Seit der Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul Anfang Oktober 2018 bröckelt das Bild des Kronprinzen Mohamed Bin Salman (MBS) als Modernisierer und Reformer des Landes. Der dadurch entstandene öffentliche Druck hat zahlreiche Akteure aus der Politik und Wirtschaft in Zugzwang gebracht. Sogar der US Senat machte im Dezember 2018 MBS für den Mord verantwortlich und forderte die Beendigung der US-amerikanischen Unterstützung für die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition und deren Kriegseinsatz in Jemen.[1] Es ist erstaunlich, dass dieser grausame Mord an einer Einzelperson ausschlaggebend für die weltweite Empörung war und nicht etwa die Rolle Saudi Arabiens im seit 2015 währenden Krieg in Jemen, der die schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit geschaffen hat.
Die aktuelle Lage in Jemen
Nach Schätzungen der NGO Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) wurden in dem Zeitraum von Januar 2016 bis November 2018 mehr als 60.223 Menschen durch den Krieg in Jemen getötet. Im Jahr 2018 stieg die Zahl der Kriegsopfer mit 28.182 im Vergleich zum Vorjahr um ganze 68% – in der umkämpften jemenitischen Hafenstadt Hodeidah, die zugleich das Eingangstor für 70% der Hilfsgüterlieferungen in Jemen ist, kamen 2018 alleine 37% der zivilen Opfer ums Leben.[2] Ein Großteil starb durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Militärkoalition. Abgesehen von den tödlichen Kriegshandlungen hat auch die von Saudi Arabien durchgesetzte See-, Luft- und Landblockade sowie die systematische Zerstörung der Versorgungsinfrastruktur tödliche Folgen: Laut Save the Children starben zwischen April 2015 und Oktober 2018 mehr als 85.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger bzw. durch Unterernährung geschwächt an Krankheiten.[3] Aufgrund der vermutlich unerwarteten Länge des Krieges gerät die Militärkoalition einerseits in Finanzierungsschwierigkeiten des Krieges und andererseits fehlen ihr zunehmend Soldat_innen. Gelöst wird diese Schwierigkeit durch das Rekrutieren in anderen Staaten. Zu diesen zählt neben Pakistan und Eritrea auch der Sudan. In der vom Bürgerkrieg zerrütteten Region Darfur drängen die Armut und Perspektivlosigkeit einige Familien dazu, Milizen zu bestechen, um die eigenen Söhne in ihre Ränge aufzunehmen, um somit ein Einkommen für die Familie zu sichern. Laut New York Times sollen in den letzten Jahren im Schnitt 14.000 sudanesische Soldaten in Jemen kämpfen und von diesen seien laut Angaben zurückgekehrter Kämpfer etwa 20-40% minderjährig. Hunderte seien mittlerweile bei den Kämpfen gestorben.[4] Auch der Senegal hat im Laufe des Krieges mindestens 2.000 Kämpfer_innen geschickt und im Gegenzug saudische Finanzierungshilfe für Entwicklungsprojekte in Aussicht gestellt bekommen.
