Donnerstag, 28. Juni 2018

Rede zur Pride Parade 2018

Letzten Samstag fand in Berlin die "Pride Parade" 2018 statt. Wir waren dabei und haben diese Rede gehalten:

Rede zur Pride Parade 2018

Hallo liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
nun kommt der Beitrag der Irren-Offensive, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg und der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener.
Diese drei Organisationen haben dasselbe Ziel, nämlich:
Die Beendigung von jeglichem psychiatrischen Zwang und Diskriminierung.
Stattdessen sollen die Menschenrechte wirklich für alle Menschen gelten.
Wir sind heute hier, um zu informieren und anzuregen, gemeinsam politisch aktiv zu werden und unser aller Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen!
Selbstbestimmung ist, wenn eine Person selber für sich entscheidet, wer sie ist und was gut für sie ist und wie sie ihr Leben gestaltet.
Die politische Lage ist:
Staatliche Gesetze ‚erlauben’, dass Menschen fremdbestimmt und bevormundet werden.
Wenn ihnen dazu eine psychiatrische Diagnose verpasst wird.
Das heißt, Psychiater_innen behaupten, Betreffende seien „psychisch krank“ und schreiben das in ihre Gutachten.
Wir meinen, sie behaupten das, denn was als „krank“ bezeichnet wird, sind die Gedanken und die Gefühle von Menschen, die sich vielleicht in sonderbarem, unangepasstem Verhalten äußern.
Niemand ist ‚seelisch behindert’. Wir werden durch Gesetze behindert!
Andere wegen einer psychiatrischen Diagnose ihrer Grundrechte zu berauben, ist Diskriminierung!
Denn mit den Gutachten werden Zwangsmaßnahmen erwirkt:
Menschen werden in geschlossene psychiatrische Stationen zwangs-eingewiesen und gegen ihren Willen eingesperrt.
Sie werden dort mit psychiatrischen Drogen und Elektroschocks zwangsbehandelt.
Sie werden ans Bett gefesselt.
Besuch wird verboten. Telefongespräche und Briefe werden überwacht.
Die Psychiatrie behauptet, das sei medizinisch notwendig.
Nein, es ist Menschenrechts-Verletzung: Freiheitsberaubung und Körperverletzung, sogar Folter!
So sind auch mehr als eine Millionen Menschen in Deutschland durch sogenannte ‚rechtliche Betreuung’ mittels einer psychiatrischen Diagnose entmündigt.
Vielen von ihnen wurde die ‚Betreuung’ aufgezwungen.
Die Betreuerinnen und Betreuer können ‚stellvertretend’, also anstelle der Betroffenen und gegen deren Willen, in deren wichtigen Angelegenheiten entscheiden.
Zum Beispiel, dass die Betreuten in ein Wohnheim umziehen und da bleiben müssen, egal, ob sie sich dort wohlfühlen oder nicht.
Seit 2017 erlaubt ein Gesetz Betreuer_innen nicht allein Einweisungen und Behandlungen in Psychiatrien zwangsweise durchzusetzen, sondern jegliche ärztliche Behandlung.
So können die ‚Betreuten’ auch gefesselt in einen Operationssaal gebracht und ihnen gegen ihren Willen sogar ein Körperteil amputiert werden.

Jedem und jeder kann das alles passieren!
Daher empfehlen wir jeder erwachsenen Person, sich mit der Patientenverfügung PatVerfü davor zu schützen und damit ihr Recht auf Selbst-Bestimmung durchsetzen!

Die PatVerfü ist rechtswirksam aufgrund vom Patientenverfügungsgesetz.
Das PatVerfü-Formular kann kostenlos aus dem Internet heruntergeladen und genutzt werden.
Mit Vorzeigen der PatVerfü wird bereits psychiatrische Untersuchung und somit das Stellen einer psychiatrischen Diagnose verboten. Wer also nicht mehr als „psychisch krank“ bezeichnet werden will, kann das mit PatVerfü verbieten. Und dann können keine Gutachten geschrieben werden, die zu Zwangs-Maßnahmen führen. Mit der PatVerfü können Menschen sich vor Zwangs-Einweisung in eine Psychiatrie und vor psychiatrischen und sämtlichen ärztlichen Zwangs-Behandlungen schützen und Zwangs-‚Betreuung’ verhindern.
Die PatVerfü enthält eine Vorsorgevollmacht, in der Vorsorgebevollmächtigte benannt werden.
Das sind selbst gewählte Vertrauenspersonen. Sie sichern die PatVerfü zusätzlich ab.

