Dienstag, 2. Oktober 2018

Militär – Macht – Krieg (Georg Rammer)


Eine deutsche Dominanz in Europa, 1989 von vielen Ländern gefürchtet, ist Realität. Der Exportweltmeister setzt eine rigorose Austeritätspolitik in der EU durch und sorgt für Förderung von Investoren und Freihandel im eigenen Interesse. Das günstige Umfeld für Investitionen der deutschen Konzerne wie auch der Zugang zu billigen Rohstoffen müssen allerdings militärisch gesichert werden. Bei kritischer Betrachtung kristallisieren sich diese Aktivitäten als Bausteine eines deutschen Imperialismus heraus.

Einen Erfolg können die Bundesregierung und die Rüstungsindustrie dabei verbuchen: Gegen die kontinuierliche Aufrüstung gibt es aus der Bevölkerung nur einen geringen Widerstand. Zwar zeigen viele Umfragen seit Jahren, dass sich in Deutschland starke Mehrheiten gegen Militäreinsätze aussprechen und die Meinung vertreten, die Bedrohung des Friedens ginge viel stärker von den USA als von Russland aus. Dennoch können das von Frau von der Leyen geleitete Ministerium und die Große Koalition eine Politik betreiben, die von Militarisierung, Aufrüstung und Drohgebärden gegen Russland geprägt ist. Aktuell hat dazu die Verteidigungsministerin eine »Konzeption der Bundeswehr« vorgelegt (Bundesministerium der Verteidigung, 20. Juli 2018); sie soll Antwort auf den »tiefgreifenden Wandel der Sicherheitslage, in Europa und in der Welt« geben und den »Willen Deutschlands zur Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt« (S. 4) ausdrücken. »In der Welt« ist hier wörtlich zu nehmen, denn in Zukunft werden die Einsätze im Sinne eines umfassenden Sicherheitskonzepts zusätzlich auf den gesamten Cyber- und Informationsraum und auf den Weltraum ausgedehnt.

Das Konzept betont die Gleichwertigkeit von Auslandseinsätzen und Bündnis- und Landesverteidigung. Wer aber ist – nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Systems, des Warschauer Paktes und der Sowjetunion – der Feind, gegen den das Land und das NATO-Bündnis verteidigt werden müssen? An keiner Stelle wird Russland genannt. Das ist wohl auch nicht notwendig. Die Verfasser können davon ausgehen, dass inzwischen in den Köpfen verankert ist, von welchem Feind die in der Konzeption ständig genannte »hybride Bedrohung« – Subversion und Desinformation, Propaganda und Angriffe aus dem Cyberraum (S. 22) – ausgeht. Gegen diesen müssen wir eine »Resilienz« aufbauen, also einen Schutz der eigenen Handlungsfähigkeit. Das Bedrohungspotential des potentiellen Gegners mit seiner hochagilen hybriden Gesamtstrategie sei die zentrale Herausforderung. Konkretere Angaben fehlen.

Die Bundeswehr steht jedenfalls bereit. In Georgien, im Norden durch eine lange Grenze mit Russland verbunden, fanden im August Manöver statt, mit 3000 Soldaten aus 13 Staaten, darunter auch aus Deutschland. Im Juli beteiligten sich 19 NATO-Staaten am Marinemanöver »Sea Breeze« in der Nähe von Odessa, Ukraine. Mit 8000 Soldaten und 100 Panzern wird sich die Bundeswehr im November am größten NATO-Manöver seit Ende des Kalten Krieges beteiligen – in Norwegen, einem Land mit einer gemeinsamen Grenze mit Russland im hohen Norden. 30 NATO- und Partnerstaaten bieten insgesamt 40.000 Militärs auf, um den Feind einzuschüchtern.

