Sonntag, 10. Juni 2018

»Vedanta zerstört Menschenleben und Umwelt«


Protest gegen Kupferschmelzwerk: Im südindischen Thoothukudi starben mindestens 13 Menschen durch Polizeigewalt. Gespräch mit Thirumurugan Ghandi

Interview: Henning von Stoltzenberg
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Arbeiter in einem Kupferschmelzwerk im indischen Srinagar (27. März 2014)
Thirumurugan Ghandi ist Sprecher der »Bewegung 17. Mai«, einer NGO, die sich für die Rechte der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka und Indien einsetzt
Am 24. Mai wurden bei der Niederschlagung von Protesten gegen ein Kupferschmelzwerk in der Stadt Thoothukudi im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu mehrere Menschen von der Polizei erschossen. Was ist vorgefallen? Wie konnte die Situation derart eskalieren und warum zu diesem Zeitpunkt?
Die Proteste bekamen eine neue Dynamik durch die Genehmigung zur Expansion für Sterlite Industries durch das Oberste Gericht. Am 24. März versammelten sich über 50.000 Menschen, um friedlich für die Schließung der Anlage zu demonstrieren. Am 100. Tag der aktuellen Proteste sollte eine Kundgebung vor dem Sitz der Regionalregierung stattfinden. Auf dem Weg dorthin griff die Polizei die Versammlung unvermittelt an und eröffnete ohne sichtbare Warnung das Feuer.
Die Menschen protestieren seit langem gegen Sterlite Industries, einen Ableger des britischen Bergbaukonzerns Vedanta Resources. Was sind ihre Forderungen?
Die Proteste der Bevölkerung gegen das Kupferschmelzwerk finden bereits seit 20 Jahren statt. Ihre Forderung ist, die Anlage unverzüglich und dauerhaft zu schließen. Die Bewegung besteht im wesentlichen aus Anwohnern. Sie werden von linken Organisationen und Umweltgruppen unterstützt. Im Jahr 2008 hat das Institut für Gemeinmedizin an der Tirunelveli Medizinhochschule die zahlreichen Gesundheitsrisiken durch die Anlage in einem Bericht veröffentlicht. Demzufolge sind viele neugeborene Kinder nachweislich direkt von Krankheiten betroffen. Die Nebenprodukte des Schmelzprozesses setzen Strahlen frei, die Krebserkrankungen verursachen. Im Wasser finden sich Ablagerungen von Eisen, Arsen und Blei, die das zulässige Maß um ein Vielfaches überschreiten. Aber die Regierung hat schlicht nichts unternommen, um dem Einhalt zu gebieten.
Wie ist die Situation in der Stadt Thoothukudi aktuell? Gehen die Demonstrationen weiter? Was sind die nächsten Schritte der Protestbewegung?
Laut offiziellen Regierungsverlautbarungen wurden 13 Menschen von der Polizei getötet. Nach Berichten vor Ort sind es über 30. Die indische Regierung versucht, die Geschehnisse herunterzuspielen. Aber über 80 Aktivisten haben Schusswunden erlitten. Die Polizei hat flächendeckende Hausdurchsuchungen durchgeführt und vor allem Jugendliche festgenommen. Über hundert Personen wurden rechtswidrig inhaftiert und gefoltert. Hunderte Menschen, die gegen die Polizeigewalt demonstriert haben, wurden ebenfalls verhaftet.
Im Moment herrscht ein repressives Klima in Tamil Nadu. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde ausgehebelt. Im letzten Jahr war ich vier Monate in Haft, weil ich eine Mahnwache zum Gedenken an die Eelam Tamilen geleitet habe, die während des Völkermords 2009 von der srilankischen Regierung getötet wurden.
Unser bitter erkämpfter Erfolg ist, dass die Regierung von Tamil Nadu nun die Schließung des Werks angeordnet hat. Aber Erfahrungen aus der Vergangenheit lassen stark vermuten, dass Vedanta sich mit Hilfe des Gerichts darüber hinwegsetzen wird. Die Bevölkerung schenkt diesen Zugeständnissen keinen Glauben und wird bald eine neue Phase der Proteste einleiten.
Welchen Einfluss hat Vedanta Resources auf die Politik?
Vedanta und andere Großkonzerne haben direkten Einfluss auf die Regierung. Laut der NGO »Vereinigung für demokratische Reformen« ist Vedanta Hauptfinanzier der beiden großen Parteien in Indien. Der Konzern hat Niederlassungen in mehreren Teilen des Landes. In Orissa bekam Vedanta die Genehmigung, Bauxit auf dem Nyamgiri-Berg abzubauen. Die lokalen Stämme kämpfen dagegen. Aber die Regierung ist eifrig dabei, dem Unternehmen den Weg frei zu machen. Der designierte neue Firmenchef, Srinivasan Venkatakrishnan, war übrigens während des Marikana-Massakers in Südafrika leitendes Firmenmitglied bei Anglogold Ashanti. Vedanta zerstört Menschenleben und Umwelt und das nicht nur in Indien. Linke Organisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen sollten auch in Europa ihre Stimme erheben und sich für die dauerhafte Schließung der desaströsen Großprojekte einsetzen.

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