Sonntag, 17. Juni 2018

Herzwäsche und Revolution und Abos: Nächsten Freitag gibt es in Berlin ein Solikonzert für Melodie & Rhythmus

Zukunft ist heute


Von Jens Walter
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Crazy, but not insane: Auch Strom und Wasser werden am Freitag für M&R rocken
Freitag, 22.6., 19.30 Uhr: »Poesie & Politik. Solikonzert für den Erhalt von Melodie & Rhythmus – das Magazin für Gegenkultur«, Wabe, Berlin
Karten online, Tel.: 030/53635556 oder per E-Mail an mm@jungewelt.de
Das muss man nicht im WM-Fernsehen sehen: Serbien gegen die Schweiz. Am nächsten Freitag abend. Lieber mal ins Konzert gehen, in die Berliner Wabe, Solidarität und so: »Poesie & Politik. Solikonzert für den Erhalt von Melodie & Rhythmus – das Magazin für Gegenkultur«. Gegenkultur wäre ja, mit dem Kommerzfußball endgültig zu brechen. Aber soweit sind wir noch nicht. Erst mal muss in Deutschland überhaupt ein Magazin für Gegenkultur etabliert werden: Die Melodie & Rhythmus soll dazu gerettet oder, besser gesagt, wiedergegründet werden. Anfang des Jahres war sie vom Verlag 8. Mai, der auch die jW herausgibt, eingestellt worden. Und jetzt, wo sie weg ist, will man sie wiederhaben, am besten schon Ende des Jahres. Im politischen Kampf ist es manchmal wie in der Liebe. »Ich will Liebe und Revolution«, haben Die Braut haut ins Auge in den 90ern gesungen. Doch 2018 geht es um Abos. Und die wollen viel mehr Leute als gedacht. Dafür läuft die Kampagne »Die Waffe der Kritik braucht ein Magazin«, und deshalb gibt es am Freitag abend ein Solifestival in der Berliner Wabe.

Herzwäsche unterwegs

Mit dabei ist die Turbo-Folkrock-Band Strom und Wasser, die »Herzwäsche« betreibt, so der Titel ihres letzten Albums. Sänger und Bassist Heinz Ratz hat schon ganz andere Aufgaben bewältigt: 2008 bewältigte er den »moralischen Triathlon«, erzählte er dieser Zeitung: »Ich bin 1.000 Kilometer durch Deutschland zu Fuß gelaufen, für Obdachlose. Und dann bin ich 1.000 Kilometer in Flüssen geschwommen, für den Artenschutz. Schließlich bin ich 7.000 Kilometer geradelt, für die Flüchtlinge. Zum Abschluss eines jeden Tages gab es immer ein Konzert«.
Crazy, but not insane, wie früher die Parole des ZAP hieß, das in den 90er Jahren das größte Punkfanzine der BRD war. Zu kaufen auch am Kiosk und im Bahnhofsbuchhandel. Doch es ist verschwunden wie nahezu alle Printmagazine der Gegenkultur von links. Die gibt es nur noch von rechts. Seien wir doch bitte mal wieder verrückt und verlangen das Unmögliche: entschiedene Gegenkultur von links. Gegen das halbironische Tralala. Oder wie es Konstantin Wecker in dem Dokumentarfilm »Mich rettet die Poesie« gesagt hat: »Wir brauchen in uns einen radikalen Gegenentwurf zu der unendlichen Grausamkeit, die sich derzeit in der Gesellschaft entwickelt hat.« Den Film hat übrigens die Melodie & Rhythmus gemacht, als es sie noch gab.

Ist da jemand?

