Donnerstag, 30. Juli 2020

IMI-List] [0570] Rüstungsforschung / KSK / Drohnenbewaffnung / Grüner Programmentwurf

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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0570 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) neue Texte zur KSK-Debatte, zur SPD-Position in Sachen
Drohnenbewaffnung sowie zur Friedensfrage im Grünen Programmentwurf;

2.) eine IMI-Analyse zu neuen Forschungsagenturen, von denen zwei
explizit militärischen Zwecken dienen sollen.


1.) KSK, SPD-Drohnenbewaffnung, Grüne

Zur aktuellen Debatte um rechte Netzwerke im Kommando Spezialkräfte (und
darüber hinaus) haben wir unsere diesbezügliche Sonderseite
aktualisiert. Selbiges haben wir mit ersten (Kurz)Einschätzungen zur
SPD-Positionierung in der Frage der Drohnenbewaffnung getan. Außerdem
erschien mit Blick auf die anstehenden Wahlen kürzlich erstmals seit
2002 ein neuer Programmentwurf der Grünen, der – wie zu erwarten war –
aus friedenspolitischer äußert problematisch ist.

IMI-Sonderseite (Update 2.7.2020)
Rechte Netzwerke zerschlagen!
http://www.imi-online.de/2020/06/18/rechte-netzwerke-zerschlagen/
(18. Juni 2020)

IMI-Mitteilung
SPD & Bundeswehr Drohnenbewaffnung
http://www.imi-online.de/2020/07/01/spd-bundeswehr-drohnenbewaffnung/
(1. Juli 2020)

IMI-Analyse 2020/31- in: Telepolis 1.7.2020
Grüner Programmentwurf
Kaum Licht und viel Schatten in der Friedensfrage
Jürgen Wagner (2. Juli 2020)

IMI-Mitteilung
SPD & Bundeswehr Drohnenbewaffnung
http://www.imi-online.de/2020/07/02/gruener-programmentwurf/
(1. Juli 2020)


2) IMI-Analyse: Forschungsagenturen

IMI-Analyse 2020/32
Ein diskreter Dammbruch der Rüstungsforschung
Das Corona-Konjunkturpaket dient auch der Stimulation staatsnaher und
militärischer Forschung
http://www.imi-online.de/2020/07/02/ein-diskreter-dammbruch-der-ruestungsforschung/

Christoph Marischka (2. Juli 2020)

Anfang Juni 2020 hat die Bundesregierung mit ihrem „Konjunkturpaket“
nach Jahren restriktiver Ausgabenpolitik ein sog. „Konjunkturpaket“ im
Umfang von 130 Mrd. Euro auf den Weg gebracht. „Mehrwertsteuersenkung
und Familienbonus beschlossen“, titelte der Deutschlandfunk am 29. Juni
2020, nach der Zustimmung des Bundestages zur entsprechenden Änderung
des Steuergesetzes. Zugleich wird im Konjunkturpaket allerdings mehrfach
das Ziel proklamiert, dass „Deutschland gestärkt aus der aktuellen Krise
hervorgeh[en]“ solle.1 Dies ist v.a. auch Aufgabe und Inhalt des 50 Mrd.
Euro schweren „Zukunftspakets“, das Teil des Konjunkturpaketes ist und
mit dem die Bundesregierung erklärtermaßen versucht, die
Wettbewerbsposition der heimischen Industrie auszubauen. Ein besonderer
Schwerpunkt liegt dabei auf sog. Schlüsseltechnologien, von denen sich
Deutschland auch militärische Vorteile erhofft. Wesentliche Teile des
Zukunftspaketes werden mit der nun anstehenden Verabschiedung des
Nachtragshaushaltes umgesetzt, über die bislang recht wenig öffentlich
berichtet und diskutiert wird.