Halbherziger Exportstopp
Im Oktober 2018 kündigte Bundeskanzlerin Merkel an, keine Waffenexporte nach Saudi Arabien mehr zu genehmigen. Eigentlich war dies bereits in den Sondierungsgesprächen beschlossene Sache, doch schon der Koalitionsvertrag schwächte die von SPD und CDU formulierte Absicht ab, keine Waffen mehr an Staaten zu liefern, die am Jemenkrieg beteiligt sind: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.“[5] Das hielt die Bundesregierung nicht davon ab, im Jahr 2018 Exportgenehmigungen im Wert von 416 Millionen Euro an Saudi Arabien zu erteilen, wodurch das Königreich auf Platz vier der größten Importeure deutscher Rüstungsgüter landete.[6]
Im Endeffekt ist der Ausfuhrstopp mehr Schein als Sein: er ist rechtlich nicht bindend, auf vorerst nur zwei Monate beschränkt und letztlich werden die bestellten Rüstungsgüter für Saudi Arabien weiter gebaut oder warten fertig produziert auf die Ausfuhrgenehmigung, die vermutlich erteilt wird, sobald etwas Gras über den Mord gewachsen ist.[7] Zudem ist der kurzweilige Exportstopp alles andere als umfassend: So hindert er zum Beispiel den Rüstungskonzern Rheinmetall nicht daran, weiter Munition über die Tochterunternehmen RWM Italia S.p.A. auf Sardinien und Rheinmetall Denel Ltd in Südafrika an MBS zu liefern, welche laut Rheinmetall-Vorstand Helmut Merch einen jährlichen Wert von über hundert Millionen Euro umfassen.[8] Auch Komponentenlieferungen über Großbritannien und Frankreich für europäische Rüstungsprojekte wie den Eurofighter laufen weiter und die Bundesregierung versucht in keiner Weise die Partnerländer vom Verkauf der Kampfjets an Saudi Arabien abzuhalten.[9] Auch hier greifen weder der halbherzige Lieferstopp noch der Koalitionsvertrag, in dem es bereits hieß: „Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden.“[10] Damit reiht sich der Ausfuhrstopp als weitere Farce in die vorangegangenen Versprechungen einer Restriktion der Waffenexporte an Kriegsakteure in Jemen ein. Ende Januar wird entschieden, ob der Ausfuhrstopp verlängert wird. Es bleibt abzuwarten, welche Entscheidung getroffen wird. Bereits am 2. Januar 2019 hat die Bundesregierung erneut einen Waffenexport an Ägypten genehmigt: eine Fregatte des Typs Meko 200 von ThyssenKrupp im Wert von 500 Mio €.[11] Damit verstößt die Bundesregierung erneut gegen den eigenen Entschluss, keine weiteren Waffenexporte an Staaten, die sich am Jemenkrieg beteiligen, zu liefern und lässt vermuten, dass der politische Wille den Krieg nicht weiter mit Waffen zu befeuern, auch dieses Jahr nicht von selbst kommen wird.
Vision 2030 und deutsche Manager in Riad
Mit dem Plan Vision 2030 beabsichtigt MBS die Wirtschaft Saudi-Arabiens zu diversifizieren und zu modernisieren. Verheißende Aufträge in Milliardenhöhe werden an internationale Unternehmen vergeben. Eines dieser Projekte ist der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie: Saudi Arabia Military Industries (SAMI). Der ehemalige Rheinmetall-Manager Andreas Schwer ist dort als CEO in leitender Funktion tätig. Alleine ist er dort nicht: Wie der Stern und das ARD-Magazin Report München berichten, sind etwa ein Dutzend Deutsche bei SAMI involviert, darunter drei weitere ehemalige Manager von Rheinmetall.[12] Der ehemalige Siemens-Manager Klaus Kleinfeld ist mittlerweile Berater des Kronprinzen und war zuvor als CEO zuständig für die Leitung des Megaprojekts NEOM, der Schaffung einer Megacity im Wert von 500 Milliarden Dollar. Nach der Ermordung Khashoggis drängte die internationale Empörung und der öffentliche Druck auch zahlreiche Akteure aus der Wirtschaft dazu, sich von Saudi Arabien zumindest kurzfristig zu distanzieren. Zunächst sprangen viele Unternehmen bei der im Oktober 2018 stattgefundenen Investorenkonferenz ab: JP Morgan, Credit Suisse, Blackstone, Deutsche Bank und zuletzt Siemens. Nichtsdestotrotz reiste der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joseph Käser nur einen Monat später nach Dammam zur Konferenz »In-Kingdom Total Value Add« (IKTVA) für Zulieferer von Saudi Aramco. Siemens baut unter anderem ein Gaskraftwerk und