Dienstag, 21. April 2015
Die Befreiung des KZs Buchenwald
Von Günter Ackermann
1999 war ich mit einer Gruppe, als Gäste einer PDS-Bundestagsabgeordneten, in Berlin. Anlässlich dieses Besuchs fuhren wir auch zur Gedenkstätte des KZ-Sachsenhausen. Wir wurden von einem Fremdenführer durchs Lager geführt.
Der Fremdenführer erzählte uns, dieses Lager sei von den Nationalsozialisten erreichtet worden, um rassisch und religiös Verfolgte zu inhaftieren. Kein Wort darüber, dass es vor allem Vertreter der Arbeiterbewegung waren. Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschafter, die in die KZs kamen Das war uns jetzt zu viel der Lüge und wir protestierten. Der Fremdenführer erklärte uns, dass sei auch seine Meinung, aber die Leitung der Gedenkstätte verlange es so. Er habe schon zu DDR-Zeiten Führungen hier gemacht, ab jetzt verwende er das, was er einst in der DDR gesagt habe. Jetzt auf einmal waren es vor allem politische Häftlinge im KZ – Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter, bürgerliche Demokraten – gegen die die Nazis die Konzentrationslager einrichteten. Natürlich waren auch die rassisch und religiös Verfolgten, die Juden, Zigeuner, Bibelforscher in den Konzentrationslagern. Die Fälschungen in Sachsenhausen gingen sogar soweit, dass man eine gestreifte Häftlingsuniform mit rotem Winkel (d.h. politischer Häftling) im Museum ausstellte – die Beschreibung zeichnete sie aber als die eines jüdischen Häftlings aus.
Kürzlich jährte sich zum 70.mal die Befreiung des größten KZ auf dem Boden des Reichsgebiets, des KZ Buchenwald bei Weimar. In allen Medien wurde darüber berichtet. Die Veranstalter der Gedenkfeier erblödeten sich allerdings und ließen den zwielichtigen Martin Schulz (Präsident des Europäischen Parlaments) die Gedenkrede halten. Schulz ist einer der übelsten Scharfmacher gegen Griechenland und in der Ukraine-Frage.
Ein Fernsehbericht über Buchenwald erwähnte, dass der SS-Arzt Ding-Schuler und sein kommunistischer Schreiber ein fast vertrauensvolles Verhältnis entwickelten. Der SS-Arzt habe den Häftling, als er von dessen geplanter Ermordung erfuhr, sogar zur Flucht aus dem KZ verholfen zu haben.
Das stimmt sogar. Nur war der Häftlingsschreiber des SS-Arztes kein Kommunist. Es war der spätere Chef des ARD-Magazins Panorama und Autor des Buches „Der SS-Staat“, Eugen Kogon – ein Linkskatholik.
Aber ich verstehe die Motivation des Journalisten im Solde des Kapitals, man kann es nur Kommunisten zutrauen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu einem SS-Arzt und Mörder aufgebaut zu haben. Die Kommunisten und die Nazis ähneln sich ja auch sehr, aber ein gläubiger Katholik doch nicht – aus der beschränkten Sicht des Journalisten jedenfalls.
Dennoch, der Häftling war Eugen Kogon. Dem gelang es sogar die Frontlinie zu überschreiten und im amerikanischen Hauptquartier über die Zustände im KZ zu berichten. Ob der SS-Arzt Ding-Schule das alles aus Rückversicherungsabsicht oder aus gewandelter Überzeugung tat, kann man nur spekulieren. Ding-Schule wäre kaum ohne Strafe davon gekommen, hatte er doch Menschenversuche mit Fleckfieber mit vielen Toten und Behinderten gemacht und auch Häftlinge mit der Spritze getötet – so den „Prediger von Buchenwald“ Pfarrer Paul Schneider.
Die politischen Häftlinge – ihr Kern, weil am besten organisiert, waren die Kommunisten. Zunächst waren die Kapo- und die anderen Funktionshäftlingsposten, von den Häftlingen mit grünen und schwarzen Winkeln an der Häftlingsunifom besetzt. Das waren die sog. Berufsverbrecher (grüne Winkel) und Aussiozialen (schwarze Winkel).