Ein neues Forschungszentrum der Bundeswehr

So werden die bis 2025 vorgesehenen „Investitionen“ in „Künstliche
Intelligenz“ um 2 Mrd. auf 5 Mrd. Euro erhöht, u.a. „um dem Bedarf an
Rechenkapazität gerecht zu werden“ und „KI-Ökosysteme von
internationaler Strahlkraft auf[zu]bauen“. Ein weiterer Bereich, in dem
deutsche Wissenschaft und Industrie massiv gefördert werden sollen, ist
die Quantentechnologie, für die das Zukunftspaket 2 Mrd. Euro zusätzlich
vorsieht. Proklamiertes Ziel ist dabei, „dass Deutschland in
wesentlichen Bereichen der Quantentechnologien, insbesondere dem
Quantencomputing, der Quantenkommunikation, der Quantensensorik und auch
der Quantenkryptographie wirtschaftlich und technologisch an der
Weltspitze konkurrenzfähig“ werden soll. Was sich dahinter zumindest
auch verbirgt, wird im „Rahmenprogramm Quantentechnologie“ der
Bundesregierung von 2018 recht offen benannt. Demnach sei die „aktive
und bedarfsgerechte Förderung von Forschungs-, Innovations- und
Entwicklungsvorhaben im Bereich der Quantentechnologien […] aus Sicht
von Sicherheitsbehörden des Bundes und der Bundeswehr von
herausgehobener Bedeutung“.2 Für die Strafverfolgungsbehörden wird dabei
recht offen „das Brechen herkömmlicher Kryptoverfahren“ als
Anwendungsbereich genannt. Im Verantwortungsbereich des
Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) ist etwas allgemeiner davon die
Rede, dass „die Entschlüsselung bestehender IT-Sicherungssysteme“ eine
wichtige Aufgabe sei und bei „der wehrtechnischen Forschung und
Technologie in den nächsten Jahren insgesamt die Erschließung möglicher
militärischer Anwendungsfelder von Quantentechnologien im strategischen
Fokus“ stehen müsse.3

Wesentlich deutlicher noch werden die geostrategischen und militärischen
Ziele des „Zukunftspakets“ beim darin ebenfalls vorgesehen „Zentrum für
Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr“, das es
dieser ermöglichen soll, „innovative und interdisziplinäre Forschung in
einem sicheren Umfeld zu betreiben“, „um die nationale Verfügbarkeit
digitaler und technologischer Innovationen … zu verbessern“. Dieses
Zentrum wird seinen Standort an der Universität der Bundeswehr in
Neubiberg bei München haben, soll aus einem „stark virtualisierte[n]
Verbund der beiden Bundeswehruniversitäten“ (München und Hamburg)
bestehen und wird aus dem „Zukunftspaket“ mit 500 Mio. Euro
ausgestattet. „Näheres gibt es zu dem geplanten Zentrum bisher noch
nicht zu sagen“, so wird der Pressesprecher der Bundeswehruniversität
noch am 19. Juni (indirekt) von der SZ zitiert.4 Kurz zuvor hatte sich
der dortige SPD-Landesverband in einem Brief an Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer (CDU) bemüht, den Standort des neuen Zentrums ins
Saarland zu holen, weil das Bundesland „mit seinen Hochschulen,
Forschungsinstituten und als ‚etablierter Bundeswehrstandort‘ beste
Bedingungen“ böte.5 Auch das spricht dafür, dass das Konzept bislang
reichlich vage ist und der Geldsegen auch die Bundeswehruniversitäten
eher unvorbereitet trifft. Überraschend ist er allerdings nicht.

Zwei Agenturen für „disruptive“ Forschung

Denn das neue Zentrum ergänzt eine ganze Reihe bestehender Initiativen
der aktuellen Bundesregierung, um Wissenschaft und Industrie enger
miteinander zu vernetzen und durch staatliche Förderung Fortschritte in
sog. Schlüsseltechnologien voranzutreiben. So heißt es bereits im
Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2018: „Zur Förderung von
Sprunginnovationen wollen wir neue Instrumente schaffen und die direkte
Forschungsförderung des Bundes stärker auf den Wissens- und
Technologietransfer in die Wirtschaft ausrichten“.6 Seitdem arbeitet die
Regierung u.a. am Aufbau zweier Agenturen, die Forschung im Bereich der
identifizierten Schlüsseltechnologien anstoßen, finanzieren und mithilfe
von Unternehmen die Umsetzung in marktfähige Produkte unterstützen
sollen. Im Oktober 2019 wurde die „Bundesagentur für Sprunginnovationen“
als SprinD GmbH mit Sitz in der Leipziger Innenstadt gegründet.
Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera, der selbst als Investor und
Unternehmer tätig war, beschreibt deren Aufgabe so: „Wir nehmen die
Projekte, die zu groß und zu riskant sind, wo ein normaler
Finanzinvestor vielleicht nicht gut beraten ist, zu investieren. Wir
entwickeln die zu einem Grad, wo dann Business Angel [Finanzinvestoren]
auch einsteigen können und auch sollen“.7 Dafür soll die Agentur bis
Ende des Jahrzehntes mit einer Mrd. Euro ausgestattet werden.

