Samstag, 15. September 2018

Die Spuren schrecken (Conrad Taler)


Bayern ist einmalig. Verglichen mit den anderen Flächenstaaten der Bundesrepublik hat Bayern das höchste Pro-Kopf-Einkommen. Es lag 2015 um neun Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Einmalig ist Bayern auch in anderer Hinsicht – es hat die schärfsten Polizeigesetze, die nach dem Ende der Naziherrschaft jemals in Deutschland beschlossen wurden.

In keinem anderen Bundesland darf die Polizei so rigoros gegen Unschuldige vorgehen, wie in dem Land, wo Milch und Honig fließen. Das am 25. Mai in Kraft getretene bayerische Polizeiaufgabengesetz nennt 39 Einzelbeispiele für Eingriffe in die Freiheits- und Grundrechte der Bürger. So darf die Polizei unter anderem ohne konkreten Verdacht Leibesvisitationen vornehmen, Telefone abhören, Daten ausspionieren und verdeckte Ermittler einsetzen. Das seit dem 24. Juli 2017 gültige »Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen« ermächtigt die Polizei, »zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr« Menschen ohne richterlichen Haftbefehl für unbegrenzte Zeit ins Gefängnis zu stecken. Die Schutzhaft unseligen Angedenkens lässt grüßen.

Bei der Formulierung der Gesetze konnte die CSU angesichts ihrer Mehrheit im Landtag nach Gutdünken verfahren. Im Vordergrund stand nicht so sehr die Abwehr einer drohenden Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung, sondern das Bestreben, der nationalkonservativen Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl am 14. Oktober Wind aus den Segeln zu nehmen und den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit abzuwehren. Dabei schreckte die CSU nicht davor zurück, die AfD in ihrer Geschichtsvergessenheit und Fremdenfeindlichkeit rechts zu überholen. Das Rüpelspiel um die sogenannte Flüchtlingskrise und das Aufhängen von Kreuzen in allen bayerischen Amtsstuben waren Bestandteile einer Inszenierung zum Erhalt der christlich-sozialen Alleinherrschaft in Gottes eigenem Land auf deutschem Boden.

Das Verhalten der CSU beunruhigt inzwischen weite Teile der bayerischen Öffentlichkeit bis hin zum Münchner Erzbischof Reinhard Marx, der seinem Unmut in einem Interview in der Zeit Luft machte. »Zu meinen, wir wandern am besten alle nach rechts, weil der Zeitgeist nach rechts wandert – das halte ich für eine falsche Einschätzung einer sehr komplexen Lage«, sagte der Kardinal und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Selbst der bayerischen Gewerkschaft der Polizei geht Einiges zu weit. In einer offiziellen Stellungnahme zu dem Gesetz über die »effektivere Überwachung gefährlicher Personen« erklärte sie, hier werde wohl vorsorglich die Rechtsgrundlage beim Einsatz der Bundeswehr im Innern mit schweren Waffen geschaffen.

Das bayerische Polizeiaufgabengesetz trat fast auf den Tag genau 50 Jahre nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze durch den Deutschen Bundestag in Kraft. Eigentlich wäre das ein Anlass gewesen, über die Abschaffung der Notstandsgesetze nachzudenken, die die Einschränkung einer Reihe von unverletzlichen Menschenrechten ermöglichen, die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, die Grundlage des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt sind, wie der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1963 zu bedenken gab. Dass die SPD, seine eigene Partei, die Gegner der Notstandsgesetze im Regen stehen ließ und der Notstandsverfassung im Bunde mit der CDU/CSU zur nötigen Zweidrittelmehr im Bundestag verhalf, hat ihn schwer verletzt. Er starb vier Wochen später an – wie es offiziell hieß – Herzversagen. Damals lag die SPD auf Bundesebene bei stolzen 39,3 Prozent. Jetzt liegt sie in Bayern bei zwölf Prozent und damit noch um einen Prozentpunkt hinter der AfD.

Jüngste Umfragen sagen der CSU bei der Landtagswahl einen Stimmenanteil von 37 Prozent voraus. Das würde den Verlust der absoluten Mehrheit und das Ende der rund 70-jährigen Alleinherrschaft der CSU bedeuten. Bleibt die Frage, weshalb sich in einem prosperierenden Land eine erkleckliche Zahl von Wählern nach rechts außen hin orientiert. Triumphiert wieder einmal die Irrationalität, die Angst vor dem vermeintlichen Verlust deutscher Größe und deutscher Einmaligkeit? Nationalistische Ressentiments sind in Bayern seit jeher auf fruchtbaren Boden gefallen. Franz Josef Strauß wusste das. Er verteufelte den von Willy Brandt unterschriebenen Atomwaffensperrvertrag als »Versailles von kosmischen Ausmaßen«. Die Spuren schrecken.

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