Sonntag, 10. Juni 2018

Fall Oury Jalloh: Sonderermittler im Landtag erhalten Mandat. Wann sie ihre Arbeit ­aufnehmen können, ist aber noch unklar

»Geschwärzt und geweißt«


Von Susan Bonath
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Oury Jallohs Todestag wird nicht vergessen: Demonstration durch Dessau-Roßlau am 7. Januar 2018
Der Feuertod von Oury Jalloh vor gut 13 Jahren in einer Dessauer Polizeizelle beschäftigt die Politik in Sachsen-Anhalt. Am Freitag setzte der Rechtsausschuss des Landtages mit Jerzy Montag, Anwalt und ehemaliger Bundestagsabgeordneter (Bündnis 90/Die Grünen), und dem früheren bayrischen Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel zwei Sonderermittler ein. Doch einerseits wirft die Personalie Nötzel Fragen auf, andererseits ist unklar, wann er und Montag mit ihrer Arbeit beginnen können. Zudem ist das politische Prozedere intransparent. Rechtsanwältin Beate Böhler, die Jallohs in Guinea lebenden Vater vertritt, monierte zudem am Donnerstag im Gespräch mit jW, man habe ihr und ihrer Kollegin Gabriele Heinecke »bis heute keine vollständige Akteneinsicht gewährt«. Die Anwältinnen wollen diese jetzt einklagen.
Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel versicherte gegenüber jW, die Sonderermittler hätten ein »robustes Mandat«. Sie könnten die seit Februar in der Geheimschutzstelle des Landtages liegenden Ermittlungsakten studieren sowie Staatsanwälte, Polizisten und Politiker befragen. CDU, SPD und Grüne, die in Sachsen-Anhalt zusammen regieren, hatten sich zuvor um die Vollmachten für die Männer gestritten. Striegel sagte, Montag, der schon als Sonderermittler zum Fall des V-Mannes »Corelli« in Sachen NSU ermittelt hatte, sei von seiner Fraktion vorgeschlagen worden. Zum zweiten Sonderermittler meinte er: »Das war nicht unsere Entscheidung.« Nötzel war bis Februar Bayerns Generalstaatsanwalt. Vor drei Jahren musste er vor dem Landtag des Freistaats wegen des unberechtigten Abhörens zweier Kriminalbeamter und dem Versuch, dies auch bei einem Journalisten zu tun, aussagen. Kurz darauf wurde ihm vorgeworfen, im Jahr 2009 Kollegen dazu angehalten zu haben, Verfahren gegen Tausende des Betrugs verdächtige Ärzte einzustellen.
Im Fall Jalloh sollen Montag und Nötzel klären, welche Ermittlungsversäumnisse es gab und ob politisch Einfluss genommen wurde. Klar ist: Vielen Widersprüchen und Indizien gingen die Ermittler nie nach. Offene Fragen sind etwa: Wer ließ Videomaterial vom Tatort und eine Handfessel verschwinden? Wer fügte den Asservaten das Feuerzeug hinzu, um einen »Selbstmord« Jallohs zu »beweisen«? Gutachter haben später festgestellt, dass das Feuerzeug nie in der Zelle war, in der der aus Sierra Leone stammende Mann verbrannte. Oder: Warum kam die Polizistin Beate H. unbehelligt davon? Sie hatte ausgesagt, sie habe Jalloh noch Minuten nach dem Anschlagen des Rauchmelders rufen gehört. Mediziner schlossen das schon kurz nach seinem Tod aus. Und weshalb gerieten die Beamten Udo Sch. und Hans-Ulrich M. nicht ins Visier, nachdem ein Zeuge vor Gericht übereinstimmend mit weiteren Aussagen glaubhaft gemacht hatte, sie entgegen ihrer eigenen Aussagen kurz vor dem Brandausbruch am Tatort gesehen zu haben? Schließlich: Aus welchem Grund stellten die Staatsanwälte ein Verfahren gegen den damaligen Polizeiarzt Andreas B. rasch ein? Er hatte angeordnet, Jalloh trotz hoher Alkoholwerte und offenbar bereits vorhandener Verletzungen auf dem Rücken liegend zu fixieren.
Doch noch müssen die Sonderermittler warten, bis Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad entschieden hat, ob das Ermittlungsverfahren überhaupt wiederaufgenommen wird. Seit November prüft er die Beschwerde der Hinterbliebenen gegen die Einstellung im Oktober 2017 durch Oberstaatsanwältin Heike Geyer in Halle. Vier Monate zuvor hatte Konrad der Staatsanwaltschaft Dessau die Ermittlungen entzogen, nachdem deren Leiter Folker Bittmann einen Mordverdacht gegen mehrere Polizisten begründet hatte. Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Klaus Tewes, sagte am Freitag gegenüber jW: »Ich kann kein Datum nennen.« Warum die Hinterbliebenen nicht alle Akten einsehen durften, wisse er auch nicht. Anwältin Böhler rügte: »Wir kennen nicht mal alle Dokumente, gegen die wir Beschwerde eingelegt haben.« Da sei »geschwärzt und geweißt« worden, »was das Zeug hält«.

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