Mitte Juni 2020 berichtete der MDR, dass darüber hinaus die im
Koalitionsvertrag vorgesehene „Agentur für Disruptive Innovationen in
der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien (ADIC)“ in Halle ihre
Arbeit aufgenommen habe, ihr genauer Standort jedoch zunächst „aus
Gründen der Sicherheit“ nicht öffentlich gemacht werde.8 Diese nun meist
nur noch als „Cyberagentur“ bezeichnete Institution untersteht gemeinsam
dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverteidigungsministerium und
soll Forschung explizit in jenen Bereichen vorantreiben, die als
sicherheitspolitisch relevant angesehen werden. Der Gründungsdirektor
dieser Agentur, Christoph Igel, kommt als Wissenschaftler vom Deutschen
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und hat sich
anschließend nach einer erneuten Grundausbildung („wir sind wirklich
über die Hindernisbahn“) beim IT-Bataillon in Gerolstein als Soldat auf
Zeit im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr vereidigen
lassen.9 Laut einem Bericht des im Verteidigungsministerium
angesiedelten Aufbaustabs der Agentur besteht deren Aufgabe in der
„zielgerichtete[n], am Bedarf der inneren und äußeren Sicherheit
orientierte[n] Beauftragung“ von „Forschungseinrichtungen durch
staatliche Einrichtungen“. Hierzu „analysiert“ sie die
„Innovationslandschaft“.10 Nach den Worten des Gründungsdirektors Igel
soll sie „Forschung stimulieren und koordinieren“: „Es geht um
Forschungsfragen, die zum Beispiel das Bundeskriminalamt, die
Bundespolizei, die Marine, die Luftwaffe haben könnten“.11 Als
Handlungsfelder identifizierte der Aufbaustab „unter anderem die
Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz oder alternative
Rechnerarchitekturen.“ Konkreter benannt werden u.a. „DNA-basierte“,
„organisch-elektrochemische“ sowie „neuromorphe und neuronale
Architekturen“. Konkret werden auch „Autonomie und Entscheidungsfindung“
und „Lagebilder und Lagebilddarstellung“ sowie Sensorik als
Forschungsthemen genannt. „[A]bhängig vom Schwerpunkt des spezifischen
Programms“ ist dabei vorgesehen, dass die Agentur „Programmbüros an
anderen Standorten in Deutschland“ einrichtet. „Dabei handelt die
Cyberagentur bewusst als Wagniskapitalgeber und schließt nicht aus, dass
sich manche beauftragten Forschungen und Entwicklungen als Irrweg
erweisen“.12 Zugleich hat die Bundesregierung gegenüber der Agentur den
Anspruch formuliert, dass – wie auch bei der (zivilen) Agentur für
Sprunginnovationen – „der Aspekt der Verwertung künftiger Fähigkeiten …
wesentlicher Treiber“ der Aktivitäten sein solle.13 Mit ihrem zugleich
risikobereiten wie anwendungszentrierten Ansatz orientieren sich damit
beide Institutionen an der DARPA, der Forschungsbehörde des Pentagon.14
Dabei beschränkt sich die Agentur für Sprunginnovationen laut ihrer
Homepage auf „Themenfelder“, die „zivilen Zwecken dienen“,15 während die
Cyberagentur ihre Aufgabenfelder „aus dem Blickwinkel der inneren und
äußeren Sicherheit“ bestimmt.16

Kampfansage an Zivilklauseln

Insbesondere die letztgenannten Agenturen sollen in staatlichem – auch
militärischem – Interesse die deutsche Forschungslandschaft beobachten
und analysieren, davon ausgehend durch zielgerichtete Beauftragung
Projekte „stimulieren“ und „koordinieren“ und Kontakte zu Investoren und
der Industrie herstellen, um bei der Kommerzialisierung auch noch als
„Wagniskapitalgeber“ zu fungieren. Das ist eine grundsätzliche Abkehr
vom Gedanken der Unabhängigkeit von Forschung, der Autonomie der
Hochschulen und der Wissenschaft. Es handelt sich dabei auch um einen
Frontalangriff auf die Kämpfe um Zivilklauseln, die in den letzten
Jahren an vielen Hochschulen ausgefochten wurden als Versuch, eine
militärische Indienstnahme der Wissenschaft zu verhindern. In einem vom
BMVg veröffentlichten Interview jedenfalls hat der Gründungsdirektor der
„Cyberagentur“, Christoph Igel, bereits eine Art Kampfansage formuliert:
„im Hinblick auf Zivilklauseln und Dual-Use-Problematiken“ werde man
„erstmal richtig dicke Bretter bohren müssen“.17

