Dossier
„
Deutsche
Bauern sind besorgt: Helfen ihnen künftig keine Saisonkräfte mehr auf
den Spargelfeldern? Dafür gäbe es gute Gründe, sagt der Experte Thomas
Hentschel. (…) Die Bedingungen sind vielerorts tatsächlich schlecht.
Nehmen wir die Bezahlung. Auf dem Papier zum Beispiel bekommt natürlich
jeder Helfer den deutschen Mindestlohn von 8,84 Euro in der Stunde. In
der Praxis sieht das ganz anders aus, und das spricht sich früher oder
später natürlich auch in den Herkunftsländern herum. (…) Es gibt genug
Betriebe, die ihren Leuten umstandslos das zahlen, was ihnen zusteht.
Das widerlegt die Behauptung, es ginge nicht ohne Trickserei und
Lohndumping. Übrigens klagen französische Bäuerinnen und Bauern, dass
die deutschen Landwirte den Markt dort mit billigem Spargel überfluten,
weil der Mindestlohn bei uns niedriger ist als auf der anderen
Rheinseite. Die französischen Arbeitgeber verlangen inzwischen von den
deutschen Gewerkschaften, dass sie für höhere Löhne in der
Landwirtschaft sorgen sollen. Das ist doch absurd!“ (…) Bio und
Regionales haben überhaupt nichts mit Sozialstandards zu tun. Leider
gibt es kaum etwas, was beim Einkauf Orientierung bieten könnte. Unser
Institut hatte vor zehn Jahren einmal die Idee, ein Siegel für faire
Saisonarbeit zu verleihen. Leider haben kaum Betriebe mitmachen wollen,
sodass wir das Projekt schnell beerdigt haben. Die Schutzrechte für das
damals von uns entwickelte Siegel laufen dieses Jahr endgültig aus. Wir
werden Sie nicht verlängern.“ Interview von Bernd Kramer vom 25.05.2018 in der Zeit online . Thomas Hentschel leitet das gewerkschaftsnahe Peco-Institut in Berlin, das
eine Studie über die Situation der Erntehelfer veröffentlicht hat: “Flexible-Insecure. Wanderarbeit in der Landwirtschaft”. Siehe auch
[Ausstehende
Löhne und Missstände in Verpflegung und Unterbringung im Spargelbetrieb
Ritter] Massenprotest von 150 Feldarbeitern in Bornheim und hier allgemein:
- Beraterin über Erntehelfer: “Bei Hitze und Regen zwölf Stunden zu arbeiten, macht keiner lange mit“
“Aura Silvia Plesca berät Erntehelfer aus Osteuropa. Dabei hört sie
vieles über Wuchermieten, Arbeit ohne Pause und nicht gezahlte Löhne.
Ein Interview. [Wie viele osteuropäische Leiharbeiter, Werkvertragler
oder ähnlich Beschäftigte gibt es in Hessen tatsächlich oder geschätzt?]
Aktuelle Zahlen haben wir nicht. 2016 waren es unseren Informationen
zufolge 16.000. In diesem Jahr waren nach unseren Schätzungen etwa 40
Prozent weniger auf den Feldern. [Sie arbeiten im Projekt „Faire
Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes und beraten Menschen aus
Mittel- und Osteuropa, was ist Ihre Aufgabe?] Da ich ursprünglich aus
Rumänien komme, berate ich rumänischsprachige Arbeitnehmer. Jeder, der
Fragen oder Probleme im Beschäftigungsverhältnis hat, kann sich an mich
wenden. Ich berate etwa 400 bis 500 Menschen im Jahr…“ Interview von Patricia Andreae vom 08.07.2020 in der FAZ online mit Aura Silvia Plesca („Faire Mobilität“) (im Abo)
- Ärger auf den Feldern: Proteste von Saisonarbeitskräften in Ladenburg
“Saisonarbeitskräfte haben am Montag in Ladenburg ihrem Ärger über
zu wenig Lohn Luft gemacht. Einige sagen, dass sie am Monatsende gerade
Mal 150 Euro in der Tasche haben. Es sind harte Vorwürfe, die von
einigen Erntehelfern an der Bergstraße kommen. Der Hegehof – einer der
größten Obst und Gemüsehöfe an der Bergstraße, zahle zu wenig. Dieter
Hege weist das entschlossen zurück. Er bezahle den Mindestlohn von 9,35
Euro – genau das, was gesetzlich vorgeschrieben ist. (…) Üblicherweise
würden Busfahrer die Erntehelfer bringen. Diese Fahrer würden als
Vermittler eingesetzt, um den Arbeitern die Vorgehensweisen sowie die
Bezahlungsmodalitäten zu erklären. In diesem Jahr kamen andere
Erntehelfer per Flugzeug und auch die Vermittler waren andere. Diese
fürchten nun den Zorn der Arbeiter. Eine Vermittlerin ist aus Angst mit
ihrer Familie wieder unterwegs zurück nach Polen. Die Arbeiter, die
jetzt protestiert haben, sollen den regulären Stundenlohn bekommen
haben. Wenn sie aber ihre Steuer-Identifikationsnummer nicht angegeben
hatten, wurden sie in Steuerklasse 6 eingestuft, heißt es von Seiten des
Hofes. Dann blieben ihnen 600 Euro im Monat. Davon wurden noch Kosten
für Unterkunft und Verpflegung abgezogen…” Beitrag vom 7.7.2020 beim SWR
- Covid-19-Fälle auf Spargelhof: Aichach-Friedberg ist jetzt
Deutschlands Corona-Hotspot / 95 Erntehelfer auf Spargelhof in in
Inchenhofen/Bayern infiziert / Bedingungen für die Einreise von
Erntehelfern werden gelockert
- Coronavirus: 95 Erntehelfer auf Spargelhof infiziert
“Inchenhofen. Auf einem Spargelhof in Bayern sind
inzwischen 95 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. 525
Mitarbeiter seien untersucht worden, teilte das Landratsamt am Freitag
in Aichach mit. »Aktuell werden alle Kontaktpersonen der Erkrankten
ermittelt.« Die Getesteten hätten zum Zeitpunkt des Abstrichs jedoch
keinerlei Symptome einer Covid-19-Erkrankung gezeigt, teilte die Behörde
unter Berufung auf Gesundheitsamtsleiter Friedrich Pürner mit. Früheren
Angaben zufolge hatte es unter Erntehelfern auf dem Betrieb in
Inchenhofen eine Aufteilung in Kleingruppen gegeben, die vom
Gesundheitsamt vorab ausdrücklich gelobt worden war. Nach Einschätzung
der Behörde betrifft der Ausbruch nur den Spargelhof, weshalb auch eine
Überschreitung der Grenzwerte für Neuinfektionen keine weiterreichenden
Folgen hätte. Die Geschäftsführung der Lohner Agrar GmbH teilte am
Freitag mit, angesichts der Vorkehrungen wie die Einrichtung eines
eigenen Supermarktes, einer eigenen Kantine mit Abstandsvorkehrungen und
der Unterbringung in Ein- bis Zwei-Personen-Zimmern keine Erklärung
dafür zu haben, wie das Virus auf den Hof gekommen sei.” Agenturmeldung vom 12.06.2020 in der jungen Welt Online Extra
- Covid-19-Fälle auf Spargelhof: Aichach-Friedberg ist jetzt Deutschlands Corona-Hotspot
“… Am Montag und Dienstag wurden nun laut Landratsamt mehr
als 500 Beschäftigte des mit Abstand größten Spargelbauern in der Region
getestet. Das sei „ohne jegliche Komplikationen“ verlaufen, keiner der
Getesteten habe Covid-19-Symptome gezeigt, teilte die Behörde am
Mittwochabend mit und will sich am kommenden Montag zu den Ergebnissen
äußern. Eines nahm sie jedoch vorweg: Sollten am Ende der Auswertung die
Grenzwerte 35 oder 50 überschritten werden, würde dies „in erster
Konsequenz ausschließlich Maßnahmen für den Spargelhof nach sich ziehen
und nicht den ganzen Landkreis betreffen“. Denn außerhalb des
Spargelhofs seien „die Infiziertenzahlen im Landkreis weiterhin völlig
unauffällig, lagen zuletzt bei Null“. Am Donnerstag bestätigte
schließlich das bayerische Landesamt für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit in Erlangen, was das Robert-Koch-Institut in
Berlin schon vermeldet hatte: Die Zahl der mit dem Coronavirus
infizierten Menschen ist im Landkreis Aichach-Friedberg tatsächlich
drastisch angestiegen. Am Mittwoch um 15 und am Donnerstag um weitere 41
auf nunmehr 75 Personen in den vergangenen sieben Tagen. …“ Beitrag von Michael Böhm vom 11.06.2020 in Augsburger Allgemeine online
- Die für einen kurzen Moment sichtbar gewordenen unsichtbaren
Erntehelfer sind erneut im medialen Schattenreich – und sollen wieder
alle kommen dürfen
“Es gibt definitiv Meldungen, die kommen einfach wirklich total unpassend. Beispielsweise so eine Schlagzeile am 11. Juni 2020: Corona-Ausbruch auf Spargelhof in Bayern .
Mit diesem Inhalt: »Nachdem 21 Erntehelfer auf einem Spargelhof in
Aichach-Friedberg positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sind nun
500 weitere Mitarbeiter des Betriebs getestet worden. Unter den
Getesteten gebe es weitere Corona-Fälle, teilte das Bayerische Landesamt
für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) mit. Bei 200 dieser
Mitarbeiter stehe das Ergebnis noch aus, hieß es weiter. Symptome waren
bei keinem der Getesteten aufgetreten. Die neuen Infektionszahlen sollen
am Montag bekanntgegeben werden.« Für wen das „unpassend“ ist? Für die
Landwirte, die auf die Heerscharen an „günstigen“ Arbeitskräften
angewiesen sind und eine „schlechte Presse“ nicht gebrauchen können.
Derzeit ist das aber vor allem unpassend für die
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), denn die hatte,
den allgemeinen Regeln der Berichterstattungslogik folgend, auf das
Verschwinden des Themas Erntehelfer, das ein paar Tage lang einige auch
kritische Berichte mit Stoff versorgte, gehofft, um dann zu versuchen,
wieder in den Normalmodus zu wechseln. Den Normalmodus kann man in
diesen Tagen vielleicht so zuspitzen: „Freie Fahrt für unfreie
Erntehelfer“. Herausgekommen ist dann sowas: Corona-Beschränkungen enden: Freie Einreise für Saisonarbeiter .
Darüber wurde erst einen Tag vor den neuen Meldungen über Corona-Fälle
unter den Erntehelfer, die schon da sind, berichtet. (…) Das sieht die
zuständige Ministerin natürlich ganz anders: »Nach wie vor hat der
bestmögliche Gesundheits- und Infektionsschutz aller Beteiligten für uns
Priorität. Nur so ist verantwortungsvolles Wirtschaften in Zeiten der
Pandemie möglich.« Mit diesen salbungsvollen Worten wird sie von ihrem
Ministerium in einer Pressemitteilung vom 10. Juni 2020 zitiert, wobei
man die Überschrift dieser Mitteilung aus dem
Bundeslandwirtschaftsministerium genau lesen sollte, denn die bringt es
auf den Punkt, um was es vor allem geht: Neuregelung für Saisonarbeitskräfte schafft Planungssicherheit für die Landwirte . Aber
das es nicht wirklich um die (gesundheitliche) Sache geht, das könnte
man ableiten aus den Zahlen vor dem Hintergrund der realen Bedarfe, die
es in der Landwirtschaft an Saisonarbeitern gibt. Mithin also geht es
nur darum, so schnell wie möglich alle Hürden zu schleifen, die den
Nachschub an Arbeitskräften möglicherweise blockieren: »Die
Bundesregierung hatte bisher festgelegt, dass insgesamt höchstens 80.000
Saisonkräfte einreisen dürfen. Diese Regelung läuft Mitte Juni aus. Das
Kontingent wurde nur knapp zur Hälfte ausgeschöpft. Bis zum 3. Juni
2020 reisten 38.967 Saisonarbeitskräfte ein. In der Landwirtschaft
hatten voriges Jahr nahezu 300.000 Saisonkräfte vor allem aus Rumänien
und Polen gearbeitet.« (…) »Überfüllte Zimmer, Akkordlohn, wenig Pausen.
Wie schlecht die Arbeitsbedingungen für Saisonarbeiter sind, zeigt die
Krise«, so der Anfang des Artikels Und wer rettet die Erntehelfer?
von Luisa Jacobs, der am 4. Juni 2020 veröffentlicht wurde. Der fast
nochmal viele Aspekte der kritischen Berichterstattung zusammen. Jacobs
hat aber am Anfang ihres Artikels auch noch eine Frage in den Raum
gestellt – ich zitiere den vollständigen Untertitel: »Überfüllte Zimmer,
Akkordlohn, wenig Pausen. Wie schlecht die Arbeitsbedingungen für
Saisonarbeiter sind, zeigt die Krise. Warum ist es so schwer, daran
etwas zu ändern?« Warum ist es so schwer, daran etwas zu ändern?
Vielleicht, weil man dann die Systemfrage stellen müsste…“ Beitrag von Stefan Sell vom 11.06.2020 bei Aktuelle Sozialpolitik
-
- Bedingungen für die Einreise von Erntehelfern werden gelockert
“Ausländische Saisonarbeitskräfte sollen ab kommender Woche
leichter einreisen dürfen. Bestimmte Schutzvorkehrungen gelten aber
weiter. Das sieht ein Konzept vor, das Bundesagrarministerin Julia
Klöckner heute im Kabinett vorgestellt hat. Das Modell soll die weitere
Beschäftigung dringend benötigter Erntehelfer in den nächsten Monaten
absichern. Denn am kommenden Montag läuft die Sonderregelung aus, die
die Einreise von bis zu 80 000 Saisonkräften per Flugzeug ermöglichte.
Die Bundesregierung hatte bereits signalisiert, dass es eine
Folgeregelung dafür geben soll. Ab kommendem Dienstag (16. Juni) dürfen
Saisonkräfte aus EU-Staaten auf dem Landweg und per Flugzeug „ohne die
bisherigen Beschränkungen nach Deutschland einreisen“, heißt es in dem
Konzeptpapier. Dies gilt auch für Kräfte aus den assoziierten
Schengen-Staaten wie der Schweiz. Die Regelungen sollen bis zum
Jahresende gelten…” Beitrag von Norbert Lehmann vom 10.06.2020 bei agrarheute samt Eckpunkten der Saisonarbeiter-Regelung des Konzeptpapier des BMEL zur Saisonkräfte-Regelung
- Lohn-Streit auf Spargelhof im Landkreis Nienburg
“Nach der Kritik an einem Spargelhof in Hoyerhagen im Landkreis
Nienburg wegen möglicher Verstöße gegen Corona-Regeln, gibt es dort
Streit um Löhne. Das berichtet NDR 1 Niedersachsen. Ein rumänischer
Erntehelfer habe nach eigenen Angaben seit Ende April 300 Stunden
gearbeitet aber nur 200 bezahlt bekommen, sagte eine Sprecherin der
Gewerkschaft IG Bau. Er habe die Erntehelfer ordentlich bezahlt und es
habe auch keine Probleme gegeben, entgegnet der Spargelbauer. Das
Unternehmen hat inzwischen wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage
durch die Corona Pandemie Insolvenz angemeldet. Der Geschäftsbetrieb
werde aber unverändert und vollumfänglich fortgeführt, teilte der
Insolvenzverwalter mit. Unterdessen prüft die Staatsanwaltschaft Verden,
ob es auf dem Hof Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz gegeben
hat. Zudem wird der Bauer verdächtigt, Ausweisdokumente von Erntehelfern
einbehalten und auch auf Nachfrage nicht herausgegeben zu haben. Der
Hofbetreiber weist diese Vorwürfe zurück.“ Meldung vom 03.06.2020 bei NDR1
- Begrenzte Einreise von Saisonarbeitskräften unter strengen Auflagen bis 15. Juni verlängert
“Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia
Klöckner, und der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst
Seehofer, haben sich auf die Fortführung der bestehenden Regelung für
die Einreise ausländischer Saisonarbeitskräfte bis zum 15. Juni
geeinigt. Anfang April hatten die beiden Bundesministerien unter
Einbeziehung des Robert-Koch-Instituts einen verantwortungsvollen
Korridor zur Einreise von jeweils 40.000 Saisonarbeitern in den Monaten
April und Mai geschaffen – unter strengen Infektionsschutzauflagen.
Diese umfassen unter anderem einen Gesundheitscheck am Flughafen nach
Landung, die Übermittlung der Ergebnisse an das zuständige
Gesundheitsamt, eine 14-tägige faktische Quarantäne nach Ankunft,
strikte Abstands- und Hygienevorschriften in den Betrieben, eine
geringere Belegung der Unterkünfte und das Arbeiten in möglichst
kleinen, gleichbleibenden Gruppen. Das Konzept wäre Ende Mai
ausgelaufen, weiterhin sind die Landwirte für die Ernte und
Pflanzarbeiten aber auf die Unterstützung ausländischer Fachkräfte
angewiesen. Daher haben sich die beiden Bundesminister auf die
Verlängerung verständigt. Die Auflagen für den Gesundheits-, Arbeits-
und Infektionsschutz bleiben bestehen, ebenso wie das Kontingent von
insgesamt 80.000 Arbeitskräften. Dieses ist aktuell nicht ausgeschöpft:
Eingereist sind bisher rund 33.000 Saisonarbeitskräfte. Zum Stichtag 15.
Juni ist in der Bundesregierung verabredet, die Reisebestimmungen im
Lichte des aktuellen Infektionsgeschehens grundsätzlich neu zu bewerten.
