Dienstag, 7. Juli 2020

Corona und Prostitution: Große Sorgen in der Sexarbeit


Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„Das ist das ganz große Drama“, sagt Stephanie Klee vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD), in dem sich unter anderem Betreiber:innen von Bordellen organisiert haben: Mehrere Städte und Bundesländer haben wegen des Corona-Virus angeordnet, Prostitutionsstätten vorerst zu schließen. Dazu gehören Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Mit weiteren Verboten wird gerechnet. Die Polizei kontrollierte vielerorts bereits am Wochenende, ob die Verbote umgesetzt werden. Natürlich habe sie volles Verständnis, dass Gesundheit vorgehe, sagt Klee. „Aber viele wissen nicht, wie sie die nächste Zeit überstehen sollen.“ Auch Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der für Sexarbeiter:innen spricht, sagt: Vor allem unter denjenigen, die ohnehin schon marginalisiert arbeiten, die weder Krankenversicherung noch festen Wohnsitz haben, „herrsche richtig Panik.“ Ohnehin hätten sehr viele Sexarbeitende nahezu keine Rücklagen. Oft wohnen Sexarbeiter:innen vorübergehend in den Bordellen, in denen sie arbeiten. „Die wurden jetzt von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt“, sagt Weber. Viele, die nicht in Deutschland leben, könnten wahrscheinlich nicht mehr nach Hause reisen oder müssten in Quarantäne. Die Grenzen etwa nach Polen oder Bulgarien sind dicht. (…) Ihr Verband suche bereits nach Lösungen: sowohl, um die drohende Obdachlosigkeit vieler Kolleg:innen aufzufangen, als auch, um zu klären, wie es mit staatlichen Ausfallzahlungen aussieht…“ Artikel von Patricia Hecht vom 16.03.2020 bei der Taz online externer Link, siehe auch Dona Carmen an Bundesgesundheitsminister:
  • Demo am 03. 07. vor dem Bundesrat in Berlin: „Öffnung der Bordelle JETZT“ New
    Geschlossen – vergessen – verkannt. Wir demonstrieren morgen, am Freitag, den 03. 07., ab 8.30 Uhr vor dem Bundesrat in Berlin, wo die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten das letzte Mal vor der Sommerpause tagen. Wir fordern die sofortige Öffnung der Bordelle und stehen Ihnen für alle Fragen rund um Prostitution und Corona vor Ort zur Verfügung. Sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer, wir wenden uns heute an Sie – gemeinsam mit dem Berufsverband erotische und sexuelle Dienst-leistungen e. V. (besd) – und fordern Sie auf, endlich auch der Prostitutionsbranche eine Perspektive zu bieten. In Deutschland werden nach und nach fast alle Betriebe nach dem Corona-Lockdown wieder geöffnet: Frisöre, Massagen, Kosmetik, Tantra-, Fitness-,Tattoo-Studios, Gastronomie und Hotellerie, Saunen, Veranstaltungen mit mehr als 50/100/300 Personen und sogar Boxen, Ringkämpfe, etc. Die Prostitutionsstätten scheint die Politik vergessen zu haben seit deren Schließung Mitte März. Erlaubt sind dagegen in vielen Bundesländern die Haus- und Hotelbesuche, der Straßenstrich und die Sexarbeit im privaten Bereich. Das hat zur Folge, dass Sexarbeiter*innen immer mehr hierhin „abwandern“ oder gleich in die Schweiz, Belgien, Tschechien, Österreich und die Niederlande, die mit knappen Hygienekonzepten Prostitution insgesamt wieder erlaubt haben. Die Polizei und die Landeskriminalämter sprechen hier von einer neuen strukturellen Entwicklung, zu denen weder sie noch Fachberatungsstellen noch Gesundheitsämter Zugang haben. Wieso in Deutschland die Bordelle nicht endlich geöffnet werden, ist nicht verständlich…” PM vom 2.6.2020 des Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V. externer Link
  • Internationaler Hurentag 2020: Ausnahmezustand als Normalzustand? – Nicht mit uns! 