Zivilklauseln gehen oft auf Initiativen der Studierendenschaft oder des
sog. Mittelbaus zurück und stellen Selbstverpflichtungen von Hochschulen
dar, nicht für militärische Zwecke zu forschen bzw. friedliche Ziele zu
verfolgen. Ihre Umsetzung gestaltet sich schwierig, weil die meisten
Universitäten sich bei der Einwerbung von Drittmitteln nicht wirklich
einschränken wollen und im Grunde gerne mit Förderungen und
Kooperationen mit großen Unternehmen und staatlichen Stellen für sich
werben. Militärische Zwecke werden deshalb ebenso wie friedliche Ziele
nicht genauer definiert und erstere eng, letztere weit ausgelegt. So ist
die Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen auch an Hochschulen mit
Zivilklauseln eher die Regel als die Ausnahme, weil hier oft auf den
Dua-Use-Charakter der Forschung, also mögliche zivile Anwendungen der
Ergebnisse verwiesen wird. Und tatsächlich findet der
Entwicklungsschritt, in dem Technologien explizit auf militärische
Nutzung zugeschnitten werden, typischerweise nicht an Hochschulen statt,
sondern wird durch die Rüstungsindustrie selbst, in Zusammenarbeit mit
der Bundeswehr oder an außeruniversitären Instituten (wie den
Fraunhofer-Instituten) vollzogen. Auch bei Forschung, die aus dem
Verteidigungshaushalt finanziert wird, gilt der „Dual-Use“ häufig als
Argument gegen die Anwendbarkeit von Zivilklauseln, wenn etwa bei
wehrmedizinischer Forschung auf ihren (potentiellen) allgemeinen
medizinischen Nutzen verwiesen wird. Es finden sich allerdings auch
Argumentationen, wonach der Schutz der eigenen Soldaten, insbesondere in
sog. „Friedenseinsätzen“ auch als friedlicher Zweck zu interpretieren sei.18

Die konkreten Drittmittelaufträge der Bundeswehr an zivile Hochschulen
werden in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben und z.B. gegenüber
dem Bundestag als Verschlusssache eingestuft.19 Ihr Gesamtumfang betrug
zwischen 2006 und 2009 – soweit bekannt – jährlich etwa 8 Mio. Euro.20
Forschungsaufträge des US-Militärs allerdings sind im Umfang
vergleichbar und öffentlich nachvollziehbar. So kam der Spiegel durch
eine Auswertung der US-Haushaltsdatenbank von 2008 bis 2019 auf die
Summe von 21,7 Mio. US$, die in diesem Zeitraum vom Pentagon an deutsche
Hochschulen geflossen sind, darunter auch einige mit
Zivilklauseln.21

Dabei handelt es sich im Vergleich zum Drittmittelaufkommen deutscher
Hochschulen insgesamt um überschaubare Beträge, die jedoch bereits
durchaus ausreichend sind, um Forschung zu „stimulieren“, das zivile
Gepräge von Hochschulen zu erschüttern und wissenschaftliches Personal
für die Rüstungsindustrie, die bundeswehreigenen und bundeswehrnahen
Forschungsinstitute (etwa des Fraunhofer-Verbundes Verteidigungs- und
Sicherheitsforschung, VVS) zu rekrutieren. Die Cyberagentur jedenfalls,
die explizit auf die Bedürfnisse „der inneren und äußeren Sicherheit“
ausgerichtet ist, soll jährlich mit 80 Mio. Euro ausgestattet sein, von
denen 20% für den Grundbetrieb, darunter die Personalkosten der etwa 100
Mitarbeiter*innen, vorgesehen sind. 80% des Budgets sollen in die
„Forschungs- und Innovationsvorhaben“,22 also die zielgerichtete
Beauftragung von Forschungseinrichtungen fließen. Das ist etwa der
achtfache Betrag der Drittmittel, welche deutsche Hochschulen zwischen
2006 und 2009 direkt vom BMVg erhalten haben. Es ist allerdings davon
auszugehen, dass die Cyberagentur – wie auch das BMVg selbst – einen
Großteil ihrer Forschungsgelder nicht direkt an Universitäten
ausschütten werden, sondern an außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen, die bereits jetzt deutlich mehr Mittel aus dem
Rüstungshaushalt erhalten. Allerdings werden die Trennlinien zwischen
beiden immer unschärfer, denn zu den im Koalitionsvertrag vorgesehenen
„neue[n] Instrumente[n] zur Förderung von Sprunginnovationen und des
Wissenstransfers in die Wirtschaft“ gehören eben auch jene
„Forschungscampi“, „Zukunftscluster“ und „Ökosysteme“, die Wissenschaft,
Industrie, Kapital und Politik systematisch verschmelzen und nun auch
noch aus dem „Corona-Konjunkturpaket“ mit den nötigen Mitteln
ausgestattet werden, um sich zu militärisch-technologischen
Versuchsanstalten zu entwickeln.