Eine weitere Anschlusslösung für die Zeit nach Mitte Juni wird sich an
diesem Grenzregime orientieren…” Pressemitteilung des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vom 24. Mai 2020
- Rumänen opfern sich für deutschen Spargel
“Das Herz des EU-Binnenmarktes ist eine grundlegend ungleiche
Arbeitsteilung, die hunderttausende osteuropäische Arbeiterinnen und
Arbeiter für einen Hungerlohn vertreibt. (…) Trotz des Lockdowns müssen
Millionen Menschen auf der Welt zur Arbeit gehen, nicht nur, um zu
überleben, sondern auch weil gerade ihre Arbeit unverzichtbar ist, um
die Lockdowns für alle anderen aufrechtzuerhalten. Nahrungsmittel müssen
geerntet, verarbeitet und transportiert werden. Die Infrastruktur muss
aufrechterhalten werden und die Grundversorgung muss weiterlaufen. All
das wäre unmöglich ohne die Menschen, die bereit sind diese notwendige
Arbeit zu leisten. Und Unternehmerinnen und Unternehmer werden alles
tun, um sie ausfindig zu machen. Genau so war es bei den rumänischen
Spargelstecherinnen und -stechern. Mit Verweis auf die verrottende Ernte
auf den Feldern kam der deutsche Staat dem Landwirtschaftssektor zu
Hilfe und überzeugte Rumänien davon, gecharterte Auslandsflüge für die
Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter zu erlauben. Der rumänische Staat
folgte ordnungsgemäß – allerdings nicht aus blindem Gehorsam dem
europäischen Hegemon gegenüber, sondern weil die Versorgung reicher
EU-Staaten mit billigen und flexiblen Arbeitskräften bereits seit drei
Jahrzehnten gängige Praxis ist. (…) Die offizielle Antwort des
rumänischen Botschafters, Emil Hurezeanu, war zwar wortreich, aber blieb
oberflächlich. Er lobte die deutschen Unternehmen und Behörden
überschwänglich in ihrem Bemühen, die Arbeit während der Pandemie zu
organisieren. Aber er hatte wenig über das Schicksal seiner Landsleute
zu sagen, die als Folge nun gegen die Krankheit kämpften. Statt die
Rechte rumänischer Bürgerinnen und Bürger im Ausland zu vertreten,
schien er eher damit beschäftigt, die Arbeitsmigration von Ost nach West
aufrechtzuerhalten, koste es, was es wolle. Allerdings zeigt die Art
und Weise, wie rumänische und andere osteuropäische Arbeiterinnen und
Arbeiter in völliger Missachtung ihrer Sicherheit und mit der Zustimmung
ihrer Regierungen abtransportiert wurden, die Besonderheiten der
Arbeitsmigration innerhalb der EU auf, wo ein Binnenmarkt und offene
Binnengrenzen es Arbeiterinnen und Arbeitern ermöglichen, angeblich
gleichwertige Mitgliedsstaaten frei zu durchqueren. Hinter dieser
formellen Gleichheit verstecken sich jedoch die stummen Zwänge
materieller Notwendigkeit, die Hunderttausende zur Abwanderung vom
ärmeren Osten und Süden gen Westen treiben. Das Herzstück Europas ist
eine hochprofitable Industrie, die darin spezialisiert ist, billige
Arbeitskräfte aus dem Osten in verschiedene Staaten des Zentrums zu
importieren. Das ist nichts Neues, aber es wird selten als grundlegende
Eigenschaft des europäischen Projektes diskutiert. (…) Rumänische
Arbeiterinnen und Arbeiter sind äußerst wichtige Wertanlagen im Westen,
weil sie bereit sind, Knochenarbeit für deutlich weniger Geld als
heimische Arbeiterinnen und Arbeiter zu leisten und weil sie seit der
EU-Osterweiterung im Jahr 2007 legal einreisen können. Dies versetzt sie
in die nicht gerade beneidenswerte Lage, flexible Arbeitskräfte zu
sein, die nichtsdestotrotz verhältnismäßig »privilegiert« sind gegenüber
Nicht-EU-Migrantinnen, Flüchtlingen und undokumentierten Arbeitern.
Dank ihres EU-Passes verringern sie die Umzugskosten für
Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter und sind damit günstigere
Neueinstellungen. Warum sollten Unternehmen undokumentierte Migrantinnen
schmuggeln, wenn Osteuropäer bereitwillig kommen und sogar für ihr
eigenes Ticket zahlen? Diese Regelungen erlauben es, mittleren und
großen landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland, Italien, Spanien
und Großbritannien stattliche Profite einzufahren, während sie
vertriebenen Arbeiterinnen und Arbeitern harte Bedingungen aufzwingen,
gegen die sie sich aufgrund von mangelnden Ressourcen nicht wehren
können…” Artikel von Florin Poenaru und Costi Rogozanu am 18.05.2020 im Jacobin.de ,
Übersetzung von Martin Neise – ein insgesamt sehr interessanter Artikel
sowohl zur Lage in Rumänien, als auch zur EU-Politik der
Arbeitsmigration
- Niedriglohn, Schimmelessen und Gesundheitsgefährdung – Erntearbeiter*innen im deutschen Agrarkapitalismus
“… Am vergangenen Freitag war in Bornheim, Nordrhein-Westfalen,
Schluss mit Arbeit. Über hundert Saisonarbeiter*innen – Pressemeldungen
sprechen von bis zu 250 – legten die Arbeit nieder, worauf die
Verwaltung des Betriebs die Polizei rief, um sie einzuschüchtern. Die
Arbeiter*innen bemängeln
nicht nur verschimmeltes Essen, unbeheizte Massenunterkünfte neben
einer Kläranlage und völlig fehlenden Schutz gegen Corona – sondern auch
ein Ausbleiben ihrer Bezahlung. Für ein Monat Knochenarbeit hatten sie
nur 100 bis 250 Euro ausbezahlt bekommen. Der Betrieb gehört (oder
gehörte bis vor einigen Monaten) dem Ehepaar Ritter, ist allerdings seit
Anfang März in der Insolvenzverwaltung .
Zuständig ist das Rechtsanwaltsbüro Andreas Schulte-Beckhausen, der
Medienberichten zufolge bereits einen neuen Investor für den Großbetrieb
an der Hand hat. In der Hauptsaison soll der Hof in den Jahren zuvor
bis zu 500 Ernte-Arbeiter*innen beschäftigt haben. Dass wir so viel über
die Bedingungen bei Spargel Ritter in Bornheim wissen, liegt daran,
dass die Arbeiter*innen sich gewehrt haben. Wie die Bedingungen in
anderen Betrieben sind, kann man sich ausmalen – auch weil bekannt ist,
dass die Misshandlung von Saisonarbeiter*innen in der deutschen
Landwirtschaft kein neues Problem ist. Die scharfe Konkurrenz auf dem
Lebensmittelmarkt wird nach unten weitergegeben und ganz unten in der
Kette stehen eben die Saison- und Wanderarbeiter*innen – ganz ähnlich
wie in der Pflege oder der Fleisch-, Transport- oder Bau-Industrie
dieses Landes. (…) Gängige Probleme sind miserable Unterbringung,
überlange Schichten, Unterbezahlung – teilweise unter dem Mindestlohn -,
mangelnde Hygiene- und Gesundheitsversorgung, schlechte Ernährung.
Schichten von 14 Stunden, sieben Tage die Woche bei
gesundheitsschädlicher Schwerstarbeit sind keine Seltenheit.
Das Geschäftskonzept der Agrarunternehmen ist einfach: Die kommen nur
für ein paar Monate, sie haben keine Lobby, niemanden interessiert, wie
es ihnen geht – also können wir sie ausnehmen, wie wir wollen…“ Beitrag vom 17.05.2020 in Lower Class Magazine – siehe auch unser Dossier: [Ausstehende
Löhne und Missstände in Verpflegung und Unterbringung im Spargelbetrieb
Ritter] Massenprotest von 150 Feldarbeitern in Bornheim
- [Interview] »Bei 14 Stunden Arbeit an sieben Tagen die Woche
werden die Arbeiter_innen doch ziemlich häufig wütend« / IG BAU:
Bundesregierung muss Schutz für Erntehelfer ausbauen
- [Interview] »Bei 14 Stunden Arbeit an sieben Tagen die Woche werden die Arbeiter_innen doch ziemlich häufig wütend«
“… Vor allem in den Bereichen der Sonderkulturen der
Landwirtschaft – also Spargel, Erdbeeren aber auch Obst und Gemüse –
wird auf Erntehelfer_innen zurückgegriffen. Seit ich dabei bin, treffen
wir vor allem rumänische und polnische Staatsbürger_innen in den
landwirtschaftlichen Betrieben. Desweiteren treffen wir auch Personen
aus Kroatien, insbesondere in Hessen; Bulgaren treffen wir an –
nummerisch dann nicht so viele, weil das Land im Vergleich dann doch
sehr klein ist. In den letzten Jahren ist es auch manchmal vorgekommen,
dass wir ukrainische Studierende getroffen haben. Diese Vielfalt fordert
so eine Initiative wie die Initiative Faire Landarbeit auch heraus. Man
muss sich immer neu überlegen: Welche Sprachkenntnisse brauche ich
jetzt eigentlich. (…) Man muss dazu sagen, dass die Betriebe immer ein
großes Interesse haben, die Arbeitszeit in der Erntezeit soweit wie
möglich auszuweiten. Wir treffen häufig Leute, die uns berichten, dass
sie mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten. Das kollidiert zwar teilweise
mit dem Arbeitszeitgesetz, aber da gibt es für die Betriebe auch
spezielle, durchaus legale, Möglichkeiten, die Arbeitszeit auf bis zu
zehn Stunden auszuweiten. Wegen der Herausforderungen durch Corona gibt
es aktuell sogar die Möglichkeit, dass Betriebe ihre Arbeiter_innen bis
zu zwölf Stunden am Tag bei maximal 60 Wochenarbeitsstunden arbeiten
lassen. (…) Auch in den Medien wurde ja zur diesjährigen Spargelsaison
unter dem Zeichen von Corona darüber berichtet, dass viele Betriebe
Zweifel daran hatten, ob für diese Tätigkeiten kurzfristig Arbeitskräfte
aus Deutschland gewonnen werden können, da die Tätigkeit komplex und
körperlich sehr anstrengend ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass es
natürlich nicht so ist, dass Rumän_innen für die Tätigkeit des
Spargelstechens körperlich besonders geeignet sind – es ist vielmehr so,
dass die Arbeitskräfte aus Rumänien einen viel höheren wirtschaftlichen
Druck haben, denn der durchschnittliche deutsche Student, zumindest bis
jetzt, noch nicht so verspürt. (…) In Deutschland gelten die
Beschäftigungsverhältnisse der Saisonarbeiter_innen als kurzfristige
Beschäftigung – das ist eine Form des Minijobs. Mit dem Minijob ist es
vor allem vergleichbar, weil es normalerweise sozialversicherungsfrei
ist. Damit diese Konstruktion überhaupt möglich ist, müssen bestimmte
Anspruchsvoraussetzungen bestehen, und die mussten erst geschaffen
werden. Da gab es vom Arbeitsministerium (BMAS) immer unterschiedliche
Regelungen mit den jeweiligen Staaten, aus denen die
Saisonarbeiter_innen kommen. Das bestimmt dann teilweise auch den
Hintergrund der Leute. So dürfen aus Rumänien eigentlich nur Leute als
Saisonarbeiter_innen nach Deutschland kommen, die dort als Hausmann oder
Hausfrau gemeldet sind. Jemand, der in Rumänien Sozialhilfe empfängt
oder in einem regulären Arbeitsverhältnis ist, dürfte nach der geltenden
Regelung also in Deutschland keine kurzfristige Beschäftigung annehmen
und damit auch nicht als Saisonarbeitskraft in der Landwirtschaft
arbeiten. Dieser Hausfrau/Hausmann-Status ist dabei eher willkürlich,
der wird in Rumänien einfach in ein Dokument gestempelt. (…) Theoretisch
müsste man natürlich sagen, dass die Arbeiter_innen als Verdienst den
aktuellen Mindestlohnsatz von 9,39 Euro mal die Arbeitszeit, die sie
gearbeitet haben, erwarten dürften. Da kämen sie, bei einem 8-Stunden
Tag, für den Monat mit insgesamt circa 1700 Euro raus. Aber mit den
Abzügen für Unterkunft und Verpflegung, die ja in einem gewissen Umfang
auch erlaubt sind, kommen die meisten – wenn wirklich alle rechtlichen
Vorgaben eingehalten werden – auf einen Stundenlohn von um die 7,50
Euro. Aber wir haben auch schon Arbeiter_innen erlebt, die bei vier Euro
pro Stunde rausgekommen sind. Es gibt auch Betriebe, die sehr gut
zahlen. Dort können erfahrene und bewährte Arbeitskräfte dann auch sehr
gutes Geld verdienen. Ich habe auch schon Lohnabrechnungen gesehen, da
haben einzelne Arbeiter_innen 2200 Euro netto verdient. Aber das ist
natürlich eine absolute Ausnahme. (…) Wir haben zwei Tricks der
Landwirte beobachtet, die versuchen, den Mindestlohn zu umgehen. Das
eine sind zu hohe Abzüge vom Lohn für Unterkunft und Verpflegung. Und
zum anderen der Trick, dass man für die Lohnberechnung den Akkord in
Arbeitszeit umrechnet. So gehen dann Arbeitsstunden verloren, die nicht
bezahlt werden. Obwohl der Gesetzgeber das eigentlich ganz klar
verbietet: Man darf Akkord bezahlen – und man darf dabei natürlich auch
mehr als den Mindestlohn zahlen –, aber man darf den Mindestlohn nicht
unterschreiten. Mir sind aber schon mehrmals Papiere vorgelegt worden,
wo die Arbeitgeber so getrickst haben, dass der effektive Lohn den
Mindestlohn unterschreitet. (…) Auch ist der Mindestlohn für die
Arbeiter_innen nicht die entscheidende Größe, an der sie ihr Einkommen
messen. Die Saisonarbeiter_innen haben vielmehr häufig eine feste
Kalkulation, einen Gesamtverdienst, den sie gerne erreichen möchten. Und
wenn sie merken, dass sie den nicht erreichen – sei es, weil der Bauer
zu viel Geld für Kost und Logis abzieht, oder die Bezahlung nicht der
geleisteten Arbeit entspricht – kam es in der Vergangenheit relativ
häufig zu Konflikten. Weitere Konfliktauslöser sind zu lange
Arbeitszeiten, die dann teilweise bei 14, 15 Stunden liegen, keine
Freizeit – also wirklich sieben Tage, 14 Stunden arbeiten. Häufig sagen
uns die Bauern zwar »Die Leute wollen ja auch so viel arbeiten, die
wollen ja was verdienen« – aber auch da gibt es natürlich ein Limit. (…)
Wir haben dieses Jahr aber auch – und das ist neu – eine breite
Mediendebatte in Rumänien über die Zustände in deutschen
landwirtschaftlichen Betrieben, die auch nicht nur die Einhaltung der
Hygiene-Regeln hinterfragen, sondern auch arbeitsrechtliche Probleme
dokumentieren, erlebt. Es gibt damit zum ersten Mal auch ein rumänisches
Echo zu Debatten über Arbeitsbedingungen in der deutschen
Landwirtschaft. Sogar die rumänische Regierung hat sich nach den ersten
Berichten eingeschaltet und verteilt jetzt an rumänischen Flughäfen
Aufklärungsflyer an die Arbeiter_innen, um auf Hilfsangebote bei
Verstößen gegen den Arbeitsschutz hinzuweisen. Das zeigt ja schon,
welchen Eindruck es in Rumänien von den Zuständen gibt, welche die
Saisonarbeiter_innen in Deutschland erwarten. (…) Zudem muss man nicht
denken, dass die Betriebe ihre Arbeitskräfte während Corona besser
behandeln. Viele Betriebe versuchen, die in der Coronakrise entstandenen
Mehrkosten auf die Arbeitnehmer umzulegen – wie die Anreisekosten, die
aktuell deutlich höher ausfallen. Trotz der Zusage des Bauernverbandes,
dass die Betriebe diese Mehrkosten übernehmen, gibt es bereits mehrere
Presseberichte, dass es eine Tendenz gibt, diese Kosten auf die
Saisonarbeiter_innen abzuwälzen. Gleichzeitig versuchen die Betriebe,
trotz eines kleineren Zeitfensters und weniger Erntehelfer_innen, noch
so viel Ernte einzuholen, wie es geht. Und dafür setzen sie ihre
Arbeitskräfte noch mehr unter Druck, als es eh schon der Fall ist. Das
steigert alles das Konfliktpotenzial. (…) Erst hat das Innenministerium
gesagt »Nein, unter den Bedingungen können wir die Anreise von
Erntehelfer_innen nicht verantworten, es wird ausgesetzt.« Und plötzlich
wurde ein halbgarer Vorschlag angenommen, sodass die rumänischen
Arbeitskräfte doch nach Deutschland kommen können. Insbesondere die
Frage nach der Krankenversicherung ist dabei noch nicht geklärt. Dazu
kommen die Fragen nach der Rückkehr nach Hause oder der Möglichkeit
eines Wechsels des Betriebes, wenn es Probleme gibt. Oder die Fragen:
Gibt es Kapazitäten zur Kontrolle der Einhaltung der Sonderregelungen?
Und trotz all dieser ungeklärten Fragen und Ungereimtheiten hat
plötzlich alles funktioniert. Daran kann man schon ablesen, dass der
Bauernverband auf jeden Fall einen extrem starken politischen Einfluss
hat. (…) Wichtig ist auf jeden Fall die Stärkung des Sozialschutzes.
Insbesondere eine Klärung der Situation der Krankenversicherung – dass
die Leute nicht auf den Kosten sitzen bleiben, wenn sie krank werden.
Darüber hinaus ist es wichtig, so einfach es klingt, dass die
Beratungsstellen Zugang zu den Leuten haben. Dass die Leute die
Möglichkeit haben jederzeit zu sagen »Ich fliege zurück«. Solange die
Situation der Rückkehr beziehungsweise des Betriebswechsels ungeklärt
ist, haben die Saisonarbeiter_innen im Grunde genommen überhaupt kein
Druckmittel. Ganz im Gegenteil. Sie sind diejenigen, die unter Druck
stehen…” Ein (lesenswertes!) Interview von und bei diskus mit Michael Baumgarten
(ohne Datum, aber aktuell) zu Arbeitsbedingungen rumänischer
Saisonarbeiter_innen in der Landwirtschaft – vor und während Corona.
Michael Baumgarten arbeitet für das Peco-Institut, das sich auch mit
Rechten von Saisonarbeiter_innen beschäftigt. Als Teil der Initiative
Faire Landarbeit gibt das Peco-Institut jährlich einen zusammenfassenden
Bericht über die Arbeitsbedingungen in den landwirtschaftlichen
Betrieben heraus. Grundlage des Berichtes sind sogenannte
»Feldaktionen«, wo Mitarbeiter_innen die landwirtschaftlichen Betriebe
besuchen, um die Saisonarbeiter_innen aus verschiedenen Ländern in ihrer
Muttersprache über ihre Rechte und Beratungsangebote zu informieren.
- IG BAU: Bundesregierung muss Schutz für Erntehelfer ausbauen
“Die Agrargewerkschaft IG BAU fordert die Bundesregierung
auf, ihrer Verantwortung für ausländische Erntehelfer nachzukommen und
bestehende Regelungen nachzubessern. Der Schutz von Menschen muss darin
unzweideutig geregelt sein und überprüft werden können. „Mit den
Ausnahmen für Erntehelfer von Reisebeschränkungen wurde die
Landwirtschaft gestützt. Das Ziel, diese systemrelevante Branche zu
sichern war und ist richtig. Jedoch wurden die dafür notwendigen
Regelungen unter Zeitdruck getroffen und enthalten schwerwiegende
Mängel. Der Schutz der Saisonkräfte vor Covid-19-Infektionen ist nicht
sichergestellt. Gleichzeitig führen die Regelungen zu einer bisher nicht
gekannten Abhängigkeit der Beschäftigten vom Landwirt. So sind die
Erntehelfer wegen der Quarantäne nicht ohne weiteres in der Lage, den
Arbeitgeber zu wechseln, wenn dieser gegen seine Pflichten verstößt.
Auch eine vorzeitige Heimreise ist den Saisonkräften nicht möglich.
Ihnen fehlen in der Regel die Mittel für die notwendigen Flüge. In der
Praxis sind sie daher dem Good-will des Arbeitgebers ausgeliefert. Das
widerspricht sämtlichen arbeitsrechtlichen Standards in Deutschland und
in der EU. Hier muss die Bundesregierung dringend Abhilfe schaffen“,
sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. „Wir
fordern klare Regelungen, die weder beim Infektionsschutz noch bei
Sozial- und Arbeitsbedingungen oder der Bezahlung
Interpretationsspielräume lassen. Jeder Beschäftigte und jeder
Arbeitgeber muss wissen, was seine Rechte und was seine Pflichten sind.
