Dienstag, 21. April 2015
Die Beichtstühle des Imperialismus
Quelle: Theorie & Praxis vom 8. April 2015
Eine Randbemerkung
von Mathias Meyers
„der kapitalismus hatte nur eine chance: so zu tun, als sei er keiner. er würde den leuten mit dem stundenlohn erzählen müssen, sie seien herren ihrer selbst. das hat geklappt. herzlichen glückwunsch.“
ronald m. schernikau
Der Imperialismus ist klug. In hundert Jahren Herrschaft hat er sich ein beachtliches Reservoir von Herrschaftsmethoden angeeignet, die den jeweiligen Bedingungen angepasst werden können. Wann offener Faschismus, wann bürgerlicher Parlamentarismus gebraucht wird – mal als eher autoritäre, mal als eher sozialpartnerschaftlich gestaltete Herrschaft – ist von Zeit zu Zeit neu zu justieren. Auch innerhalb der jeweiligen Herrschaftsformen konnten die Beherrschten Erfahrungen mit einer breiten Palette von unterschiedlichen Herrschaftsmethoden machen. Da gab es dann schon mal „Mehr Demokratie wagen“ mit Berufsverboten, Friedenspropaganda mit NATO-Doppelbeschluss und – immer wieder gerne betrieben – der Export von Menschenrechten als der dringendste Kriegsgrund. Es war wohl in den 1980er Jahren als die Menschenrechte für den Imperialismus in Mode kamen. Wegen verletzter Menschenrechte – die die Imperialisten moniert hatten – wurden jährlich Rüstungsausgaben in bisher ungekannter Höhe beschlossen, Länder zerbombt, Staaten zertrümmert und ganze Regionen unter den Schutz des freien Westens gestellt – was gleichbedeutend ist mit anhaltendem Krieg.
Um diese grandiosen Gegensätze den Beherrschten zu vermitteln braucht es den Stundenlohn, den Schernikau schön kurz erläuterte. Und es braucht Medien. Sie, in bunter Vielfalt den gleichen Herren dienend, machen um Alles und Jedes einen Wirbel. Eine Frage wie „Ist der nächste Krieg gerechtfertigt?“ – etwa wegen der Menschenrechte, wegen des Friedens, wegen der Rohstoffe, wegen des Fortschritts, wegen der Moderne – wird in den Zeitungen, in den Talkshows, in den Magazinen und Illustrierten, aufs Blogs und in Internetforen rauf und runter debattiert. Kaum eine, der Herrschaft nützliche Meinung bleibt dabei ungenannt. Ein wahrhaft investigativer Pluralismus herrscht da. Zu diesem Geschäft gehört selbstredend, dass jede, dem Fortbestand des Imperialismus schädliche Haltung außen vor gehalten wird. Damit das nicht dauernd auffällt, muss alles immer so schrill und bunt und gut gelaunt sein. Gelegentlich auch konfrontativ, zugespitzt, heftig – das hinterlässt einen besonders wirksamen Eindruck. Wer Medien hat, braucht für Zensur nicht zu sorgen, schrieb Peter Hacks. In einer Arbeit von Dietmar Dath konnte man einmal lesen, dass Fernsehen nicht dumm macht. Das aber nur, so Dath, wenn man zuvor gelernt hat, selbst zu denken.
Ausgesprochen und damit erledigt?
