Deutschlandradio Kultur, 26.02.2017
Wenn Carmen Aristegui morgens um acht Uhr auf Sendung geht,
dann hören ihr Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner im In- und
Ausland zu. Allerdings, über Monate hinweg herrschte großes
Schweigen, denn ihre Sendung wurde im vergangenen Jahr
eingestellt. Man könnte auch sagen: verboten.
Ihr Vergehen: Sie hatte zusammen mit ihrem investigativen Team
einen spektakulären Korruptionsskandal aufgedeckt. Der Präsident
Enrique Pena Nieto und seine Gattin höchstpersönlich waren die
Protagonisten. Es ging um das dubiose Geschäftsgebaren beim Bau
ihrer eigenen Villa.
Ein klarer Fall von Zensur
Dass der Präsident auch höchstpersönlich gegen die beliebte
Journalistin interveniert hat, gibt er nicht zu. Liegt aber auf
der Hand, meint Carmen Aristegui. "Es ist ja völlig unlogisch,
dass ein privates Medienunternehmen das Programm abschafft, das
die meisten Zuhörer hat, also auch das meiste Geld bringt", sagt
sie. "Man müsste ja schön blöd sein, so etwas zu tun. Es sei
denn, es mischt sich da noch jemand von oben ein."
Ein klarer Fall von Zensur, aber nicht nur das. Aristegui wurde
mit Strafanzeigen wegen Verleumdung überzogen, obwohl alle
Recherchen bis heute wasserdicht sind und der Präsident sich
öffentlich wegen der Korruptionsaffäre entschuldigen musste.
Aber das Ziel bleibt: Aristegui soll mürbe gemacht und
finanziell ruiniert werden.
Dabei hat Carmen Aristegui Glück. Sie ist zu bekannt, um sie
einfach aus dem Weg zu räumen. Ihre Kollegin Marta Durán, kennt
andere Fälle – und ihren eigenen: "Ich wurde Zuhause angerufen,
auf dem Anrufbeantworteter war eine Morddrohung. Ich hab die
Aufnahme zusammen mit der registrierten Telefonnummer zur
Polizei gebracht und Anzeige erstattet", berichtet sie. "Es
vergingen Monate – dann kam die Polizei zu dem Ergebnis, es sei
ein Kind gewesen, das gespielt habe."
Die Ermittlungen wurden eingestellt
Dass der Täter fünf Mal versucht hatte anzurufen, dass es sich
um eine tiefe Männerstimme handelte, dass eine Stimmanalyse
hätte Klarheit bringen können – all das zählte nicht. Die
Ermittlungen wurden eingestellt. Fall erledigt. Für die Polizei.
Nicht für Marta Durán. "Ich war in höchster Aufregung", sagt
sie. "Denn in innerhalb von zwei Monaten hatten fünf
Journalisten Morddrohungen bekommen, unter anderem ich. Wir
kannten uns nicht untereinander. Aber drei von den fünf wurden
ermordet."
Wer sich als Journalist mit Korruption, Drogenmafia und der
Allianz zwischen Politik und organisierter Kriminalität
beschäftigt, bewegt sich auf lebensgefährlichem Terrain, zumal
in der Provinz: "Wenn du Lokalreporter bist und dich keiner
kennt, dann bringen sie dich einfach um", sagt Durán. "Oder sie
foltern dich. Aber nicht nur das: Sie machen Hackfleisch aus
dir, sie zerstückeln den Körper, schmeißen ihn in den
Abwasserkanal oder legen deinen Kopf vor die Eingangstür der
Zeitung, für die du arbeitest. So ist es gerade im Bundesstaat
Tamaulipas geschehen."
Die blanke Angst vieler Journalistinnen und Journalisten
befördert die Selbstzensur. Sie schreiben über bestimmte Themen
einfach nicht mehr. Die Verquickung von Politik und
Drogenkartellen gehört dazu.
Pressefreiheit existiert nicht mehr
Wer kritisch nachfragt und investigativ recherchiert, muss mit
Sanktionen der privaten Medienunternehmen rechnen. So wie Carmen
Aristegui. Und auch Journalisten, die sich für ihre
Hofberichterstattung – und für ihr Schweigen - bezahlen lassen,
gibt es in Mexiko zuhauf. Pressefreiheit – eigentlich in der
mexikanischen Verfassung als Grundrecht verankert – existiert
nicht mehr. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die
Rosa-Luxemburg-Stiftung in diesen Tagen zum Thema
veröffentlicht.
Und dennoch: Carmen Aristegui ist inzwischen wieder auf Sendung
– jeden Morgen. Ihre Redaktionsräume, in die bereits nach
wenigen Wochen filmreif eingebrochen wurden, sind in Mexiko.
Aber ihre Sendung ist im World Wide Web. Die digitale
Ausstrahlung macht sie unabhängig. Es gibt nur noch einen, der
ihr die Arbeit streitig machen kann. Der Hörer – denn das
Programm finanziert sich über Klicks: "Wir können unsere Arbeit
machen, weil wir einen sehr guten Traffic haben, sehr, sehr
viele Hörer", sagt sie. "Wir finanzieren uns über die
Klickzahlen, und das läuft gut, wir haben sogar unsere Redaktion
erweitert und konnten neue Ausrüstung kaufen für unsere
Live-Sendung. Und ich vertraue einfach darauf, dass das Publikum
und unsere Hörerschaft uns treu bleiben."
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