Montag, 27. März 2017

Eine kalte Dusche (Ralph Hartmann)


Das internationale Geschehen bietet immer wieder Überraschungen. Der Klassiker des deutschen Humors, Wilhelm Busch, hat es in die einfachen Worte gefasst: »Stets findet Überraschung statt. Da, wo man’s nicht erwartet hat.« Im Moskauer Kreml hatte man ganz sicher nicht erwartet, was in jüngster Vergangenheit aus Washington herüberschallte. Es kam aber auch dicke. »Die Krim wurde unter der Obama-Administration von Russland eingenommen. War Obama zu mild gegenüber Russland?« twitterte US-Präsident Donald Trump. Zuvor hatte der Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, laut dpa wortwörtlich erklärt: »Präsident Trump hat sehr deutlich gemacht, dass er von der russischen Regierung erwartet, dass sie die Gewalt in der Ukraine deeskaliert und die Krim zurückgibt.« Solange das nicht geschehen sei, würden die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten. Zugleich betonte er, Präsident Trump vertrete eine »harte« Position gegenüber Moskau.

Auf die dummdreiste Forderung reagierte Moskau barsch und kurz. »Was die Rückgabe der Krim betrifft, so wird dieses Thema nicht diskutiert, weil es nicht diskutiert werden kann. Russland verhandelt nicht mit ausländischen Partnern über Fragen zu seinem Territorium«, erklärte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow. Von »überhöhten Erwartungen« Moskaus an Trump sprach der Chef des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, Leonid Sluzki. Derartige Äußerungen aus dem Weißen Haus kühlen diese Erwartungen »wie eine kalte Dusche« ab. (zitiert nach https://de.sputniknews.com)

In den USA, in der Bundesrepublik und in den meisten NATO-Staaten wird die territoriale Zugehörigkeit der Schwarzmeerhalbinsel zur Russischen Föderation noch immer in Frage gestellt und unverdrossen von einer »Annexion«, also von einer gewaltsamen Einverleibung, gesprochen. Die herrschenden Kreise und ihre Medien verschließen die Augen vor den Tatsachen, die nicht oft genug, wenn auch in aller Kürze, wiederholt werden können und müssen:
Die Krim war seit den Zeiten der Zarin Katharina I., der Großen, 171 Jahre lang integraler Bestandteil des Russischen Reiches und später der russischen Sowjetrepublik. Erst im Februar 1954 »schenkte« der damalige Kreml-Chef, der Ukrainer Chruschtschow, die russische Halbinsel seinem Heimatland, der ukrainischen Sowjetrepublik. Die Eingliederung der mehrheitlich von Russen bevölkerten Krim erfolgte ohne Referendum, sie verstieß gegen die Verfassung der UdSSR von 1936. Nach der Auflösung der Sowjetunion am 21. Dezember 1991 blieb die »verschenkte« Halbinsel dank des präsidialen Schluckspechts Boris Jelzin als autonome Republik Bestandteil der nunmehr unabhängigen Ukraine. Nach dem im Februar 2014 stattgefundenen, von den USA und der BRD massiv unterstützten Staatsstreich übernahmen russlandfeindliche, prowestliche Oligarchen im Bündnis mit starken faschistoiden Kräften die Macht in Kiew. Der Putsch und die Hinwendung der neuen Machthaber zu EU und NATO stießen unter den Bewohnern der Krim auf entschiedene Ablehnung, worauf das Regionalparlament unter Berufung auf das Recht auf Selbstbestimmung die Abtrennung von der Ukraine und die Durchführung eines Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation beschloss. In der am 16. März 2014 unter dem Schutz der auf der Halbinsel stationierten russischen Militäreinheiten stattgefundenen Volksbefragung stimmte bei einer Wahlbeteiligung von über 83 Prozent eine überwältigende Mehrheit von über 95 Prozent für eine Wiedervereinigung mit Russland. Wenig später nahm die Duma in Moskau den Vertrag zur Aufnahme der Krim in die Russische Föderation an. In dem gesamten Prozess der Sezession und der Wiedervereinigung mit Russland fiel kein einziger Schuss. Eine derartige »Annexion« hat es in der Weltgeschichte bis dato nicht gegeben.

Die Erfüllung der Forderung nach Rückgabe der Halbinsel an die Ukraine würde bedeuten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Krimbewohner missachtet würde. Ganz zu schweigen von den fatalen Auswirkungen auf die Sicherheitsinteressen der russischen Föderation. Allein schon die Vorstellung, dass Russland den außerordentlich wichtigen Marinestützpunkt in Sewastopol in Frage stellt und es zulässt, dass letztendlich die NATO ihren Einflussbereich auf die Krim ausweitet und konventionelle oder gar atomare Waffen in Stellung bringt, ist irrig. Ebenso schwachsinnig ist die Vorstellung, dass die im Juli 2014 geäußerte Drohung des damaligen ukrainischen Verteidigungsminister Waleri Geletej, die »Siegesparade in Sewastopol« abzuhalten, schaurige Realität würde.

Anzunehmen ist, dass US-Präsident Trump von der Geschichte der Krim nicht den blassesten Schimmer hat. Nicht einmal auszuschließen ist, dass der Immobilienmilliardär sich die Rückgabe der Halbinsel wie den eigenen Verzicht auf sein luxuriöses Ferienresort Mar-A-Lago in Palm Beach in Florida vorstellt. Selbst wenn er die historischen und tatsächlichen völkerrechtlichen Zusammenhänge kennen und respektieren würde, bliebe es fraglich, dass er seine jetzt geäußerte Haltung kurzfristig aufgeben würde. Zu groß, ja zu gefährlich ist der Druck, den die US-amerikanischen Medien, die Geheimdienste, die Wahlverlierer der Demokraten und nicht zuletzt Republikaner vom Schlage des kriegsgeilen Senators McCain auf ihn nach dem erzwungen Rücktritt des Sicherheitsberaters Michael Flynn ausüben. Hinzu kommt, dass der geschäftstüchtige, mit allen Wassern gewaschene Immobilien-Milliardär im Hinblick auf einen später möglichen »Deal« mit Putin möglicherweise der Versuchung erlag, mit dem unrealistischen Verlangen nach Rückgabe der Krim den Preis für Zugeständnisse Washingtons in die Höhe zu treiben; frei nach der Krämerdevise: Wenn du willst, dass wir auf unsere Forderung verzichten, dann musst du uns in anderen Fragen weit entgegenkommen. Noch weiß niemand, wie dieses riskante, brandgefährliche Spiel ausgehen wird. Ob es uns gefällt oder auch nicht, vieles hängt zurzeit von dem unberechenbaren neuen Herrn im Weißen Haus ab, der nach seinem Aufstieg offenbar glaubt, letztlich doch omnipotent zu sein. Das bringt uns auf den eingangs schon erwähnten guten alten Wilhelm Busch zurück, der, wie Conrad Taler jüngst in Ossietzky 4/2017 erinnerte, einst reimte: »Wenn einer, der mit Mühe kaum, geklettert ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vöglein wär, so irrt sich der.«

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