In letzter Zeit hören wir immer häufiger Leute anerkennend, bewundernd oder gar begeistert von dem Umstand berichten, dass in der jüngsten Satiresendung einer Fernsehanstalt, bevorzugt einer öffentlich-rechtlichen, wieder einmal ein Skandal aufgedeckt, eine Seilschaft namentlich benannt, ein Politiker demaskiert oder eine bislang geheim gehaltene Nachricht öffentlich verlautbart wurde. Einige Bekanntheit erlangte die Tatsache, dass in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ der Herausgeber der „Zeit“, Josef Joffe, als Mitglied, Beirat oder Vorstand von acht „transatlantischen“ (sprich: pro NATO) Organisationen, Stiftungen, Think Tanks, Netzwerken benannt wurde. Zwei Kabarettisten hatten, ganz engagiert, auf einer Schautafel die Vernetzung von Regierungsbehörden, Wirtschaftsverbänden, Redaktionen, Stiftungen etc. ganz realistisch dargestellt. Herrn Joffe war dieses Outing unpassend, er verklagte das ZDF auf Unterlassung – und verlor den Prozess. Außer Joffe interessierte sich niemand von den anderen benannten Strippenziehern des Imperialismus für den Vorfall – es wird ihnen wohl zu banal gewesen sein.
Die Sache wäre nicht der Rede wert, wenn nicht die Leute, die einem von derlei TV-Sendungen berichten, stets recht begeistert wären. Ganz so, als wäre der satirisch kritisierte Umstand allein deswegen, weil er öffentlich-rechtlich benannt wird, schon halb aus der Welt geschafft ist. Diese Erwartung funktioniert so wie bei den Katholiken die Beichte. Hier gilt das gleiche Prinzip.
Die skandalträchtige Satire ist ein Teil des Mediengeschäfts, das tagein tagaus das Wesen der Verhältnisse bis zur Unkenntlichkeit verdeckt, indem die Erscheinungsebene in grellem Licht und schrillem Ton serviert wird. Geschieht es mal anders, wird tatsächlich ein Zusammenhang erkenntlich, Wesentliches ist benannt, das einerseits hilfreich ist, um die Glaubwürdigkeit des Geschäfts zu erhalten. Der schönen Fassade des Systems ist das nur zuträglich. Andererseits schafft es die oben beschriebene Entlastung – wie dem Katholiken die Beichte. Endlich wird im Fernsehen mal was Wahres gesagt! Manche Leute erwarten wirklich, dass dies Folgen haben werde.
Satiresendungen sind – neben anderem – die Beichtstühle des Imperialismus. Dass TV-Satire in sehr wenigen Fällen einfach witzig sein und zur Erheiterung beitragen kann, soll hier kurz erwähnt, aber nicht weiter erörtert werden.
Kulturpolitik ist Wirtschaftspolitik
Gerät den Medien eine Sache mal in Schieflage, besteht Handlungsbedarf. Hierzu zwei Beispiele. Als man sich im vergangenen Jahr nach dem gelungenen, vom Imperialismus gesteuerten Putsch in Kiew so in den Rausch geredet hatte, dass ausnahmslos alle nur noch eine einzige Meinung zum Ereignis zu verkaufen hatten, reichte es dem Publikum damit bald. Wir wissen nicht, wie viele Protestmails, Tweets, Postings und Einträge Beschwerden bei den Einheitsmeinungsanstalten abluden. Es müssen viele gewesen sein, denn nach einer gewissen Zeit durften (nein: mussten!) auch kritische Positionen in den Talkshows vertreten werden. Das half – danach waren die Lügen wieder glaubwürdiger.
Als im Herbst 2011 bekannt wurde, dass der Staatsschutz vielfältige und förderliche Beziehungen zu der faschistischen Gruppe namens NSU und deren Umfeld unterhalten hatte, war für wenige Tage die Tatsache klar erkennbar: eine einflussreiche Fraktion im Staatsapparat ist an der permanenten Aufrechterhaltung aktiver faschistischer Gruppen und Strukturen – zumindest als Drohpotenzial – interessiert. Nach der ersten Irritation ob dieses Umstandes brauchten Medien (und Staatsapparat) nur eine kurze Zeit, um diese Information wieder zu korrigieren. Längst ist diese Geschichte wieder eine von drei bösen Nazis, die Migranten erschießen.
Nochmal Schernikau, weil er die Sache so wunderbar auf den Punkt bringt: „machen wir uns nichts vor: staatspolitik ist militärpolitik, kulturpolitik ist wirtschaftspolitik, bürgerinitiativen sind pipifax.“
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