Im Mai 2020 jährt sich der Tag der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus zum 75. Mal. Für die Bundesregierung von CDU, CSU und SPD könnte das Ansporn sein, eine Absichtserklärung mit Leben zu erfüllen. In ihrer Koalitionsvereinbarung heißt es: »Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn.« Damit hat die Bundesregierung zumindest anerkannt, dass es eine große Lücke in der (west)deutschen Aufarbeitung der Verbrechen des Hitlerregimes klafft: Nämlich derjenigen, die an den Völkern der Sowjetunion, Polens und anderer osteuropäischer Länder verübt wurden.
Jetzt liegt ein Vorschlag vor, wie ein angemessenes Erinnern aussehen könnte - und zwar einer, der Einwände der Regierungsparteien, aber auch von FDP und Grünen gegen einen zentralen Erinnerungsort für alle Opfer dieses rassistisch grundierten Mordfeldzugs berücksichtigt. Einen solchen hatte die LINKE bereits im Oktober 2018 gefordert. Über ihren Antrag hatte der Bundestag am 31. Januar debattiert. Abgeordnete aller Parteien hatten die Initiative abgelehnt. Am häufigsten wurde eingewandt, ein zentraler Ort werde den Bedürfnissen der Menschen in den nach 1990 »neu erstandenen Nationen« und in Polen nicht gerecht. Nötig sei »individuelle Würdigung« der verschiedenen Opfergruppen.
Die Historiker Peter Jahn und Martin Aust sowie der SPD-Politiker Markus Meckel haben nun ein Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie die Schaffung eines »Ortes der Information, des Dialoges und des Gedenkens« anregen. Dieser solle zugleich Stätte des Austauschs mit Historikern aus Polen und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sein und »Räume für gruppenspezifisches Gedenken umfassen«.
Jahn war 1995 bis 2006 Leiter des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst. Bereits 2013 gründete er eine Initiative für einen Gedenkort für die »Opfer der NS-Lebensraumpolitik«. Florian Wieler von der Initiative sagte »nd«, Meckel habe das Papier in die SPD-Bundestagsfraktion getragen. Nun bleibe abzuwarten, ob der Vorschlag aufgegriffen werde. Markus Meckel selbst war am Mittwoch für »nd« nicht zu erreichen.
Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN, der im Januar in einer engagierten Rede den Antrag seiner Fraktion begründet hatte, begrüßt den Vorstoß von Meckel, Jahn und Aust. Er stimme mit den Verfassern des Eckpunktepapiers darin überein, dass am Erinnerungsort vor allem die »deutsche Verbrechensgeschichte, also die Täterseite« dargestellt werden und die »Auseinandersetzung mit der rassistischen Lebensraumideologie befördert werden« solle, sagte Korte »nd«. Diese Stätte könne aber nur im Dialog mit den verschiedenen Opfergruppen und Vertretern der betroffenen Länder geschaffen werden.
Korte hofft, dass durch das Positionspapier eine breite Debatte über das Thema in Gang kommt und so der Druck auf die Koalition erhöht wird. »Die SPD sollte eigentlich größeres Interesse daran haben, dass die Vereinbarung im Koalitionsvertrag endlich umgesetzt wird«, meint der LINKE-Politiker. Seine Fraktion sei offen für Gespräche, »die dazu führen, dass der NS-Vernichtungskrieg aus dem Erinnerungsschatten geholt und seinen Millionen Opfern in Osteuropa endlich würdig gedacht wird«.
Ende vergangener Woche trat unterdessen eine fünfköpfige Parlamentariergruppe um CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak mit der Forderung an die Öffentlichkeit, einen separaten Gedenkort für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs »an prominenter Stelle in Berlin« zu schaffen. Die Abgeordneten, zu denen auch der LINKE-Politiker Thomas Nord gehört, riefen dazu in einen gemeinsamen Gastbeitrag für den »Tagesspiegel« auf. Anlass des Vorstoßes ist der bevorstehende 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen