Sonntag, 10. Juni 2018

Wolfgang Pohrts Schriften gibt es jetzt in einer Werkausgabe. Ein Gespräch mit dem Verleger Klaus Bittermann

»Sie werden ihn nicht vermissen«


Von Peter Merg
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Elegant, lustig, sehr polemisch: Falscher Frieden war mit Wolfgang Pohrt nie zu machen
Klaus Bittermann ist Verleger der Berliner Edition Tiamat und schreibt in der jW die Bundesliga-Kolumne »Blutgrätsche«.
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Werkausgaben gibt man von Klassikern heraus. Manchmal werden sie sogar stilbildend, man denke nur an die blauen Bände der Marx-Engels-Werke. An denen orientiert sich auch die Gestaltung der nun von Ihnen in der Edition Tiamat herausgegebenen Schriften Wolfgang Pohrts. Ist Pohrt denn ein moderner Klassiker?
Der Einband ist natürlich ein ironischer Verweis. Aber auf gewisse Weise ist Pohrt ein Klassiker – ein Klassiker für unabhängiges Denken. Wenn jemand wirklich Einfluss auf mein Denken hatte, dann Wolfgang Pohrt, deshalb bin ich ihm sehr zu Dank verpflichtet. Und jetzt, da er nicht mehr schreiben kann, sehe ich die Gelegenheit, ihn auf diese Weise zu würdigen, da es sonst niemand tut, weil man im Betrieb damit beschäftigt ist, z. B. Margarethe von Trotta mit dem Adorno-Preis zu behängen, für die Adorno wahrscheinlich nur ein abfälliges Lächeln übrig gehabt hätte.
Weshalb beginnt die Werkausgabe mit den Bänden »Kapitalismus Forever« (2012) und der Balzac-Analyse (ursprünglich »Der Geheimagent der Unzufriedenheit. Balzac«, 1984)? Ist das programmatisch zu verstehen, der späte und der unbekannte Pohrt?
Das hat einen ganz profanen Grund: Die Originalbände waren vergriffen. So sind sie weiterhin lieferbar. Und das Balzac-Buch war schon immer eins meiner Lieblingsbücher.
Pohrt gilt als einer der einflussreichsten westdeutschen Essayisten der 80er Jahre und ist hauptsächlich bekannt für seine scharfe Kritik an der BRD-Linken, unter anderem wegen ihres Nationalismus. Ist er überhaupt ein Linker?
Er ist auf jeden Fall ein linker Intellektueller. Er hat auch so lange eine Rolle in der Linken gespielt, solange es einen Resonanzraum gab, also eine Szene, auf die er sich beziehen konnte. Die Friedensbewegung, die Alternativen, die frühen Grünen, auch die Linksradikalen. Er hat ja beispielsweise die Amnestiekampagne für die RAF-Mitglieder initiiert. Aber je mehr du den Leuten sagst, was falsch an dem ist, was sie tun, desto einsamer wird es um dich herum. Das hat er aber bewusst in Kauf genommen und bis zum Schluss durchgehalten. Für ihn war viel wichtiger, sich zu streiten, sich auseinanderzusetzen, als Einigkeit zu simulieren, obwohl man für Mist hält, was der andere tut.
Hat er diese Kritik als konstruktive Kritik an der Linken verstanden? Um besser zu werden?
Nein, er hat keine konstruktiven Vorschläge gemacht. Es ist nicht die Aufgabe des Kritikers, einen Ausweg aufzuzeigen oder konstruktiv zu sein. Das ist der Kritischen Theorie auch immer wieder vorgeworfen worden. Die Aufgabe der Kritik besteht zunächst einmal darin, aufzuzeigen, was verkehrt ist. Erst durch die Auseinandersetzung damit kann etwas entstehen. Vielleicht auch nicht, man weiß es nicht. Aber die Forderung nach konstruktiver Kritik würgt von vornherein Kritik ab. Aber indem er etwas kritisiert hat, hat er auch implizit Handlungsalternativen aufgezeigt: Wieso verhält sich die Linke nicht vernünftigerweise soundso?
Pohrts Dissertation »Die Theorie des Gebrauchswerts« (1976) ist noch der Versuch, klassische marxistische Theorie zu machen, berühmt wurde er dann als freier Autor. Welchen Entwicklungen unterlag sein Denken und Schreiben?
Es gab bestimmte Phasen und entscheidende Ereignisse, die seine Herangehensweise und seinen Anspruch ans Schreiben veränderten. Der erste Abschnitt war seine Universitätskarriere: In Lüneburg hatte er sechs Jahre lang einen Lehrauftrag – Eike Geisel übrigens auch. Da hat er Seminare zu Durkheim und anderen soziologischen Klassikern gegeben. Selbst bei den universitären Arbeiten hat er immer versucht, einen ungewöhnlichen Gedanken hineinzubringen, der ins Praktische weist. Seine Doktorarbeit demonstriert aber auch seine gründliche Ausbildung, er ist ja im klassischen Sinne belesen, hatte eine wirklich umfangreiche Bildung.