Diese Häftlinge beteiligten sich oft willig an den Verbrechen der SS, hatten aber für die SS einen Nachteil. Die alltägliche Organisation klappte sehr schlecht. Aber darauf kam es der SS verstärkt an, je größer das Lager wurde.
So langsam kamen die meisten Funktionshäftlingsposten in die Hände der „Roten Winkel“, also der politischen Häftlinge. Im Hintergrund wirkte das Internationale Lagerkomitee (ILK), das selbst nicht offen in Erscheinung trat. Der Weg um an die wichtigen Funktionen zu kommen – Lagerältester, dessen Vertreter und Schreiber, Blockältester und Schreiber und andere Kapoposten, ging nur über die SS. Wenn man einen BVler, der z.B. Blockältester war und die Funktion dazu missbrauchte. sich an den Verbrechen der SS zu beteiligen, so endete das zwar oft mit dem Tod des BVlers, aber wenn diese Posten von Politischen ausgeführt wurden, bestand die Gewissheit, dass diese sich nicht an den Verbrechen der SS beteiligen. Wenn also ein Handlanger der SS „durch den Kamin“ ging und an dessen Stelle ein Politischer trat, so bedeutete das in dessen Bereich, dass sich ein Mindestmaß an Humanität durchsetzte und das Leben der Häftlinge etwas erträglicher wurde.
Mit der Zeit waren fast alle wichtigen Häftlingsfunktionen, aber auch die der Handwerker, von politischen Häftlingen besetzt. Auf diese Art gelang es den Häftlingen sich illegal Radioempfang zu beschaffen und wussten genau, wie der Frontverlauf war. Oder die berühmte Rede von J.W. Stalin von Februar 1942:
„Es wäre aber lächerlich, die Hitlerclique mit dem deutschen Volke, mit dem deutschen Staate gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“
Sie wurde schon wenige Tage nach der Veröffentlichung in der UdSSR vom Internationalen Lagerkomitee in Buchenwald diskutiert. Sie waren also gut informiert.
Dem KZ angeschlossen waren die sog. Gustloff-Werke, eine Waffenfabrik in Händen der SS. Von hier schmuggelten Häftlinge, in Einzelteile zerlegt, Waffen ins Lager. Neben Pistolen und Gewehren war sogar ein leichtes MG darunter.
Gleichzeitig ergab sich für die SS die Notwendigkeit, im Lager einen Luftschutz und eine Art Lagerpolizei aufzustellen. Das Internationale Lagerkomitee nutzte die Gelegenheit um diesen „Luftschutz“ als eine Art Kampftruppe aufzubauen. Sehr zur Freude der SS exerzierten diese Häftlinge, übten Sturmangriffe usw., und das alles für den Tag X. Sie wollten nicht wie Schlachtvieh der SS ausgeliefert sein.
Als im Frühjahr die Front näher rückte, mehrten sich die Anzeichen, dass die SS das Lager komplett evakuieren wollte, also die Häftlinge auf einen Todesmarsch schicken. Das ILK beschloss passiv Widerstand zu leisten um die Aktion zu verzögern. Hinzu kamen die ständigen Transporte aus anderen Lagern, vor allem aus dem Osten. Die Lagerältesten behinderten die Transportaktionen so gut es ging. Trotzdem gingen Todestransporte ab.
Lagerältester von Buchenwald war der Kommunist Hans Eiden aus Trier (gestorben dort 1950).
Die SS spürte sehr wohl den hinhaltenden Widerstand der Häftlinge und vermutete – zu Recht – dass da eine geheime Organisation dahinter steckte. Deshalb wurde eine Todesliste angefertigt. Auf ihr stand auch Eugen Kogon und Emil Carlebach. Eugen Kogon mit Hilfe eines SS-Arztes konnte fliehen, die anderen auf der Liste versteckten sich im Lager. Angehörige des ILK waren aber nicht darunter.
Noch kurz vor dem 11. April 1945 versuchte der Kommandant Hermann Pister das Lager mit brutaler Gewalt zu evakuieren. Es gelang zwar einen Transport auf die Strecke zu schicken, aber das war nur ein kleiner Teil der Häftlinge. Die Mehrzahl leistete hinhaltenden Widerstand.