zwei fahrerlose U-Bahnlinien in Riad, welches das Unternehmen selbst als größtes Metroprojekt weltweit betitelt. Deutlich zeigt sich, dass auch die Wirtschaft ohne öffentlichen Druck an den profitversprechenden Aufträgen aus Saudi Arabien weiterhin festhält. Auch die Berliner Kommunikationsagentur WMP Eurocom AG, kündigte nach dem Mord an Khashoggi an, Dieter Heller, der noch im Sommer 2018 deutscher Botschafter in Saudi Arabien war, werde nun als Berater für die Agentur tätig sein. Erst nach der Veröffentlichung interner Dokumente durch die Bild am Sonntag im November 2018 beendete die Agentur die PR- und Lobbyarbeit Saudi Arabiens in Deutschland.[13] Die wirtschaftliche Zusammenarbeit dürfte sich potentiell weiter ausweiten, denn seit dem Jahr 2017 „gibt es Kontakte zwischen der Europäischen Kommission und dem Golfkooperationsrat zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu technischen Fragen und der Aktualisierung der rechtlichen Grundlagen von EU-Freihandelsabkommen.“[14] Auch hiermit erfolgt eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU, einschließlich der Bundesrepublik, und den Kriegsparteien Saudi Arabien, Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ende der Kooperation
Um Druck auf den Kronprinzen MBS auszuüben und die eigene indirekte Beteiligung am desaströsen Jemen-Krieg zu beenden, müsste die Bundesregierung zeigen, dass sie die verheerende Außen- und Innenpolitik Saudi-Arabiens ablehnt. Doch im September 2018 kündigte der amtierende Außenminister Heiko Maas an, den Dialog mit dem Königreich wieder aufnehmen und die Beziehungen vertiefen zu wollen. Saudi-Arabien, so Maas, spiele eine wichtige Rolle „für Frieden und Stabilität in der Region und auch in der Welt“.[15]
Neben dem unzureichenden und eher kosmetischen Ausfuhrstopp führt die Bundesregierung weiterhin die Ausbildung und „Unterstützung bei der Modernisierung des saudi-arabischen Grenzschutzes“ fort, die der Bundesregierung zufolge „Teil einer bilateralen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“ ist: Sogenannte Sichere Grenzen seien „eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Terrorismusbekämpfung in der gesamten Region“.[16] Auch die militärische Zusammenarbeit besteht weiter fort: Sieben Offiziersanwärter der saudischen Streitkräfte nehmen zur Zeit in Deutschland an einem Sprachkurs teil, um in den kommenden Monaten ihre Offiziersausbildung an der Führungsakademie in Hamburg anzutreten. Das ist keine Politik, die sich gegen Kriegsverbrechen stark macht, sondern eine, die versucht, so weiterzumachen wie bisher. Der Mord an Khashoggi stellt dennoch definitiv ein Imageproblem für Saudi-Arabien dar: Der Ruf von MBS wandelt sich vom „Visionär“ zum „Blutprinz“. Es bleibt zu hoffen, dass sich im Jahr 2019 öffentlicher Protest formiert, der lautstark eine sofortige Beendigung der wirtschaftlichen, militärischen und polizeilichen Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien einfordert.
Anmerkungen
[1] US-Senat beschuldigt offiziell Kronprinzen, tagesschau.de, 13.12.2018
[2] Yemen War death toll now exceeds 60,000 according to latest ACLED data, acleddata.com, 11.12.2018
[3] 85,000 Children May Have Died from Starvation Since Start of War, savethechildren.org, 20.11.2018
[4] David D. Kirkpatrick: On the Front Line of the Saudi War in Yemen. Child Soldiers From Darfur, nytimes.com, 28.12.2018
[6] Dpa: Rüstungsindustrie droht Regierung mit Schadenersatzforderung, tagesspiegel.de, 28.12.2018
[7] Matthias Gebauer: Lieferstopp nach Saudi-Arabien gilt nur für zwei Monate, spiegel.de, 23.11.2018
[9] Matthias Gebauer und Gerald Traufetter: Deutschland liefert über Umwege weiter nach Saudi-Arabien, spiegel.de, 12.12.2018
[11] Matthias Gebauer und Gerald Traufetter: Bundesregierung billigt Kriegsschiff-Lieferung an Ägypten, spiegel.de, 02.01.2019
[13] Beratungsagentur WMP beendet nach Khashoggi-Mord Saudi-Arabien-Mandat, handelsblatt.com, 26.11.2018
[14 ]Deutsche Unterstützung für Saudi-Arabien, Drucksache 19 /5882, 20.11.2018, S. 5
[16] Drucksache 19 /5882.
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