Freitag, 1. Februar 2019

„Militarisierung auf den Trümmern des Rechts“

Bereits 2020, verkündete unlängst eine sichtlich zufriedene Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, könne – selbstredend unter deutscher Ratspräsidentschaft – „Richtfest“ für die seit einiger Zeit im Aufbau befindliche „Europäische Verteidigungsunion“ (EVU) gefeiert werden (FR, 21.1.19). Neben der „Koordinierten Jährlichen Überprüfung der Verteidigung“ (CARD) sowie der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) ist dabei der „Europäische Verteidigungsfonds“ (EVF) als dritte tragende Säule der künftigen Verteidigungs- bzw. Rüstungsunion vorgesehen.
Insofern verwundert es nicht weiter, dass die Entscheidungsträger in Kommission, Parlament und den nationalen Regierungen wild entschlossen zu sein scheinen, das Vorhaben noch vor den Europawahlen im Mai 2019 zum Abschluss zu bringen. Allerdings gelangt ein kürzlich erstelltes Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Einrichtung es Fonds illegal wäre, weshalb eventuell noch die Möglichkeit besteht, das Vorhaben auf dem Klageweg doch noch zu Fall zu bringen.
Die Anbahnung des Rüstungsfonds
Lange war es aufgrund der vorherrschenden Auslegung von Artikel 41(2) des Vertrags von Lissabon nahezu unmöglich EU-Haushaltsgelder für die Finanzierung militärischer Belange heranzuziehen. Noch im April 2015 fassten die EU-Außenbeauftragte und die EU-Kommission die vorherrschende Meinung wie folgt zusammen: „Die Verträge schließen die Möglichkeit aus, Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen aus dem EU-Haushalt zu finanzieren (Artikel 41 Absatz 2 EUV).“ (JOIN(2015) 17)
Neben diversen Initiativen, mit denen man sich bei zivilen Töpfen bediente (siehe IMI-Studie 2016/03), geisterte die Idee, eine Art EU-Rüstungsforschungshaushalt aufzustellen, spätestens seit der Kommissionsmitteilung „Ein New Deal für die europäische Verteidigung“ aus dem Jahr 2014 durch die Gegend (COM(2014) 387). Anschließend berief EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska im März 2015 eine „Group of Personalities“, die prüfen sollte, inwieweit ein solcher Rüstungsforschungsetat zweckmäßig wäre. Da die Gruppe ausschließlich aus Rüstungslobbyisten und Militärpolitikern bestand, kam sie wenig überraschend in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten Bericht zu dem Ergebnis, dies sei unbedingt der Fall, auch hier ging es allerdings immer noch „nur“ um Forschung.
Als sich aber dann nach dem Brexit-Referendum im  Juni 2016 der EU-Abgang Großbritanniens abzeichnete, das bislang stets auf eine (relativ) strenge Auslegung von Artikel 41(2) gepocht hatte, brachen alle Dämme. Schon am 14. September 2016 preschte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union nach vorn und forderte einen Etat, der auch Kosten für die Entwicklung von Rüstungsgütern abdecken sollte. Im Dezember 2016 präsentierte seine Behörde dann mit dem Europäischen Verteidigungs-Aktionsplan (EDAP) erstmals Details, wie ein solcher „Europäischer Verteidigungsfonds“ aussehen könnte.
Milliardenfonds
Der ursprüngliche Verteidigungs-Aktionsplan sah ab 2021 je ein „Budgetfenster“ von jährlich 500 Mio. Euro für die Erforschung und eins von 1 Mrd. Euro (mit nationalen Hebesätzen um den Faktor fünf bis zu 5 Mrd.) jährlich für die Entwicklung von Rüstungsgütern vor. Diese Zahlen tauchten auch in einer nächsten Kommissionsmitteilung vom Juni 2017 auf, die weitere Details des möglichen künftigen Fonds enthielt (COM(2017) 295). Parallel schlug die Kommission vor, über Umschichtungen im EU-Haushalt einen abgespeckten Vorläufer namens „Europäisches Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ (EDIDP) mit einem Umfang von bis zu 2,59 Milliarden Euro für 2019 und 2020 einzurichten (90 Mio. für Rüstungsforschung und 500 Mio. für Entwicklung aus dem EU-Budget, der Rest durch den Hebesatz).
Im Juni 2018 stimmte das Europäische Parlament der Einrichtung des EDIDP zu und im selben Monat veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung (COM(2018) 476), die nun also allem Anschein nach noch vor Mai 2019 endgültig in Kraft treten soll. Die Verordnung übernahm erstmals im Mai 2018 von der EU-Kommission mit Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs 2021 bis 2027 vorgelegte Zahlen, mit denen noch einmal nachgelegt wurde (COM(2018) 98): Darin sind für den EVF für 2021 bis 2027 insgesamt 4,1 Milliarden Euro für die Erforschung und 8,9 Milliarden für die Entwicklung von Rüstungsgütern vorgesehen. Mit Hebesatz kann so ein Betrag von 48,6 Mrd. Euro zusammenkommen!
Illegaler Verteidigungsfonds
Die entscheidende Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie es die Kommission anstellt, den offensichtlichen Verstoß des EVF gegen Artikel 41(2) zu begründen. Grob zusammengefasst und vereinfacht wird dabei argumentiert, es handele sich hier nicht primär um Maßnahmen der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, auf die sich das Verbot beziehe, sondern sie dienten vorrangig der Forschungs- bzw. Wettbewerbsförderung. Und da für solche Zwecke EU-Haushaltsgelder verwendet werden dürften, sei der ganze Fonds auch rechtens, so die Kommissionsauffassung.
Aufgrund dieser dubiosen Auslegung beauftragte die Linksfraktion Gue/Ngl den Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem „Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds“, das am 30. November 2018 veröffentlicht wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung gelangt Fischer-Lescano in dem Gutachten zu dem Ergebnis, der Verordnungsvorschlag (VO) der Kommission enthalte „keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF).“ Es sei eindeutig, dass hier militärische Belange im Vordergrund stünden, die wiederum dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41(2) unterlägen: „Kurzum: Es gibt im Inhalt und der Begründung der EVF-VO deutliche Indizien, dass die in der VO geregelte Industrie- und Forschungsförderung nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck der Verteidigungsförderung darstellt und dass der Hauptzweck der EVF-VO darin liegt, die strategische Autonomie der EU im Bereich der Verteidigung zu gewährleisten.“
Unter anderem Spiegel Online (10.12.2018) griff das Gutachten auf und zitierte Fischer-Lescano mit den Worten, beim EVF handele es sich um eine „Militarisierung der EU auf den Trümmern des Rechts.“ Schützenhilfe erhält Fischer-Lescano auch vom Göttinger EU-Rechtler Alexander Thiele, der im selben Artikel zitiert wird, bei dem Kommissionsvorschlag handele es sich um einen „qualifizierten Verstoß“ gegen europäisches Recht.
Aktuell prüft die Linksfraktion im Bundestag, auf dieser Grundlage gerichtlich gegen den Fonds vorzugehen, insofern besteht noch ein wenig Hoffnung, dass zumindest eine der drei Säulen der künftigen Rüstungsunion ins Wanken geraten könnte.

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