Das allein reicht leider noch nicht aus. Viele aktuelle Medienberichte
bestätigen unsere Erfahrungen, dass Missstände nicht nur in der
Fleischindustrie bestehen. Auch in der Landwirtschaft gibt es
gravierende Verstöße gegen Hygienevorschriften wie etwa die
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Ausreichend häufige und
unangekündigte Kontrollen vor Ort sind hier unerlässlich. Diese müssen
auch in angeblichen Privatwohnungen möglich werden, in denen
Saisonarbeiter allzuoft auf engstem Raum zusammengepfercht werden.
Solche besseren Regeln und Kontrollen gewährleisten den Schutz der
Menschen ebenso wie den der korrekt arbeitenden Betriebe vor
Dumpingkonkurrenz. Außerdem muss der jederzeitige Zugang von
Beratungsnetzwerken für Wanderarbeiter zu den Saisonbeschäftigten
sichergestellt werden. Nur durch diese Änderungen können die stark
gestiegenen Besorgnisse der Herkunftsländer, der Saisonarbeiter und der
hiesigen Bevölkerung ausgeräumt werden.“” Pressemitteilung vom 16.05.2020
- [Ausstehende
Löhne und Missstände in Verpflegung und Unterbringung im Spargelbetrieb
Ritter] Massenprotest von 150 Feldarbeitern in Bornheim
- Erntehelfer – Helden oder “Verbrecher”?
“Die Spargelernte ist gesichert! Mit großer Freude und vielen
Versprechungen wurden vor einem Monat Tausende Erntehelfer aus Rumänien
in Deutschland als Retter in der Not begrüßt. Die heutige Bilanz ist
eher ernüchternd. Daniela Reim ist wegen der aktuellen Entwicklung
besorgt. Die Rumänisch sprechende Beraterin für mobile Beschäftigte in
Niedersachsen muss sogar mit einer Anzeige rechnen. Kurz vor dem letzten
Wochenende wollte sie sich einen Überblick verschaffen über die
Arbeits- und Lebensbedingungen einiger rumänischer Saisonarbeiter auf
einem Spargelhof. Eigentlich sollten hier keine Quarantänemaßnahmen mehr
gelten, die nach Einreise der Erntehelfer Anfang April für 14 Tage
verordnet worden waren. Es sollte eine routinemäßig durchgeführte Aktion
werden, die leider als Verfolgungsjagd endete, erzählte sie der DW. Der
Betreiber des Bauernhofs verweigerte der Beraterin den Zutritt und
drohte gar, sie anzuzeigen. Als sie das Areal verließ, so Daniela Reim
weiter im DW-Gespräch, verfolgte er ihren Wagen, “um sicherzustellen,
dass ich keinen Kontakt zu den rumänischen Erntehelfern aufnehmen kann.”
Eine ungewöhnliche Situation gab es auch auf einem Spargelhof mit fast
500 rumänischen Saisonkräften in Bayern. Dort musste sogar die Polizei
einrücken, um für Ordnung zu sorgen, nachdem die Lage zu eskalieren
drohte. Die Erntehelfer berichteten über inakzeptable Arbeitszustände,
schlechte Bezahlung und eine Quarantäne, die praktisch gar keine war.
Weil der Arbeitgeber keine adäquaten Schutzmaßnahmen treffen wollte,
rebellierten einige Saisonarbeiter. In einem Gespräch mit der DW wehrte
sich der betroffenen Arbeitgeber (dessen Name der Redaktion bekannt ist)
gegen die Vorwürfe. Da “wir in einem Rechtsstaat leben”, so der Bauer,
habe er Anzeige gegen einige Arbeiter erstattet, weil sie seiner Meinung
nach als “Verbrecher” einzustufen seien und gar nicht arbeitswillig
waren. Eine Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Schwaben Nord
bestätigte gegenüber der DW, dass tatsächlich gegen drei rumänische
Bürger ermittelt werde. Es ginge dabei allerdings um Verleumdung und
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, auf keinen Fall um
organisierte Kriminalität, wie der Arbeitgeber mitgeteilt hatte. (…) In
seinem Brief an die Bundesländer weist Minister Heil darauf hin, dass
sich bereits mehrere diplomatische Vertretungen der Herkunftsländer von
Arbeitern bei der Bundesregierung beschwert hätten. Sie behielten sich
demnach “ausdrücklich weitere Maßnahmen” vor – etwa einen Ausreisestopp
für Saisonbeschäftigte. Wenn die dringend benötigten Arbeitskräfte in
Deutschland nicht sicher arbeiten könnten, sollten sie also in ihren
Heimatstaaten bleiben, so die Botschaften der betroffenen Länder. Am
Montag mussten in Bukarest die Ministerin für Arbeit, Violeta Alexandru,
sowie Außenminister Bogdan Aurescu vor einem Sonderausschuss im
rumänischen Senat Rede und Antwort stehen und über Maßnahmen in Bezug
auf die Lage rumänischer Saisonarbeiter in Deutschland und der EU
berichten. (…) Auf politischer Ebene scheint sich also endlich etwas zu
bewegen. Auf den Feldern und in den Sammelunterkünften kommen aber kaum
Informationen an. Daniela Reim, die schon seit Jahren mobile
Beschäftigte berät, hat zurzeit große Schwierigkeiten, die Menschen zu
erreichen. Im DW-Gespräch erzählt sie über eine oft totale Abhängigkeit
der Saisonarbeiter von ihrem Arbeitgeber, über Fälle, in denen den
Arbeitern die Ausweise abgenommen werden, über extrem lange
Arbeitszeiten (bis 14 Stunden, 7 Tage die Woche), über fehlende
Krankenversicherungen, über Bezahlung im Akkord, über viel zu hohe
Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Sogar über einseitig zu
bezahlende überteuerte Flugtickets weiß sie zu berichten. (…) Bund und
Länder haben letzten Freitag zugesichert, den Gesundheits- und
Arbeitsschutz von ausländischen Saisonarbeitskräften in der
Landwirtschaft künftig besser zu kontrollieren.” Beitrag von Alina Kühnel vom 11.05.2020 bei der Deutschen Welle
- Spargelbauern und Corona: Wie viele rumänische Erntehelfer ausgebeutet werden
“Zunächst war das Geschrei der Landwirte groß, als die Erntehelfer
aus Osteuropa ausblieben. Inzwischen sind mehr als 10.000 von ihnen
gekommen, helfen bei der Spargelernte. Doch nach drei Wochen hagelt es
Beschwerden, beklagen sich viele massiv über die Arbeitsbedingungen.
Nach Recherchen von REPORT MAINZ ist der Frust bei etlichen Erntehelfern
groß. Sie seien, so erzählen sie, mit großen Versprechen nach
Deutschland geködert worden. Der deutsche Mindestlohn sollte gezahlt
werden. Hier angekommen erfahren viele, dass sie nach der Kilomenge
Spargel bezahlt werden sollen, die sie aus dem Acker holen. Damit
erreichen sie aber nicht den Mindestlohn. Andere Landwirte stellen
anders als vereinbart die Flugkosten von Rumänien nach Deutschland in
Rechnung. Wieder andere haben Erntehelfer, die sich weigerten diese
Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, einfach auf die Straße gesetzt. Der
Redaktion liegen Beispiele aus mehreren Bundesländern vor. REPORT hat
den Arbeitsrechtler Prof. Peter Schüren von der Universität Münster zu
den Vorgängen befragt. Er fordert Konsequenzen, insbesondere eine
strikte Arbeitszeiterfassung…” Text und Video des Beitrags von Alexander Bühler, Ulrich Neumann und Edgar Verheyen in der REPORT MAINZ-Sendung vom 5.5.2020
- Siehe auch: Spargel-Erntehelfer aus Rumänien
“Frühlingszeit ist Spargelzeit – auch in Zeiten von Corona.
Damit das weiße Gold auch dieses Jahr auf unseren Tischen landet,
werden tausende Erntehelfer mit Sonderflügen aus Rumänien nach
Deutschland gebracht. Doch wie steht es um geltende Hygiene- und
Quarantäneregeln in den Unterkünften und auf dem Spargelfeld?” Video des Beitrags von Matthias Fuchs vom 06.05.2020 beim WDR
- Erntehelfer beklagen Arbeitsbedingungen auf Spargelhof in
Schwaben / Von medialen Blitzlichtern und einer Ministerin, die für
Landwirte alle Register zieht
- Erntehelfer beklagen Arbeitsbedingungen auf Spargelhof in Schwaben
“Unter Auflagen dürfen Erntehelfer wieder einreisen. Nach
Recherchen des BR ist es auf einem Spargelhof in Schwaben nicht nur zu
Verstößen gegen den Gesundheitsschutz gekommen. Der Betrieb hatte
außerdem Ausweise einiger Arbeiter einbehalten. “Weder dort, wo die
Unterkünfte waren, noch dort, wo die Essensausgabe war, konnten wir den
Abstand halten. Wir standen Schlange, klebten praktisch aneinander”,
sagt Valentin. Er, seine Freundin Anka und Kollege Dorin* haben bis vor
Kurzem in Schwaben auf einem Spargel- und Erdbeerhof gearbeitet. Anka,
Valentin und Dorin – das sind nicht ihre richtigen Namen. Sie wollen
anonym über die Missstände berichten, die sie auf dem Spargelhof erlebt
haben. Sie sind nur drei von fünf ehemaligen Arbeitern, mit denen der BR
gesprochen hat. estärkt werden ihre Aussagen durch Fotos und Videos,
die dem BR zugespielt wurden: Sie zeigen, wie dicht gedrängt Arbeiter
etwa bei der Essensausgabe und vor dem betriebseigenen Kiosk stehen, der
einzigen Möglichkeit für viele Arbeiter, Lebensmittel zu kaufen. (…)
Ein weiterer Kritikpunkt der Erntehelfer, mit denen der BR gesprochen
hat: Die Ausweise wurden mehrere Tage, teilweise sogar Wochen
einbehalten. Dorin sagt dazu: “Ich bekam meinen Ausweis erst wieder, als
ich gegangen bin.” Der Betrieb weist den Vorwurf in seinem Schreiben
grundsätzlich zurück, räumt aber ein, er habe die Ausweise für wenige
Tage zum Datenabgleich mit den Sozialversicherungen einbehalten: “Wegen
der Corona-Krise (…) kann sich der Prozess bei manchen Erntehelfern
eventuell etwas verzögert haben.” Sevghin Mayr vom gewerkschaftsnahen
Projekt Faire Mobilität findet dieses Vorgehen bedenklich: “Der
Arbeitgeber kann damit mehr Macht ausüben und dadurch die Arbeiter von
ihm sehr abhängig machen.” Erschwerend hinzu komme, dass nicht geklärt
sei, wie diese Menschen zurückreisen könnten, wenn der Arbeitsvertrag
vorzeitig aufgelöst werde, so Mayr…” Beitrag vom 30.04.2020 bei BR24
- Was ist eigentlich aus den rumänischen Erntehelfern
geworden, die zur Rettung des deutschen Spargels eingeflogen wurden? Von
medialen Blitzlichtern und einer Ministerin, die für Landwirte alle
Register zieht
“… Die Ermittlungen wegen des Todes eines mit dem
Coronavirus infizierten Erntehelfers aus Rumänien sind eingestellt
worden, die Staatsanwaltschaft Freiburg kann „keinerlei Anhaltspunkte
für ein strafbares Verhalten, auch nicht für den Tatvorwurf der
unterlassenen Hilfeleistung“ erkennen, so Jost Maurin in seinem Artikel
Keine unterlassene Hilfeleistung. Eine besonders wichtige Rolle unter
denjenigen, die überhaupt noch hinschauen und zugleich Hilfestellung
anbieten, spielt die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB. Die sind
beispielsweise derzeit an den Flughäfen, wenn die Lieferungen mit
rumänischen Saisonarbeitern ankommen. Sie verteilen dort dann
Informationsmaterial und vor allem Hotline-Nummern, über die sich die
Betroffenen Hilfe organisieren können. Auch am Tag der Arbeit 2020
landeten erneut osteuropäische Arbeitskräfte in Deutschland (…)
Einerseits »sind viele Fragen offen: Etwa, wenn eine Seite das
Arbeitsverhältnis auflösen will, kann der Hof dann verlassen oder der
Arbeitgeber gewechselt werden? Wer bezahlt eigentlich die Rückreise?«
Zum anderen: »So hat in einem Fall in Niedersachsen das zuständige
Gesundheitsamt festgestellt, dass die Quarantänebedingungen nicht
eingehalten wurden. Daraufhin forderte es den Bauern auf, diese
kurzfristig zu verbessern, sonst würde man die Saisonkräfte woanders hin
vermittelt. Hier war das Gesundheitsamt hinterher und wurde dadurch zum
Arbeitsvermittler. Man merkt an solchen Punkten deutlich: Es gibt kein
zu Ende gedachtes Konzept für die ganze Konstruktion. Der Druck der
Landwirtschaftslobby war so groß, dass schnell eine Lösung gesucht
werden musste. Jetzt kann man im Sinne der Beschäftigten, die
hierherkommen, nur hoffen, dass es nicht ganz so schlimm kommt.« Und
Schnellschuss-Konzepte führen in der Regel zu zahlreichen
Folgeproblemen. John nennt ein weiteres Beispiel: »Die Landwirte sollen
die Leute in den ersten 14 Tagen voll versorgen. Bei uns haben sich
Beschäftigte darüber beschwert, dass sie während dieser Zeit in extra
für sie eingerichteten Hofläden mit überhöhten Preisen einkaufen müssen.
Was dann dazu geführt hat, dass die Leute die Höfe verlassen haben, um
selbst einzukaufen. Das ruft wiederum Unruhe bei der Bevölkerung in der
Umgebung hervor, hier geht die Angst vor den »infizierten Ausländern« um.«…” Beitrag vom 1. Mai 2020 von und bei Stefan Sell
- Covid-19 in Birkenfeld: Mehr als 200 rumänische Arbeiter in
Schlachthof infiziert / Wittenberger Betrieb hält Quarantänevorschriften
für Erntemitarbeiter nicht ein
- Covid-19 in Birkenfeld: Mehr als 200 rumänische Arbeiter in Schlachthof infiziert
“Hunderte Arbeiter eines Schlachthofes in Birkenfeld sind
laut der Regierung in Bukarest positiv auf das Coronavirus getestet
worden. Rund 500 der Beschäftigten dort sind Rumänen. Mehr als 200
rumänische Arbeiter eines Schlachthofs im baden-württembergischen
Birkenfeld haben sich nach Angaben der Regierung in Bukarest mit dem
Coronavirus infiziert. Bei ihnen handle es sich nicht um Saisonarbeiter,
sondern um Beschäftigte von Subunternehmen des deutschen
Fleischbetriebs, teilte das Außenministerium am Dienstag mit. Insgesamt
seien in dem Schlachthof 500 Rumänen beschäftigt. Neben den Rumänen
seien noch rund hundert weitere dortige Arbeiter positiv auf das
Coronavirus getestet worden, teilte das Ministerium ferner unter
Berufung auf Angaben deutscher Behörden mit. Alle Infizierten befänden
sich in Quarantäne. Die meisten hätten keine oder nur leichte Symptome…” Agenturmeldung vom 29.04.2020 bei t-online
- Wittenberger Betrieb hält Quarantänevorschriften für Erntemitarbeiter nicht ein
“… Wegen des Infektionsschutzes dürfen Saisonarbeiter nach
geltenden Corona-Schutzauflagen nur angemeldet und mit dem Flugzeug ein-
und ausreisen. Bauern klagen deswegen über enorme Mehrkosten. Doch bei
der Wittenberg Gemüse GmbH kommen regelmäßig neue Mitarbeiter per Auto
oder Bus aus Polen an. Verkaufsleiter Kevin van Ijperen begründet das
so: “Die polnische Grenze nach Deutschland ist noch offen.” Und er
erklärt “exakt” auch, dass jede Woche neue Leute hinzukommen würden.
Möglich ist das, weil die Wittenberger Gemüse GmbH ihren Mitarbeitern
unbefristete Verträge ausstellt. Somit gelten sie nicht als
Saisonarbeitskräfte – und ihre Einreise muss nicht angemeldet werden.
Allerdings müssten diese Mitarbeiter nach ihrer Ankunft 14 Tage in
Quarantäne, um sich und andere vor Infektionen zu schützen. Im Betrieb
nehmen sie jedoch sofort nach Ankunft ihre Tätigkeit auf. Das
Unternehmen gibt das Versäumnis gegenüber “exakt” auf Nachfrage zu. Die
Existenz und Geltung der Quarantäneverordnung sei dem Unternehmen bis
jetzt nicht bekannt gewesen. Man ordne für neu einreisende Mitarbeiter
ab sofort eine entsprechende Quarantäne an. (…) In der Unterkunft des
Gemüsebetriebs wohnen etwa 250 Personen. Damian, ein Erntemitarbeiter
aus Polen, erklärt “exakt”, er habe nicht erlebt, dass Arbeiten und
Wohnen in kleinen Teams passiert. Alle könnten sich frei auf dem Gelände
und in der Stadt bewegen. In den Zimmern würden bis zu vier Personen
leben. (…) Oskar Brabanski vom Gewerkschaftsprojekt “Faire Mobilität”
sieht die Verantwortung jedoch bei den Betrieben: “Sich in einer
Gruppenunterkunft in häusliche Quarantäne zu begeben, ist für die
Mitarbeiter unmöglich. Als Arbeitgeber die Augen davor zu verschließen
und die Verantwortung auf den Arbeitnehmer zu schieben, ist weltfremd
und verantwortungslos.” Das DGB-Projekt “Faire Mobilität” setzt sich ein
für die Rechte mobiler Arbeitnehmer in Europa. …“ Beitrag und Video vom 25.04.202 bei mdr aktuell
- Mangelnder Gesundheitsschutz, Isolation und kein Lohn:
Rumänische Erntehelfer im Spreewald / Gesundheitsamt kontrolliert
Betriebe: Erntehelfer nicht ausreichend geschützt / IG BAU:
Bundesministerin Klöckner setzt falsche Prioritäten
- Mangelnder Gesundheitsschutz, Isolation und kein Lohn: Rumänische Erntehelfer im Spreewald
“ Aufgrund schlechter Arbeits- und
Hygienebedingungen verließen 15 rumänische Erntehelfer*innen am
gestrigen Donnerstag einen Spargelhof im Spreewald. Sie wurden vor Ort
von Berater*innen der Fachstelle Migration und Gute Arbeit Brandenburg
sowie des Berliner Beratungszentrums für Migration und Gute Arbeit BEMA
unterstützt. Die Männer und Frauen durften den Hof in den vergangenen 14
Tage außer für die Arbeit auf den Feldern aufgrund der
Quarantänevorgaben nicht verlassen. Sie hatten sich wegen hohen
Akkordvorgaben und Lohnabzügen beim Arbeitgeber beschwert. Unter anderem
beklagen sie, dass ihnen die Flugkosten in Höhe von 300 Euro vom Lohn
abgezogen werden sollen. Sie berichteten zudem von unzureichendem
Gesundheitsschutz für die Beschäftigten. So habe es auf dem Feld keine
Möglichkeiten zum Händewaschen gegeben, auch nicht vor dem täglichen
Mittagessen, welches ebenfalls auf dem Feld eingenommen wurde.
Desinfektionsmittel standen lediglich in der Unterkunft zur Verfügung.
