Dossier
“Es findet eine dramatische politische Verschiebung statt: Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig. Was gestern noch undenkbar war und als unsagbar galt, ist kurz darauf Realität. Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat werden offen angegriffen. Es ist ein Angriff, der uns allen gilt. Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden. Wir halten dagegen, wenn Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt werden sollen. Das Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa darf nicht Teil unserer Normalität werden. (…) Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind. (…) an vielen Orten sind Menschen aktiv, die sich zur Wehr setzen gegen Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung. Gemeinsam werden wir die solidarische Gesellschaft sichtbar machen! Am 13. Oktober wird von Berlin ein klares Signal ausgehen. Für ein Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit! Für ein solidarisches und soziales Miteinander statt Ausgrenzung und Rassismus! Für das Recht auf Schutz und Asyl – Gegen die Abschottung Europas! Für eine freie und vielfältige Gesellschaft! Solidarität kennt keine Grenzen!” Aufruf auf der Aktionsseite zur Demonstration für eine offene und solidarische Gesellschaft am 13.10.2018 in Berlin von weit über 300 Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, zu denen auch LabourNet Germany gehört – weitere Unterschriften werden dort entgegengenommen. Siehe dazu:
- «Natürlich wird da was folgen» Eine Viertelmillion Menschen haben an «unteilbar» teilgenommen. Wie weiter?
“Wir sind jetzt erst mal am Durchatmen«, sagt Anna Spangenberg, die Sprecherin des Unteilbar-Bündnisses. Das Bedürfnis nach Reflexionszeit kann man der Aktivistin nicht verübeln. (…) Wohin die Reise für das Bündnis geht, ist noch unklar. Für den 17. November lädt »unteilbar« zu einem Treffen ein, um das weitere Vorgehen zu diskutieren. Ob die Vorstellungen vereinbar sind, muss sich zeigen. »Wir müssen nun den Schwung nutzen, diese außergewöhnlich breit getragene Bewegung noch kraftvoller zu präsentieren, möglicherweise auch in vielen dezentralen Aktionen«, wünscht sich etwa Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Eberle weist daraufhin, dass es kein Übergewicht der Hauptstadtpolitik geben darf. »Wir können als IL noch nicht sagen, wie es weitergeht – aber uns ist wichtig, dass sich das nicht nur in Berlin entscheidet.« Eine weitere Frage betrifft die Ausweitung des Bündnisses. Die Aufnahme von Großorganisationen würde zwar Ressourcen ausweiten, doch kleinere, engagiertere und radikalere Kräfte verdrängen. So marginalisiert die Beteiligung katholischer Großverbände möglicherweise das marxistisch geprägte »Institut für Theologie und Politik«. »Jeder Beteiligte hat die Kraft der Demo jetzt wieder zurück in seine Gruppe genommen, das gab einen Schub«, sagt Spangenberg. Wenn »unteilbar« nun mit diesem Schub weiter macht, würde die Möglichkeit bestehen, die Begegnungsräume zu vervielfältigen und zu vertiefen. Fernab von Aufrufen könnte man dort daran arbeiten, auch im Alltag der Menschen Solidarität und Handlungsmacht erfahrbar zumachen. Die Repräsentation im öffentlichen Diskurs wird vermutlich immer geringer ausfallen als bei den Rechten, doch ab einem gewissen Punkt kann auch das Aufbäumen der Zivilgesellschaft nicht mehr ignoriert werden. Das Potenzial für einen Wandel ist da. Spangenberg lächelt: »Natürlich wird da was draus folgen.«” Beitrag von Sebastian Bähr bei neues Deutschland vom 20. Oktober 2018
- Wie Weiter?
“Wir verstehen den Enthusiasmus nur allzu gut – er hat uns ebenso erfasst! –, bitten euch aber um Verständnis dafür, dass wir nicht sofort Antworten auf die Frage nach dem „Wie-Weiter“ in petto haben können. Für eine verantwortungsvolle Beantwortung dieser Frage brauchen wir als zivilgesellschaftliche und von viel ehrenamtlichem Engagement getragene Initiative einige Wochen Zeit. Für #UNTEILBAR sind sehr viele von uns an ihre Grenzen gegangen. Wir wollen uns gerade alle erst einmal sammeln, die Demo nachbereiten – und anschließend in Ruhe die Diskussion über mögliche Perspektiven angehen. Wir bitten euch daher um ein wenig Geduld…” PM des Orga-Teams von #unteilbar
- #Unteilbar: Eine wirkliche Massendemonstration. Und nun?