Okay, Wecker, linker Kanon, logisch. Gibt es überhaupt Nachwuchs? Der Liedermacher Tobias Thiele wird schon seit längerem wichtiger. Für sein Debütalbum »Unerhört« (2016) erhielt er den Förderpreis der Liederbestenliste. Er ist um die 30 und spielte noch mit Daniel Viglietti, dem im Oktober verstorbenen, bekanntesten linken Singer-Songwriter Uruguays. Thiele war mit ihm im Februar 2017 aufgetreten, zum 70. Geburtstag der jW in Berlin. Zusammen mit dem Schauspieler Rolf Becker und dem Gitarristen und Dichter Nicolás Rodrigo Miquea, mit denen er auch auf dem »Abschiedskonzert« für Viglietti, das die jW dann im Februar 2018 auf dem Festival Musik und Politik in Berlin veranstaltete, spielte. Miquea kommt aus Chile und ist ein brillanter Gitarrist für die Sache der Linken und am Freitag in der Wabe dabei.
Und was ist am Freitag mit der guten alten Bratz- und Schmatzgitarre? Das Trio Cressy Jaw aus Gießen haut rein, mit einer Musik, die man früher, als es noch mehr linke Gegenkultur gab, Grunge-Rock genannt hätte. Sie nennen es Crossover und beschleunigen ihre Songs nicht hektisch, sondern auf die coole Art. Die Soundwellen müssen erst größer und mächtiger werden. Damit du auf ihnen reiten kannst.
Gegenkultur gegen Kulturindustrie: »Ich will vergessen, halte meinen Kopf, drücke fest zu, ich will ein Ende von ich gegen du, ein Ende von du gegen ich, doch ich find’ die Delete-Taste nicht, denn sie drücken immer wieder auf Replay, Replay, Replay …« Das hat die Spoken-Word-Künstlerin Faten El-Dabbas im voluminösen Singsang im Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz vorgetragen.
Geboren im pfälzischen Pirmasens, ist El-Dabbas in Berlin aufgewachsen. Sie hat Politikwissenschaften studiert, war im Nebenjob schon mit der Diplomatenausbildung im Auswärtigen Amt befasst und will hier nicht weg. Aber wenn man sie nach ihrer Heimat fragt, ist das Palästina. Warum? El-Dabbas erklärt das mit ihren familiären Roots und damit, dass der palästinensische Nationaldichter Mahmud Darwisch (1941–2008) sie überhaupt erst zur Poesie brachte. »In Jerusalem« heißt ein Poem von ihm, der noch in seiner Jugend der KP Israels beigetreten war. »Na und?« schreit da am Ende »plötzlich eine Soldatin: Du schon wieder? Hab ich dich nicht getötet? / Und ich sprach: Du hast mich getötet – aber ich vergaß / Genau wie du / Zu sterben.« Vom banalen Entertainment der hiesigen Slam-Poetry-Konkurrenzen – Replay, Replay … – will El-Dabbas nichts mehr wissen, und am Ende hat Faten El-Dabbas nur eine Heimat, die ganze Welt.

Parolen-Hoheit

In Deutschland gelangte der Berliner Rapper Tapete 2012 zu einer gewissen Berühmtheit, als der für ihn zuständige Sachbearbeiter im Jobcenter beim Googeln auf einen Steckbrief in der damals aktuellen Melodie & Rhythmus stieß. Mit Zeilen wie »Ich bedank’ mich jeden Tag bei Vater Staat dafür, dass ich hier auf seine Kosten leben darf« würde Tapete »in den kommenden Krisenzeiten nicht nur den HipHop-Markt, sondern auch die Parolen-Hoheit erobern«, war dort zu lesen. Der Arbeitsvermittler schloss auf unberechtigten Leistungsbezug, Tapete hatte jede Menge Ärger und machte einen Track daraus: »Master of Hartz«. Sehr hörenswert, vielleicht am Freitag in der Wabe.
Und noch mehr Gedichte. Mala Emde und Skye MacDonald sind Studenten der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Mit Kommilitonen haben sie ein Programm mit Gedichten und Liedern des sozialistischen Klassikers Peter Hacks (1928–2003) erarbeitet, das sie am Freitag vortragen werden. Die titelgebende Zeile »Die Hölle ist ein schöner Ort« stammt aus dessen Libretto »Orpheus in der Unterwelt« nach Jacques Offenbach. Die Hölle ist, wie Jens Mehrle in jW ausführte, für den Dramatiker »das Hier und Jetzt der zukunftslosen Welt«, ihre Schönheit nur eine behauptete, falsche. Ihr ist nur durch die Revolution zu entkommen.
Um diese geht es mittelbar auch in »Frau Kapital und Dr. Marx« des Berliner Weber-Herzog-Musiktheaters, aus dem ebenfalls Szenen zur Aufführung kommen werden. Mit Texten von Bertolt Brecht, Nazim Hikmet und Wladimir Majakowski. Ein Problem an Brecht: Man hat ihn in den letzten Jahrzehnten auf den bügerlichen Bühnen »aus der aggressiven, kämpferischen Ecke rausgeholt«. Das sagte Katharina Thalbach in der bislang letzten Ausgabe der M&R, die zur Jahreswende erschien. Für diese kämpferische Ecke braucht man ein Magazin für Gegenkultur. Und das benötigt Abos und Geld.

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