 In diesem Jahr sind insgesamt 12.000 deutsche Soldaten für NATO-Übungen im nördlichen und östlichen Bündnisgebiet eingeplant, dreimal so viel wie 2017. Ziel ist die »Abschreckung Russlands«, wie schon Anfang des Jahres in verschiedenen Zeitungen zu lesen war. Darüber hinaus sind multinationale Gefechtsverbände in Litauen, Lettland, Estland und Polen stationiert, in Litauen unter Führung der Bundeswehr. Sie übernimmt außerdem ab 2019 die Führung der schnellen NATO-Eingreiftruppe. Verschiedene NATO-Manöver wie »Saber Strike«, »Flaming Thunder« oder »Iron Wolf« sollten laut ntv (19.2.18) klare Zeichen der Abschreckung an Putin senden.

Wir müssen erkennen: Im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion hatten deutsche Soldaten 27 Millionen Menschen zerbombt, erschossen, verhungern lassen. Aber offensichtlich ist die Sicherheit Russlands nicht Teil der deutschen Staatsräson.

Noch vor wenigen Jahren verschämt angedeutet, hebt die Verteidigungsministerin heute in stolzer Selbstverständlichkeit hervor: Deutschland beansprucht eine Führungsrolle in der EU, wirtschaftlich und politisch. Dazu muss auch die Bundeswehr in multinationalen Einsätzen ihre Führung behaupten können. Deutsche Interessen bestimmen klar den Auftrag und die Aufgaben des Militärs. Neben dem Schutz staatlicher Souveränität zählt dazu besonders die Sicherung der Handels- und Versorgungswege des rohstoffarmen, aber exportstarken Deutschland. Dafür, so hebt die Konzeption hervor, hat das Militär seit 1991 weltweit mehr als 60 Einsätze bewältigt (S. 14).

Über diese Einsätze in aller Welt hinaus sollen in Zukunft in befreundeten Ländern »Ordnungsaufgaben« wahrgenommen werden, wenn dort die öffentliche Sicherheit (der Investoren oder der Bevölkerung?) und Ordnung nicht gewährleistet scheinen (S. 25). In diesen »fragilen Regionen« (S. 28) müssen unter Umständen Behörden und Organisationen aufgebaut und die »Partner« durch militärische Berater in Rüstungskooperation »ertüchtigt« werden. Das wird bekanntlich heute schon praktiziert, nämlich in den afrikanischen Ländern, in denen die von Armut und Krieg bedrohten Menschen an der Flucht gehindert werden sollen.

Es ist nicht überraschend, dass Deutschland das UN-Atomwaffenverbot boykottiert, das 122 Staaten unterzeichnet haben. Denn in der Konzeption des Ministeriums wird die Bedeutung der nuklearen Teilhabe betont. Deutschland will damit zu den Atommächten aufschließen, indem man Trägersysteme für Einsätze bereitstellt, Atomwaffen im Land lagert und im Kriegsfall die Bombe einsetzen kann. Das lässt sich selbstverständlich nicht mit dem UN-Verbot vereinbaren.

»Die Bundeswehr ist zu befähigen, […] in allen Dimensionen und über alle Intensitätsstufen hinweg Wirkungsmöglichkeiten erzielen zu können« (S. 50). Damit sollen nicht nur militärische Erfolge erzielt, sondern auch den »politischen Entscheidungsträgern vielfältige Handlungsmöglichkeiten« eröffnet werden (S. 36). Also politische Macht durch militärische Überlegenheit. Von Abrüstung, von der Priorität friedlicher Konfliktlösungen oder der Notwendigkeit, die weltpolitische Lage mit den Augen »des Feindes« zu betrachten, ist an keiner Stelle die Rede. Des Feindes, der dazu gemacht wird.

Diese Konzeption ist ein technokratisches Sammelsurium. Hier geht es nicht um existentielle Entscheidungen über Krieg und Frieden, schon gar nicht um Menschen und Tod. Kein Gedanke an mögliche Ursachen zunehmender Konflikte oder an Möglichkeiten ihrer Vermeidung oder friedlichen Bewältigung. Das ist nicht banal, sondern gefährlich, denn: Wer nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Das regierungsamtliche Papier ist ein ideologisches Pamphlet. Behauptungen, Vorurteile und selbst erzeugte Feindbilder werden als Fakten gesetzt und das gewünschte Ergebnis – Aufrüstung und Militarisierung – geliefert. So wird der Boden für kriegerische »Lösungen« bereitet.

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