unabhängige Oppositionelle, die eine Beeinflussung von regionalen oder internationalen Mächten ablehnen. Und so folgen Oppositionelle der Einladung nach Genf, die sich Riad-, Moskau- oder Kairo-Gruppe nennen, was auf den Ort ihrer Zusammenkünfte, ihres Aufenthalts oder ihrer Sponsoren hinweist.
Obwohl er in Syrien wenig Ansehen hat, wurde dem »Hohen Verhandlungsrat« (Riad-Gruppe) von De Mistura die Leitung der Oppositionsdelegation übertragen. Der HNC besteht zu 50 Prozent aus Vertretern bewaffneter Gruppen. Von Vertretern der Moskau- und Kairo-Gruppen wird diese Führungsrolle des HNC zurückgewiesen, dennoch nahmen sie an der Begrüßungsversammlung am Donnerstagabend teil. Um sich vom HNC abzusetzen, war für die jeweils zwei Vertreter ein extra Verhandlungstisch aufgestellt worden.
Seit Jahren von den USA, der Türkei, Saudi Arabien, den Golfstaaten, der EU aufgebaut und gesponsert und von Medien aus diesen Ländern als »wichtigste Opposition« umgarnt, verhält sich der HNC wie eine Diva, die das Rampenlicht und Fünf-Sterne-Hotels gewohnt ist und sie mit niemandem teilen will. Ihr Alleinvertretungsanspruch wurde deutlich in der Stellungnahme des Leiters der HNC-Delegation, Naser al-Hariri vor der Eröffnungsveranstaltung: »Heute ist der HNC die wirkliche Opposition, die das syrische Volk repräsentiert«, sagte er. Man reiche »allen nationalen Partnern die Hand, die den Willen des syrischen Volkes (d.h. den HNC) adoptieren« und hoffe, die Vertreter der Moskau- und Kairo-Gruppen würden »den nationalen Interessen und Interessen des syrischen Volkes« Priorität einräumen.
Der HNC besteht weiterhin auf der Forderung, daß Präsident Baschar al-Assad zurücktreten muß, um einen Friedensprozeß zu ermöglichen. Die syrische Regierungsdelegation weist das zurück, die Forderung ist in keiner der UNO-Sicherheitsratsresolutionen enthalten, die den Verhandlungen zugrunde liegen.
Die Moskau- und die Kairo-Gruppen zeigten sich zu direkten Gesprächen mit der syrischen Regierungsdelegation bereit. Sie fordern nicht den Rücktritt Assads, sondern wollen, daß er den Übergangsprozeß in Syrien begleitet. Am Freitag beteiligten sich die beiden Gruppen nicht an einem Treffen des HNC mit Staffan De Mistura, um das von der UNO vorgeschlagene Procedere der Gespräche zu diskutieren. Die Kairo-Gruppe hat bereits eigene Vorschläge für die anstehende Verfassungsdiskussion vorgelegt.
Karin Leukefeld, Genf
Freitag 24. Februar 2017
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