Dienstag, 7. Juli 2020

Systemrelevante Berufe: Applaus vom Balkon reicht nicht


Dossier

Systemrelevant (Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus)Die Corona-Krise zeigt, dass es ohne Pflegekräfte, Lieferanten und Kassiererinnen nicht geht. Endlich werden sie wertgeschätzt. Doch sie brauchen mehr als ein Danke. Dieser Tage bedanken sich im Minutentakt Menschen für den Einsatz von Pflegekräften, Kassiererinnen und Erziehern. Gesundheitsminister Jens Spahn hat sogar gesagt: “Schenken Sie der Verkäuferin im Supermarkt ein Lächeln. Schenken Sie dem Lkw-Fahrer, der Tag und Nacht Waren für Sie fährt, einen freundlichen Wink. Und schenken Sie denjenigen, die gerade unter Stress für Ihre Gesundheit arbeiten, Geduld und Mithilfe.” In Köln und anderen deutschen Städten verabreden sich nach spanischem Vorbild Bürger abends auf Balkonen und applaudieren lautstark, um ihre Dankbarkeit für das Personal in Krankenhäusern auszudrücken. (…) Doch es reicht nicht, sich jetzt einfach bei diesen Menschen zu bedanken. Es genügt nicht, ein paar Zeilen in sozialen Netzwerken zu posten oder am Balkon zu stehen und zu klatschen. Es braucht endlich umfassende Maßnahmen, um diesen Berufsgruppen mehr Wertschätzung entgegenzubringen. In der Krise hilft Solidarität auch von Nachbarn, Freundinnen und Verwandten. Unterstützen Sie die Menschen, die gesellschaftlich wichtig sind, bei ihren Einkäufen und sorgen Sie dafür, dass sie sich erholen können. Und wenn sich die Krise länger hinzieht, sollte es ähnlich wie 2008 einen Rettungsfonds geben. Mit staatlichen Subventionen für Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Betriebe, die derzeit unentbehrlich sind. Dazu gehören auch Mittel, die das Personal entlasten. Bisher zählen ausgerechnet die jetzt so wichtigen Berufe zu den besonders undankbaren, gemessen am Einkommen, an Risiken für die Gesundheit, an Überstunden und der körperlichen Belastung. (…) Wenn Berufe systemrelevant sind, sollte sich das in ihrem Gehalt, den Arbeitsbedingungen und der Rente widerspiegeln. Wir sollten das auch nach der Corona-Krise nicht vergessen.”  Kommentar von David Gutensohn vom 18. März 2020 bei der Zeit online externer Link – sehr richtig! Siehe nun zur Entlohnung:
  • Systemrelevant, aber dennoch kaum anerkannt: Entlohnung unverzichtbarer Berufe in der Corona-Krise unterdurchschnittlich New
    “In Zeiten der Corona-Krise zeigt sich: Bestimmte Berufsgruppen und Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens sind systemrelevant. Die Mehrheit der als systemrelevant definierten Berufe weist jedoch außerhalb von Krisenzeiten ein geringes gesellschaftliches Ansehen und eine unterdurchschnittliche Bezahlung auf. Der Frauenanteil ist hingegen überdurchschnittlich. Dies gilt vor allem für die systemrelevanten Berufe der „ersten Stunde“, also jene Tätigkeiten, die seit Beginn der Corona-Krise als systemrelevant gelten. Die Liste systemrelevanter Berufe wurde über die Zeitkonkretisiert und um weitere Berufsgruppenergänzt. Diese zusätzlichen Berufe haben ein höheres Lohn- und Prestigeniveau und einen höheren Männeranteil. Dennoch gilt auch nach der erweiterten Definition der systemrelevanten Berufe„zweiter Stunde“: Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung ist in Krisenzeiten besonders offensichtlich. Deshalb sollten auf kollektive Dankbarkeit konkrete Maßnahmen folgen, wie eine höhere Entlohnung und eine breitere tarifvertragliche Absicherung…” Studie von Josefine Koebe, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker und Aline Zucco vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW-aktuell 48) (07/2020) externer Link 
  • Rund 80.000 Menschen unterzeichnen Offenen Brief „Soziale Arbeit ist unverzichtbar“ – ver.di übergibt Unterschriften an das Bundesfamilienministerium 
    “… „Die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit – diese umfasst unter anderem Kitas, die Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe oder Hilfen für Wohnungslose und Geflüchtete – sind gefordert wie nie zuvor; viele fühlen sich aber in der Corona-Krise alleingelassen“, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle. Den Beschäftigten würden häufig unzureichende oder fehlende Schutzmaßnahmen zugemutet, oder ihnen drohten Kurzarbeit oder Entlassung. „Qualifizierte Soziale Arbeit braucht gut entwickelte Träger und Strukturen; die entsprechenden Einrichtungen kann man nicht von heute auf morgen schließen und übermorgen wieder öffnen.“ Um den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit zu gewährleisten, brauche es bundesweite Regelungen, die Beschäftigten, Adressatinnen und Adressaten, Kindern und Eltern Sicherheit geben, so Behle weiter. Die durch das Bundesarbeitsministerium für die gesamte Arbeitswelt formulierten Standards seien in der Sozialen Arbeit, in der es um den Dienst an und mit den Menschen gehe, nicht anwendbar. (…) „Die sprunghafte Öffnung der Kitas lässt die realen Kapazitäten unberücksichtigt.“ Dies gehe oftmals zu Lasten der Beschäftigten; dabei müssten insbesondere Beschäftigte, die Risikogruppen angehörten, geschützt werden. „Es kann nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen, die jahrelang den Kita-Ausbau unter schwierigen Bedingungen mitgetragen haben, jetzt in eine ungewisse Zukunft geschickt werden, wenn ihr Gesundheitszustand beeinträchtigt ist.“ Hier müsse der Bund eingreifen und Angebote machen, wie die Beschäftigten abgesichert werden können.“ ver.di Pressemitteilung vom 19.06.2020 externer Link
  • Prekär und systemrelevant – „Applaus reicht nicht“ / Einmalige Boni reichen nicht 
    • Prekär und systemrelevant – „Applaus reicht nicht“Trotz erhöhtem Risiko, sich selbst anzustecken: Die Beschäftigten vieler Dienstleistungsbranchen hielten während der Corona-Einschränkungen den Laden am Laufen. Sie waren und sind unverzichtbar – sie sind „systemrelevant“. Wie eine aktuelle Studie des DeZIM-Instituts zeigt, haben viele von ihnen einen Migrationshintergrund. Während der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund an allen Berufen etwa ein Viertel beträgt, liegt er bei Reinigungskräften bei fast der Hälfte, in der Altenpflege sowie bei Post- und Zustelldiensten bei etwa einem Drittel und bei Fahrer*innen im Straßenverkehr bei etwa 30 Prozent. Die Mehrheit von ihnen ist im Ausland geboren und selbst nach Deutschland gekommen. Menschen mit Migrationshintergrund stecken überdurchschnittlich oft in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Gerade Beschäftigte, die im Ausland geboren sind, erhalten oft nur einen Niedriglohn. Und ausgerechnet in systemrelevanten Berufen ist der Anteil von Niedriglohn-Beschäftigten besonders hoch. „Applaus reicht nicht“ – das gilt deshalb auch hier: Wir brauchen gute und gesunderhaltende Arbeit für alle. Wir müssen prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückdrängen. Der Schutz durch Tarifverträge muss auch in den systemrelevanten Berufen ebenso selbstverständlich werden wie eine gute Entlohnung, Mitbestimmung und Chancen zur Weiterqualifizierung.” Wirtschaftspolitik aktuell 11 / 2020 vom 16.6.2020 von und bei ver.di externer Link
    • Einmalige Boni reichen nichtDie Corona-Krise zeigt, wie wichtig systemrelevante Berufe etwa in der Pflege sind. Sie lassen sich dauerhaft nur durch Flächentarife aufwerten. (…) Die Politik hat auf diese Gerechtigkeitslücke schnell reagiert. Auf Sonderzahlungen bis zu 1500 Euro werden keine Steuern erhoben. Damit ist allerdings nicht sichergestellt, dass alle systemrelevanten Kräfte Zusatzprämien erhalten. Die Pflegekassen und die Länder finanzieren den Bonus in der Altenpflege. Die vielen anderen systemrelevanten Beschäftigten konnten jedoch nicht die gleiche öffentliche Unterstützung durchsetzen, obgleich sie ebenso belastet sind. Sie gehen leer aus oder werden allenfalls mit kleineren Beträgen abgespeist. Hinzu kommt, dass einmalige Boni zwar eine wichtige Geste sind, an den strukturellen Problemen der Unterbezahlung aber nichts ändern. Es muss darum gehen, unterbezahlte