Diese Möglichkeit zur Selbstbestimmung muss jetzt jedoch auch politisch verteidigt werden, damit sie uns nicht wieder genommen wird!
Die Regierung, bestehend aus der großen Koalition (GroKo), plant laut Koalitionsvertrag, zugunsten der Lobby der Betreuer_innen, rechtliche Betreuung zu 'professionalisieren’ und damit PatVerfü und Vorsorgevollmacht hintenrum auszuhebeln: Eignungs-Kriterien sollen als Bedingung für Berufs-Betreuer_innen festgelegt werden. Richter_innen könnten dann Vorsorgebevollmächtigten die ‚Eignung’ absprechen und sie absetzen. An Stelle der Vorsorgebevollmächtigten würden den Betroffenen Berufs-Betreuer_innen aufgezwungen werden.

Die GroKo täuscht Verbesserung vor, doch sie verheimlicht damit nur, dass sie die Zwangs-Psychiatrie nicht nur beibehalten, sondern sogar verschärfen will.
Im Jahr 2015 wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erstmalig in Deutschland geprüft. Im Ergebnis kritisierte der zuständige UN-Fach-Ausschuss, dass die psychiatrischen Zwangsgesetze mit der UN-Behindertenrechtskonvention unvereinbar sind. 
Der deutsche Staat wurde ermahnt, zum Beispiel bei der Betreuung alle stellvertretende Entscheidungsfindung zu beseitigen und durch unterstützte Entscheidungsfindung zu ersetzen, also: ‚Unterstützen anstatt Vertreten’.
Um das Betreuungsrecht zu „verbessern“, behauptet die Große Koalition nun, das Selbstbestimmungs-Recht der Betroffenen stärken zu wollen. Das ist eine Lüge.
Denn im Koalitionsvertrag steht lediglich „Unterstützen vor Vertreten“.

Wenn Selbstbestimmung gesagt wird, muss auch Selbstbestimmung gemeint sein!
Verbesserung des Betreuungs-Rechts wäre die Änderung des Paragraphen 1896 BGB, Absatz 1a, dass er dann so lautet:
’Gegen den erklärten [oder ‚natürlichen’] Willen des Volljährigen darf eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden.’  Das fordern wir seit mehr als 10 Jahren.
Wir wissen aber, dass leider keine der GroKo-Parteien gewillt ist, diese Forderung zu erfüllen.
Daher: Wenn die GroKo nicht mehr Selbst-Bestimmung zulassen will, dann soll sie die Hände weg vom Betreuungs-Recht lassen!
So hat immer die Vorsorgevollmacht Vorrang, wie es bisher gesetzlich geregelt ist.
So lange Menschen nicht bestimmen können, ob sie überhaupt betreut werden wollen, dürfen keine Eignungs-Kriterien für Betreuer_innen eingeführt werden!

Gesetzgebung zur ‚Professionalisierung der Betreuung’ verhindern!
Macht mit, informiert Euch weiter auf den Internetseiten: www.zwangspsychiatrie.de
und www.patverfue.de

Vielen Dank!
[Unsere Rede ist hier dokumentiert: https://pride-parade.de/die-parade/parade-2018/redebeitraege-2018/redebeitrag-von-menschenrechts-organisationen-der-psychiatrie-erfahrenen, die anderen Redebeiträge hier: https://www.pride-parade.de/die-parade/parade-2018/redebeitraege-2018]

-------------------------------------------------------------------------------------------

Wir hoffen auf eine gute Entscheidung bei der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgericht über „Fixierung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung “ am Dienstag, 24. Juli 2018, 10.00 Uhr. Hier die Bekanntmachung des BVerfG und wie man sich dazu anmelden kann: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-051.html
Es ist eine breite Berichterstattung in den Medien zu erwarten, auch wir werden berichten.
Rechtsanwalt Dr. Schneider-Addae-Mensah hat über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht
am 30. und 31.01.2018 ausführlich berichtet: https://www.zwangspsychiatrie.de/2018/03/dr-david-schneider-addae-mensah-berichtet

------------------------------------------------------------------------------------------

Letzte Erinnerung: Wir feiern das 10 jährige Jubiläum der PatVerfü am kommenden Samstag, 30. Juni ab 14 Uhr mit Grillen und kleinem Programm - das Wetter wird gut - auf dem kleinen Bunkerberg im Friedrichshain. (Bitte alkoholische Getränke selber mitbringen).

------------------------------------------------------------------------------------------
Dies sind Nachrichten des Werner-Fuß-Zentrums
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
http://www.psychiatrie-erfahrene.de

Unser Solidaritätsfonds zur Verteidigung notariell beurkundeter PatVerfü®, die beim LPE B-B in Kopie hinterlegt wurde, wird ausschließlich durch einseitige Unterstützungszahlungen gespeist. Um ihn zu unterstützen, bitte hier einzahlen:
    RA Dr. Eckart Wähner, Treuhandkonto
    bei der Deutschen Kreditbank
  IBAN:  DE09 1203 0000 1059 9283 80

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen