Montag, 27. März 2017

Waffenexporte und Flüchtlinge (Joachim Guilliard)


Wer Waffen verkauft, wird Flüchtlinge ernten. Deutsche Rüstungsexporte machen da keine Ausnahme. Wie Ende November 2016 bekannt wurde, hat der Bundessicherheitsrat erneut Rüstungsexporte in Krisengebiete in Milliardenhöhe genehmigt, darunter 41.000 Zünder für Artilleriemunition an Saudi-Arabien – Nachschub für den Krieg gegen Jemen. Nach den vorläufigen Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums summieren sich die genehmigten deutschen Rüstungsgeschäfte mit Ländern des Nahen Ostens im Jahr 2016 erneut auf über 2,5 Milliarden Euro. Aus diesem geografisch begrenzten Gebiet, das im deutschen Sprachgebrauch im engeren Sinn die arabischen Länder Westasiens und Israel umfasst, kommt nahezu ein Drittel aller Flüchtlinge und Binnenvertriebenen. 2015 waren über 18 Millionen Menschen aus diesen Ländern auf der Flucht.

Genau diese Region verzeichnet seit sieben Jahren einen rasanten Anstieg von Waffenimporten. Nach dem Jahresbericht des Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) für 2015 führten die Länder der Region zwischen 2011 und 2015 fast zwei Drittel mehr Waffen ein als zwischen 2006 und 2010. Saudi-Arabien beispielsweise steigerte seine Importe in diesem Zeitraum von 2,6 Milliarden auf 9,9 Milliarden US-Dollar. Mit einem Weltmarktanteil von sieben Prozent wurde das Land zweitgrößter Importeur nach Indien (14 Prozent) und vor China (4,7 Prozent). Auch die kleinen Scheichtümer Kuwait und Katar verdreifachten ihre Importe in diesem Zeitraum von 380 auf 1275 beziehungsweise von 340 auf 1300 Millionen US-Dollar. Dazu beigetragen haben unter anderem Lieferungen von Kampfflugzeugen aus Frankreich und Kampfpanzern aus Deutschland an Katar. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erhöhten ihre zuvor schon exorbitanten Waffenkäufe ebenfalls noch einmal von 4,9 auf 6,6 Milliarden US-Dollar. Da das SIPRI nur Großwaffensysteme und deren Komponenten in seinen Statistiken erfasst, ist der gesamte Umfang der Rüstungslieferungen noch wesentlich größer. Der überwiegende Teil der importierten Rüstungsgüter stammt aus den westlichen Staaten. In den letzten Jahren stieg ihr Anteil am Rüstungsgeschäft mit dem Nahen Osten auf 90 Prozent.

Die westlichen Waffenlieferungen befeuern unmittelbar die bewaffneten Konflikte in der Region, die sich ab 2011 massiv ausbreiteten, besonders die Kriege in Syrien und im Jemen. In beiden Ländern waren die im Zuge des sogenannten arabischen Frühlings einsetzenden Unruhen in bewaffnete Aufstände und schließlich in von außen geschürte Bürgerkriege umgeschlagen. Der Krieg in und gegen Syrien griff Mitte 2014 auch auf den Irak über, und seit Frühjahr 2015 interveniert eine von Saudi-Arabien geführte Koalition arabischer Staaten direkt militärisch mit Luftangriffen und Seeblockade im Jemen. Dem SIPRI-Report zufolge werden dabei überwiegend Waffen aus dem Westen eingesetzt.

Waffenlieferung an islamistische Gruppen
Wie ein im Juli 2016 veröffentlichter Bericht des Recherchenetzwerks Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) bestätigte, wurden große Mengen der an Saudi-Arabien, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar gelieferten Waffen an die radikalen islamistischen Milizen weitergereicht, die in Syrien mit Unterstützung von NATO-Staaten gegen die regierungsloyalen Kräfte kämpfen. Ein guter Teil davon gelangte schließlich auch in die Hände der stärksten dieser Milizen, dem »Islamischen Staat« (IS), und dem Al-Kaida-Ableger »Al Nusra Front«, der sich jetzt »Dschabhat Fatah asch-Scham« nennt.
»Als im Laufe der letzten beiden Jahre Tausende Tonnen Waffen in den Süden flogen«, so die BIRN-Autoren, »flohen zeitgleich Hunderttausende Flüchtlinge in den Norden, vor einem Konflikt, der mehr als 400.000 Menschen tötete. Doch während Balkan- und EU-Staaten die Flüchtlingsroute dicht machten, blieb die Milliarden-Euro-Pipeline, über die Waffen per Flugzeug und Schiff in den Nahen Osten transportiert werden, weiterhin offen ‒ und sehr lukrativ.« (Übersetzung J. G.) Diese Waffenlieferungen an bewaffnete Gruppen, die schwerster Verbrechen beschuldigt werden, sind illegal. Die Lieferungen wurden, wie Robert Stephen Ford – von 2011 bis 2014 US-Botschafter in Syrien – Journalisten freimütig berichtete, von der CIA und der türkischen Regierung koordiniert und über Zentren, die als Military Operation Centers (MOCs) bekannt sind, in der Türkei und in Jordanien abgewickelt.