Beschäftigte nicht mit einmaligen Almosen abzuspeisen, sondern ihre Tätigkeiten dauerhaft aufzuwerten. Dabei müssen wir zwischen den systemrelevanten Berufen differenzieren. Um gut bezahlte Ärzte müssen wir uns keine Sorgen machen. Sie sind gewerkschaftlich bestens organisiert und politisch gut vernetzt. Völlig anders sieht es in den personalstarken Bereichen der Pflege, des Einzelhandels, der Reinigung oder der Paketdienste aus. Hier kommen mehrere Probleme zusammen. Erstens handelt es sich überwiegend um typische Frauenberufe. In der Vergangenheit galten Frauen nur als schlechter bezahlte Zuverdienerinnen. Durch das Ehegattensplitting und die steuerfreien Mini-Jobs werden sie noch heute in diese Rolle gedrängt. Zweitens sind die Beschäftigten in diesen Branchen gewerkschaftlich schlecht organisiert. In der Altenpflege etwa gehören nur zehn Prozent der Beschäftigten einer Gewerkschaft an. Sie versuchen überwiegend, ihre Probleme alleine zu lösen, indem sie die Arbeitszeit verkürzen oder den Job wechseln, was den Fachkräftemangel verschärft. Wer in Niedriglohnbranchen versucht, sich gemeinsam zu wehren und einen Betriebsrat zu gründen, wird oft schikaniert oder gekündigt. Drittens ist die Tarifbindung in diesen Bereichen drastisch gesunken. (…) Wie lassen sich unter solchen Bedingungen die systemrelevanten Berufe aufwerten? Die üblichen Ratgeber “Sei selbstbewusst! Geh zu Deinem Chef und frage nach einer Lohnerhöhung” helfen allenfalls wenigen nicht ersetzbaren Spezialisten. Das einzige verfügbare Instrument, mit dem man gute Bezahlung für alle Beschäftigten einer Branche garantieren kann, sind Flächentarife. Die Erhöhung der Tarifbindung wäre ein Quantensprung für viele Beschäftigte. (…) Wegen der in der Verfassung verankerten Tarifautonomie kann der Staat den Abschluss von Tarifverträgen nicht erzwingen. Er kann sie auch nur für allgemein verbindlich erklären, wenn die Tarifpartner gemeinsam einen Antrag stellen. Der Staat hat allerdings einige wirkungsvolle Instrumente, mit denen er die Tarifflucht stoppen kann. So kann er sicherstellen, dass Tariflöhne kein Nachteil im Wettbewerb um öffentliche Aufträge sind. Es ist ein Riesenfortschritt, dass seit Jahresanfang in der Krankenpflege Tariflöhne nach dem Kostendeckungsprinzip refinanziert werden. Krankenhäuser haben damit keinen Anreiz mehr, unter Tarif zu zahlen. Leider gilt das nicht für das ebenso systemrelevante sonstige Personal. Dieses Tariftreueprinzip muss auch in der Pflegeversicherung für Altenpflege und bei allen öffentlichen Aufträgen gelten. Zudem sind die hohen rechtlichen Hürden für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) abzusenken…” Artikel von Gerhard Bosch vom 14. Juni 2020 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • Mehr Plumps als Wumms: Im Konjunkturpaket bleiben Frauen und ihre Systemrelevanz unsichtbar 
    “Was Feminist*innen schon lange klar ist, wurde in der Coronakrise auch für die breite Öffentlichkeit sichtbar: Lebensnotwendige und »systemrelevante« Arbeit wird in der Regel von Frauen geleistet – gering entlohnt und unter vielfach prekären Bedingungen. Die coronabedingte Ausnahmesituation machte undenkbares möglich: Menschen bedankten sich klatschend auf dem Balkon und Politiker*innen prangerten die geringe Wertschätzung und Entlohnung im Gesundheitssektor an. Bei dieser rhetorischen Anerkennung scheint es allerdings zu bleiben – im Konjunkturpaket jedenfalls finden sich keine geschlechterpolitischen Maßnahmen. Natürlich sind der Kinderbonus und ein Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende durchaus wichtige und – besonders für in Armut lebende Menschen – hilfreiche Maßnahmen. »Jenseits der Alleinerziehenden, die weit überwiegend weiblich sind, werden Frauen als ökonomische Gruppe« jedoch nicht adressiert, kritisiert die »taz« vollkommen zurecht. Das »Leitprinzip Geschlechtergerechtigkeit«, das laut gemeinsamer Geschäftsordnung der Bundesministerien bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung zu