Nach seiner Zeit an der Uni ist er auch aus ökonomischen Gründen Essayist geworden. Da hat er in Debatten eingegriffen, so habe ich ihn kennengelernt – lustig, elegant, sehr polemisch. Das ging bis 1989. Als da die Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind, hat er gesagt, an diesem Punkt reicht es nicht mehr, Feuilleton zu machen. Deshalb hat er Reemstma vorgeschlagen, eine Studie über die Massenpsychologie des deutschen Bewusstseins zu machen, eine richtige Gesellschaftsanalyse. In diesen vier Jahren sind so drei Bücher entstanden.
Dann begannen der Golfkrieg und der Jugoslawien-Krieg. Die und die Wiedervereinigung sind gewissermaßen ineinander übergegangenen. Darüber hat er viel geschrieben. Eine Zeitlang war er der Chefkommentator von Konkret, könnte man sagen. Danach kam ein Einschnitt. Da ist seine Frau gestorben, er hat sich zurückgezogen, irgendwelche soziologischen Auftragsanalysen gemacht und kaum mehr etwas geschrieben. Erst mit »FAQ« (2004) hat er sich wieder aus der Deckung gewagt, das ist wahrscheinlich auch aufgrund der langen Abwesenheit schiefgegangen. Die letzte Phase war »Kapitalismus Forever«.
Das war dann aber schon sehr resignativ, ist gewissermaßen Skeptizismus. Da ist die Haltung bestimmend: Der Kapitalismus produziert notwendig Elend und reproduziert sich ewig selbst. Aber wenn man auf irgendeine andere Art versucht einzugreifen, als ihn sozialstaatlich zu hegen, führt das nur zu noch mehr Elend. Das ist natürlich eine klare Absage an jede revolutionäre Perspektive.
»Kapitalismus Forever« war ein Resümee. Ich habe ihn dazu gebracht, seine Reflexionen niederzuschreiben, eigentlich wollte er das nicht. Die Grundidee des Buches war übrigens kein Lob des Kapitalismus, sondern aufzuzeigen, dass er ein System ist, das sich immer wieder erneuert. Es entwickelt aus sich heraus Kräfte, gegen die gewissermaßen kein Kraut gewachsen ist. Das kann man natürlich resignativ finden. Aber wie Marx schon wusste, trägt der Kapitalismus auch fortschrittliche Kräfte in sich. Diesen Widerspruch diskutiert er.
Es stimmt, er ist skeptisch gegenüber allen Bemühungen derer, die meinen, sie könnten den Kapitalismus revolutionär verändern. Seine Erfahrung mit »’68« und der linken Praxis der folgenden Jahren ist, dass diese Versuche nicht funktioniert haben. Alles, was sie damals versucht haben zu initiieren, wurde ins Gegenteil verkehrt. Daraus leitet er die Stärke des Kapitalismus ab, solche Angriffe zu integrieren und für sich produktiv zu machen. Da kann man schon resignieren.
Hat Pohrt jemals etwas mit dem sogenannten orthodoxen Marxismus-Leninismus zu tun gehabt?
Nein, nicht dass ich wüsste.
Was könnte die heutige Linke, die weiterhin darum kämpft, überhaupt handlungsfähig zu werden, von ihm lernen?
Die Art zu denken. Auf den jeder Sache innewohnenden Widerspruch hin zu denken, aus der Eindimensionalität rauszukommen, nicht im vornherein bestimmte Sachen auszuschließen. Für Pohrt war immer die Frage entscheidend: Wie geht es den Leuten? Daran entscheidet sich jede Gesellschaftstheorie. Deshalb fand er den Kapitalismus auch niemals gut, wie ihm von der Konkreterbittert unterstellt wurde. Für seine Kritik an den Linken war immer entscheidend: Sind sie bereit, über ihren Schatten zu springen, sich selbst in Frage zu stellen, oder wollen sie nur ihre Klientel bedienen und in der Gesellschaft, im Mainstream ankommen, hat ihre Politik noch mit wirklicher Veränderung zu tun, oder betreiben sie nur Kosmetik. Sein Ansatz war eigentlich zutiefst moralisch.
Was würde die Linke vermissen, wenn sie Wolfgang Pohrt irgendwann vergessen hat? Was würde ihr fehlen?
Die Linke wird ihn nicht vermissen, und sie wird ihn vergessen, bis auf paar wenige, kluge Leute eben. Ich habe einmal geschrieben, dass Pohrts Kritik der Linken besser gewesen ist als das Bild, das die Linke in der Öffentlichkeit abgegeben hat. Das wird vorbei sein.

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