Mittwoch, 6. Januar 2016

Mexiko: Morde senken Lebenserwartung

 

Drogenkriege, Entführungen und grausige Leichenfunde: In Mexiko regiert die Gewalt. Die hohen Mordraten schlagen sich mittlerweile auch in der Lebenserwartung der Mexikaner nieder. Sie nimmt erstmals seit Jahrzehnten wieder ab.
ORF vom 06.01.2016.
Vor zwei Jahren erschien im Fachblatt "The Lancet" eine Studie mit recht optimistischem Resümee. Die Lebenserwartung sei von 1990 bis 2013 weltweit um sechs Jahre gestiegen, hieß es da. In den reichen Ländern deshalb, weil die Todesraten bei Krebs und Herzkreislauferkrankungen gefallen seien. Und in ärmeren Ländern, weil man Infektionskrankheiten immer besser in den Griff bekomme.
Die Diagnose gilt auch für Mexiko. Beziehungsweise wäre es korrekter zu sagen: Sie galt. 60 Jahre lang stieg in dem lateinamerikanischen Land die Lebenserwartung an - um die Jahrtausendwende begann sie plötzlich zu stagnieren.
Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint. Denn just in dieser Zeit hatte sich die medizinische Versorgung in Mexiko deutlich verbessert, unter anderem durch die Einführung einer Gesundheitsversicherung für die gesamte Bevölkerung.

"Gewalt hat das Land erfasst"

Wie Forscher um Hiram Beltrán-Sánchez im Journal "Health Services" berichten, ist die Trendumkehr auch nicht dem Gesundheitssystem anzulasten. Sie ist vielmehr gewaltsamer Art: 2005 gab es in Mexiko 9,5 Mordopfer unter 100.000 Todesfällen, 2010 war die Mordrate auf 22 gestiegen - eine Verdoppelung in nur fünf Jahren. Mittlerweile liegt sie bei 25.
"Die Gewalt hat das ganze Land erfasst", sagt Studienleiter Beltrán-Sánchez von der University of California in L.A. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Mordraten großen Einfluss auf die durchschnittliche Lebenserwartung haben."
Das gilt den Statistiken zufolge insbesondere für Männer: In den Bundesstaaten Chihuahua, Sinaloa und Durango - drei Staaten, die vom Drogenkrieg im Lande besonders betroffen sind - sank die Lebenserwartung zwischen 2005 und 2010 um drei Jahre.
In geringerem Ausmaß trifft das auch auf Frauen zu. In Chihuahua etwa ist deren Lebenserwartung nun im Schnitt sechs Monate geringer als es 2005 der Fall war.

Eskalation im Jahr 2006

Über die politischen Ursachen dieses Flächenbrandes äußern sich die Autoren der Studie nur spärlich. Dass der damalige Präsident Felipe Calderon den mächtigen Drogenkartellen im Jahr 2006 den Krieg erklärt hat, dürfte wohl eine davon sein. Die Kartelle reagierten auf die staatliche Attacke mit Gegengewalt, woraufhin die Lage eskalierte. Seitdem vergeht kein Monat, da die Medien nicht über Leichenfunde und blutige Fehden zwischen Banden berichten.
Wobei bisweilen unklar bleibt, wo die Front zwischen Gut und Böse verläuft. Die Polizei Mexikos ist korrupt, dem Anschein nach kämpft nun jeder gegen jeden: Erst im Dezember wurden im Bundesstaat Guerrero 17 zum Teil verbrannte Leichen in einer Schlucht nahe dem Dorf Chichihualco gefunden. Ihre Identität ist bislang ungeklärt.
Vorletztes Jahr verschwanden im gleichen Bundesstaat 43 Lehramtsstudenten. Laut Justizangaben wurden sie von Polizisten und Beamten entführt und an die Drogenbande Guerreros Unidos ausgeliefert. Bandenmitglieder gaben an, die Studenten seien auf einer Müllkippe ermordet und verbrannt worden.

Noch mehr Morde in Honduras

Wie José Aborto, einer der Studienautoren, im Gespräch mit science.ORF.at hinweist, ist die Situation anderen Ländern Lateinamerikas ähnlich - in manchen sogar noch schlimmer. "2012 kamen in El Salvador 41 von 100.000 Menschen durch Morde um. In Honduras waren es sogar 90."
Aborto erwartet, dass die Gewalt auch in der Demografie dieser Länder Spuren hinterlassen hat. Das will der mexikanische Forscher in seinem nächsten Forschungsprojekt untersuchen.
Robert Czepel, science.ORF.at
URL: http://science.orf.at/stories/1766017/




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