Dann, am 11. April 1945, kam es zu dem einmaligen Ereignis der Selbstbefreiung eines Konzentrationslagers. Hier der Bericht eines Beteiligten:
„Wenige Minuten später stürzten zweihundert stark bewaffnete SS, jeder dazu noch mit einem dicken Knüppel in der Hand, ins Lager und trieben, was sie nur an Häftlingen habhaft werden konnten, auf den Appellplatz. Dort wurden dann „Evakuierungs-Transporte“ zusammengestellt, die einige Zeit darauf aus dem Tor marschierten, um das gleiche Schicksal zu erleiden wie die vorher Evakuierten. Die anderen mußten noch formiert im Lager stehen bleiben und auf Abruf warten. Sie blieben aber nicht stehen, da die Furcht, ermordet zu werden, sie immer wieder in irgendwelche Verstecke trieb. Die in diesen entscheidenden Tagen von den Lagerfunktionären unter ständiger Bedrohung des eigenen Lebens gezeigte sabotierende Haltung den SS-Befehlen gegenüber, um Zeit und immer wieder Zeit zu gewinnen, hat vielen Tausenden von Leidensgefährten das Leben gerettet.
So kam der 11. April.
In der vergangenen Nacht hatte kaum einer von uns ein Auge zugetan, denn das Artilleriefeuer war so stark, daß die Baracken davon erzitterten. Als der Morgen graute, fühlte jeder, daß der entscheidende Tag gekommen war.
Zu essen gab es schon den zweiten Tag nichts mehr. Die SS hatte allen Proviant aus dem Lager herausgeholt. Es war ein Tag banger Erwartung des Kommenden. Die wenigen Eingeweihten lagen verteilt oder geschlossen in Bereitschaft und harrten der Entwicklung der Dinge. Heute mußte die Entscheidung fallen. Was würde uns der Tag bringen?
Die langersehnte Freiheit und das Leben oder — — — den Tod?? Wir waren jedenfalls bereit, unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Es wurde neun, zehn, es wurde elf Uhr. Der Geschoßdonner rollte näher. Noch war die SS im Lager, noch zeigte sich nichts Auffälliges, woraus wir hätten schließen können, daß unsere Vernichtung beginnen sollte. Eine dumpfe, drückende Stimmung lag über dem Ganzen wie Gewitterschwüle. Die Lautsprecher in den Blocks, die sonst die SS-Befehle vermittelten, hatten den ganzen Vormittag geschwiegen. Es war einhalbzwölf Uhr.
Ich saß in meinem Block. Gerade vorher hatte midi ein Kamerad nach kurzem Besuch verlassen, wobei wir uns nodi einmal die Hände drückten, der eine in des anderen Augen las und jeder wußte, was er bald zu tun haben würde.
Noch einmal überprüfte ich in Gedanken die Situation. Jede Minute konnten die Würfel fallen. — — — Ja, sie würden fallen, so oder so, ein jeder fühlte es. Würde man uns noch vergasen?
Würde man uns mit Brandbomben belegen und uns niederknallen? Was wird geschehen?
Aber komme, was da mag, die Rechnung würde teuer werden. — In meinen Gedanken wurde ich durch das Aufheulen eines anhaltenden, dumpfen Sirenentones unterbrochen.
Daraufhin ein Knacken im Lautsprecher, dann die öftere Wiederholung eines Befehls:
„Alle SS-Angehörigen aus dem Lager!“
Das Heulen der Sirene, die das Herannahen amerikanischer Panzer ankündigte, und dieser SS-Befehl zündeten. — Die Stunde der Abrechnung war gekommen! —
Jeder wußte, was er für die Erhaltung des Lebens aller Lagerinsassen zu tun hatte. Alles war bis ins kleinste organisiert.
Die Luft war erfüllt vom Brummen der schweren Panzermotoren, vom Bersten der Granaten, vom Knattern der MG’s, vom Lärm des Kampfes, der sidi in diesem Augenblick um Buchenwald herum abspielte. Im Lager selbst ein Raunen, ein Flüstern von Befehlen. Gut getarnte Verstecke wurden aufgerissen und Waffen, Maschinengewehre, Karabiner, Pistolen, Handgranaten, Panzerfäuste gingen von Hand zu Hand. Alles blitzschnell.
