So treibt es einen auch bei merkwürdigsten Wetterbedingungen wenigstens einmal am Tage die Treppe rauf und runter. Denn unten, vor der Eingangstür, ist diese Sammlung von Klappen mit dem Schildchen mit dem Nachnamen drauf. Und hinter den Klappen finden sich immer neue Tote Bäume, in verschiedensten Darreichungsformen: LIDL preist sein Schmorbraten-Sonderangebot an, unseriöse Vermittler suchen Putzfrauen und "-boys", Handynummer verspricht sofort Bargeld für meinen Gebrauchtwagen. Nun ist es aber angeblich Super-Wahljahr geworden, und eine Partei ist besonders rührig. So fand sich denn schon die zweite Ausgabe des "Sachsen: Brief" der CDU-Landtagsfraktion Sachsen vor, und mal im Ernst: die wollen gewählt werden. Sogar von mir. Ein Umstand, der seine einzige Erklärung darin findet, das die nicht vermuten, welch guten Freund sie bei dieser Briefkastenklappe vorfinden...
Eine kleine Welt findet sich in diesen Seiten im hässlichen Oberförster-Grünton, die Welt der CDU Sachsen: eine Welt voll von Polizei, Feuerwehr, Sportvereinen und ausgeglichenen Haushalten ("Mit diesem Haushalt können wir auch noch unseren Kindeskindern in die Augen schauen, ohne rot zu werden." Steffen Flath. Nee, (pseudo-)rot ist nur der Koalitionspartner.) "Nadine will zur Polizei" heißt es da - "zur Stärkung der inneren Sicherheit bildet Sachsen künftig deutlich mehr Polizisten aus: Seite 4". Und der Wirtschaftsminister Jurg freut sich schon so sehr drauf, zum Steigbügelhalter der nächsten CDU-Alleinregierung zu werden, dass er dann endlich seiner eigentlichen Bestimmung nachkommen kann: endlich immer eine "Polizei-Stopp"-Kelle dabei haben zu können und vorwitzige Motorradfahrer verwarnen zu können.
Weitere Großzügigkeiten des auch zukünftig wundervoll ausgeglichenen Haushalts finden sich unter "Aktuelle Meldungen": "Sportverein für Grundschüler im ersten Jahr kostenlos"... eine herrliche Idee, die staatliche Sportförderung in ein solches Bonbon verpackt zu präsentieren. Nix mit kostenloser Schulspeisung für Hartz4-Kinder, den Begriff "Hartz4" streichen wir für 2009 mal, 2010 heißts dann "ZAK"... Und die Sportvereine mit ihrem wundervollen Erziehungscharakter im Sinne der CDU-Moral: arme Kinder. Man will Euch zu Vereinsmeiern und CDU-Wählern erziehen...
Über diese Partei und ihre anlassbezogene Briefkastenfüllung den Kopf schütteln ist das eine; tragisch aber, von dort aus regiert und manipuliert zu werden - letzteres über die CDU-Mehrheit im Rundfunkrat, beispielsweise. Und die Realsatiren finden kein Ende. Wie peinlich war in NRW der Herr Rüttgers mit seiner Parole "Kinder statt Inder"? Gewählt wurde er trotzdem. Oder ein Vorsitzender der CDU Brandenburg, der ausgerechnet der neorechten "Jungen Freiheit" ein Interview gab, um hinterher zu behaupten, er hätte nicht gewußt, um was für eine Zeitung es sich da gehandelt habe? Für einen Innenminister ein Gipfelpunkt intellektueller Glaubwürdigkeit. Oder ein Landrat der Sächsischen Schweiz, der im Landratblättle einen Nachruf auf den tödlich verunglückten Uwe Leichsenring veröffentlichen ließ... immerhin nicht nur Fahrlehrer, sondern hochkarätiger NPD-Funktionär... Fritz Schramma, CDU-Oberbürgermeister von Köln, gelingt der merkwürdige Spagat, sich sowohl gegen den Bau einer Moschee in Köln-Ehrenfeld, als auch gegen die Gegner des Moscheebaus von "Pro Köln" auszusprechen - sich gegen die Kundgebung gegen die Moschee auszusprechen und platziert in Szene zu setzen, aber auch die Teilnehmer von Protestkundgebungen verhaften zu lassen...
Nun, auch der neue "Sachsen: Brief" der CDU-Landtagsfraktion Sachsen hält staunenswertes parat: "Der Mann fürs Geld - Wir haben dem CDU-Finanzexperten Matthias Rößler in den Einkaufswagen geschaut: Seite 2"... ja, man ahnt schon übles...
"In diesem Einkaufswagen regiert ganz klar Qualität: Beim Einkauf zum Wochenende mit dem finanzpolitischen Sprecher treffen Sachsen-Milch, Honig der Imkerei Meissen und Wein von Schloss Wackerbarth aufeinander - die Auswahl ist erlesen, aber durchaus sparsam." "Sachsen: Brief" Nr. 2, Seite 2, CDU Sachsen
Man ist versucht, einen gemeinsamen Besuch von Merkel und Merz in einer sächsischen Sauna einzufordern...