Sie hatten keine Möglichkeit, selbst Lebensmittel zu kaufen, da sie das
Betriebsgelände nicht verlassen durften. Ihren Lohn haben sie noch nicht
ausbezahlt bekommen. Die Arbeiter*innen kontaktierten schließlich die
rumänische Botschaft, welche ihrerseits den Zoll sowie das Landesamt für
Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit um Überprüfung des
Arbeitgebers bat. „Der Fall macht deutlich, dass Arbeitsrechte und
Gesundheitsschutz aktuell auf der Strecke bleiben. Es ist problematisch,
dass die Arbeiter*innen derart abhängig sind von ihrem Arbeitgeber
sind, nämlich bei Unterkunft, Verpflegung, Gesundheit sowie Ein- und
Ausreise. Wenn sie kündigen wollen – z.B. aufgrund von schlechten
Arbeits- oder Unterkunftsbedingungen – haben sie kaum eine Möglichkeit
vom Betriebsgelände wegzukommen und in ihre Heimatländer zu gelangen“,
kritisiert der Leiter des Fachbereichs Migration und Gute Arbeit bei
ARBEIT UND LEBEN DGB-VHS Berlin-Brandenburg, Dr. Philipp Schwertmann.
(…)Insgesamt bestätigt sich der Eindruck, dass die im Konzept von BMI
und BMEL zur Einreise von Saisonarbeitskräften festgelegten Maßnahmen
zwar den Infektionsschutz der deutschen Bevölkerung im Blick haben,
Arbeitsrechte und Gesundheitsschutz der Arbeiter*innen aber deutlich zu
kurz kommen…” Pressemitteilung vom 24.04.2020 vom Fachbereich„Migration und Gute Arbeit“ bei ARBEIT UND LEBEN – DGB/VHS Berlin-Brandenburg , siehe dazu:
- Krach mit Erntehelfern
“Im Spreewald gibts Stunk auf den Spargelfeldern. Ein Landwirt hat
sich da mit einigen seiner Erntehelfer verkracht. Es steht Aussage gegen
Aussage. Und jetzt wollen die Erntehelfer einfach nur noch weg. Was
aber nicht geht…” Beitrag von Konstanze Schirmer 23.04.2020 in Brandenburg aktuell bei rbb
– die Berichterstattung des RBB ist leider sehr tendenziös und spiegelt
v.a. die Sicht des AG wider. Die angeblichen Streitigkeiten unter den
Erntekräften sind dadurch bedingt, dass der Bauer eine verlängerte
Quarantäne für alle Erntehelfer mit der Aufsässigkeit der Gruppe
begründet hat.
- Spargelhof Paul erfüllt Vorschriften nicht – Gesundheitsamt kontrolliert Betriebe: Erntehelfer nicht ausreichend geschützt
“Trotz der Corona-Schutzregelungen für Erntehelfer kommt es
Presseberichten zufolge bundesweit zu Verstößen gegen allgemein
geltende Regeln des Gesundheitsschutzes. So auch in Hoyerhagen auf dem
Spargelhof Paul. Der Landkreis Nienburg hat gestern eine Stellungnahme
zur Kontrolle dieses Spargelhofs veröffentlicht und nimmt darin Bezug
auf die erhobenen Vorwürfe gegen Betreiber Dietrich Paul, der beinahe
drei Jahrzehnte Vorsitzender der niedersächsischen Vereinigung der
Spargelbauern war. (…) Auf dem Hof Paul gab es laut Aussage des
Landkreises am 22. April Unstimmigkeiten zu den Punkten Entlohnung und
Verpflegung zwischen dem Landwirt und 20 Erntehelfern aus Rumänien. Auch
die Polizei sei im Einsatz gewesen. „In einem diesbezüglichen Telefonat
wurde der Landwirt erneut ausführlich über die Quarantäne-Vorschriften
und seine Pflichten hinsichtlich der Verpflegung und Unterbringung der
Erntehelfer aufgeklärt und darauf hingewiesen, dass diese einzuhalten
seien“, klärt die Pressestelle des Landkreises Nienburg auf. Bereits
einen Tag später, am 23. April, seien weitere Beschwerden bezüglich der
Unterbringung und der mangelnden Verpflegung eingegangen. „Die Kontrolle
durch zwei Hygieneaufseher des Landkreises Nienburg im Beisein der
Polizei am gleichen Tag ergab, dass die Quarantäne-Vorschriften nicht
erfüllt waren“, heißt es in dem Schreiben des Landkreises. Dazu zählten
unter anderem die Unterbringung und Verpflegung auf dem Hof, die
Beachtung und Umsetzung der im Rahmen der Corona-Krise notwendigen
Hygienemaßnahmen und die Zurverfügungstellung der umfassenden
Information für die Erntehelfer in den jeweiligen Landessprachen. Der
Landkreis habe für diese Informationen die notwendigen fremdsprachigen
Informationsblätter zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich des
Bustransfers sei der Landwirt im Vorfeld über die zu treffenden
Maßnahmen – Abstandsregel, Masken et cetera – informiert und instruiert
worden. …“ Beitrag bei blickpunkt Landkreis Nienburg vom 24.4.2020
- Lückenhafter Infektionsschutz bei Erntehelfern – IG BAU: Bundesministerin Klöckner setzt falsche Prioritäten
“Die Agrargewerkschaft IG BAU fordert für Saisonkräfte
jederzeit die Möglichkeit, Verstöße gegen Hygienevorschriften auch in
ihrer Muttersprache zu melden und sich über ihre Rechte zu informieren.
Hierfür besteht bereits ein Hotline-Angebot der Gewerkschaften. Es ist
Aufgabe der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen, dass die
Betroffenen bereits bei ihrer Anreise diese Info-Möglichkeit kennen. „Es
müssen viel mehr Kontrollen der Hygienevorschriften als bisher
stattfinden – im Interesse aller Beschäftigten in der Landwirtschaft wie
auch im Interesse der Allgemeinheit. Die aktuelle Praxis, erst einmal
Tausende Saisonkräfte einzufliegen und es fast ausschließlich den
Betrieben zu überlassen, ob und wie der Infektionsschutz eingehalten
wird, ist verantwortungslos“, sagte der Stellvertretende IG
BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. Er ergänzte: „Die Finanzkontrolle
Schwarzarbeit, Gesundheitsämter und Gewerbeaufsicht müssen in einem
durchgehenden Kontrollnetz jeden Verstoß und Missbrauch feststellen und
ahnden. Bereits im Vorfeld der Anreise müssen Fragen zur Bezahlung der
Heimreisen, der Lohnzahlung bei Erkrankung sowie der Zugang der IG BAU
oder anderer Arbeitnehmerorganisationen zu Unterkünften und Feldern
geklärt sein. Eine Info-Hotline für Erntehelfer in ihrer Muttersprache
des Projekts Faire Mobilität, muss durch staatliche Stellen schon bei
der Anreise bekannt gemacht werden. Bundeslandwirtschaftsministerin
Julia Klöckner wie auch der Deutsche Bauernverband setzen falsche
Prioritäten, wenn sie zum Schutz der Betriebe den Schutz der Erntehelfer
schleifen lassen. Sie nehmen zudem für die Betriebe, die sich an die
verschärften Hygienebestimmungen halten, gravierende
Wettbewerbsnachteile gegenüber den unsauber arbeitenden Betrieben in
Kauf. Es ist auch zu hinterfragen, ob die Aufgabe der Vermittlung beim
Bauernverband richtig angesiedelt ist oder nicht besser über die
Bundesagentur für Arbeit organisiert werden sollte. Denn die
Arbeitsvermittlung ist ihre ureigene Aufgabe. Die Bundesagentur ist
erfahren im Umgang mit Regelverstößen und hat schon in früheren Fällen
Betriebe auf die Vermittlungssperrliste gesetzt, die gegen Bestimmungen
verstoßen haben. Beim Bauernverband sehen wir für solche
Sanktionsmaßnahmen keine Anzeichen.“ Auf die bestehenden Gefahren weist
die IG BAU das Bundeslandwirtschaftsministerium seit Wochen hin. Bisher
ohne eine angemessene Reaktion. Bundesministerin Julia Klöckner zieht
vielmehr alle Register, um Bauern zu Lasten der Erntehelfer großzügige
Geschenke zu machen. So wirbt sie inzwischen unter falscher Flagge für
eine noch größere Ausweitung des Sozialversicherungsprivilegs der
Bauern. Die ursprünglich nur für 70 Tage geltende Befreiung von
Sozialabgaben für Erntehelfer wurde wegen der Corona-Krise bereits auf
115 Tage verlängert. Laut Klöckner reicht das nicht und soll deshalb
bald 180 Tage betragen. Die Ministerin verbreitet dabei irreführend, es
gehe um eine maximale Aufenthaltsdauer. Das ist falsch, weil für hier
arbeitende EU-Bürger ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht gilt. Für
betroffene Beschäftigte hat der fehlende Sozialversicherungsschutz aber
größte Nachteile wie etwa bei einer Erkrankung oder bei Invalidität.“ IG BAU-Pressemitteilung vom 24.04.2020
- “Renitente” Erntehelfer entlassen und “vom Hof gejagt” –
“frische” auf dem Weg aus Rumänien nach Deutschland – Die Ernte ist
sicher – nur die Erntehelfer nicht
- Erntehelfer auf dem Weg nach Deutschland
“Trotz des Risikos sich auf der Reise, oder in Deutschland
mit Corona zu infizieren, machen sich Rumänen derzeit auf den Weg nach
Deutschland. Sie wollen hier als Erntehelfer arbeiten, denn sie brauchen
dringend das Geld.” Video-Beitrag vom 23.04.2020 beim ZDF
– zum Hintergrund Szabolcs Sepsi (DGB-Projekt „Faire Mobilität –
Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv“, Beratungsstelle
Dortmund), der darin Interviewt wurde: “an dem Fall sind wir seit
mehreren Tagen dran. Nachdem einige Menschen aus Protest gegen die
Unterkunftsbedingungen, gegen die Akkordlöhne und weil der Bauer ihnen
die Flugkosten vom Lohn abziehen wollte, die Arbeit eingestellt haben,
hat ihnen der Arbeitgeber das Essen vorenthalten mit dem Argument, dass
nur diejenigen essen dürften, die arbeiten. Die haben daraufhin mehrere
Protestvideos auf Facebook veröffentlicht, die auch die rumänischen
Medien erreicht haben ( https://www.mediafax.ro/economic/romanii-plecati-la-cules-de-sparanghel-in-germania-s-au-revoltat-acuza-ferma-de-teapa-si-cer-ajutor-video-19091565 )
Heute wurde ein Teil der Erntehelfer entlassen und “vom Hof gejagt”,
die sind dann zu Fuß, hungrig und ohne Geld losgelaufen. Eigentlich
hätten die noch in Quarantäne bleiben müssen, da sie erst seit 5 Tagen
in Deutschland sind. Nachdem unsere Oldenburger Beratungsstelle und die
IG BAU die Behörden alarmiert haben, kontrollierte das Gesundheitsamt
und die Polizei den Betrieb. Nun wurden auch die gekündigten Menschen
wieder aufgefunden. Die sollten nun ihre Quarantäne woanders verbringen
und danach zurück nach Rumänien geflogen werden.”
- Die Ernte ist sicher – nur die Erntehelfer nicht
“Trotz der Corona-Schutzregelungen für Erntehelfer
(“Saison-Arbeitskräfte”) kommt es zu Verstößen gegen allgemein geltende
Regeln des Gesundheitsschutzes. Nach Panorama-Recherchen werden
Erntehelfer in großen Betrieben, etwa in Rheinland-Pfalz, weiterhin in
Gruppen von 40 bis 70 Personen in einem Anhänger vom Hof zu den Feldern
transportiert. Dabei tragen sie offenbar keine Masken. Arbeitsgruppen
haben eine Größe von bis zu 45 Personen. Viele Erntehelfer schlafen auch
auf zu engem Raum. Eigentlich sollen laut Hygieneschutzbestimmungen
Zimmer nur halb belegt werden. Erntehelfer schildern aber, dass sie wie
in den Jahren zuvor in voll besetzten Mehrbettzimmern in Wohn- Container
schlafen – Bett an Bett. Szabolcs Sepsi ist beim Deutschen
Gewerkschaftsbund zuständig für Saisonarbeiter und kritisiert, es sei
absehbar gewesen, dass einige Landwirte die Vorgaben nicht umsetzen
werden: “Die Bedingungen auf den Feldern, so wie wir sie aus unserer
jahrelangen Arbeit vor Ort kennen, eignen sich schlicht nicht dafür,
solche Regelung einzuhalten. Hier wird die Gesundheit der Erntehelfer
gefährdet.” Doch Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner sieht
niemanden in Gefahr: “Es kommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
frei entscheiden können, wo sie arbeiten wollen in Europa, weil sie Geld
verdienen möchten.” (…) Viele Bauern interpretieren die Regelungen so,
dass die Arbeitsgruppenbeschränkung und die halbe Zimmerbelegung nicht
für die 20.000 Erntehelfer gelten, die bereits vor dem 2. April nach
Deutschland eingereist sind – und auch nicht mehr nach Ablauf der14
tägigen faktischen Quarantäne. So hat sich ein Regel-Chaos gebildet, das
sich teilweise von Landkreis zu Landkreis unterscheidet. Das
Gesundheitsamt im Rhein-Pfalz-Kreis, wo sehr viele Erntehelfer
eingesetzt werden, empfiehlt den dortigen Betrieben die Hygienemaßnahmen
auch länger und für alle Erntehelfer umzusetzen. Rechtlich bindend sind
die Vorgaben nach 14 Tagen offenbar nicht mehr…” Beitrag von Johannes Edelhoff, Armin Ghassim, Fabienne Hurst vom 23.04.20 beim NDR , siehe auch diess. bei tagesschau.de: Erntehelfer in Deutschland: Lücken beim Corona-Schutz und die Reaktion:
- DGB fordert bessere Arbeitsbedingungen für Erntehelfer
“Angesichts aktueller Medienberichte über katastrophale
Arbeitsbedingungen bei Erntehelfer*innen in der Landwirtschaft sagte
Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, am Donnerstag in Berlin:
„Arbeitsgruppen mit bis zu 45 Personen, Unterbringung in voll
ausgelasteten Mehrbettzimmern, Mund-Nasen-Masken meist Fehlanzeige –
einen Toten gibt es schon. Jetzt muss Schluss sein mit dem
verantwortungslosen Umgang mit ausländischen Erntehelfer*innen. Arbeits-
und Landwirtschaftsministerium stehen in der Pflicht, dafür zu sorgen,
dass die Erntehelfer*innen unter sicheren Bedingungen nach Deutschland
einreisen, hier eingesetzt und untergebracht werden. Diese Verantwortung
kann nicht alleine den Landwirten überlassen sein. Es braucht dringend
konkrete und verbindliche Vorgaben zum Infektionsschutz, die auch
flächendeckend kontrolliert werden. Das Landwirtschaftsministerium
hatte versprochen, den Erntehelfer*innen Informationen zu unseren
muttersprachlichen Hotlines des Projektes Faire Mobilität zu verteilen.
Das muss durch die öffentliche Verwaltung jetzt auch geschehen. Unter
den jetzigen Bedingungen sind die Kolleg*innen in Sachen Lohn,
Unterkunft, Verpflegung, Ein- und Ausreise sowie Gesundheitsschutz
vollkommen abhängig von ihrem Arbeitgeber. Von einer
Verhandlungsposition auf Augenhöhe kann unter diesen Umständen keine
Rede sein. Auch mit Blick auf das hohe Erkrankungsrisiko in der
Corona-Krise war die Ausweitung der prekären, kurzfristigen
Beschäftigung von 70 auf 115 Tage unverantwortlich. Ausländische
Saisonarbeiter*innen sind in der Regel nicht in Deutschland
krankenversichert. Erkranken sie während des ersten Arbeitsmonats, haben
sie nicht einmal ein Anspruch auf Lohnfortzahlung oder Krankengeld.“ PM vom 23.04.2020
- Verstorbener Erntehelfer mit Corona: Ein Leben für den
Spargel. Inzwischen sind laut Landratsamt vier Personen des Bad
Krozinger Betriebs positiv getestet worden. Geerntet wird weiter.
“Die Bundesregierung hat mit Arbeitskräften aus Osteuropa
die Spargelernte gesichert. Nun ist ein rumänischer Erntehelfer nach
einer Corona-Infektion gestorben. Ein Besuch beim Betrieb. (…) Dann
wurden die Wohncontainer aufgestellt, außerhalb des Ortes, auf dem
Betriebsgelände zwischen den Feldern. Das Gelände in Bad Krozingen ist
mit Zäunen, Sichtschutzplanen und meterhohen Buchenhecken umgeben, die
Eingänge sind bewacht. Hinter einer Lagerhalle und abgetakelten
Transportern sind Wohncontainer in Reihen aufgestellt, zwischen
Wäscheleinen stapeln sich Mülltüten. Der Betriebsleiter referiert aus
den Sicherheitsbestimmungen des Innenministeriums. Er spricht von der
obligatorischen Quarantänezeit nach der Ankunft, von der Arbeit in
Kleingruppen. Sogar in den altersschwachen Bussen, die die Arbeiter auf
die Felder bringen, flattern Trennfolien zwischen den Sitzreihen. Lange
Zeit hat man sechs, sieben Leute in den größeren Zimmern untergebracht,
sogar acht seien ja laut Arbeitsstättenverordnung erlaubt, so der
Verbandssprecher. Inzwischen habe der Betrieb das natürlich entzerrt und
mehr Container aufgestellt. Zeigen möchte der Betriebsleiter die
Unterkunft der Rumänen nicht. Und die Fotos von klapprigen Stockbetten
und speckigen Gaskochern, die in rumänischen Zeitungen und im Internet
über seine Unterkunft kursieren? Da habe wohl irgendwer irgendwo was
gesehen. Er könne nicht erkennen, “dass die Fotos aus unseren
Wohneinrichtungen stammen”…” Reportage von Nils Klawitter und Keno Verseck vom 22.04.2020 beim Spiegel online
- [Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft] Einsatz von Drittstaatsangehörigen und Asylbewerbern als Erntehelfer
“… Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat eine sogenannte
Globalzustimmung für den Einsatz von Drittstaatsangehörigen,
Asylbewerbern und Geduldeten als Helfer in der Landwirtschaft erteilt.
Die Regelung gilt für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Oktober 2020.
Mit der Globalzustimmung können unbürokratisch weitere Arbeitskräfte für
die Saisontätigkeit in der Landwirtschaft gewonnen werden. Konkret
geht es um eine befristete deutliche Verfahrenserleichterung bei der
Beschäftigungsaufnahme. Die BA muss ihre Zustimmung zur Arbeitsaufnahme
nun nicht mehr in jedem Einzelfall erteilen. Die Arbeitskräfte können so
schneller ihre Beschäftigung in der Landwirtschaft aufnehmen. (…) Das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat damit auch eine
deutliche Verbesserung für Drittstaatsangehörige erreicht, die bisher im
Hotel- und Gaststättenbereich tätig waren. Personen aus Drittstaaten,
die derzeit wegen der Schließung von Hotels und Restaurants
beschäftigungslos sind, können ohne erneute Zustimmung der
Arbeitsagentur bis Ende Oktober 2020 eine Beschäftigung in der
Landwirtschaft aufnehmen.“ Presseinformation vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vom 22.04.2020
- Erntearbeit: Hohes Gesundheitsrisiko für eine Hand voll Euro
“Frühlingszeit ist Spargelzeit. Doch viele Erntehelfer –
meist aus Osteuropa – können kaum von ihrer Früchte Arbeit leben.