Wenn jemand behaupten würde, er hätte ziemlich genau so viele Menschen bei dieser Demonstration erwartet, würde er vermutlich nicht nur von uns Stirnrunzeln ernten – niemand hatte so viele erwartet. Und, wie immer bei solchen wirklichen Massenveranstaltungen, kann man nun hinterher kritisieren: Den Aufruf, wenn man möchte, die Teilnahme von Organisationen, denen man ihr entsprechendes Engagement nicht glauben mag und kann, und sicherlich auch einzelne Aussagen von Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahezu ohne Ende. Für alle Besserwisser – ob Amateure oder Profis – ein reiches Betätigungsfeld. Was sich in etwa vergleichen ließe, mit entsprechenden Kritiken am Weltsozialforum zu jenen Zeiten, als es noch eine Bewegung darstellte, die sich wenig bis gar nicht um irgendwelche Abschlusserklärungen kümmerte. Oder anders gefragt: Wer macht sich noch die Mühe, Maiaufrufe des DGB einer Kritik zu unterziehen? Eben. Die wesentliche Frage, die sich aus dieser massenhaften Teilnahme an der Demonstration ergibt ist: Was hat die Menschen dazu bewogen, hinzugehen? Und dementsprechend: Wo kann das hingehen? Dazu haben wir vier Beiträge aus den Tagen nach der Demonstration zusammen gestellt, zwei über Eindrücke, zwei über Perspektiven:- „Eindrücke von der #unteilbar-Demo“ von Wolfgang Pomrehn am 14. Oktober 2018 bei telepolis ist ein Fotobericht, der durchaus aussagekräftig ist, eingeleitet unter anderem mit der Feststellung: „Am gestrigen Samstag sah Berlin eine der größten Demonstrationen der letzten Jahrzehnte. Die Organisatoren sprechen von 240.000 Teinehmern, wie berichtet, die gegen “Rassismus und Menschenverachtung”, so der Aufruftext, auf die Straße gingen…“
- „Auch sie sind „unteilbar““ von Malene Gürgen am 14. Oktober 2018 in der taz lässt einige DemonstratInnen zu Wort kommen über die Gründe, die sie zur Teilnahme bewegten, etwa so: „Emilia, Magdalena, Felicitas und Hanna, 15, gehen zusammen auf die Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule in Lichterfelde. Ihre halbe Schule sei heute hier, erzählen sie, inklusive des Lehrerkollegiums, aber sie haben sich mit ihren Freundinnen lieber abgesetzt, wollen als kleinere Gruppe mitlaufen. Sie sei die Erste gewesen, die von der Demonstration gewusst habe, sagt Magdalena: „Ich habe einen Bericht darüber im Radio gehört, das war direkt nach Chemnitz.“ Sie habe ihren Freundinnen davon erzählt, und sofort hätten sie beschlossen teilzunehmen. „Wir wollen zeigen, dass die Rechten nicht dominieren“, sagt Hanna…“
- „Unteilbar und der progressive Neoliberalismus“ von Peter Nowak ebenfalls am 14. Oktober 2018 bei telepolis zu den Möglichkeiten, die diese massenhafte Beteiligung eröffnet im Rahmen der Debatte um die – nennen wir es höflich „distanzierte“ Haltung Sarah Wagenknechts zum Demoaufruf: „Hier zeigt sich, dass sich eine Großdemonstration wie “Unteilbar” eben nicht allein über die Aufrufer kritisieren lässt. Man muss dann die Motivationen der unterschiedlichen Akteure mit einbeziehen. Dass die Streikenden von Ryanair eine wichtige Rolle auf der Demonstration spielten, ist nicht zu unterschätzen. Handelt es sich doch bei dem Arbeitskampf um ein bisher erfolgreiches Beispiel eines transnationalen Arbeitskampfes. Es wäre dann eigentlich die Aufgabe von Linken, die sich gegen das Bündnis mit dem progressiven