PS: Auch das Kapital ist hocherfreut

Die Forderung, in Deutschland eine Forschungsagentur nach dem Vorbild
der DARPA auszubauen, hat noch während der Koalitionsverhandlungen im
Januar 2018 der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) öffentlich
erhoben.23 Wenige Monate zuvor, im Oktober 2017, hatte die MPG gemeinsam
mit den GermanU15 (als Verband „forschungsstarker“ Universitäten) und
großen Industrieverbänden wie dem BDI, dem Branchenverband Bitkom und
dem Verband der Automobilindustrie (VDA) ein gemeinsames Positionspapier
mit Forderungen veröffentlicht, um „Wissenschaft und Forschung als
Fundament unserer Zukunft weiter [zu] stärken“. In dem gerade mal drei
knappe Seiten umfassenden Papier wird ebenfalls gefordert, „vollständig
neue Förderformate in den Blick [zu nehmen], die auf disruptive
Innovationen abzielen“. Weiter heißt es dort: „Die Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist weiter zu fördern und mit dem
Ziel zu stärken, vollständige Innovationskreisläufe von der
Grundlagenforschung bis in die Anwendung und zurück abzubilden. Dazu
sollten zusätzliche Förderformate entwickelt werden, die auf engen
Entwicklungspartnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen und
Unternehmen mit komplementären Interessen und komplementärem Know-how
aufbauen und diese in Innovationen überführen. Auch die
innovationsorientierte öffentliche Beschaffung sollte ausgebaut werden,
um die Marktanwendung von Forschungsergebnissen aktiv voranzutreiben und
Innovationsprozesse zu beschleunigen“.24 Viele weitere der hier
gemeinsam von Wissenschaft und Industrie formulierten Forderungen –
darunter das Ziel, 3,5% des BIP für die Forschung auszugeben und dafür
den Unternehmen für entsprechende Aktivitäten weitere
Steuererleichterungen einzuräumen – finden sich im Koalitionsvertrag von
2018 wieder und werden mit dem sog. „Corona-Konjunkturpaket“ weiter
umgesetzt.

Zwar ist nachvollziehbar, dass die bemerkenswerte Koalition von
Industrie und Wissenschaft eine gewisse politische Durchsetzungskraft
erzeugt. Es gibt jedoch noch weitere Akteure, die am Konzept der
disruptiven Technologiepolitik ein Interesse haben und auch geltend
machen. Dabei handelt es sich um internationale Beratungs- und
Kapitalgesellschaften wie PriceWaterhouseCoopers, Roland Berger, EY
(Ernst & Young) und Unternehmen wie Accenture, Capgemini, IBM, Atos und
Bosch, die sich als „Anbieter der digitalen Transformation“ verstehen
und in den vergangenen Jahren kräftig in diese Bereiche investiert
haben. Bei den investierten Geldern handelt es sich letztlich um
Risikokapital: Obwohl sich mit der Digitalisierung des Alltags, der
öffentlichen Verwaltung, der Gesundheit und auch der Streitkräfte
bereits jetzt recht viel Geld verdienen lässt, bleiben die bislang
realisierten Gewinne jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Deshalb
wirken diese Kapitalfraktionen massiv auf die Politik ein, um die
angekündigten Disruptionen weiter zu forcieren oder zumindest die
Erwartungen daran aufrecht zu erhalten. Es sind v.a. diese Unternehmen
bzw. die in ihrem Umfeld agierenden Denkfabriken, PR-Gesellschaften und
sonstigen Institutionen, die dabei gerne die geopolitische und auch
militärische Relevanz entsprechender Technologien hervorheben und
beständig davor warnen, dass Deutschland/Europa mit den bevorstehenden
Disruptionen v.a. gegenüber den USA und China ins Hintertreffen zu
geraten drohe.25 Ins gleiche Horn blasen jedoch zunehmend auch die
großen Wissenschaftsorganisationen wie die MPG und schlagen dabei
erstaunlich nationalistische Töne an, um Forderungen Nachdruck zu
verleihen, die letztlich den Interessen eines internationalen
Risikokapitals dienen. Denn wenn der Staat nun zunehmend selbst als
„Wagniskapitalgeber“ auftritt und in Bereiche investiert, in denen
Disruptionen erwartet werden, verbessert dies die Möglichkeiten anderer
Investoren, Profite zu erwirtschaften, bevor ein Produkt auf den Markt
kommt oder sich die erwartete „Disruption“ überhaupt je ereignet. Bis
die Blase platzt.