Lohndumping auf dem Feld ist ein beliebtes Spiel unter Arbeitgebern.
Nicht lustig für die mobilen Beschäftigten! Zudem sind sie einem
erhöhten Corona-Risiko ausgesetzt, denn sie leben und arbeiten unter
katastrophalen hygienischen Zuständen – und das nicht erst seit der
Krise. Gesundheitsschutz verbessern und raus aus dem Lohndumping, ist
die Devise des #schlaglicht 16/2020 aus Niedersachsen. (…) In Zeiten des
Corona-Shutdowns zeigt sich einmal mehr, wer wirklich unverzichtbar für
die Gesellschaft ist. Im Fall der Feldarbeit sind es nämlich die
mobilen Beschäftigten. Das sind jene Arbeitskräfte, die aus dem Ausland –
meistens Osteuropa – nur für eine begrenzte Zeit nach Deutschland und
auch nach Niedersachsen kommen, um jedes Jahr die Hauptlast bei der
Ernte zu tragen. Vielen fehlt es allerdings an den grundlegenden Rechts-
und Sprachkenntnissen für den deutschen Arbeitsmarkt. Hierdurch sind
sie im besonderen Maße von Ausbeutung bedroht. Und die Arbeitgeber
nutzen diese Situation immer wieder leidlich aus, indem sie den
Beschäftigten miese Arbeitsbedingungen aufzwingen. Doch damit nicht
genug: Die Pandemie setzt gerade die mobilen Erntehelfer einem hohen
gesundheitlichen Risiko aus. Denn die hygienischen Umstände, unter denen
die Beschäftigten arbeiten und leben müssen, waren schon vor dem
Corona-Virus oft unterirdisch. (…) Obendrein werden viele mobile
Beschäftigte für ihren Einsatz nicht fair entlohnt und nur mit einer
Hand voll Euro abgespeist. Zwar gilt der gesetzliche Mindestlohn, aber
häufig finden die Arbeitgeber in der Landwirtschaft kreative Lösungen,
um ihn zu umgehen. Bei der an vier Standorten in Niedersachsen tätigen
Beratungsstelle für mobile Beschäftigte der Bildungsvereinigung ARBEIT
UND LEBEN können sich die Betroffenen Hilfe suchen. Bei jeder fünften
Beratung spielt das Thema Lohn eine Rolle (siehe Grafik). Oft geht es
hier nämlich nicht mit rechten Dingen zu, weil sich viele Arbeitgeber
bestens auf üble Tricksereien verstehen!...” schlaglicht 16/2020 vom 23.04.2020 beim DGB Niedersachsen
- Spargelstechen in der Pandemie. Zofia Nierodzinska hat auf einem Spargelhof gearbeitet – und revidierte ihr Bild von Deutschland
“Vor neun Jahren, nachdem ich mein Kunststudium in Polen
abgeschlossen hatte, welches mich zwar mit symbolischen Ressourcen
ausgestattet hat, die sich jedoch nicht in wirtschaftliche Mittel
umsetzen ließen, beschloss ich, nach Berlin zu ziehen. Ich wollte mein
Erwachsenenleben in einer Stadt beginnen, die ich mit der Achtung der
Minderheitenrechte, einer funktionierenden Zivilgesellschaft, einer
vibrierenden Club- und Kunstszene und einer der besten
Street-Food-Kulturen verband. Ich glaubte, dass die Europäische Union
und offene Grenzen das Beste waren, was die Generation meiner Eltern –
die in der Solidaritätsbewegung der 1980er Jahre engagiert war –
erreicht hatte. Für mich bedeutete die von ihnen gewonnene Freiheit die
Möglichkeit, das nunmehr freie Polen so schnell wie möglich zu
verlassen, weil die dort herrschende katholisch-patriarchale Mentalität
mit meinen Lebensansichten unvereinbar war. Zumindest sah ich es damals
so. Nach zwei Jahren begann ich das Postgraduiertenstudium an der
Universität der Künste. Nebenbei verdiente ich meinen Lebensunterhalt
als Kellnerin in einem deutschen Catering-Unternehmen, das mir den
Mindestlohn von damals 8,50 Euro zahlte. Von Ende März bis Ende Juni
arbeitete ich zusammen mit anderen Studenten aus der ganzen Welt im
Spargelhof in Beelitz bei Berlin. Dort lernte ich Wanda, Renata und Ewa
kennen, die seit Jahren als Saisonarbeiterinnen während der Spargelzeit
in dem Dorf beschäftigt waren. Sie verdienten 3,50 Euro pro Stunde nach
Abzug der Kosten für die Unterkunft in Mehrpersonen-Containern und für
die Verpflegung. Ein Kilogramm Spargel kostete damals etwa 9 Euro.
Wanda, Renata und Ewa stammen alle aus demselben Dorf in den Bergen im
Süden Polens. Sie sagten, dass sie während der Saison so viel verdienen
können, dass sie fast ein halbes Jahr lang in Polen leben konnten und
dass die Arbeit hart sei, jedoch sei die Zeit abseits ihrer Familien und
Ehemänner auch wertvoll. Die Frauen arbeiteten in den Produktionshallen
und in der Küche. Auf dem Spargelhof fühlte ich mich, als wäre ich in
die Realitäten des frühen 20. Jahrhunderts zurückversetzt worden…” Artikel von Zofia Nierodzinska vom 21. April 2020 im ak online
- [Bundesagrarministerin leugnet Corona-Tot] Beleg für Angabe zu Erntehelfertod fehlt: Falsche Infos von Klöckner?
“… Bundesagrarministerin Julia Klöckner behauptet ohne Angaben von Quellen, dass der in Baden-Württemberg gestorbene Erntehelfer
nicht an Covid-19 gestorben sei. In der ZDF-Talkshow von Markus Lanz
sagte die CDU-Politikerin über den verschiedenen Rumänen am
Donnerstagabend: „Was wir erfahren haben, ist, dass er nicht an Corona
gestorben ist, sondern nach einer Corona-Infektion. Er ist an einem
Herzinfarkt verstorben.“ Lanz fragte Klöckner nicht, woher sie das weiß.
Ihr Ministerium ließ mehrere Fragen der taz nach der Quelle und einem
Beleg für die Behauptung unbeantwortet. Das zuständige Gesundheitsamt
des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald dagegen widersprach Klöckner
und teilte der taz am Montag mit, „dass Covid-19 vermutlich dazu
beigetragen haben könnte, dass der Mann verstorben ist“. Auch die
Staatsanwaltschaft Freiburg, die sich mit dem Fall befasst, kennt die
Ursache nicht. (…) Es wäre nicht das erste Mal, dass Klöckner durch
falsche Behauptungen auffällt. Im Februar dementierte die Ministerin,
dass sie dafür gekämpft habe, Lebensmittelimporte mit besonders
gefährlichen, in der EU verbotenen Pestiziden zu ermöglichen. Ihre
angeblichen Belege wurden durch eine taz-Recherche widerlegt.“ Artikel von Jost Maurin vom 20.04.2020 in der taz online
- Weiterer Corona-Fall auf Spargelhof in Bad Krozingen / IG Bau fordert besseren Infektionsschutz für Erntehelfer*innen
- IG Bau fordert besseren Infektionsschutz für Erntehelfer*innen
“Weil aufgrund der Reiseverbote viele Saisonkräfte fehlten,
hatte die Regierung Anfang dieses Monats die Einreise von 80 000
Menschen per Flugzeug genehmigt. „Mit ihrer Entscheidung,
Erntehelfer*innen einreisen zu lassen, trifft die Regierung die volle
Verantwortung für die Gesundheit der hier ankommenden Menschen. Sie hat
zu Recht Mindestauflagen zum Infektionsschutz erlassen. Diese
Schutzmaßnahmen muss sie auch durchsetzen. Dazu passt es aber nicht,
wenn eine Corona-Infektion erst festgestellt wird, nachdem ein Mensch
bereits verstorben ist. Mit gründlichen Untersuchungen hätte das nicht
passieren dürfen”, sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende
Harald Schaum. „Wir fordern einen lückenlosen Schutz von der ersten
Minute der Reise an. Bereits Anfang dieser Woche haben wir die
Bundesregierung schriftlich darauf hingewiesen, dass Abstands- und
Hygieneregeln während der Sonderflüge nicht eingehalten wurden. Um
Gesundheitsrisiken auszuschließen, fordern wir verpflichtende
Sicherheitsmaßnahmen bereits an den Ausgangsflughäfen. Zudem müssen
anreisende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unverzüglich die
Telefonnummer der Info-Hotline des DGB-Projekts Faire Mobilität
erhalten. Dies stellt sicher, dass Erntehelfer*innen in ihrer jeweiligen
Sprache beraten werden können.” IG BAU-Pressemitteilung vom 17.04.2020
- Weiterer Corona-Fall auf Spargelhof – Hygieneregeln werden eingehalten
“Nach dem Tod eines Erntehelfers wird in Bad Krozingen ein
zweiter positiv getestet; alle Kontaktpersonen sind in Quarantäne. Klar
wurde nun: Der Verstorbene ist schon länger in Deutschland.
Nach dem Tod eines mit dem Coronavirus infizierten Erntehelfers auf
einem Spargelhof in einem Bad Krozinger Ortsteil wurde ein
Saisonarbeiter aus dem direkten Umfeld des Verstorbenen ebenfalls
positiv auf das Virus getestet. Er befinde sich genauso in Quarantäne
wie alle anderen Kontaktpersonen, heißt es in einer Mitteilung des
Landratsamtes. Kontrollen des Ordnungsamtes hätten ergeben, dass sich
der Betrieb an die Hygienemaßnahmen halte, sagte eine Sprecherin der
Stadt…“ Artikel von Joshua Kocher und Hans-Peter Müller (Mitarbeit: Jens Schmitz) vom 16.04.2020 in der Badischen Zeitung online (im Abo)
- Baden-Württemberg: Rumänischer Erntehelfer nach Corona-Infektion gestorben / Das ist der Spargel nicht wert
- Baden-Württemberg: Rumänischer Erntehelfer nach Corona-Infektion gestorben
“Im baden-württembergischen Bad Krozingen südwestlich von
Freiburg ist nach SPIEGEL-Informationen ein rumänischer Erntehelfer nach
einer Corona-Infektion gestorben. Der 57-Jährige wurde am 11. April tot
in seiner Unterkunft aufgefunden. Zunächst war die Todesursache unklar.
Ein Test auf Covid-19 fiel dann positiv aus. Das Stuttgarter
Innenministerium bestätigte den Fall. Der Verstorbene hat nach
SPIEGEL-Informationen in einem Krozinger Betrieb bei der Spargelernte
geholfen. Er hat sich wohl in Deutschland mit dem Virus infiziert. Vor
seinem Tod soll er über Husten und Schnupfen geklagt haben. Nach seinem
Ableben hat das Gesundheitsamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald
laut SPIEGEL-Informationen Maßnahmen ergriffen, um einen weiteren
Ausbruch der Seuche unter den Erntehelfern zu verhindern. Das Umfeld des
Mannes wird durchleuchtet, Kontaktpersonen werden auf mögliche weitere
Ansteckungsfälle hin untersucht. Der Verstorbene war einer von Hunderten
Erntehelfern, die sich derzeit in Baden-Württemberg aufhalten. (…)
Zwischen dem 9. und 14. April sind nach Auskunft der Baden-Airpark GmbH
am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden rund 3000 Erntehelfer aus Rumänien
eingetroffen. Der in Bad Krozingen verstorbene Erntehelfer befand sich
nach SPIEGEL-Informationen indes schon länger in Deutschland. Er soll
bereits am 20. März in die Bundesrepublik eingereist sein.” Artikel von Felix Bohr und Andreas Ulrich vom 15.04.2020 beim Spiegel online , siehe dazu:
- Das ist der Spargel nicht wert
“80.000 Rumänen kommen zur Ernte nach Deutschland. Trotz
Corona. Einer von ihnen ist gestorben, er war an Covid-19 erkrankt. Das
hätte nicht passieren dürfen. (…) Das haben sie natürlich nicht gewollt.
Aber in Kauf genommen. Sie haben in Kauf genommen, dass eine große
Menge an Menschen zusammenkommt, zu einem Zeitpunkt, wo das aus gutem
Grund überall verboten ist. Sie haben in Kauf genommen, dass sich das
Virus verbreitet unter Menschen, von denen zwar nicht alle, aber doch
viele zur Risikogruppe gehören. Der verstorbene Erntehelfer aus Rumänien
war 57 Jahre alt. (…) Strenge Auflagen sind eine gute Idee. Weniger gut
ist, wenn niemand vorher überprüft, ob diese strengen Auflagen auch
eingehalten werden können. Ob es zum Beispiel realistisch ist, dass die
Spargelhöfe sicherstellen, dass ihre Saisonkräfte Abstand voneinander
halten, sich regelmäßig die Hände waschen, ihre Gruppe nicht verlassen.
(…) Klar ist, und war es auch schon vor der Corona-Krise, dass viele
Betriebe ihre Helferinnen in unmöglichen Zuständen unterbringen. Die
Helfer schlafen oft in Massenunterbringungen auf viel zu engem Raum,
müssen sich in heruntergekommenen sanitären Einrichtungen waschen. Auf
den Feldern gibt es oft weder Toiletten noch Waschbecken. Das war schon
vor Corona eine Zumutung. Höchste Zeit, das zu ändern…” Kommentar von Luisa Jacobs vom 16. April 2020 bei der Zeit online
- Gewerkschaft fordert Schutz für Erntehelfer. Die IG BAU
betont: Neben fairer Bezahlung sollte es auch mobile Toiletten mit
Wasseranschluss an den Feldern geben
“Nach ersten Lockerungen beim Coronavirus-bedingten Einreisestopp
für ausländische Saisonarbeitskräfte müssen auch insbesondere für diese
Gruppe Arbeits- und Sicherheitsstandards unbedingt eingehalten werden,
mahnt die Gewerkschaft IG Bau-Agrar und Umwelt (BAU). Sie fordert neben
fairer Bezahlung, die höher als der Mindestlohn liegen sollte, etwa auch
mobile Toiletten mit Wasseranschluss an den Feldern. (…) Laut
Gewerkschaft sind es trotz der osteuropäischen Saisonkräfte jedoch zu
wenige Erntehelfer, um eine reibungslose Ernte zu garantieren. „Wer aus
dem Kreis Mettmann zupacken kann, sollte das jetzt tun. Es ist die
Chance, Geld nebenbei zu verdienen und die Zeit sinnvoll zu investieren.
Spargel, Spinat, Porree – das April-Gemüse wartet nicht“, sagt Uwe
Orlob von der IG BAU Düsseldorf. Zusätzlich fordert die IG BAU für alle
Saisonarbeiter genauso wie für die Stammbelegschaften in Agrarbetrieben
eine Erschwerniszulage. „Immerhin setzen sich die Beschäftigten in der
Phase der Coronavirus-Pandemie bei ihrer Arbeit auch einem gewissen
gesundheitlichen Risiko aus“, erklärt Orlob. Landwirte in der Region
sollten eingearbeitete Saisonkräfte daher „mit einem Lohn nicht unter 11
Euro pro Stunde vom Feld gehen lassen“. Neben der Bezahlung sei aber
auch die Hygiene bei der Feldarbeit das A und O: Es komme darauf an,
auch draußen das regelmäßige Händewaschen und Desinfizieren
sicherzustellen. „Das bedeutet, dass die Toilette am Feldrand einen
Wasseranschluss braucht. Das sonst übliche Mobil-WC reicht hier nicht.
Denn ohne Wasser kein Händewaschen“, erklärt Orlob. Wenn Pflanz- und
Erntehelfer in Unterkünften untergebracht werden, dann seien dabei
Einzelzimmer notwendig. „Die Pandemie bedeutet das Aus der sonst
üblichen Sammelunterkünfte. Denn dort gilt das gleiche wie auf den
Feldern: Der Abstand von mindestens 1,5 Metern ist Pflicht. Besser ist
eine ganze Zollstocklänge: also zwei Meter Abstand vom Nebenmann“,
erklärt der stellvertretende IG BAU-Bezirksvorsitzende. Zudem müssten
Sozial- und Sanitärräume alle zwei Tage fachmännisch gereinigt werden.
Erntehelfer sollten möglichst alleine und mit dem eigenen Pkw,
Motorroller oder Fahrrad zur Feldarbeit fahren. Dafür müsse ihnen der
Landwirt eine Entschädigung bezahlen. Es ist laut Uwe Orlob die Pflicht
der Arbeitgeber, die Arbeitsplätze und Unterkünfte so einzurichten, dass
die Hygiene- und Sicherheitsstandards problemlos eingehalten werden
können.“ Artikel von David Bieber vom 15.04.2020 bei RP online
- Erste Erntehelfer aus Rumänien werden eingeflogen – in Quarantäne nur gegenüber der Bevölkerung in Deutschland
- Erntehelfer-Flüge aus Rumänien: Für eine Handvoll Spargel
“Um Luxusgemüse verkaufen zu können, werden tausende Erntehelfer gefährdet. Das ist menschenverachtend…” Kommentar von Jost Maurin vom 14.4.2020 in der taz online
- Erste Flüge für Erntehelfer aus Rumänien: Regeln gegen Corona verletzt
“Gedränge beim Einchecken in Rumänien, enge Flugzeuge und
Busse. Grüne fordern, dass Agrarministerin Klöckner die
„Spargelstecher-Luftbrücke“ stoppt…” Artikel von Jost Maurin vom 13.4.2020 in der taz online
- Empörung über Reisebedingungen: Erntehelfer warten dicht an dicht
“Tausende Erntehelfer werden in diesen Tagen nach
Deutschland geflogen. Bei der Organisation ihrer Reise scheint
Seuchenschutz allerdings keine Rolle zu spielen. Hunderte Männer und
Frauen warteten dicht gedrängt am Flughafen. Trotz scharfer Kritik an
den mangelhaften Corona-Schutzmaßnahmen während der Reise sollen
weiterhin tausende rumänische Erntehelfer nach Deutschland eingeflogen
werden. Am Freitag warteten tausende Menschen an rumänischen Flughäfen
auf ihren Abflug. “Drei Charterflüge mit fast 600 Passagieren warten auf
grünes Licht vom Verkehrsministerium, bevor sie nach Deutschland
abheben können”, sagte der Sprecher des internationalen Flughafens
Bukarest. Weitere sechs Flugzeuge sollten demnach von den Städten Cluj
sowie zwei von Iasi im Osten des Landes in Richtung Deutschland starten.
