Sonntag, 17. Juni 2018

Gewalt gegen Frauen: In Hamburg protestiert ein linkes Bündnis gegen Femizid. Ein Gespräch mit Clara Schmidt

»Eifersucht und Rache sind ein zentrales Motiv«


Interview: Kristian Stemmler
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Protest gegen Diskriminierung und Gewalt an Frauen in Santiago de Chile (6. Juni)
Clara Schmidt engagiert sich in der feministischen Kampagne »Gemeinsam kämpfen – für Selbstbestimmung und demokra­tische Autonomie«
Täglich werden überall auf der Welt Frauen, Lesben, Trans- und Intermenschen, für sie steht heute das Kürzel FLTI, misshandelt, gefoltert und ermordet. Darauf weisen Sie im Aufruf zu Ihrer Demonstration am Sonnabend in Hamburg hin. Motto ist »Ni una menos!«, spanisch für »Nicht noch eine weniger!« Was ist gemeint? Das Motto haben wir in Anlehnung an eine weltweite feministische Bewegung gewählt, die sich gegen Feminizide (auch Femizid; jW), also Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts, richtet. Ihren Ursprung hat diese Bewegung in Argentinien. Unter dem Hashtag »NiUna­Menos« formierte sich dort als Reaktion auf den Mord an einer 14jährigen durch ihren Beziehungspartner am 3. Juni 2015 massiver Widerstand. Dieser Protest weitete sich von dort auf viele weitere lateinamerikanische Länder aus. Feminizid ist ein weltweites Phänomen. Aus der polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass 2016 allein in Deutschland 435 Frauen ermordet wurden.
Die Demo startet am Jungfernstieg, wo in der S-Bahn-Station am 12. April Mourtula M. seine Exfreundin Sandra P., sie wurde nur 34, und das gemeinsame, ein Jahr alte Kind Mariam erstach. Welchen Bezug hat die Tat zu Ihrem Anliegen?
Der Mord an Sandra P. und ihrer Tochter ist eines von vielen Beispielen der tödlichen Gewalt, der Frauen durch ihre Partner oder Expartner ausgesetzt sind. Eifersucht und Rache sind ein zentrales Motiv von Feminiziden. Zugleich sind sie Ausdruck patriarchaler Gewalt, da Frauen ihres Rechts beraubt werden, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Frauen werden in unserer Gesellschaft objektiviert und als Ware oder Besitz behandelt. Daraus resultiert, dass Männer meinen, einen Besitzanspruch gegenüber Frauen zu haben und sich somit sogar im Recht sehen, diesen Anspruch mit Gewalt geltend zu machen.
Wie grenzen Sie sich in diesem und anderen Fällen, in denen Flüchtlinge die Täter sind, vom rechten Diskurs ab, der die Taten instrumentalisiert, um gegen Flüchtlinge zu hetzen?
Die Instrumentalisierung von sexueller Gewalt und Feminiziden, die von rechts stattfindet, ist ein perfides Mittel, mit dem die patriarchale Gewalt, der Frauen tagtäglich ausgesetzt sind, verschleiert und genutzt wird, um rassistische Hetze zu betreiben. Unser Feminismus ist antirassistisch. Egal von welcher Seite Gewalt gegen Frauen kommt, es ist zu verurteilen. Der Hintergrund des Täters spielt hier keine Rolle.
In Ihrem Aufruf werden auch zwei weitere Frauen genannt, die in Hamburg und Umland ermordet wurden, Doreen K. aus Winsen/Luhe am 27. Mai 2018 und Maria A. aus Spanien im vergangenen Jahr.
Die Leiche von Maria A. wurde zerstückelt in verschiedenen Gewässern Hamburgs gefunden. Der Mord und die Zerstückelung des Körpers zeigen, wie kaltblütig und brutal die Täter des patriarchalen Systems handeln. Diese Kaltblütigkeit wird jedoch nicht benannt. Statt dessen berichtet die Presse von »Ehe- oder Beziehungsdramen« und verschleiert damit die strukturellen Gewaltverhältnisse, die diesen Morden zugrunde liegen. Der Mord an Doreen K. ist erst knapp zwei Wochen her, und es ist wichtig, zeitnah auf Feminizide zu reagieren, um unsere Trauer und Wut sichtbar zu machen. Ermordet wurde Doreen K,. aber diese Gewalt richtet sich gegen uns alle.
In der Hamburger Morgenpost vom 29. Mai 2018 heißt es über Doreen K., sie sei eine »ehrgeizige Karrierefrau« gewesen – ist das nicht wie ein Signal: Da hab’ ich Verständnis für den Mann, der hat gelitten unter seiner erfolgreichen Frau?
Männer, die aufgrund der Tatsache, dass Doreen K. in ihrem Beruf erfolgreich war, diesen Mord als gerechtfertigt sehen, sind potentielle Mörder. Die Ermordung von Frauen, Lesben, inter- und transsexuellen Personen geschieht in vielen Fällen aus der Reaktion heraus, dass Männer sich in ihrer Vormachtstellung bedroht sehen. Also wird Gewalt von Männern eingesetzt, um die eigene Stellung zu wahren.
Wen sehen Sie als Träger einer Veränderung, was das Patriarchat angeht?
Wir denken, dass Privilegien nicht freiwillig aufgegeben werden, sondern Veränderungen als Bewegung von unten erkämpft werden müssen. Wir müssen uns als FLTI autonom organisieren und uns weltweit zu einer Bewegung zusammenschließen.

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