Rüstungsexporte schaffen Flüchtlingsströme
Die bislang offengelegten Waffenlieferungen an unmittelbar in bewaffnete Konflikte verwickelte Gruppen zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Betrachtet man die Entwicklung der Rüstungsexporte aus dem Westen in den Nahen Osten, so wird offensichtlich, dass mit deren massiver Zunahme auch die Zahl der Menschen in der Region enorm wuchs, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Das SIPRI listet in seiner frei zugänglichen Datenbank für jedes Land pro Jahr die Importe großer konventioneller Waffen und Waffensysteme (»major conventional weapons«) nach Lieferländern auf. Zur besseren Vergleichbarkeit wird dort deren Wert nicht in Verkaufspreisen, sondern in ihrem »Trend-Indikator-Wert« (TIV) angegeben, der mehr den militärischen Wert der transferierten Güter als den wirtschaftlichen Wert des Geschäftes repräsentiert.

Summiert man die jährlich von SIPRI für die Jahre 2000 bis 2015 ermittelten Gesamtwerte der Waffenimporte aus dem Westen ‒ neben den NATO-Staaten auch Schweden, Finnland, die Schweiz und Montenegro ‒ in die Region, so kann man sehen, dass einem Anstieg der Waffenlieferungen jeweils nach zwei bis drei Jahren eine Zunahme von Flüchtlingen folgte.

Politiker, die gern den Zustrom Hilfsbedürftiger aus diesen Ländern eindämmen wollen, sollten sich daher zunächst um ein Ende des gewaltigen Stroms an Rüstungsgütern in umgekehrter Richtung kümmern.

Ein erheblicher Teil der Waffenlieferungen kommt aus Deutschland, das den Berechnungen der britischen Militärfachzeitschrift Jane’s Defence Weekly zufolge 2015 zum weltweit drittgrößten Waffenexporteur hinter den USA und Russland aufgestiegen ist. Insgesamt verkauften demnach deutsche Firmen in jenem Jahr für rund 4,2 Milliarden Euro Rüstungsgüter ins Ausland ‒ Kleinwaffen wie Pistolen und Gewehre nicht mitgerechnet. Bei SIPRI lag Deutschland mit Großwaffenexporten im Wert von gut zwei Milliarden TIV »nur« auf Platz fünf.


Waffenlieferungen in den und Flüchtlinge aus dem Nahen Osten

© Joachim Guilliard
Neben den arabischen Kernländern des Nahen Ostens (Irak, Jordanien, Kuwait, Libanon, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Jemen) wurden auch die Nachbarstaaten einbezogen, die ebenfalls eine mehr oder weniger starke Rolle in den Konflikten der Region spielen: Ägypten, Israel, Oman und die Türkei

Um ein vollständiges Bild des »Geschäfts mit dem Tod« zu erhalten, muss man neben dem Verkauf von Großwaffen den Export aller Rüstungsgüter betrachten, also auch der Kleinwaffen, Munition und Komponenten. In Deutschland kann man dessen Umfang dem Wert der von der Bundesregierung genehmigten Rüstungsgeschäfte entnehmen, die in den jährlichen Rüstungsexportberichten des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) pro Endempfängerland ausgewiesen werden. Die Summe der Einzelausfuhrgenehmigungen betrug von 2005 bis 2015 durchschnittlich mehr als das Dreifache des Gesamtwerts der deutschen Kriegswaffenexporte (5,04 Milliarden zu 1,45 Milliarden Euro).

Fasst man die Angaben für die Länder des Nahen Ostens pro Jahr zusammen, so ist auch hier ein enormer Anstieg seit Anfang des Jahrhunderts zu beobachten. Nach den am 20. Januar vom BMWi veröffentlichten vorläufigen Zahlen für 2016 wurden im vergangenen Jahr Rüstungsexporte im Wert von 6,88 Milliarden Euro genehmigt. Das ist nach 7,86 Milliarden Euro im Jahr davor der zweithöchste jemals erreichte Betrag. 54 Prozent davon entfielen auf Drittländer. Damit wurde im fünften Jahr in Folge der größte Teil der deutschen Rüstungsgeschäfte mit Ländern außerhalb der EU, der NATO und der ihnen gleichgestellten Staaten abgeschlossen.

Zu den zehn wichtigsten Bestimmungsländern zählten wie schon 2015 vier arabische Länder: an der Spitze Algerien mit 1421 Millionen Euro ‒ noch vor den USA mit 1156 Millionen, gefolgt von Saudi-Arabien (529 Millionen) und Ägypten (400 Millionen) sowie an neunter Stelle die Vereinigten Arabische Emirate (154 Millionen). Von diesen führen alle bis auf Algerien Krieg im Jemen.

Seit 2014 liefert Deutschland auch Waffen und Ausrüstung an die kurdische Regionalregierung im Nordirak. Insgesamt gingen 3000 Sturmgewehre G-36 und 200 Lenkflugkörper Milan sowie fünf Millionen Schuss Munition an die von der größten irakisch-kurdischen Partei, KDP, geführten Peschmerga-Einheiten. Zudem enthielten die Lieferungen fünf gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo 1. Durch diese Lieferung an eine nichtstaatliche Miliz rüstet die Bundesregierung einseitig eine Partei im innerirakischen Konflikt auf.

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