"Wenn der Haushaltsexperte Dr.-Ing. Matthias Rößler seinen Einkaufswagen fürs Wochenende füllt, hat das mehr mit Politik zu tun, als man im ersten Moment denkt. "Ich kann nur so viel Geld ausgeben, wie ich einnehme. So verhält sich jede normale Familie. Bei der Haushalts- und Finanzpolitik des Freistaates Sachsen ist das nicht anders, nur dass die Zahlen deutlich größer sind", sagt er, legt ein paar Äpfel in den Wagen und schiebt los Richtung Kühltheke." "Sachsen: Brief" Nr.2, Seite 2, Landtagsfraktion CDU Sachsen
Wenn man sich also an jedem nur denkbaren militärischen Abenteuer beteiligt, von der Küste Somalias bis zur Unterstützung der sogenannten "gemäßigten Taliban", ist klar, das für die "normale Familie" (?!) nur noch ein paar Äpfel bleiben. Dank sogenannter mutiger Sozialreformen...
"Rößler bahnt sich seinen Weg durch den Supermarkt, schiebt den Einkaufswagen vorbei an den ganzen Verlockungen in den Regalen." (...) Die nächsten Jahre in Deutschland werden sicherlich nicht leichter. Aber was nützt einem die panische Angst vor der Finanzkrise. Ich kann nur einen Tipp geben: Man sollte das Geld zwar zusammenhalten, aber auch ganz normal weiterleben", sagt Rößler. (...) "Wir sind bei den Investitionen Nummer eins in Deutschland. Nach Bayern haben wir die wenigsten Schulden." Die Wackerbarth-Flasche Grauburgunder, die ihren Weg in den Einkaufswagen findet, scheint redlich verdient. "Sachsen: Brief" Nr.2, Seite 2, Landtagsfraktion CDU Sachsen
"Der Hauptstock deutscher Moral und Ehrlichkeit, nicht nur der Individuen, sondern auch der Klassen, bildet vielmehr jener bescheidene Egoismus, welcher seine Beschränktheit geltend macht und gegen sich geltend machen läßt." (...) Sogar das moralische Selbstgefühl der deutschen Mittelklasse beruht nur auf dem Bewußtsein, die allgemeine Repräsentantin von der philisterhaften Mittelmäßigkeit aller übrigen Klassen zu sein." (...) " In Deutschland darf einer nichts sein, wenn er nicht auf alles verzichten soll." (...) Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
"Privat will Rößler in diesem Jahr weiter an seinem Haus in Cossebaude werkeln, das Dach neu decken und dämmen lassen. Für die Arbeit muss es ein sächsischer Handwerksmeister sein - darauf legt der waschechte Sachse viel wert. "Wenn man Arbeitsplätze in Sachsen erhalten will, sollte man als Verbraucher darauf achten, dass man sächsische Produkte kauft." Zielstrebig greift er nach dem Honig der Imkerei Meissen. "Der ist nicht nur von hier, sondern schmeckt auch am besten!" "Sachsen: Brief" Nr.2, Seite 2, Wahlwerbung der Landtagsfraktion der CDU Sachsen
Sieht man also den "original sächsischen Kartoffelsalat" für 1 € 80 und den "Otto Normalverbraucher- Kartoffelsalat" für 1 € 20, welchen hat man dann also als sächsischer CDU-Wähler zu kaufen?
Wenn's denn mal so einfach und harmlos wäre. Wenn man nicht die aggressiveren Varianten dieser Form (Lokal-)Patriotismus nicht übersehen könnte, deren Parole "Deutsche, kauft deutsche Bananen" dann zum Abbrennen vietnamesischer Läden geführt hat... Aber selbst wenn's so einfach und harmlos wäre ("Was macht Milbradts Leber hart? Weinprobe auf Schloss Wackerbarth" - Demoparole auf einer Dresdner Montagsdemo, damals noch vor sächsischem Landesbankskandal und schnellem Abtauchen Milbraths...), ist's denn tatsächlich so, in einer globalisierten Welt, mal eben zärtlich die heimische Scholle streicheln? Und: handelt die CDU dann auch praktisch so, wie das, was sie hier ihren Wählern verkaufen möchte? Nee... nicht unbedingt. Kapitalinteressen haben in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Vorrang vor Heimatgefühlen. Aber: wäre das auch wirklich anders besser? Also etwa: in den USA könnte BMW keine Autos mehr verkaufen... Das liegt nun nicht an heimatseligen Stammtischparolen der US-Republikaner, dass das nun schon teilweise Wirklichkeit wurde, sondern an faulen Krediten der Immobilienbranche. Aber: die Mentalität des sächsischen Gartenzwergs ist sehr identitätsstiftend in einer globalisierten Welt - voller Gefahren, vor der uns dann auch die auf Seite 4 erwähnte Nadine schützen will. (Angst und Isolation/Vereinzelung/Atomisierung sind wohl die wichtigsten psychologischen Herrschaftsmechanismen des Imperialismus) Wenn sie dann denn zur Polizei gefunden hat, die Nadine aus dem Werbeblättchen der CDU-Landtagsfraktion Sachsen. Was sächsische CDU und ihre Wahlergebnisse geben mögen... Tatsächlich findet es der MDR-Sachsenspiegel durchaus negativ erwähnenswert, wenn die Stadtverwaltung Leipzig japanische Kraftfahrzeuge anschafft. Und das in Zeiten der Krise!
"Wenn sie mit Fleischermessern durch Eure Schlafzimmer gehn, werdet Ihr die Wahrheit wissen..." Heiner Müller: Die Hamletmaschine
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