    “„Prostituierte haben Rechte“, erklärte der frauen- und familienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marcus Weinberg, jüngst in einer Pressemitteilung, mit der er andeutete: Auch für das Prostitutionsgewerbe würden die seit mehr als 11 Wochen geltenden Tätigkeitsverbote ein Ende finden und würde man wieder zur Normalität zurückkehren. Normalität? Rechte? (…) Sexarbeiter/innen haben dank CDU/CSU/SPD lediglich substanziell ausgehöhlte Rechte und dürfen nur als Menschen zweiter Klasse ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Denn Sexarbeiter/innen haben das „Recht“, sich zwangsweise registrieren zu lassen, bevor sie ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen. Sie haben das zweifelhafte „Recht“, in regelmäßigen Abständen Zwangsberatungen über sich ergehen zu lassen. Sie haben das famose „Recht“, stets einen Hurenpass mit sich zu führen. Sie haben das „Recht“, sich von Betreibern der Prostitutions-Etablissements kontrollieren und überwachen zu lassen. Sie haben das dem Grundgesetz widersprechende „Recht“, bei Verdacht auf Prostitution jederzeit Polizei und Ordnungskräfte in ihre Wohnung hineinlassen zu müssen. Und sie haben das „Recht“, sich zwecks Überprüfung der Einhaltung unzähliger Regeln und Vorgaben jederzeit und an jedem Ort kontrollieren zu lassen. Genau mit dieser Art Ausnahmezustand droht uns Herr Weinberg…”  Pressemitteilung vom 1. Juni 2020 von und bei Doña Carmen e.V. externer Link – siehe zum Hintergrund ebd.: Prostitution und Corona-Verordnungen (Stand 28.Mai 2020) externer Link
  • Corona & Prostitution: Offener Brief an 16 Bundestagsabgeordnete zur generellen Einführung eines Sexverkaufsverbots 
    “… Sie haben sich in Ihrem Brief an die 16 MinisterpräsidentenInnen mit der Forderung gewandt, den derzeitigen Corona-Lockdown und die dadurch bedingte Schließung aller Prostitutionsstätten für die generelle Einführung eines Sexkaufverbots zu nutzen. Mal davon abgesehen, dass nirgendwo ein Sexkaufverbot Sexarbeiter*innen Schutz gebracht oder den Bedarf an Prostitution reduziert hätte, und Sie die Corona-Notlage von Sexarbeiter*innen für ihre rückwärtsgewandte, moralinsaure, herabwürdigende und respektlose, um Aufmerksamkeit heischende Politik nutzen wollen, setzen Sie mit Ihrer Behauptung eine Lüge in die Welt, die durch nichts bewiesen ist. „Prostitution (habe) die epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders: Social Distancing ist i.d.R. mit sexuellen Handlungen nicht vereinbar.“ „Das liege auf der Hand.“ Woher kommt diese Erkenntnis? Wie viele Bordelle haben Sie besucht? Sind Sie Kenner der Prostitution? Verfügen Sie über eigene Erfahrungen? Offensichtlich nicht! Denn DIE Prostitution gibt es nicht. Wie es auch nicht DIE Sexarbeiter*in gibt. Wir sind eine enorm vielfältige Branche, ähnlich der Hotellerie: es gibt kleine Apartments, wo nur eine Sexarbeiter*in arbeitet, oder Wohnungsbordelle, Studios, Bars, Laufhäuser oder Wellnessoasen. Prostitutionsstätten sind mal große – mal kleine Betriebe. (…) Andere haben auch ein gastronomisches Angebot, verkaufen z. B. Getränke, wie eine Gaststätte oder zeigen Filme. Aber Orgien, Enge wie in einer Diskothek oder beim Konzert oder Begeisterung wie auf dem Fußballfeld sind da eindeutig die Ausnahme. Warum sollten Sexarbeiter*innen, Kunden und BordellbetreiberInnen die Corona-Schutzmaßnahmen nicht einhalten können? Halten Sie diese für dümmer als den Rest der Gesellschaft? Im Gegenteil: Sexarbeiter*innen haben per se ein großes Interesse an Hygiene und ihrer Gesundheit, denn die ist ihr Kapital. Auch sind sie schon immer geübt unter Beachtung von Schutzmaßnahmen zu arbeiten und nutzen z. B. Kondome gegen sexuell übertragbare Erkrankungen (STI`s und