berücksichtigen ist, kommt mehr als zu kurz. Geschlechterpolitik plumpst auf den Boden alter Tatsachen – auf beharrliche Ignoranz. Der Wumms bleibt aus. Dabei wurde immer wieder darüber berichtet, dass die Krise vor allem eine Krise der Frauen ist: Mütter sind mit Kinderbetreuung und Homeschooling beschäftigt. Unbezahlte Carearbeit geht zu Lasten der Lohnarbeitsstunden, die notgedrungen reduziert werden müssen. Dennoch ist die Suche nach Begriffen wie »Frauen«, »Geschlechtergerechtigkeit« oder gar »Carearbeit« im Konjunkturpaket vergeblich. Da mögen 300 Euro Kinderbonus für manche tatsächlich wie eine Art Schweigegeld wirken. Aber auch was den Bereich der Mobilität angeht, ist das Konjunkturpaket enttäuschend: »Weibliche« Mobilitätsgewohnheiten, wie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder des Fahrrads, werden weniger bezuschusst als der Kauf eines neuen Autos. Das ist auch aus ökologischer Sicht ein Griff ins Klo. »Zukunftsfähigkeit stärken« aber geht nur ökologisch und geschlechtergerecht. Das Motto des Pakets zur Krisenbewältigung ist knapp verfehlt.” Kommentar von Birthe Berghöfer bei neues Deutschland vom 5. Juni 2020 externer Link
  • Die Arbeitskraft von Frauen auszubeuten, ist eine beliebte Strategie der Krisenbewältigung: Jetzt auch noch Masken nähen 
    “… Trotz vieler Besonderheiten hat die Coronakrise eines mit anderen sozialen Krisensituationen gemein: Bestehende Ungleichheiten wachsen. So treffen die Auswirkungen sozialer Krisen und Katastrophen Frauen weltweit härter als Männer. Das gilt für Wirtschaftskrisen wie für Wirbelstürme. Während der Finanzkrise 2008 verloren zwar insgesamt mehr Männer ihren Arbeitsplatz, doch in den besonders betroffenen Branchen mit ohnehin geringem Frauenanteil verloren überproportional viele Frauen ihre Stellen. Einschneidende Arbeitsmarktreformen mit Flexibilisierung und Privatisierung waren zentrale Bestandteile der europäischen Austeritätspolitik. Sie betrafen besonders öffentliche Sektoren wie Bildung, Pflege und Gesundheit, in denen Frauen überdurchschnittlich vertreten sind. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie werden Schätzungen zufolge weit größer sein. Ihr ganzes Ausmaß ist noch nicht abzuschätzen. Dennoch zeigt sich bereits jetzt, dass Frauen auch im Vergleich zur Finanzkrise nicht nur stärker von den Folgen betroffen sein werden, sondern auch den größten Teil der gesellschaftlichen Arbeit leisten, die zur Überwindung der Krise notwendig ist. Sorgearbeit erwies sich spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts als flexible Manöviermasse, die je nach Organsiation der Produktion oder Art der Krise mehr oder weniger gesellschaftlich oder marktförmig organisiert werden konnte. Die Kommodifizierung von Sorgearbeit geht oft einher mit der Umleitung dieser Arbeit ins Private oder Umwandlung in schlecht bezahlte Dienstleistungen. Im familiären Rahmen sollen Frauen die Institutionen ersetzen, die Sorgearbeit zuvor öffentlich angeboten hatten. Die für die Reproduktion des Kapitalismus notwendige Sorgearbeit wurde in Zeiten schwindender Kaufkraft und verstärkt in Krisenzeiten ins Private verschoben. Dort erledigten sie Frauen unbezahlt, die ohnehin schlechter entlohnt wurden und besonders von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Wie sehr nicht nur die Profitabilität des Kapitalismus, sondern auch die Bewältigung gesellschaftlicher Krisen von der bezahlten und unbezahlten, stets abgewerteten und vergeschlechtlichten Sorgearbeit abhängt, zeigt sich in der Pandemie abermals. Das belegt die sich im Lohn kaum niederschlagende Anerkennung für die größtenteils von Frauen geleistete Arbeit im Gesundheits- und Pflegebereich, ganz zu schweigen von der wie selbstverständlich durch Schließungen von Kitas und Schulen in die Haushalte verlegten und auch hier größtenteils von Frauen übernommenen Sorge- und Erziehungsarbeit. In all dem zeigt sich die Aktualität einer patriarchal abgesicherten, in kapitalistischen Gesellschaften lang erprobten Krisenbewältigungsstrategie auf Kosten von Frauen (und Kindern)…” Beitrag von Irene Lena Poczka bei jungle world 2020/21 vom 20. Mai 2020 externer Link