*Anmerkungen*
[1] Alle Zitate ohne Quellenangaben entstammen dem Eckpunktepapier
„Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“
(„Corona-Konjunkturpaket“) des Koalitionsausschusses vom 3. Juni 2020.
[2] Bundesregierung: „Rahmenprogramm Quantentechnologien – von den
Grundlagen zum Markt“, BT-Drucksache 19/4645.
[3] Ebd.
[4] „Zentrum für Digitale Forschung geplant“, sueddeutsche.de vom 19.6.2020.
[5] Florian Mayer: SPD-Fraktion will Cyber-Bundeswehrzentrum ins
Saarland holen, www.sr.de vom 10.6.2020.
[6] Ein neuer Aufbruch für Europa / Eine neue Dynamik für Deutschland /
Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode.
[7] „Eine gute Erfindung steigert das Gemeinwohl“, Rafael Laguna de la
Vera im Gespräch mit Annette Riedel, Deutschlandfunk Kultur (Tacheles)
vom 29.2.2020.
[8] Marcel Roth: Cyberagentur des Bundes startet in Halle, www.mdr.de
vom 15.6.2020.
[9] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur,
www.bmvg.de vom 20.5.2020. Im Interview lässt Igel an seiner Sympathie
für die Bundeswehr keine Zweifel aufkommen und berichtet einleitend von
seiner Zeit als Wehrdienstleistender: „Ich hatte frisch mein Abitur in
der Tasche und habe im Anschluss meinen Grundwehrdienst geleistet. Das
waren damals fünfzehn Monate in einem Fallschirmjäger-Bataillon. So
richtig kämpfende Einheit, mit Ausbildung zum Scharfschützen und
Teilnahme an NATO-Übungen. Da war ich Fallschirm springen, Mitglied der
Mannschaft des militärischen Fünf-Kampfes der Kompanie und habe all das
gemacht, was zur ‚grünen Ausbildung‘ gehört. Spannende Zeit, das hat
ganz viele positive Eindrücke hinterlassen“.
[10] Aufstellungsstab Cyberagentur: Bericht zum Aufbau (Stand 1. August
2019). Cyberagentur: Bedarfe – Themen – Vorgehen.
[11] Marcel Roth: Was die Cyberagentur in Halle/Leipzig machen wird –
Interview mit Cyberagentur-Chef, www.mdr.de vom 15.6.2020.
[12] Aufstellungsstab Cyberagentur, a.a.O.
[13] BT-Drucksache 19/3289.
[14] Ebd.
[15] https://sprind.org (Stand 29.6.2020). Aktuell (1.7.2020) ist die
Homepage der Agentur/GmbH nicht erreichbar.
[16] BT-Drucksache 19/3289.
[17] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur,
www.bmvg.de vom 20.5.2020.
[18] Vgl.: Christoph Marischka: „…und irgendwann fahren Panzer drüber“ –
Ein Beispiel für Geheimdienstforschung und vielsagende Rechtfertigungen,
IMI-Analyse 2013/028, sowie: IMI: Zivilklausel an der Universität
Tübingen, Reader vom Juli 2011.
[19] S. BT-Drucksache 17/3337.
[20] Ebd.
[21] Armin Himmelrath und Holger Dambeck: Millionen vom Pentagon für
deutsche Unis, www.spiegel.de vom 22.6.2019.
[22] Drucksache 19/15961
[23] „Glaubwürdigkeitskrise der gesellschaftlichen Eliten“, Martin
Stratmann im Gespräch mit Ralf Krauter, Deutschlandfunk (Forschung
aktuell) vom 24.1.2018.
[24] Max-Planck-Gesellschaft u.a.: Wissenschaft und Forschung als
Fundament unserer Zukunft weiter stärken, gemeinsames Positionspapier
vom 10.10.2017, www.mpg.de.
[25] Christoph Marischka: KI und Geopolitik – Die unheilige Allianz von
Risikokapital, Wissenschaft und Politik, IMI-Analyse 2020/14.


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