HIV) und führen einen Gesundheitscheque durch. Natürlich haben wir, wie andere Branchen auch, ein entsprechendes Hygiene-Konzept erarbeitet und der Politik vorgelegt (https://bsd-ev.info/corona-hygienekonzept/ externer Link), denn uns liegt die Gesundheit aller Menschen sehr am Herzen. Den Begriff des „Super-Spreaders“ in diesem Zusammenhang zu benutzen ist nicht nur extrem beleidigend, sondern auch falsch. Offensichtlich wollen Sie eine gesamte Branche diskreditieren, um Ihr eigentliches Ziel, das Sexkaufverbot, durchzusetzen. Leider erinnert diese Diffamierung und diese falsche Behauptung an eine längst hinter uns geglaubte Zeit, an den Beginn der AIDS-Hysterie, wo u. a. auch Sexarbeiter*innen unter dem Vorwurf zu leiden hatten, sie würden diese sexuelle übertragbare Infektion weitergeben. In der Folgezeit stellte sich dann heraus, dass sie weniger damit konfrontiert waren und kaum Infektionszahlen aufwiesen als die Allgemeinbevölkerung. Der Grund ist natürlich darin zu sehen, dass Sexarbeiter*innen allein aus Eigeninteresse schon immer wussten, wie sie sich selbst und ihre Kunden schützen können. Schon immer hat man versucht, die Verantwortung – für die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung – den Sexarbeiter*innen zuzuschieben. Wobei folgende Perspektiven fehlen: woher bekommen Sexarbeiter*innen die Infektion? Und wieso sind sie allein dafür verantwortlich? Es ist immer leicht, die Schuld auf jemand anderen zu schieben. Eine weitere Schließung der Bordelle und ein Verbot der Prostitution sind durch nichts gerechtfertigt – im Gegenteil: es muss auch der Prostitutionsbranche ermöglicht werden, wieder Einnahmen zu generieren und den Kunden einen guten Service zu bieten, der menschlich, stabilisierend und für sie insbesondere in Corona-Zeiten existenziell ist…“ Offener Brief vom 25.05.2020 von und bei Bundesverband sexuelle Dienstleistungen e. V. externer Link
  • Bordell-Schließungen: Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Spahn und die Gesundheitsämter
    “… im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie hat eine Reihe von Bundesländern und Städten die Schließung von Prostitutionsstätten bzw. das vollständige Verbot der Ausübung von Prostitution verfügt. Wir gehen davon aus, dass weitere Verbote auf das Prostitutionsgewerbe und somit weitere Einschränkungen der Grundrechte auf Sexarbeiter/innen zukommen werden. Für die von diesen drastischen Maßnahmen betroffenen Sexarbeiter/innen bedeutet das eine massive Gefährdung ihrer materiellen und sozialen Existenz. Sie bringen Verunsicherung und haben großes persönliches Leid zur Folge. Wir erwarten, dass die politisch Verantwortlichen nicht die Augen davor verschließen und alles unterlassen, was auf eine Entsolidarisierung mit den betroffenen Sexarbeiter/innen hinausläuft. Bekanntlich unterliegen Sexarbeiter/innen seit Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes im Juli 2017 einer Registrierungspflicht, die sie zwingt, in regelmäßigen Abständen („engmaschig“) bei Gesundheits- und Ordnungsbehörden persönlich vorzusprechen, um sich registrieren, sich über ihre Pflichten beraten und sich einen Hurenpass ausstellen zu lassen. Heute, nach zweieinhalb Jahren der Umsetzung dieser Politik wissen wir: Dieses Gesetz hat nicht zur Aufdeckung der allenthalben vermuteten „Zwangsprostitution“ geführt, zu dessen Verhinderung es nach Angaben des Gesetzgebers eingeführt wurde. Wo man auch hinschaut: Zwangsprostitution? – Fehlanzeige! Diesbezüglich ist das Gesetz ein Flop und gehört unseres Erachtens abgeschaff…“ Offener Brief vom 16.3.2020 bei Dona Carmen e.V. externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164588

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen