Liga für die Fünfte Internationale, 25.1.2019, Infomail 1039, 26. Januar 2019
Der Machtkampf hat in Venezuela eine neue Phase erreicht. Es wird wahrscheinlich ein entscheidender Punkt sein. Am Mittwoch, dem 23. Januar, rief sich Juan Guaidó, bisher Vorsitzender des rechts dominierten Parlaments, bei einer Massenkundgebung der Oppositionskräfte zum Interimspräsidenten des Landes aus. Donald Trump und die US-Regierung erklärten innerhalb weniger Minuten ihre Unterstützung für diesen selbsternannten Präsidenten und erkannten ihn als den einzigen legitimen Vertreter des Landes an.
„Ich werde weiterhin das volle Gewicht der wirtschaftlichen und diplomatischen Macht der Vereinigten Staaten nutzen, um auf die Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela zu drängen“, verlas der US-Präsident aus einer vorbereiteten Erklärung.
Dies war natürlich nicht nur eine Bestätigung des Kampfes der rechten Opposition, Präsident Nicolás Maduro zu stürzen und die politische Macht zu übernehmen, sondern auch ein Aufruf an die venezolanischen Streitkräfte, sich gegen das bolivarische Regime zu erheben und durch einen Putsch die „Demokratie wiederherzustellen“.
Kein Wunder, dass so illustre DemokratInnen wie der halbfaschistische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der neoliberale argentinische Präsident Mauricio Macri oder der rechtskonservative kolumbianische Präsident Iván Duque in diesen Chor einfielen. Imperialistische Demokratien wie Kanada, der Präsident des Europäischen Rates der EU, Donald Tusk, und seine Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, folgten schnell der Führung durch die USA. Obwohl es ihnen nicht gelungen ist, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu erpressen, diesem Beispiel zu folgen, haben sie 12 lateinamerikanische Staaten dafür gewonnen, eine Erklärung abzugeben, dass sie Maduro nicht als Präsidenten Venezuelas anerkennen.
Einige Länder, Kuba, China, die Türkei, Russland und Nicaragua, haben die Machtgelüste der Rechten abgelehnt, aber China, Russland und die Türkei haben dies eindeutig für ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen getan. Ausgerechnet von ihnen kommt die Ablehnung der „Einmischung in andere Länder“ wie eine heuchlerische und zynische Farce daher.
Kein Wunder, dass diese selbsternannten VerteidigerInnen der nationalen Souveränität wenig Resonanz unter den Massen der Welt finden werden. Noch wichtiger ist, dass sie nichts tun werden, um den venezolanischen Massen, den ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen des Landes zu helfen, ihre Errungenschaften aus dem ersten Jahrzehnt der „Bolivarischen Revolution“ zu verteidigen.
Nicht minder absurd sind Versuche von Ländern wie Mexiko und Spanien, als Vermittler zwischen der Regierung Maduro, der Opposition und deren imperialistischen UnterstützerInnen zu fungieren. Nur IdiotInnen können glauben, dass die venezolanische Opposition, die einen umfassenden Kampf um die Absetzung Maduros und die Errichtung eines Pro-US-Regimes eröffnet hat, geschweige denn Trump selbst, den Putsch in seinen entscheidenden Tagen zu stoppen aufrufen würden. Nur wenn sie ihr Ziel verfehlen, könnten sie versuchen, solche VermittlerInnen einzusetzen, um eine „Übergangszeit“ einzuleiten, aber nur, um am Verhandlungstisch zu gewinnen, was sie auf der Straße nicht erzwingen konnten.
Die entscheidende Frage für die Opposition ist im Moment nicht „Demokratie“, sondern ob sie die Loyalität der Armee zum Regime brechen kann. Verliert Maduro die Unterstützung der Generäle oder das Oberkommando selbst die Kontrolle über wichtige Teile der Armee, würde dies zu einem mehr oder weniger blutigen Sturz des Präsidenten oder aber zu einem Bürgerkrieg führen. Zu diesem Zeitpunkt wären die USA eindeutig bereit, entweder offen selbst unter Vorwänden wie der „Verteidigung“ ihrer Botschaft oder ihrer Staatsangehörigen, durch militärische Unterstützung der Opposition oder Hilfe bei der Intervention ihrer brasilianischen oder kolumbianischen Verbündeten einzugreifen. Die kommenden Tage dürften entscheidend für die zukünftige Entwicklung sein.
Kämpft gegen die Rechte, aber keine Illusionen in Maduro!
Mit dem Ziel, Maduro zu stürzen, versucht die Rechte eindeutig, die derzeitige wirtschaftliche, soziale und politische Krise des bolivarischen Regimes zu nutzen. In den letzten Jahren wurde Venezuela von negativen internationalen Wirtschaftsentwicklungen wie sinkenden Ölpreisen und steigenden Schulden getroffen. Die verzweifelten Maßnahmen der Regierung haben die Situation verschlimmert und es der „bolivarischen“ Bourgeoisie, den BürokratInnen und VermittlerInnen ermöglicht, sich zu bereichern, während die Massen verarmt sind.
Die Hyperinflation hat die nationale Währung praktisch wertlos gemacht. Sie hat den Massen die Möglichkeit genommen, für ihre Lebensbedürfnisse zu bezahlen, abgesehen von den wenigen mit Zugang zu Fremdwährungen. Sie hat die Geschäfte leer gelassen. Kein Wunder, dass die rechte, pro-amerikanische Opposition in der Lage war, Teile der verarmten Massen um sich zu sammeln, obwohl die westlichen Pro-Putsch-Medien diese Unterstützung durchaus überbewerten dürften.
Als die wirtschaftliche und politische Lage immer prekärer wurde, wandte sich Maduro der Repression und der Wahlmanipulation zu, weil unter Chávez keine wirkliche Demokratie geschaffen wurde, die auf Delegiertenräten von ArbeiterInnen, Armen und Bauern/Bäuerinnen basierte, und weil die Armee nicht durch eine Volksmiliz ersetzt wurde. So konnten die Massen selbst nicht handeln, die wirtschaftlichen und moralischen Grundlagen ihres Selbstbewusstseins wurden untergraben und die Opposition konnte über die besser gestellten Mittelschichten hinaus an Massenunterstützung zulegen.
Zusammen mit den Nachwirkungen der Weltfinanzkrise wurde damit die Utopie der „Bolivarischen Revolution“ auf grausame Weise enthüllt, eine Strategie, die auf dem Glauben beruht, dass es möglich sei, die Interessen des venezolanischen Großkapitals, das privilegierte Leben der städtischen Mittelschicht mit verbesserten Lebensstandards und kulturellen Bedingungen für die ArbeiterInnen, die Bauern/Bäuerinnen und die Armen über Sozialprogramme in Einklang zu bringen.
Bereits unter Chávez geriet dieses utopische „sozialistische“ Projekt in seine eigenen Widersprüche, unter Maduro wurde das Regime zu dem einer permanenten Krise. Im Gegenzug musste es seine eigene Macht zunehmend auf das Militär und die staatliche Bürokratie stützen und damit die eigene soziale Basis noch mehr untergraben. Politisch gesehen wurde sein diktatorischer Aspekt immer offener und er wandte sich auch gegen die linke bolivarische Opposition, indem es eine bonapartistische Präsidentschaft mit pseudodemokratischen Formen wie der selbst gewählten „konstituierenden Versammlung“ kombinierte.
Es ist zwar klar, dass sich die bolivarische Regierung und Maduro als unfähig erwiesen haben, Venezuela aus der aktuellen Krise zu führen, aber es wäre falsch und einseitig, nur ihre Inkompetenz und Korruption für die aktuelle Krise verantwortlich zu machen. Der Putschversuch ist Teil eines reaktionären Rollback in ganz Lateinamerika, wo die USA und wichtige Teile der nationalen Bourgeoisien allen reformistischen oder linkspopulistischen Regierungen den Krieg erklärt haben.
Ein Erfolg des Putsches von Guaidó würde weder den Armen noch den Massen in irgendeine Weise zugutekommen. Er würde nur ein weiteres rechtsgerichtetes Regime einführen, um die Macht der multinationalen US-Konzerne und der traditionellen Oligarchie wiederherzustellen. Es würde keines der sozialen Probleme lösen und sicherlich auch nicht die Abhängigkeit des Landes von Weltmarkt und Imperialismus in Frage stellen.
Der Putsch könnte die USA gegenüber ihren russischen und chinesischen RivalInnen stärken, die in Venezuela etwas Fuß gefasst haben und er würde das kubanische Regime weiter isolieren. Das ist natürlich die eigentliche Absicht des Weißen Hauses. Sicherlich wird jedes Regime, das durch einen erfolgreichen Putsch gebildet wurde, nicht „demokratisch“ sein. Vielmehr wird es alles in seiner Macht Stehende tun, um alle wirtschaftlichen, sozialen und organisatorischen Vorteile zu zerstören, die die Massen unter Chávez erlangt haben und die Maduro noch nicht einkassiert hat.
Deshalb sollten die ArbeiterInnenklasse, die Bauern und Bäuerinnen sowie die Armen in Venezuela den Putsch nicht unterstützen. Sie müssen ihn vielmehr bekämpfen, aber ohne Illusionen in Maduro und seine Politik. Sie müssen nämlich jede politische Unterstützung für sein katastrophales Programm zurückziehen.
Stattdessen müssen sie Sofortmaßnahmen fordern, damit sie einer US-Intervention oder der Armee trotzen können, wenn sie zur Unterstützung der Rechten übergeht. Sie müssen die Bewaffnung der ArbeiterInnen, der Bauern/Bäuerinnen und der Armen fordern, die einen von den USA gesponserten Putsch verhindern wollen!
Sie müssen auch Maßnahmen fordern und selbst Schritte unternehmen, um die Knappheit der lebenswichtigen Vorräte an Nahrungsmitteln, Treibstoffen und medizinischen Hilfsgütern anzugehen, um das brennende Problem des Hungers zu lösen, das vor allem durch die Sanktionen der USA und das Horten von Waren verursacht wird. Dies kann nur durch die Beschlagnahme des Besitzes der PrivatkapitalistInnen in diesem Bereich und durch die Schaffung direkter Verbindungen zwischen Stadt und Land erreicht werden.
Solche Schritte könnten natürlich nicht nur dazu beitragen, dem Putschversuch zu trotzen, sondern auch die politische und wirtschaftliche Krise zu bewältigen; die Notwendigkeit einer revolutionären Alternative zur bolivarischen Führung, der „Boli-Bourgeoisie“ und der Bürokratie anzupacken. Venezuela leidet nicht unter „zu viel Sozialismus“, sondern unter einem Mangel an sozialistischen Maßnahmen. Nur durch entschlossenes Handeln in diesem Bereich kann die Krise angegangen, ein Notfallplan unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und Massen durchgesetzt und eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung geschaffen werden.
Internationale Solidarität
Angesichts der Einmischung durch die USA und ihre Verbündeten dürfen die ArbeiterInnenklasse und die Linke international nicht beiseitestehen. Sie müssen sich gegen die Unterstützung der Konterrevolution in Venezuela durch die ImperialistInnen und andere reaktionäre Regime auflehnen.
Sie müssen Proteste gegen den Putsch und Solidaritätsaktionen organisieren. Sie müssen die gesamte ArbeiterInnenbewegung unter den Slogans „Hände weg von Venezuela! Nieder mit dem von den USA unterstützten Putsch!“ vereinen.
Sie müssen den vollständigen Erlass der Auslandsschulden Venezuelas fordern und sich jeder Anerkennung des „Interimspräsidenten“ oder der Hilfe für die rechte Opposition widersetzen!
Die Bedeutung der Entwicklung in Venezuela für die internationale ArbeiterInnenbewegung darf nicht unterschätzt werden. Auch wenn sie Maduro und seinem Regime keine politische Unterstützung gewährt, muss sie anerkennen, dass dessen Sturz durch die rechte Opposition eine Niederlage nicht nur für einen korrupten, „linken“ Bonapartismus, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse und die Masse der Bevölkerung bedeuten würde. Er wäre ein weiterer Sieg für die extreme Rechte, den Neoliberalismus und den US-Imperialismus und sicherlich ein großer Schritt in Richtung weiterer solcher Versuche in Ländern wie Bolivien oder Kuba.
Ein Sieg der Kräfte der Reaktion würde nicht nur Maduro verdrängen. Es wäre ein Putsch gegen die ArbeiterInnenklasse und die Masse der Bevölkerung mit dem Ziel, eine Lösung der venezolanischen Krise zu ihren Gunsten zu verhindern.
Die Katastrophe des „Bolivarianismus“ beweist die Notwendigkeit, sich einer echten revolutionären Perspektive zuzuwenden, die die Enteignung der großen KapitalistInnen, den Ersatz der stehenden Armee durch eine Miliz der werktätigen Massen und eine Planwirtschaft unter der Leitung der ArbeiterInnen umfasst. Es braucht, kurz gesagt, die Perspektive der permanenten Revolution, die auch die Ausbreitung dieser Revolution auf alle Länder der Region und darüber hinaus einschließt.
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