Am Donnerstag hatten Bilder von rund 1800 Saisonarbeitern, die Schulter
an Schulter auf einem überfüllten Parkplatz am Flughafen in Cluj
warteten, in sozialen Netzwerken Empörung ausgelöst. Auch der rumänische
Regierungschef Ludovic Orban kritisierte die Situation scharf. Es sei
“unzulässig”, dass die Menschen in großen Menschenmengen ohne die
erforderlichen Abstandsregeln auf ihre Flüge gewartet hätten…” Beitrag vom 11. April 2020 bei n-tv
- Erntehelfer-Flüge vorübergehend gestoppt
“Dicht gedrängt warteten die Menschen am rumänischen
Flughafen Cluj. Die Regierung Orban stoppte daraufhin zunächst die
Erntehelfer-Flüge nach Deutschland. Aber nun darf wieder geflogen werden…” Beitrag von Clemens Verenkotte, ARD-Studio Südosteuropa, vom 10.04.2020 bei tagesschau.de
- Deutschland lässt Erntehelfer einfliegen: Rumänische Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Gedränge am Flughafen
“Mitten in der Coronakrise lässt Deutschland Erntehelfer
einfliegen. An einem rumänischen Flughafen drängelten sich deshalb
Hunderte Menschen. Der Ministerpräsident fordert Konsequenzen…” Meldung vom 10.04.2020 beim Spiegel online
- Erntehelfer aus Rumänien: “Deutschland kann auf mich zählen!”
“Gute Nachrichten für deutsche Bauern: An diesem Donnerstag
landeten die ersten Saisonarbeiter unter anderem aus Rumänien in
Deutschland. Aber sind das auch gute Nachrichten für die Erntehelfer?
(…) Ioan T. hatte vor einem Jahr zum ersten Mal in Deutschland, in der
Nähe von Münster, auf einer Spargelfarm gearbeitet. Nach fast drei
Monaten intensiver Arbeit, 10 Stunden am Tag, meistens 7 Tage die Woche,
kehrte er mit weniger als 1.850 Euro nach Rumänien zurück. Von seinem
Lohn waren ihm über 1.000 Euro für Miete, Verpflegung und andere
Nebenkosten abgezogen worden. “Es war keine schöne Erfahrung”, erzählt
Ioan der DW. Und er war nicht alleine: auf dem Bauernhof hatten fast 120
Arbeitskräfte, die überwiegende Mehrheit Rumänen und ein paar Bulgaren,
Spargel geerntet. Es war Hochsaison auf den Feldern, die meisten
konnten kaum Deutsch und alle hatten einem Mittelsmann vertraut. Genau
dem Mittelsmann, der jetzt anrief und mit besseren Konditionen warb:
“Die brauchen uns dringend, werden sogar Flüge nur für uns
organisieren”. (…) Jetzt soll es an die Umsetzung gehen: “Unsere
Betriebe werden die Leitlinien und Vorgaben des Robert Koch-Instituts
strikt einhalten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu
halten. Diese Regelung hilft uns, arbeitsfähig zu bleiben”, so Rukwied.
Nun hat auch die Fluggesellschaft Eurowings angekündigt, gemeinsam mit
deutschen Bauernverbänden Zehntausende Erntehelfer nach Deutschland zu
holen. Die Lufthansa-Tochter hat dazu bereits eine “Erntehelfer-Website”
eingerichtet, um die Saisonarbeitskräfte an ihre Einsatzorte zu
bringen. Die ersten Sonderflüge, zum Beispiel von Düsseldorf ins
rumänische Cluj (Klausenburg) und zurück oder auch von Cluj nach Berlin
haben bereits an diesem Donnerstag stattgefunden…” Artikel von Alina Kühnel vom 08.04.2020 bei der Deutschen Welle – siehe dazu den
- Kommentar von Szabolcs Sepsi am 10.04.2020
(DGB-Projekt „Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial,
gerecht und aktiv“, Beratungsstelle Dortmund)(per e-mail, wir danken!):
“Die Bundesregierung bezeichnet ihre Auflagen (die Erntehelfer werde
in ihren Baracken eingesperrt und dürfen kein Kontakt mit der
Außenwelt aufnehmen) eine “faktische Quarantäne bei gleichzeitiger
Arbeitsmöglichkeit”. Na ja. Eine Quarantäne gibt es nur gegenüber der
Bevölkerung in Deutschland. Dass tausende Menschen während der Reise und
hunderte Menschen während der Arbeit eng beieinander sitzen, arbeiten,
essen, schlafen, sich waschen werden, scheint keine Rolle zu spielen
bei dieser sog. “Quarantäne”. Hauptsache, die werden von der Bevölkerung
in Deutschland fern gehalten.
Dabei zeigt sich schon jetzt, dass die ganze Aktion kopflos
organisiert wurde und die Sicherheitsmaßnahmen nicht garantiert werden
können. Gestern starteten die ersten Flüge Richtung Deutschland, am
Flughafen Klausenburg (Cluj-Nappoca) tummelten sich 2.000 Erntehelfer im
Wartebereich auf engstem Raum. (Bilder hier: https://www.realitatea.net/stiri/actual/imbulzeala-pe-aeroport-la-clujnapoca-in-plina-epidemie-de-coronavirus-aproape-2000-de-romani-pleaca-la-munca-in-germania_5e8f100bc1d1ac64b0172fd2 )
Die Bilder machten gestern in der rumänischen Presse die Runde
und lösten Empörung aus. Die rumänische Wirtschaft wurde wegen den
Quarantänemaßnahmen de facto lahmgelegt, nun sollten 80.000 Menschen
nach Deutschland fahren, um den dortigen Spargel zu retten. Dabei gibt
es bereits mehrere Berichte von Rückkehrern, die das Virus
höchstwahrscheinlich aus dem Ausland nach Rumänien gebracht haben.
(Beispiele: https://www.dw.com/de/rum%C3%A4nien-das-importierte-virus-im-roma-viertel-strachina/a-53063818 ; https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/sie-sind-zuhause-nicht-willkommen ; https://www.moment.at/story/24-Stunden-Betreuung-viel-Aerger-bei-Fluegen-aus-Rumaenien ; https://www.arbeit-wirtschaft.at/ischgl/ )
- Erntehelfer*innen: Bloß keine Lohnerhöhung!
“Letzte Woche machte Deutschland noch Witze: Wer soll den
Spargel stechen, wenn vor allem osteuropäische Erntehelfer*innen nicht
mehr einreisen dürfen? Schnell wurde klar: das Problem ist ernst. Rund
300.000 landwirtschaftliche Hilfskräfte arbeiteten vor der Corona-Krise
regelmäßig in Deutschland. Kartoffeln müssen gesetzt, Erdbeeren
gepflückt und Drähte für den Hopfen gezogen werden. Schnell organisierte
das Landwirtschaftsministerium die Webseite Das Land hilft.
Irritierend: Obwohl es einen großen Bedarf der Konsumenten an Obst und
Gemüse gibt und die Nachfrage der Bauern nach Arbeitskräften
händeringend groß ist, scheint der Lohn nicht zu steigen – was der
klassischen Wirtschaftstheorie (bzw. neoliberalen Irrlehre)
widerspricht. Ein Stundenlohn über dem gesetzlich garantierten
Mindestohn ist für Ernethelfer*innen weiterhin nicht in Sicht. Die
Vergütung sei individuell auszuhandeln, heißt es. Ein Twitter-User, der
seinen Account wegen zahlreicher Anfeindungen mittlerweile nicht mehr
öffentlich einsehen lässt, berichtete, was er bei Bewerbungen in der
Landwirtschaft erlebte: „Ich hab mich interessehalber mal bei 3
Betrieben erkundigt, die Erntehelfer suchen und bin entsetzt! Betrieb1
(relativ kleiner Hof): Erntehelfer werden auf 450-Euro Basis
beschäftigt. Was darüber hinaus geht würde Bar bezahlt. Einen
Stundenlohn könne man noch nicht nennen es wird aber in einer 6 Tage
Woche gearbeitet. Betrieb2: Hier wird man nach vollen Kisten bezahlt,
zwischen 50cent und 1,50 pro Kiste. Ein Landwirt meinte dazu, daraus
ergäbe sich ein Stundenlohn unter 5 Euro. Betrieb3: Stundenlohn
5,50Euro, 6 Tage die Woche 10 Stunden pro Tag. Verpflichtend ist eine
Unterbringung auf dem Hof. 4 Leute pro Zimmer, dafür soll man 250Euro im
Monat bezahlen, versorgen muss man sich über den Hofladen selber.“ Seit
3. April 2020 ist klar, dass der Bauernverband sich durchgesetzt hat
und noch einmal zu verhindern wusste, ortsansässige Mitarbeiter*innen
gewinnen zu müssen, denen man für die schwere Arbeit womöglich
angemessene Löhne hätte zahlen müssen. Die Lösung: Osteuropäische
Erntehelfer in Quarantäne-Gulags eingeflogen…” Beitrag vom 4.4.2020 in den Corona-News KW14 bei Arbeitsunrecht
- [Spargel vor Flüchtlingen] Einreiseverbot für ausländische Erntehelfer wird gelockert
“Bis zu 80.000 ausländische Erntehelfer sollen in der Corona-Krise
nun doch einreisen dürfen. Für die Arbeiter ist allerdings eine
faktische Quarantäne vorgesehen. Weitere 10.000 Helfer – darunter
Asylbewerber – sollen aus dem Inland gewonnen werden. Grüne fordern
faire Arbeitsbedingungen. Nach dem zunächst von Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) verhängten Einreiseverbot für Erntehelfer in der
Corona-Krise soll es nun doch Ausnahmen geben. Seehofer und
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) verständigten sich
am Donnerstag darauf, dass im April und Mai jeweils bis zu 40.000
Saisonarbeiter einreisen dürfen, wie beide Ministerien im Anschluss in
Berlin mitteilten. Ihre Vereinbarung sieht dafür eine Reihe von
Vorsichts- und Hygienemaßnahmen vor…” Meldung vom 03.04.2020 beim Migazin (im Abo), siehe dazu:
- [Systemrelevant trotz Grenzschließung] EU fordert Zugang für
Saisonarbeiter / Flüchtlingsrat Niedersachsen gegen Ausnutzung von
Asylsuchenden
- [Systemrelevant trotz Grenzschließung] EU fordert Zugang für Saisonarbeiter
“Im Kampf gegen Corona haben viele EU-Länder ihre Grenzen
geschlossen. Für die Ernte dringend benötigte Helfer müssen auch in
Deutschland draußen bleiben. Die EU-Kommission fordert, ihnen die
Einreise zu erlauben. Trotz des sich weiterhin ausbreitenden Coronavirus
hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen offene Grenzen für
Erntehelfer, Saisonarbeitskräfte und andere Grenzpendler in der
Europäischen Union gefordert. Sie geht damit auf Konfrontationskurs zur
Bundesregierung. Diese hatte vergangenen Mittwoch ein vorübergehendes
Einreiseverbot für Erntehelfer erlassen. Auch in vielen weiteren
EU-Ländern gelten seit Beginn der Ausbreitung des Coronavirus in Europa
Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen. In der Landwirtschaft führt
das zu Personalmangel. “Wir brauchen Menschen, die unsere Lebensmittel
anbauen und ernten”, sagte von der Leyen in einer Videobotschaft.
Deswegen müssten sich Saisonarbeiter im Agrarsektor “frei über Grenzen
bewegen können”. Die EU-Kommission empfiehlt daher eine bevorzugte
Abfertigung an den innereuropäischen Grenzen ähnlich wie für Ärzte oder
Polizisten, wenn die Arbeiter eine “entscheidende” Funktion beim
Pflanzen, Ernten oder Tierehüten ausübten…” Meldung vom 30.03.2020 bei tagesschau.de
- Geflüchtete als Erntehelfer_innen: Absurde Beschäftigungsverbote müssen nun beseitigt werden!
“Der Flüchtlingsrat Niedersachsen mahnt, dass Asylsuchende
nicht als frei verfügbare Arbeitsreserve betrachtet werden dürfen. Wer
als Arbeitskraft gebraucht wird, muss auch ein Bleiberecht erhalten. Der
Flüchtlingsrat begrüßt, dass in der Debatte um den Einsatz von
Geflüchteten als Erntehelfer_innen bestehende Beschäftigungsverbote
zunehmend in Frage gestellt werden. Etliche Geflüchtete würden die
Gelegenheit gerne wahrnehmen und die Chance auf eine Beschäftigung in
der Landwirtschaft nutzen. „Es darf aber nicht sein, dass Asylsuchende
als frei verfügbare Arbeitsreserve betrachtet werden, denen man nach
Bedarf, wenn es die Arbeitsmarktlage gerade verlangt, Rechte zugesteht
und sie ihnen dann wieder nimmt, wenn man ihre Arbeitskraft nicht mehr
benötigt“, mahnt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat
fordert daher: Erteilte Beschäftigungserlaubnisse dürfen nicht wieder
zurückgenommen werden, wenn der Bedarf nach Arbeitskräften in der
Landwirtschaft wieder sinkt. Den Geflüchteten, die nun in der Ernte
helfen, muss eine Bleibeperspektive eröffnet werden. Sie dürfen nicht
lediglich als verwertbare Masse angesehen werden. (…) Schließlich weist
der Flüchtlingsrat aufkommende Debatten über die Senkung des
Mindestlohns entschieden zurück. Geflüchtete, die als Erntehelfer_innen
arbeiten, haben wie alle anderen auch Anspruch auf eine anständige
Entlohnung. Gerade in der jetzigen Krise wird deutlich, dass gute und
gerechte Löhne vor der Verarmung bewahren und gleichzeitig
sicherstellen, dass systemrelevante Arbeit weiter getan wird.” Pressemitteilung vom 28. März 2020 beim Flüchtlingsrat Niedersachsen – ebenso
- Geflüchtete als Erntehilfe – bis Ende Oktober, und dann?
“Flüchtlinge, Gestattete und Geduldete können jetzt auch
bei formal nicht bestehendem Arbeitsmarktzugang in der Landwirtschaft
arbeiten. Die Globalzustimmung der Bundesagentur für Arbeit, die mit dem
BMAS abgesprochen ist, veröffentlichen wir hier: Globalzustimmung-BA
. Die Zustimmung erfolgt unter der Bedingung, dass Mindestlohn gezahlt
wird, bis zum 31.10.2020. Danach soll alles wieder sein wie vor Corona.
Wir appellieren an den Gesetzgeber, allen Menschen das Recht auf Arbeit
zuzugestehen.” Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V. am 7. April 2020
- siehe dazu auch eine NDR-Meldung dazu sowie die Infos: Geflüchtete als Erntehelfer_innen beim Projekt AZF3
- Siehe auch grundsätzlicher zur Landwirtschaft unser Dossier: Systemrelevanz
ja, Arbeitsrechte nein? Das Corona-Krisenmanagement in der
Landwirtschaft findet auf dem Rücken der Beschäftigten statt
- Bayerns Innenminister macht Weg frei: Asylbewerber auf die
Felder [und nach der Spargelernte abschieben?] / [Pro Asyl] Zum Spargel
stechen gut genug, aber dann keine Perspektive? So nicht!
- Bayerns Innenminister macht Weg frei: Asylbewerber auf die Felder [und nach der Spargelernte abschieben?]
“… Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) macht den
Weg frei dafür, dass Asylbewerber den Bauern im Freistaat als
Erntehelfer zur Verfügung stehen können. Das ist einer Pressemitteilung
des Innenministeriums zu entnehmen. Ausländerbehörden seien angehalten,
Asylbewerbern eine Erntehelfertätigkeit nach Möglichkeit ab sofort zu
erlauben. Da die Gewinnung von Erntehelfern im öffentlichen Interesse
stehe, sollten die Ausländerbehörden ihre gesetzlichen Spielräume nutzen
und notwendige Beschäftigungserlaubnisse offensiv erteilen, heißt es in
einem aktuellen Schreiben des Ministeriums an die Behörden. (…) Die
Hinweise des Innenministeriums gelten für Asylbewerber im laufenden
Verfahren ebenso wie für bereits abgelehnte Asylbewerber. Entsprechende
Beschäftigungserlaubnisse werden allerdings – auch darauf wies Herrmann
ausdrücklich hin – nur zeitlich beschränkt für die Zeit der Erntehilfe
erteilt werden. Sein Ministerium habe die Ausländerbehörden außerdem
gebeten, Aufenthaltstitel und Beschäftigungserlaubnisse für Ausländer,
die im Bereich der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und
Waren des täglichen Bedarfs tätig sind, zur Sicherstellung der
Grundversorgung prioritär zu behandeln und zu verlängern. (…) Kritik
kommt vom Bayerischen Flüchtlingsrat, er spricht von einer
“ungeheuerlichen opportunistischen Ausbeutung” der Asylbewerber. Viele
geduldete Geflüchtete würden seit Jahren vergebens darum kämpfen,
arbeiten zu dürfen oder eine Ausbildung anzufangen. “Jetzt, wo aufgrund
der Coronakrise Erntehelfer nicht ins Land dürfen oder aus Selbstschutz
fernbleiben, sollen Geflüchtete einspringen”, so Sprecherin Johanna
Böhm. Sie kritisiert, dass aus dem Einsatz nicht einmal eine
Bleibeperspektive entstehe. Man begrüße grundsätzlich, dass Geflüchteten
der Zugang zur Arbeit erleichtert wird. “Jedoch nur unter fairer
Bezahlung, umfassenden Schutzmaßnahmen und langfristig”, heißt es in
einer Mitteilung.” Beitrag von Gisela Rauch vom 29. März 2020 bei der Mainpost online
- [Pro Asyl] Zum Spargel stechen gut genug, aber dann keine Perspektive? So nicht!
“Wenn es um den deutschen Spargel geht, ist in der Politik
einiges möglich. Aktuell wird diskutiert, Personen, die bisher einem
Arbeitsverbot unterliegen, das Arbeiten zur Krisenzeit zu erlauben. PRO
ASYL unterstützt eine Aufhebung von Arbeitsverboten, diese müssen auch
nach Corona fortbestehen. Das kann auch für den Gesundheitsbereich
wichtig sein. Während der Corona-Pandemie zeigt sich gerade, an wie
vielen Stellen mehr Personal nötig wäre. Jede Person, der die
Ausbildungsduldung zur Pflegekraft verweigert wurde, fehlt. Jede Person,
die trotz eines Jobangebotes im Supermarkt keine Arbeitserlaubnis
bekommen hat, fehlt. Angesichts des Fachkräftemangels ist es schon lange
absurd, dass es in Deutschland vielen Menschen verboten ist, zu
arbeiten. Dies gilt während der Unterbringung in einer
Erstaufnahmeeinrichtung für in der Regel neun Monate, für Personen aus
vermeintlich »sicheren Herkunftsstaaten« wie den Balkan-Staaten komplett
vor und, im Falle einer Ablehnung, nach dem Asylverfahren und auch für
viele geduldete Menschen. Durch Gesetzesänderungen, die solche
Arbeitsverbote aufheben, und durch Weisungen auf Landesebene,
bestehenden Spielraum positiv zu nutzen, könnten die »systemrelevanten«
Branchen in Deutschland durch hier sich bereits aufhaltende Personen,
denen die Möglichkeit zur Arbeit bislang verweigert wurde, unterstützt
werden. Solche Regelungen sollten aber nicht zeitlich begrenzt werden,
sondern müssen dauerhaft gelten. Alles andere wäre purer Eigennutz…” Stellungnahme von Pro Asyl vom 27. März 2020
- Mehr Geld für Erntehelfer! Um den Spargel zu retten, müssten
Agrarbetriebe Aushilfen mehr zahlen. Dann finden sie auch hierzulande
welche
“Das wegen der Corona-Pandemie verhängte Einreiseverbot für
osteuropäische Erntehelfer rückt einen gravierenden Missstand in den
Fokus: Die Arbeitsbedingungen für die Aushilfen auf deutschen Feldern
sind meist miserabel. Die große Mehrheit dieser knapp 300.000
Beschäftigten bekommt nur den gesetzlichen Mindestlohn: 9,35 Euro brutto
pro Stunde. Davon zieht der Arbeitgeber Geld etwa für die Unterkunft
ab. Immer wieder wird durch betrügerische Berechnungen von Akkordlöhnen
sogar das vorgeschriebene Minimum unterschritten. Viele Unterkünfte sind
schlecht: enge Mehrbettzimmer in Containern, heruntergekommene
Toiletten. Dafür müssen die Menschen harte Arbeit leisten: bei Wind und
Wetter Spargel stechen oder Erdbeeren pflücken. Die Arbeitsbedingungen
in der Landwirtschaft sind einfach nicht konkurrenzfähig. Aldi Nord zum
Beispiel sucht auch gerade Aushilfen. Der Discounter verspricht
mindestens 12,50 Euro brutto pro Stunde für einen Job im Verkauf oder in
der Logistik. Das ist körperlich meist weniger anspruchsvoll und
sauberer, als ständig gebückt und in praller Sonne auf einem Feld zu
arbeiten. Das sind Gründe, weshalb nur wenige Menschen aus dem Inland in
der Agrarbranche aushelfen…” Kommentar von Jost Maurin vom 27. März 2020 in der taz online
- Einreiseverbot für Erntehelfer – Klöckner will Asylbewerber
auf die Felder holen / [DGB] “Wer in der Not einspringt, hat einen
anständigen Lohn verdient”
- Einreiseverbot für Erntehelfer – Klöckner will Asylbewerber auf die Felder holen
“Saisonarbeitskräfte und Erntehelfer dürfen wegen der
Corona-Pandemie nicht mehr nach Deutschland einreisen. Nun sollen
Alternativen geprüft werden. Landwirtschaftsministerin Klöckner will
Asylbewerber auf die Felder holen…” Meldung vom 26.03.2020 beim Migazin (im Abo), siehe daher auch:
- Regierung ordnet Verbot an: Erntehelfer dürfen nicht mehr einreisen
“Die Spargelernte beginnt, anderes Gemüse muss jetzt
ausgesät werden. Normalerweise machen das Saisonarbeitskräfte, die oft
aus Rumänien oder Bulgarien kommen. Doch ab heute dürfen sie nicht mehr
einreisen. Um die Ausbreitung der Corona-Pandemie in Deutschland zu
bremsen, hat das Bundesinnenministerium ein Einreiseverbot für
Saisonarbeiter angeordnet. Erntehelfern und anderen Saisonarbeitskräften
werde von heute 17 Uhr an im Rahmen der bestehenden Grenzkontrollen die
Einreise verweigert, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Diese
Regelung gelte für die Einreise aus Drittstaaten, aus Großbritannien,
für EU-Staaten wie Bulgarien und Rumänien, die nicht alle
Schengen-Regeln vollumfänglich anwenden, sowie für Staaten, “zu denen
Binnengrenzkontrollen vorübergehend wieder eingeführt worden sind”.
Diese Beschränkungen seien “zwingend erforderlich, um Infektionsketten
zu unterbrechen”, fügte der Sprecher hinzu. (…) Schon vor dem
Einreiseverbot war klar, dass viele von ihnen in diesem Jahr nicht
kommen würden. Verbände und das Bundeslandwirtschaftsministerium haben
deshalb Internet-Plattformen aufgesetzt, um Betriebe und Freiwillige,
die auf den Feldern arbeiten könnten, in Kontakt zu bringen. Schon jetzt
gibt es Kritik an den Plänen. Markus Drexler, der Sprecher des
Bayerischen Bauernverbands, ist skeptisch: Die Erfahrungen aus der
Vergangenheit würden zeigen, dass auf dem Markt für Saisonarbeitskräfte
das Interesse im Inland eher gering sei, meint er. 95 Prozent der
Arbeitskräfte kämen aus dem Ausland. Es handele sich eben um schwere
körperliche Arbeit, die außerdem nicht besonders gut bezahlt sei…“ Meldung vom 25.03.2020 bei Tagesschau.de
- [DGB] “Wer in der Not einspringt, hat einen anständigen Lohn verdient” – Auch für Saisonkräfte sind 9,35 Euro das Mindeste
“… Kurz vor Beginn der Spargelsaison befürchten viele
Landwirtschaftsbetriebe Engpässe bei der Ernte. Wegen der aktuellen
Corona-Situation fehlen vor allem Erntehelfer aus Osteuropa;
Saisonkräfte aus Polen oder Rumänien etwa wissen nicht, ob und wie sie
in ihr Land zurückkehren können. Hinzu kommen Reisebeschränkungen in der
EU. Deshalb versucht man nun, Beschäftigte aus anderen Branchen oder
auch Studentinnen und Studenten als Erntehelfer zu gewinnen. Eine neue Online-Plattform ,
die vom Bundesministerium für Landwirtschaft unterstützt wird, soll bei
der Vermittlung helfen – und fordert Interessierte auf, ihren Verdienst
individuell zu verhandeln, einen pauschalen Stundenlohn gebe es nicht.
Der DGB warnt davor, die Krisensituation auszunutzen, um
Arbeitnehmerrechte wie den Mindestlohn zu schleifen: „Wer jetzt in der
Not einspringt, hat dafür auch einen ordentlichen Lohn verdient”, sagt
Vorstandsmitglied Stefan Körzell. “Der gesetzliche Mindestlohn ist dabei
das Mindeste. In der Regel sollte mehr drin sein. Der Mindestlohn ist
die unterste Haltelinie, die auch in der Krise ausnahmslos für alle
Beschäftigten gilt, auch für Saisonarbeiterinnen und -arbeiter in der
Landwirtschaft. Mindestens 9,35 Euro pro Stunde, weniger darf kein
Arbeitgeber in Deutschland zahlen. Keinesfalls ist der Mindestlohn
Verhandlungssache.“ Um Betrug zu vermeiden, sollen Beschäftigte ihre
Arbeitszeiten dokumentieren und Verstöße bei der zuständigen
Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) melden, so Stefan Körzell. Diese
wiederum müsse auch in diesen Zeiten ihre Aufgabe wahrnehmen und
unangekündigte Stichpunktkontrollen durchführen, gerade in dieser
Branche: “Die Landwirtschaft ist in der Vergangenheit leider immer
wieder durch kreative Versuche aufgefallen, geltende Arbeitsstandards
wie Mindestlöhne oder Aufzeichnungspflichten bei der Arbeitszeit zu
unterlaufen. Allein im Jahr 2018 wurde von der zuständigen
Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei 617 geprüften Arbeitgebern 106
Ermittlungsverfahren eingeleitet.“ Beitrag vom 25.03.2020 bei DGB
- Wegen Corona-Krise – Asylbewerber als Erntehelfer? / Hauptsache Spargel: Erwerbslose und Geflüchtete sollen auf den Acker
- Hauptsache Spargel: Erwerbslose und Geflüchtete sollen auf den Acker
“In kaum einem Wirtschaftssektor sind Arbeitszeiten und
Arbeitsschutz so »flexibel« geregelt wie in der Landwirtschaft, wenn die
Ernte eingefahren wird. Dennoch nutzen die Lobbyisten vom Deutschen
Bauernverband (DBV) die Coronapandemie und die damit einhergehende Angst
vor Lebensmittelengpässen als Argument, den Grad der Ausbeutung auf den
Äckern weiter zu erhöhen. Entsprechenden Forderungen erteilte die
Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) am Donnerstag eine
Absage. Zuvor hatte sich der DBV gemeinsam mit anderen
Agrarkapitalverbänden in einem Schreiben an Arbeitsminister Hubertus
Heil (SPD) gewandt und eine Reihe von Maßnahmen angeregt, die notwendig
seien, um »dringende und für die Lebensmittelversorgung erforderliche
Arbeiten erledigen zu können«. Gefordert wird in dem Brief, was immer
gefordert wird, wenn Profite auf Kosten der Arbeiter stabilisiert werden
sollen: laxere Regeln für geringfügige Beschäftigung und Leiharbeit,
längere Arbeitszeiten, weniger Pausen. Zudem bestehen die Verbände
darauf, den Zufluss an Billigarbeitskräften politisch abzusichern. Man
habe Innen- und Außenministerium gebeten, »die Anreise der ausländischen
Saisonarbeitskräfte sicherzustellen«, heißt es in einer Mitteilung des
DBV vom vergangenen Mittwoch. Doch damit nicht genug: Auch Erwerbslose
und Asylsuchende wollen die Vertreter des Agrarbusiness künftig zur
Erntezeit als Billiglöhner auf die Felder schicken. (…) Die IG BAU
teilte mit, selbstverständlich müsse die Lebensmittelversorgung auch in
der Coronakrise sichergestellt werden. Dies dürfe aber »nicht auf Kosten
der ohnehin schon sehr benachteiligten Saisonkräfte gehen«. Der
stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, Harald Schaum, sagte, die
Forderungen der Verbände hätten »nichts mit den Realitäten unserer Zeit
zu tun«. Angesichts der schon bestehenden enormen Flexibilität in
Landwirtschaft und Gartenbau zur Erntezeit erschienen sie als »absurd,
zumindest unverständlich«…“ Artikel von Steffen Stierle in der jungen Welt vom 23.03.2020
- Wegen Corona-Krise – Asylbewerber als Erntehelfer?
“… Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner schlägt
den Einsatz von Asylbewerbern in der Landwirtschaft vor, um Engpässe bei
Saisonkräften zu vermeiden. Dies könne eine weitere Option sein,
schrieb sie in einem Brief an Arbeitsminister Hubertus Heil, über den
das “Redaktionsnetzwerk Deutschland” berichtet. Menschen, die Asyl
beantragt haben, aber nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügen, könnten
kurzfristig eine Arbeitserlaubnis in der Landwirtschaft bekommen, wenn
sie dies wollten. Das Arbeitsverbot könnte auch nur zeitlich befristet
aufgehoben werden, regt Klöckner in dem Schreiben an, das auch der
Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Manche Menschen aus sogenannten
sicheren Herkunftsländern wie Albanien, Bosnien, dem Kosovo oder auch
dem Senegal könnte daran Interesse haben…“ Beitrag vom 20.03.2020 bei Tagesschau.de
- Corona-Krise: Gibt es dieses Jahr keinen deutschen Spargel?
“Saisonarbeiter aus Rumänien und Polen haben
Schwierigkeiten bei der Einreise. Ministerin Klöckner erwägt jetzt sogar
Sonderflüge. Einige Landwirte werden selbst kreativ. (…) Sie und alle
anderen rund 23.000 Obst- und Gemüsebaubetriebe in Deutschland bangen um
ihre diesjährige Ernte. Denn auch vor der Landwirtschaft hat das
Coronavirus nicht Halt gemacht: Die rund 300.000 Saisonarbeitskräfte,
die normalerweise ab April vor allem aus Rumänien und vereinzelt aus
Polen nach Deutschland kommen, um Spargel und Erdbeeren zu ernten und
neue Gemüsesetzlinge zu pflanzen, könnten in diesem Jahr ausbleiben. (…)
Am Mittwoch teilte das Bundeslandwirtschaftsministerium mit,
Erntehelfer aus direkten Nachbarländern dürften mit einem entsprechenden
Nachweis der Arbeitstätigkeit weiterhin einreisen. Für Saisonkräfte,
die durch deutsche Nachbarländer hindurch reisen müssen – was für die
größte Gruppe der Rumänen zutrifft –, will Ministerin Klöckner ebenfalls
eine Lösung finden. Das Landwirtschaftsministerium sei in Gesprächen
mit der Lufthansa, ob die Arbeitskräfte wegen der Beschränkungen an den
Grenzen per Flugzeug nach Deutschland gebracht werden könnten, sofern
sie weiter hier arbeiten wollen. Klöckner nannte die Landwirtschaft
„systemrelevant“ für Deutschland. Verpasste Ernten könnten nicht
nachgeholt werden und das, was nicht in die Erde komme, könne auch nicht
geerntet werden. „Wir wissen hier um die Sorgen“, sagte die
CDU-Politikerin. Zuletzt hatte Klöckner angeregt, derzeit nicht
gebrauchte Mitarbeiter aus der Gastronomie und Hotellerie könnten über
regionale Jobbörsen vermittelt werden und auf den Feldern aushelfen.
Verbandssprecher Schumacher steht diesem Vorschlag kritisch gegenüber.
„Die Servicekräfte haben zuletzt viel Kontakt gehabt mit potentiell
infizierten Personen. Sie kommen dann in die Betriebe und werden
zusammengesteckt mit einer Personengruppe, die bislang noch relativ
unbetroffen ist. Das halte ich für kontraproduktiv.“ Auch die
Arbeitsbelastung auf den Feldern sei eine andere. Andererseits müsse man
in der aktuellen Lage für jede Idee offen sein. Inzwischen werden die
Betriebe deshalb schon selbst aktiv. Das Bündnis „Bodensee-Bauern“ etwa
schaltete am Wochenende einen Hilferuf auf Facebook und anderen
Plattformen, um „ambitionierte Mitschaffer“ für die Ernte zu gewinnen.
Eigenen Angaben zufolge hätten sich schon 500 Interessenten gemeldet,
darunter Kurzarbeiter, Hausfrauen, Studierende und Schüler.“ Artikel von Jessica von Blazekovic vom 19.03.2020 in der FAZ online
- Unverantwortliche Forderungen. IG BAU: Agrar-Arbeitgeber instrumentalisieren Coronakrise
“Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) weist die
jüngsten Forderungen der Agrar-Lobby nach Aushebelung der Arbeitsrechte
in der Landwirtschaft als überzogen und unverantwortlich zurück. „Die
Forderungen der Agrar-Verbände reihen sich nahtlos ein, in ihre schon
weit vor der Coronakrise verbreiteten Arbeitsmarktvorstellungen und
haben nichts mit den Realitäten unserer Zeit zu tun“, sagte der
Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. „Grenzwertig
sind Anlass und Zeitpunkt ihrer Forderungen. Die Verbandsvertreter
nehmen den Eindruck in Kauf, die Notlage der Menschen während der
Pandemie für ihre Interessen zu instrumentalisieren.“ In einer Erklärung
von gestern (für die Red.: 18. März 2020) hatten Agrar-Verbände etwa
die Ausweitung der Höchstarbeitszeiten und Absenkung von
Mindestruhezeiten, die Aufweichung der Minijobgrenzen und der
Arbeitnehmerüberlassung oder die Grenzöffnung für Arbeitnehmer aus
Nicht-EU-Staaten propagiert. Nach eigenen Angaben forderten sie in einem
Schreiben an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ‚für eine Reihe von
Regelungen kurzfristig Ausnahmen und Modifikationen zu schaffen, um
dringende und für die Lebensmittelversorgung erforderliche Arbeiten
erledigen zu können‘. Selbstverständlich steht auch die IG BAU dafür
ein, die Lebensmittelversorgung trotz Coronakrise sicherzustellen, aber
das darf nicht auf Kosten der ohnehin schon sehr benachteiligten
Saisonkräfte gehen. Schaum sagte weiter: „Bereits jetzt sind die
Regelungen zur Arbeitszeit in Landwirtschaft und Gartenbau gerade in den
Erntezeiten so flexibel, wie in keiner anderen Branche. Die Forderungen
der Agrarverbände erscheinen insoweit absurd, zumindest unverständlich.“ IG BAU-Pressemitteilung vom 19.03.2020 , siehe auch:
- Drohender Ernteausfall – IG BAU: Erntehelfer vor Infektion mit Covid-19 schützen
“Die Agrargewerkschaft fordert die Arbeitgeber in der
Landwirtschaft auf, ihrer Verantwortung für ihre Beschäftigten in der
Coronakrise vollständig gerecht zu werden. Auch für Erntehelferinnen und
Erntehelfer muss der Schutz vor Infektionen mit Covid-19 an erster
Stelle stehen. „In der Landwirtschaft starten jetzt die wirtschaftlich
wichtigen Pflanz- und Erntezeiten. Das sind Naturvorgaben, die sich
nicht verschieben lassen. Diese Arbeiten sichern unsere Versorgung mit
Nahrungsmitteln. Es ist selbstverständlich, diese Arbeiten weiter
aufrechtzuerhalten, wenn die Versorgung sichergestellt werden soll“,
sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. „Mit
dem Ausbleiben vieler Erntehelfer aus Osteuropa gerät dieses Ziel in
Gefahr. Das Wegbleiben der Saisonkräfte hat zwei Ursachen. Zum einen
kommen viele Arbeitskräfte wegen der Grenzschließungen der Transitländer
nicht mehr nach Deutschland. Hier ist die Politik aufgefordert, auf
oberster Ebene eine schnelle Lösung herbeizuführen. Zum anderen sorgen
sich die Menschen aber auch vor Ansteckung. Das ist nicht verwunderlich.
Schon vor der Coronakrise blieben in vielen Betrieben Helferinnen und
Helfer fern, weil die Zustände dort unhaltbar waren. Massenunterbringung
auf viel zu engem Raum und heruntergekommene sanitäre Einrichtungen
machten Saisonkräften auch schon ohne Infektionsrisiko zu schaffen.
Unter solchen Bedingungen ist die Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19
sehr hoch. Da bleiben viele lieber zu Hause. Die Vorstellung, dass
Menschen aus Deutschland, deren Betrieb derzeit geschlossen hat, diese
Lücke füllen könnten und sich dem hohen Infektionsrisiko aussetzen ist
nicht nur unverantwortlich, sondern geradezu weltfremd.“ Die Unterkünfte
für Saisonarbeitskräfte sind häufig Mehrbettzimmer oder mit mehreren
Personen geteilte Wohncontainer, die Verpflegung geschieht in der Regel
in Gemeinschaftsküchen oder Kantinen. Auf den Feldern stehen Toiletten –
wenn es überhaupt welche gibt – für eine hohe Zahl von Beschäftigte zur
gemeinsamen Verfügung. Ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen ist Erntearbeit
nicht mehr zumutbar, weder für übergangsweise freigestellte
Beschäftigte aus dem Inland noch für osteuropäische Saisonarbeiterinnen
und Saisonarbeiter. Die IG BAU fordert, dass die hygienischen
Bedingungen in der Unterbringung und auf den Feldern energisch
verbessert werden und dies von Behörden umfassend kontrolliert wird.
Niemand darf wegen reinen Gewinnstrebens einer Infektionsgefahr
ausgesetzt werden. Beschäftigte, die die Erntearbeit in dieser Zeit auf
sich nehmen, müssen zudem eine spürbare Erschwerniszulage erhalten.“ IG BAU-Pressemitteilung vom 18.03.2020
- [Wenn aus Polen und Osteuropa niemand kommen kann…] Corona
Auswirkungen auf die Landwirtschaft: Gastronomiebeschäftigte für die
Landwirtschaft?