Neoliberalismus wenden, hier eigene Organisationsvorschläge einzubringen. So hat es Karl Marx vor ca. 150 Jahre gemacht, als er sich vehement für die Trennung der damals neu entstehenden Arbeiterbewegung vom Linksliberalismus stark gemacht hat. Auch aus diesen Gesichtspunkt war Wagenknechts Kommentierung überflüssig und kontraproduktiv. Sie trägt eben nicht dazu bei, deutlich zu machen, dass der Kampf gegen Rassismus und der Kampf gegen kapitalistische Verwertung unteilbar ist. Das aber wäre die Aufgabe einer linken Kritik. Auch die weniger beachtete Kritik an einer angeblichen Querfront mit islamistischen Verbänden gegen Teile des Demobündnisses orientiert sich nur an den Aufrufern und hat mit der Dynamik der Demonstration, in der bestimmt nicht für eine islamistische Gesellschaft geworben wurde, wenig zu tun…“
- „»In der Gesellschaft bewegt sich was«“ am 16. Oktober 2018 in der jungen welt ist ein Gespräch von Peter Schaber mit Hannah Eberle von der Interventionistischen Linken über die Perspektiven nach dieser Demonstration, in dem sie unter anderem sagt: „Ich würde zunächst sagen, das war natürlich keine linke Demonstration. Es ist gut, dass bei all der Unterschiedlichkeit deutlich geworden ist, dass die Menschen einen Punkt suchten, um zusammenzukommen und zu sagen: Das, was gerade passiert, wollen wir so nicht weiter. Es ist deutlich geworden, dass die Leute sich nicht nur gegen den Rassismus in Chemnitz, sondern eben auch gegen den Rassismus der Regierung stellen. Und es wurde ein Einspruch gegen Sozialabbau sichtbar, auch aus diesem Spektrum kamen ganz unterschiedliche Gruppen: von der Taxi-Innung bis zu den Aktiven aus den Arbeitskämpfen an der Charité. Man wusste im Vorfeld, dass das keine linke Demonstration werden würde. Dennoch ist es sehr wichtig, dass gerade die radikale Linke auf solchen Veranstaltungen anwesend ist. Und wir sind zufrieden mit dem »Dagegenhalten«-Block. Wir konnten unsere Redebeiträge unterbringen, etwa 1.500 Menschen liefen in unserem Block mit. Und es gab sehr viele, die wie wir in ihrer Kritik deutlich weiter gehen wollen und sagen: Es darf im Moment nicht um eine Verteidigung des Liberalen gehen. »Unteilbar« war ein Anfang. Aber natürlich haben wir dort nicht das Ruder herumgerissen. Wenn wir allerdings als radikale Linke dort gar nicht hingehen und die Diskussionen mit den liberalen Kräften nicht führen, dann können wir am Ende nicht erwarten, dass sich etwas zum sozialistischen Guten wendet…“
- Abschlusskundgebung #UNTEILBAR in voller Länge – Video bei youtube
- Zur Unteilbarkeit der Menschenrechte – Michèle Winklers Rede bei der Demonstration #Unteilbar
„Lasst uns auch nach dem heutigen Tag weiter streiten gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit. Lasst uns einstehen für eine Welt, in der alle ihren Platz finden können und in der Menschenrechte wirklich unteilbar sind!“ Die Rede beim Grundrechtekomitee
- Das Programm mit Redebeiträgen und Musik, u.a. mit Konstantin Wecker und Herbert Grönemeyer, für Digitalcourage wird Rena Tangens sprechen
- Siehe dazu (ebenfalls von uns unterstützt): Freiheit statt Angst 2018: Stoppt die Polizeigesetze nun auch am 13. (statt 20.) Oktober 2018 in Berlin – auf die Straße – mit #unteilbar – für Freiheit und Rechtsstaat!
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