Ein Schleichen auf den Lagerstraßen. Von Block zu Block in Deckung .springend vor den pfeifenden Kugeln der SS, die noch die Wachtürme besetzt und das Lager umschlossen hielt, arbeiteten sieh einzelne Trupps an unsere Peiniger heran. Einige Kameraden, mit isolierten Drahtscheren bewaffnet, hatten die Aufgabe, den mit mehreren tausend Volt geladenen Stacheldrahtzaun zu durchschneiden.
Maschinengewehre hackten, Handgranaten zerplatzten, Geschoßgarben prasselten immer wieder, und in nächster Nähe das Brummen der Sherman-Panzer, die an Buchenwald vorbeifuhren.
Der Turmgürtel, der das untere Lager umschloß, war bereits freigelegt. Die SS, die nicht mehr flüchten konnte und sich uns ergab, wurde gefangen genommen. Einzelne andere, deren Geschoßgarben uns den Tod bringen sollten, wurden im Kampf niedergemacht.
Der erste Trupp von achtundfünfzig gefangener SS stand da mit erhobenen Händen und wurde entwaffnet. Kalkweiß, mit schlotternden Knien erwarteten sie das gleiche Schicksal, das sie Millionen von uns in grausamster Weise bereitet hatten. Jetjt würde, so glaubten sie, die Vergeltung über sie hereinbrechen und sie alle in Grund und Boden stampfen. Aber keiner von uns legte Hand an sie. . . .
Sie wurden abgeführt, um einem gerechten Urteil ausgeliefert zu werden. Das SS-Lager selbst und die Umgebung von Buchenwald wurden systematisch durchgekämmt und viele Gefangene eingebradit. Die Türme, die mit MG’s bestückt waren, auf denen noch vor wenigen Minuten die SS als „Ewige Wache“ stand, wurden von unseren Leuten beseht. Auf dem Hauptturm wehte die weiße Fahne. Am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald zog eine Abteilung ehemaliger Häftlinge als Wache auf. Der uns jahrelang umschließende Stacheldraht war an mehreren Stellen durchschnitten.
Wir waren frei!“
Dietmar, Udo
„Häftling … X … in der Hölle auf Erden!“
Herausgegeben vom Land Thüringen Landesamt für Arbeit und Sozialfürsorge. Opfer des Faschismus.
Thüringer Volksverlag, 1945[1]
Hier noch ein Zeitdokument, das die Selbstbefreiung Buchenwald beweist:
Im US-Militärarchiv Washington – eine Institution, die man nicht des Kommunismus verdächtigen kann – befindet sich der Bericht, den am 11. April 1945 die Aufklärer der 4. Panzerdivision der US-Armee, die vorausgefahren waren, dem nachfolgenden Stab übermittelten: Es war der Leutnant Desard und der Sergeant Bodot, die als französische Widerstandskämpfer in die US-Armee eingetreten waren.
Die wichtigste Stelle der Übersetzung des folgenden Originaldokuments:
„Weimar, 11. April … Konzentrationslager Buchenwald … besondere Sturmtupps waren organisiert worden, um die Wachen zu überwältigen. Vor unserer Ankunft waren die Wachtürme erobert und 125 SS-Männer gefangengenommen worden, die noch im Gewahrsam des Lagers sind. Die Leitung des Lagers befindet sich in der Hand eines gut organisierten Komitees, das alle im Lager vorhandenen Nationalitäten umfaßt.”
Wenn der Schwätzer Martin Schulz am 11… April 2015 in Buchenwald sagte:
„Die Befreiung kam von außen durch die 6. Panzerdivision der 3. US-Armee, aber die Befreiung kam auch von innen.“
so ist lügt er entweder dreist oder er ist ein dummer Kerl. Ich vermute beides.
Es war ein Vorauskommando der US-Armee, das in Buchenwald einige Stunden später ankam. Befreit hatten sich die Häftlinge selbst.
Natürlich wäre die Selbstbefreiung einige Wochen vorher noch unmöglich gewesen. Die Häftlinge nutzten natürlich die zerbröselnde Moral und Disziplin der SS aus, auch waren die Kommandeure der SS zum Teil bereits auf der Flucht. Aber das schmälert nicht den Heldenmut dieses Selbstbefreiungsaktes. Da diese Heldentat vor allem von Kommunisten geleistet wurde, muss sie den Herrschenden aufstoßen. Also leugnen sie die Selbstbefreiung.
G.A.
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