“Die Corona-Krise trifft mit den Reisebeschränkungen und
Grenzkontrollen in Europa in der Landwirtschaft Betriebe, die auf
Saisonarbeiter angewiesen sind. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia
Klöckner überlegt laut einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) ,
ob Angestellte aus dem Gastronomie Bereich, die auf Grund von Corona
ohne Beschäftigung sind, auf den Feldern aushelfen können. Vor allem die
geschlossene Grenze nach Polen sorgt in der Landwirtschaft für Unruhe,
da gerade aus Polen und Osteuropa viele Arbeitskräfte auf den Höfen in
Deutschland im Einsatz sind. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia
Klöckner sagte der Branche bereits Unterstützung zu. Dabei schließt sich
auch nicht aus „unkonventionelle Wege“ zu gehen. „Ob diejenigen
Mitarbeiter, die in der Gastronomie leider immer weniger zu tun haben,
in der Landwirtschaft einspringen können und möchten – auch so etwas
müssen wir überlegen“, sagte sie der NOZ. Es müsse geprüft werden,
welche bürokratischen Anforderungen während der Krise gegebenenfalls
heruntergefahren werden können, heißt es weiter. Klöckner wies
darauf hin, dass die Landwirte, vor allem aus dem Bereich Gemüse-, Obst-
und Kräuteranbau, die anstehende Arbeit nicht einfach aufschieben
könnten. Demensprechend dringend seien Lösungen. Noch am heutigen Montag
will Klöckner dazu mit den Spitzen der Agrarverbände sprechen. Wie es
weiter auf den Höfen geht, wenn ein Landwirt oder ein Mitarbeiter an
Covid-19 erkrankt, treibt das Bundeslandwirtschaftsministerium ebenfalls
um…“ Beitrag von Stefanie Awater-Esper vom 16.03.2020 bei topagrar online und ein viel besserer Vorschlag:
- “Vorschlag zur Güte: Alle Politiker*innen, die in den letzten 10
Jahren Regierungsverantwortung hatten od. haben, verlassen ihre Posten
& helfen bei d. Spargelernte. Im Gegenzug ziehen die jetzt
arbeitslosen Barkeeper*innen & d. Club Personal, die wohl am
allerbesten wissen was die Leute denken, fühlen & brauchen, in die
Ministerien & übernehmen die Regierungsgeschäfte” Tom K aus N in B am 17. März 2020 bei Twitter
- Saisonarbeit: Harter Job, geringer Lohn
“Auf neue Kartoffeln, Spargel oder Erdbeeren frisch vom Feld freuen
sich die Verbraucher*innen jedes Jahr wieder. Obst, Gemüse, Salat und
frische Kräuter werden meist von Saisonkräften geerntet, die für einige
Monate aus dem europäischen Ausland kommen. Kolleg*innen von der IG BAU
Region Hessen und Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle Faire Mobilität
Frankfurt bzw. des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen e.V.
(EVW) haben Saisonarbeitkräfte auf den hessischen Feldern besucht. Die
Saisonkräfte in Hessen kommen aus Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Polen,
Serbien, Ungarn oder sogar aus der Ukraine; die meisten sind Frauen. Sie
kommen hierher, um bei der Ernte etwas Geld zu verdienen, denn in
ihrer Heimat gibt es oft keine oder nur sehr gering bezahlte Arbeit für
sie. Sie lassen sich zum Teil von Anwerber*innen an die
landwirtschaftlichen Betriebe vermitteln. Diese Vermittlung ist nicht
umsonst. Es werden Beträge von 100 bis 300 Euro pro Person verlangt, wie
die Kolleg*innen der IG BAU, der Beratungsstelle Faire Mobilität
Frankfurt und des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen e.V. bei
ihren Besuchen auf den Feldern in Süd- und Nordhessen erfuhren. Die
Aktionen finden in dieser Zusammensetzung bereits das dritte Jahr in
Folge statt. Die Gewerkschaftssekretär*innen der IG BAU und die
muttersprachlichen Berater*innen des EVW sprachen direkt mit rund 350
Saisonarbeitskräften; erreicht wurden über Mund-zu-Mund-Propaganda viele
mehr. Die Kollge*innen verteilten zudem Informationsmaterialien über
die Mindestarbeitsbedingen in der Landwirtschaft. An zwei Abenden bauten
sie Informationsstände in unmittelbarer Nähe von Unterkünften von
Saisonbeschäftigten auf, an denen sich diese ohne die Aufsicht des*der
Vorarbeiter*in und ohne Zeitdruck ausführlicher informieren konnten…” Reportage der IG BAU vom 9. September 2019
- Sechzehn polnische Erntehelferinnen und Erntehelfer: Betrogen bei der Ernte
“Sechzehn polnische Erntehelferinnen und Erntehelfer staunten nicht
schlecht, als sie kurz vor Ablauf ihres Arbeitsvertrages ihre
Stundenabrechnungen ausgehändigt bekamen. Zwei Monate lang hatten sie in
der Erdbeerernte bei einem großen Beerenproduzenten in Niedersachsen
gearbeitet – zwischen 250 und 300 Stunden. Bezahlen wollte der
Arbeitgeber aber nur die Hälfte, teilweise weniger. Wer die Abrechnung
beanstande, wurde ihnen signalisiert, brauche sich im nächsten Jahr
nicht mehr um den Job zu bewerben. (…) Bei der Überprüfung der
Arbeitsunterlagen durch »Faire Mobilität« zeigten sich schnell
gravierende Unregelmäßigkeiten. Die Abrechnungen stimmten ganz und gar
nicht mit den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden überein: Lediglich
40 bis 50 Prozent der Leistung wollte die Firma vergüten. So wurden etwa
bei einer Person, die über zwei Monate 301,5 Stunden gearbeitet hatte,
vom Arbeitgeber lediglich 170 Stunden abgerechnet – eine Differenz von
131,5 Stunden sollte nicht bezahlt werden. In Geld ausgedrückt: Der
Arbeitgeber wollte den Beschäftigten um Lohn in Höhe von 1162,46 Euro
prellen. Auch bei anderen Kolleginnen und Kollegen ging es um Summen von
deutlich über 1000 Euro. (…) Der Trick der Firma: Sie legte einen
Stücklohn (Akkord) fest, der so hoch angesetzt war, dass ihn niemand
erreichen konnte. Nachträglich wurde die erreichte Stückleistung wieder
in Stunden zurückgerechnet. Der gesetzliche Mindestlohn sollte damit –
so behauptete der Arbeitgeber – formal eingehalten sein. Dass diese
Rechtsauffassung mehr als abenteuerlich war, muss ihm allerdings selbst
schon klar gewesen sein. Nachdem ein Berater von »Faire Mobilität«, die
Betroffenen über ihre Rechte aufgeklärt hatte und den Chef mit den
überprüften Lohnabrechnungen konfrontierte, erklärte sich die Firma
schnell bereit, die ausstehenden Löhne in voller Höhe auszuzahlen –
einen Tag, bevor die Saisonkräfte wie geplant wieder in ihre Heimat
zurückfuhren…” Bericht des Projekts Faire Mobilität vom August 2019
- [Trost zum Saisonende] Praktikanten-Trick: Ukrainische Studenten als billige Spargel-Erntehelfer
“Der ukrainische Student Maxim wollte als Erntehelfer auf einem
Brandenburger Spargelhof gutes Geld zu verdienen. Doch er bekam offenbar
einen Stundenlohn von weniger als sechs Euro. Der Spargelhof verweist
auf ein fragwürdiges Praktikumszeugnis. (…) Der 20-jährige Student aus
Charkow in der Ukraine wurde offiziell als Praktikant beschäftigt.
Vermittelt wurde das Praktikum über die ukrainische Agentur “Profiteam”.
Maxim absolviert ein Studium in einer technischen Fachrichtung. “Mit
meinem Studium hat das Praktikum eigentlich nichts zu tun”, erzählt er.
Er wollte einfach nur gutes Geld verdienen, denn in der Ukraine liege
der durchschnittliche Monatsverdienst nur zwischen 200 und 300 Euro. Das
Praktikum für die ukrainischen Studenten war ganz offiziell von der
Bundesagentur für Arbeit genehmigt worden. In der Genehmigung heißt es:
“Nach den mir vorgelegten Informationen handelt es sich um ein
studienfachbezogenes Praktikum mit einem Entgelt in Höhe von 9,19 Euro
pro Stunde bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.” (…) Doch
Maxim ist Student. Für ihn gilt das Mindestlohngesetz nicht, wenn er
ein studienbegleitendes Praktikum absolviert, das nicht länger als drei
Monate dauert. Und hier wird es kompliziert, wie auch die Bundesagentur
für Arbeit einräumt. Denn auch wenn der Mindestlohn nicht unmittelbar
gilt, so dürfen die Praktikanten nach Auffassung der Agentur auch nicht
schlechter gestellt werden als die anderen Erntehelfer, sofern sie
gleich eingesetzt werden. Maxim hat für das “Domstiftsgut Mötzow”
gearbeitet, das zur Thiermann-Gruppe gehört, einem der größten
Spargelbetriebe Deutschlands. (…)Er habe in sechs Wochen Arbeit rund
2.000 Euro verdient und dafür durchschnittlich 60 Stunden gearbeitet.
“Wir haben ausgerechnet, dass er einen Stundenlohn von 5,74 Euro
bekommen hat.” berichtet Magdalena Stawiana von der Brandenburger
Fachstelle “Migration und Gute Arbeit”, die vom Deutschen
Gewerkschaftsbund und den Volkshochschulen getragen wird. “Und selbst
wenn er nicht geerntet hat, sondern zum Beispiel die Folien auf dem
Spargelfeld befestigt hat, hat er nur 6,40 Euro pro Stunde bekommen.”
Das wäre also deutlich weniger als die zugesagten 9,19 Euro pro Stunde…” Beitrag von Ute Barthel und Jana Göbel vom 24.06.19 bei rbb
- [Auch dieses Jahr – aus Gründen] Tschüss, Spargelfeld: Erntehelfer bleiben aus
“Die Spargelernte läuft und die Deutschen kaufen ihr liebstes
Frühlingsgemüse fleißig ein. Eigentlich gut für Spargelbauern, doch die
klagen über einen zunehmenden Mangel: Die Erntehelfer brechen ihnen weg.
(…) Deutsche Kräfte anzuwerben war für die Bauern schon immer schwierig
bis unmöglich. Deshalb beschäftigen sie vor allem Spargelstecher aus
Polen und Rumänien. Doch auch dort nimmt das Interesse an dem Knochenjob
auf dem Spargelfeld spürbar ab. (…) Was für die Bauern ein wachsendes
Problem darstellt, ist aus Sicht der Erntehelfer eine gute Nachricht.
Denn sie kehren dem Spargelstechen vor allem deshalb den Rücken, weil
sich die Lebensbedingungen in ihren Heimatländern verbessert haben.
Insbesondere die Zahl der polnischen Erntehelfer ist zurückgegangen. (…)
Eine große Zahl der derzeitigen Erntehelfer kommt aus Rumänien. Doch
für die Rumänen scheint die Arbeit ebenfalls zusehends weniger attraktiv
zu sein. (…) Und nicht nur zu Hause finden die früheren Erntehelfer
mittlerweile offenbar besser bezahlte Stellen. Viele zieht es in andere
EU-Länder wie die Niederlande. Und in Deutschland öffnen sich ihnen
andere Branchen: Saisonarbeiter, die inzwischen gut Deutsch gelernt
haben, bekommen Jobs bei Paketdiensten, auf Baustellen oder in
Logistikzentren. Spargelbauern müssen ihren Arbeitern mehr bieten als
früher, um sie zu halten – neben dem Mindestlohn zum Beispiel kühle
Getränke auf dem Feld und besser ausgestattete Unterkünfte. Die Bauern
hoffen derweil auf eine andere Lösung: Die Vereinigung der Spargel- und
Beerenanbauer fordert, den Arbeitsmarkt auch für Saisonkräfte aus
Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine und Weißrussland zu öffnen.” Meldung von und bei NDR 1 Niedersachsen vom 29. April 2019 , siehe auch: Start in die Spargelsaison 2019 – IG BAU: Wer arbeitet hat auch Rechte
- Erntehelfer in Deutschland: Sie wollen hier nicht mehr arbeiten [aus guten Gründen]
“… Gajewski jedes Jahr im Frühsommer nach Deutschland kommt, seit 18
Jahren zum selben Hof im Spreewald. Dieses Jahr wird für ihn das letzte
Mal gewesen sein. Nach zwei Wochen auf dem Hof, erzählt Gajewski, sei
ihm aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. “Ich weiß doch genau, wie
viel Spargel in eine Kiste geht”, sagt er, zwischen 16 und 20 Kilo, an
guten Tagen sei er auf bis zu 40 Kilo gekommen. Nun standen auf seiner
Abrechnung viel niedrigere Kilowerte, teils nur die Hälfte von dem, was
er auf dem Feld gestochen hatte. Im Vertrag mit den Arbeitern hatte der
Betrieb notiert, die 50 Cent pro Kilo würden nur für
“vermarktungsfähigen Spargel” bezahlt. “Das ist doch Betrug am
helllichten Tage”, schimpft Gajewski auf Polnisch. Der Landwirt vom
Spargelhof verteidigt sein Vorgehen: Er könne nur bezahlen, was er auch
verkaufen könne – und im vergangenen Jahr hätten Erntehelfer versucht,
Steine in die Kisten zu legen, um auf einen höheren Lohn zu kommen.
Daher entscheide er in diesem Jahr erst an der Sortiermaschine, wie
viele Kilo abgerechnet werden. Die Berater der Fachstelle Migration und
Gute Arbeit in Brandenburg, die Verträge der Arbeiter eingesehen haben,
halten die Praxis für rechtswidrig. Das unternehmerische Risiko wird den
Erntehelfern aufgebürdet. Vier Monate später auf einem Feld in
Nordrhein-Westfalen: Alexandru Mihai*, 18 Jahre alt, wohnt in einem Dorf
in Siebenbürgen. Anfang Juni sind er, sein älterer Bruder und andere
Bewohner als Saisonkräfte nach Bad Salzuflen in Nordrhein-Westfalen
gekommen, wo sie auf einem Hof Erdbeeren ernten wollten. Als Mihai bei
seinem Chef für die Vertragsausfertigung im Büro saß, behielt der direkt
den Pass ein. Er habe nach dem Grund gefragt, berichtet Mihai. Eine
Erklärung habe ihm der Hofbesitzer nicht gegeben. Die Ausweise
einzubehalten ist gravierend. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sieht darin ein Indiz für Zwangsarbeit .
Denn ohne ihre Dokumente können die Arbeiter nicht weg. Sie sind
gewissermaßen gefangen. (…) Mit den Erntehelfern aus den
Nicht-EU-Staaten kommen noch weitere Akteure dazu, die am Erntegeschäft
mitverdienen wollen. In der Ukraine gibt es längst Firmen, die ihr
Geschäft wittern und Studierende den Weg in die deutsche Landwirtschaft
lotsen (…) In Belgien und den Niederlanden liegt der Mindestlohn etwas
höher als in Deutschland. So lautet zumindest das Versprechen.“ Artikel von Bernd Kramer vom 14.08.2018 in der Zeit online
- IG BAU: Niedrige Löhne verleiden Saisonkräften die Arbeit
„Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) lehnt
Abkommen zur Anwerbung von Erntehelfern mit Nicht-EUStaaten entschieden
ab. Derzeit häufen sich Rufe von Bauernvertretern nach mehr billigen
Arbeitern aus der Ukraine, weil Landwirte angeblich zu wenig Erntehelfer
finden. Die IG BAU warnt davor, EU-Wanderarbeiter gegen solche aus
Drittstaaten auszuspielen. „In der Landwirtschaft gibt es ausreichend
gute Saisonkräfte aus der EU. Es ist irreführend zu behaupten,
Erntehelfer aus östlichen EU-Staaten blieben in ihrer Heimat, weil es
dort jetzt wirtschaftlich bergauf gehe. Dahinter steht der leicht zu
durchschauende Versuch, das Lohnniveau hierzulande dauerhaft niedrig zu
halten“, sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald
Schaum. „Dabei ist es ganz einfach, Erntehelfer dauerhaft an sich zu
binden. Man muss sie nur vernünftig bezahlen. Betriebe, die ordentlich
mit den Saisonarbeitern umgehen, klagen bezeichnenderweise nicht über zu
wenig Erntehelfer. Ihre Beschäftigten kommen jedes Jahr gern wieder.
Leider gibt es auch Betriebe, die die Kolleginnen und Kollegen schlecht
bezahlen und sich wundern, wenn sich das in deren Heimatländern
herumspricht. Ihr Ruf ist dort ruiniert. Deshalb wollen sie nun in
anderen Ländern Erntehelfer anwerben.“ Die IG BAU ist in diesem Frühjahr
gemeinsam mit anderen Organisationen auf die Felder gefahren und hat
mit fast tausend Saisonkräften Kontakt gehabt. Bei der Entlohnung gibt
es laut deren Aussage deutliche Unterschiede. Der gezahlte Lohn variiere
zwischen fünf und 9,20 Euro die Stunde. Der Tariflohn für Erntehelfer
beträgt zzt. 9,10 Euro bzw. 9,25 Euro für Beschäftigte, die länger als
vier Monate im Betrieb arbeiten. Viele erhalten aber nur den
gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde. Dieser sei im
Vergleich zu anderen EU-Staaten sehr niedrig und mache Deutschland als
Arbeitsort immer unattraktiver, berichteten einige Saisonkräfte,
insbesondere weil zudem die Praxis ungerechtfertigter Abzüge für Kost
und Logis oder Arbeitsgeräte und Schutzkleidung immer noch verbreitet
sei.“ Pressemitteilung der IG BAU vom 13.06.2018
- Erntehelfer: Wer rettet die Erdbeeren?
… “Normale Pflücker gibt es viele, aber die Vorarbeiter fehlen uns”,
sagt Simon Schumacher vom Verband VSSE, “die guten Leute, die auch mal
einen Trupp anleiten können und die bisher viele Jahre in Folge kamen.”
Wo sie geblieben sind? “Viele haben Arbeit bei Paketzustelldiensten
gefunden oder auf dem Bau”, so weiß Schumacher von den
Mitgliedsbetrieben. “Die guten Arbeiter sind nicht nur mobil in den
Beinen, sondern auch im Kopf.” Zum einen zahlen die Paketdienste besser,
nämlich zwei bis drei Euro mehr pro Stunde im Vergleich zu den 8,84
Euro Mindestlohn auf dem Feld. Zum anderen bedeuten die Jobs in Logistik
oder Baubranche eine dauerhafte Beschäftigung – und nicht bloß drei
Monate Einkommen im Jahr, wenn gerade Erdbeerzeit ist. Etliche
Saisonhelfer aus Polen, Rumänien oder Bulgarien seien diese Saison gar
nicht erst zum Dienst angetreten, obwohl sie früher jahrelang auf
bestimmten Höfen mitgeholfen hätten und oft schon im Winter Verträge
unterzeichneten. Sie hätten stattdessen in ihrer Heimat Arbeit gefunden,
wo neuerdings auch die Wirtschaft floriert, sagt Schumacher: “Dort
verdienen sie etwas weniger, aber dafür können sie bei ihren Familien
bleiben.” Viele Arbeiter sähen so “nicht mehr die Notwendigkeit”, für
mehrere Wochen ihr Land zu verlassen, so glaubt der Geschäftsführer Hans
Lehar von der Obst- und Gemüseabsatzgenossenschaft Baden. “Dass es in
Osteuropa wirtschaftlich bergauf geht, ist sicherlich auch eine Folge
der Saisonarbeit “, sagt Schumacher vom Anbauverband VSSE, “nun können
sich die Leute daheim selber etwas aufbauen.” … Artikel von Nadine Oberhuber vom 03.06.2018 in der Zeit online
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