Dienstag, 21. April 2015
Kommentar vom Hochblauen zum Gedicht von Günter Grass und dessen Folgen
Kollektive Oster/Pessach-Treibjagd ist eröffnet
Von Evelyn Hecht-Galinski
Quelle: NrhZ
Ist Deutschland eigentlich noch zu retten? Mir scheint, dass sich hier in unserem Land eine gefährliche, erschreckende und hoch ansteckende Krankheit verbreitet – der Virus der Duckmäuser und Nachplapperer. Hat es nicht Tradition, Dichter und Denker zu verdammen, oder sie in die Emigration zu schicken? Schrieb nicht ein großer Vorgänger von Günter Grass, nämlich Carl von Ossietzky sinngemäß, nicht wer den Dreck verursacht, sondern der, der auf den Dreck hinweist, wird verdammt.
Wurde Thomas Mann, als er endlich den Nazis widersprach und mit seiner jüdischen Frau emigrierte, nicht auch in Deutschland verleumdet? Auch er ein Literaturnobelpreisträger, dem man zuhörte und der dadurch eine besondere Gefahr darstellte. Und nun haben wir endlich wieder einen Literaturnobelpreisträger, dem man zuhört. Stellt er deshalb auch eine Gefahr dar? Möge er noch viele Gedichte schreiben, die uns aufrütteln und uns zum Nachdenken anregen! Schwieg er, wie viele andere Intellektuelle, nicht viel zu lange? Warum eigentlich?
Ich fragte mich immer mal wieder, warum schweigt die geistige Elite, wenn es um Israel geht? Warum stehen wir, die es wagen den Mund aufzumachen, so allein? Gerade Günter Grass, ein Idol meiner Jugend, von der Blechtrommel bis zu allen seinen Spätwerken, hielt sich in diesem Punkt immer sehr zurück. Grass zog zwar für die SPD in den Wahlkampf, die sich auch sehr gern mit ihm schmückte, aber ihn jetzt kalt abserviert.
Drei Zeitungen veröffentlichten sein unten stehendes Gedicht, nämlich – welche Überraschung! – die Süddeutsche Zeitung, The New York Times und La Republica aus Rom. Klar, ein Mann wie Günter Grass verspricht Auflage, also druckten sie sein Gedicht. Man kann ja danach immer noch über ihn herziehen und ihn verdammen. Der Feuilleton-Krieg ist jedenfalls eröffnet und wird auch über die Oster/Pessach-Tage der Auflage gut tun.
Kurz nach 6:00 Uhr gestern morgen hörte ich von dem Gedicht und war begeistert! Weniger begeistert, war ich, als ich hörte, wer der erste Treiber war, der zur Jagd blies. Der beutedeutsche Pornoverfasser. Klar, der versteht sich aufs Jagen, aber dem Literaturnobelpreisträger brüchige Verse vorzuwerfen, grenzt schon an Blasphemie. Wer hier zu Größenwahn neigt, lassen wir einmal dahingestellt, aber nicht Grass hat ein Problem mit Juden, sondern Broder mit den Deutschen. Grass ist keineswegs der Prototyp des gebildeten Antisemiten, sondern einer der wenigen deutschen Dichter und Denker in den Fußstapfen von Heine, Goethe, Schiller und Fried. Ach hätten wir doch mehr von diesem Kaliber! Sicher findet Grass seinen Seelenfrieden auch mit dem jüngsten Aufgebot eines Rumpelstilzchen und dessen schon an das Obszöne grenzenden Speiungen.
Der Brechreiz, der mich überkommt, wenn ich die wüsten Rundumschläge dieser Israel-Versteher und Pro Israel-Politiker aller Couleur lese, lässt mich ernsthaft zweifeln, ob es diese Vertreter ihrer Zunft verdient haben, noch mal gewählt zu werden. Wofür sitzen sie im Bundestag? Um ihre Versorgung durchzusitzen und uns als Bürger einfach zu vergessen? Wollen wir Israels Sicherheit als Staatsräson, wenn es Angriffskriege und Präventivschläge plant – alles natürlich im Namen der Selbstverteidigung? Israel – dank auch unserer und der US-Hilfe bis an die Zähne bewaffnet – ein Atomstaat, der den Weltfrieden bedroht. Kommt es wirklich zum Erstschlag gegen den Iran, werden auch wir da hineingezogen. Wollen wir das? Werden wir gefragt?
Endlich hat es Günter Grass ausgesprochen – nur Fakten, aber das ist schon zu viel. Israel, der jüdische Staat, instrumentalisiert den Begriff des Holocaust aufs Schändlichste und schämt sich nicht, im Angedenken der ermordeten Juden, alle Juden für seine Zwecke zu missbrauchen. Warum, so frage ich, geht nicht ein Aufschrei durch die Parteien und den Blätterwald, um Günter Grass zu unterstützen? Weil es immer wieder die Vermischung von Antisemitismus und Antizionismus gibt, durch die man es immer wieder schafft, allen Kritikern den Maulkorb zu verpassen. Mussten nicht schon so viele Intellektuelle Israel verlassen, weil ihnen dort die Lebensgrundlage entzogen wurde? Für das, was Günther Grass als Literaturnobelpreisträger sagen musste, gebührt ihm der FRIEDENSNOBELPREIS!
(PK
Was gesagt werden muss
Von Günter Grass
Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt ‘Antisemitismus’ ist geläufig.
Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.
Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.
Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.
Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.
Online-Flyer Nr. 348 vom 05.04.2012
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