Donnerstag, 30. Juli 2020

Die permanenten Proteste in Chile richten sich jetzt gegen das „Eingemachte“ der Rechtsregierungen: Die privaten Armutsrenten


Rentenprotest in Santiago de Chile am 14.7.2020„… Im chilenischen Parlament ist die Reform des Rentensystems, durch die Teile des eingezahlten Rentenbeitrags während der Corona-Pandemie vorzeitig in Anspruch genommen werden können, auf breite Zustimmung gestoßen. Auch einige Regierungsmitglieder sprachen sich für den Gesetzesentwurf aus, was zu tiefen Rissen innerhalb der Koalition und zu deutlichen Spannungen im politischen Klima des Landes führte. (…)  Das schlechte Krisenmanagement der Regierung von Sebastián Piñera gegenüber der Corona-Pandemie hat nicht nur zu überdurchschnittlich hohen Ansteckungsraten geführt, sondern die Mehrheit der Bevölkerung in materielle Not gebracht. Die fehlende soziale Absicherung, die Einführung von Gesetzesänderungen, die die Arbeitgeber und nicht die Arbeitnehmer schützen, sowie ausbleibende oder mangelnde Hilfspakete für die Bevölkerung haben in Kombination mit einer gebietsweise strikten Ausganssperre die Unzufriedenheit weiter verstärkt. Für viele Menschen wurden innerhalb kürzester Zeit die selbstorganisierten Volksküchen überlebensnotwendig. Seit etwa zwei Monaten kommt es deshalb besonders in den Armenvierteln immer häufiger zu Ausschreitungen und sogenannten Hungerprotesten. Der Versuch der Regierung, die explosive Kombination aus Corona-Pandemie und wachsendem sozialen Unmut durch härtere Repression und Strafen bei Verstößen gegen die Ausgangssperre zu kontrollieren, konnte die Situation nicht entschärfen. Die mangelnde staatliche Unterstützung hat zum Vorschlag der Opposition geführt, die Corona-Hilfen über die privaten Rentenfonds zu finanzieren…“ – aus dem Beitrag „Neue Protestwelle in Chile, rechte Regierungskoalition bröckelt“ von Anna Landherr am 17. Juli 2020 bei amerika21.de externer Link über die allmähliche Zersetzung des rechtsradikalen Blocks in Chile durch andauernde Massenproteste. Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag zur parlamentarischen Zersetzung der Rechtsradikalen – und einen Beitrag zur politischen Bedeutung der Verteidigung der Armutsrenten für die politische Rechte in Chile:
  • Chile: Senat verabschiedet umstrittenen Gesetzesentwurf zu privatem Rentenfonds New
    In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist der Vorschlag zur Einmalzahlung aus den privaten Rentenfonds mit 29 gegen 13 Stimmen und einer Enthaltung vom chilenischen Senat angenommen worden. Die Abgeordnetenkammer hatte ihn bereits am 15. Juli mit einer klaren Mehrheit verabschiedet. Der Entwurf sorgte für heftige Diskussionen sowohl zwischen Oppositions- und Regierungsparteien als auch innerhalb der rechtskonservativen Regierungskoalition “Chile Vamos” (amerika21 berichtete). Nachdem bereits im Voraus Proteste und Zustimmungsbekundungen stattfanden, begrüßten zahlreiche Bürger die Entscheidung mit Cacerolazos (Topfschlagen) im ganzen Land. Das Gesetz legt die einmalige, vorzeitige Auszahlung von zehn Prozent aus dem privaten Rentenfonds fest. Die Inanspruchnahme hat nur geringe Auswirkungen auf die Höhe der späteren Rente und muss nicht zurückgezahlt werden. Der Antrag kann innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten gestellt werden. Geplant ist, die erste Hälfte innerhalb von zehn Tagen zu überweisen, die zweite folgt 30 Tage darauf. Außerdem wurde ein Minimum festgelegt, das jeder unabhängig von der Höhe seiner Ansparungen erhält. Die Maßnahme soll zur finanziellen Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung in der Corona-Pandemie dienen. Die Regierung lehnte das Gesetz mehrheitlich ab. (…) Chile verfügt über kein staatliches Rentensystem. Stattdessen zahlt jeder Arbeitnehmer zehn Prozent seines Bruttolohns in private Rentenfonds (AFP) ein. Diese haben ihren Ursprung in den 1980er Jahren während der Militärdiktatur von Augusta Pinochet und werden von großen Unternehmen als Spekulations- und Investitionsfonds verwaltet. Davon profitieren hauptsächlich die Rentenfonds selbst sowie die Großunternehmen. Für die große Mehrheit der Bevölkerung bedeutet dieses Rentensystem Altersarmut. Seit Jahren fordern Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen seine Reform, woraus die Bewegung No+AFP (Kein AFP mehr) entstand. Auch in den im Oktober 2019 ausgebrochenen sozialen Protesten, die bis heute andauernden, spielt das Thema eine zentrale Rolle.” Artikel von Viktoria Reisch vom 26.07.2020 bei amerika21 externer Link
  • „Rückhalt für Chiles Präsidenten bröckelt“ von Jürgen Vogt am 16. Juli 2020 bei nd online externer Link zur parlamentarischen Spaltung der chilenischen Rechtskoalition unter anderem: „… Bei der erneuten Abstimmung im Abgeordnetenhaus über die von Piñera abgelehnte Einmalzahlung aus den privaten Rentenfonds kamen die entscheidenden Ja-Stimmen wieder aus dem Regierungslager. Acht aus der rechtsliberalen Renovación Nacional (RN) und fünf aus der pinochettreuen Unión Demócrata Independiente (UDI) und damit den zwei stärksten Koalitionsparteien. Konkret geht es dabei um eine Einmalzahlung aus den privaten Rentenfonds. So sollen sich alle Beitragszahler*innen bis zu zehn Prozent ihrer bisherigen Einlagen auszahlen lassen können, als Hilfe gegen die Folgen der Pandemie. Schon vor einer Woche war der Vorschlag im Abgeordnetenhaus angenommen worden. Da aber für die Umsetzung die Verfassung geändert werden muss, musste abermals eine Drei-Fünftel-Mehrheit zustimmen. Von den 155 Abgeordneten stimmten 95 dafür, 36 votierten dagegen, 22 enthielten sich, zwei Abgeordnete waren abwesend. Jetzt geht der Vorschlag in den Senat.Präsidentensprecherin Karla Rubilar sprach von »einem harten Rückschlag«, schloss aber Rücktritte aus und kündigte an, im Senat für eine Ablehnung zu kämpfen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=175647

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