  • Paradoxes Politikum: Warum die System-Relevanz von Care-Arbeit nicht länger zu verschleiern ist“Angela Merkel hat sich in ihrer großen TV-Ansprache am 18. März bei all jenen bedankt, die “den Laden am Laufen halten”. Der “Laden” ist bei dieser inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Wendung nichts weniger als die Nation, die Wirtschaft, das System. Wie nun im größeren Maßstab deutlich geworden ist, spielt hier Care-Arbeit eine besonders große Rolle.” Die Wissenschaftlerin, Aktivistin und Kuratorin Christine Braunersreuther ergründet im Interview der Redaktion der Berliner Gazette vom 13. April 2020 externer Link“warum es erst jetzt zu dieser Einsicht kommt und welche politischen Folgen sie haben könnte. (…) Die 24-Stunden-Betreuer*innen, über und für die ich sprechen kann, kommen sowohl in Deutschland als auch in Österreich großenteils aus Osteuropa bzw. Südosteuropa. Ihre genauen Herkunftsorte sind regional unterschiedlich. Einerseits hängt es davon ab, welche Länder grenznah erreichbar sind. So kommen in Berlin die meisten Betreuer*innen aus Polen, in Wien aus der Slowakei (übrigens auch viele medizinische Pfleger*innen in den Kliniken), in der Steiermark gibt es Betreuer*innen aus Slowenien. Frauen aus Bulgarien und Rumänien sind dagegen überall vertreten, aber sie kommen aus verschiedenen Orten. (…) Kein Wunder, dass diese Form der transnationalen Auslagerung von Care-Arbeit wissenschaftlich als Neokolonialismus bezeichnet wird. Umgangssprachlich wird oft auch von „neuer Sklaverei“ gesprochen. Diese Bezeichnung finde ich jedoch unangemessen, da sie die rassistischen Gräueltaten der Sklaverei euphemistisch ausblendet. Doch was den Systemen ähnlich ist, ist dass sie die Menschen hinter der Dienstleistung vergisst. Wenn in Zusammenhang mit Care-Arbeit von Vulnerabilität gesprochen wird, dann ist damit meist nur die Verletzlichkeit der Betreuten gemeint. Von den Betreuer*innen will man nur, dass sie ein großes Herz und viel Geduld haben – über ihre Verletzlichkeit macht man sich aber keine Gedanken. Das liegt nicht allein im Balkanismus begründet. Sondern auch maßgeblich im Wesen der Care-Arbeit: als unsichtbare Arbeit bezeichnet, wird sie von „guten Geistern“ verrichtet. (…) [N]atürlich wäre ein Streik gangbar! Care-Arbeit ist allerdings schwieriger zu bestreiken, weil es dafür eine größere Solidarisierung braucht. (…) Darüber hinaus wichtig wäre aber auch Solidarität durch die Betreuten bzw. deren Familien. Wäre die stark, wäre durchaus ein Streik möglich. Das haben etwa die Streiks von Kindergartenpädagog*innen gezeigt, die von Eltern unterstützt wurden. Schließlich wäre es doch im Interesse Aller, wenn die Betreuer*innen hochmotiviert und ökonomisch gut versorgt wären. (…) Ein anderer Punkt ist, dass Care-Arbeiter*innen Streiks oft nicht zugetraut werden. Das liegt nicht zuletzt an der schlechten Bewertung ihrer Arbeit. Ein (monetärer) Wert wird ausschließlich der Produktionsarbeit zugeschrieben, während die Care- und Reproduktionsarbeit unter ökonomischen Gesichtspunkten nie wirklich Beachtung fand. Langsam aber endlich bewegt sich hier etwas in der Kritik. Es ist zu hoffen, dass die es aus der Blase der feministischen Ökonominnen hinaus schafft und dann auch politisch Beachtung findet. Denn den Betreuer*innen selbst ist der Wert ihrer Arbeit sehr wohl bewusst. (…) Ich hoffe, dass durch die Betreuungskrise während der Corona-Pandämie zumindest ein wenig mehr Bewusstsein dafür aufgekommen ist, dass es diese Betreuungskräfte gibt, und zwar sehr viele davon, und dass sie zu eigentlich unwürdigen Bedingungen arbeiten, und dass endlich politisch positive Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuungssituation unternommen werden.”
  • [Aufruf] Wann, wenn nicht jetzt! 20 bundesweit tätige Organisationen und Verbände stellen Forderungen an Bundesregierung und Arbeitgeber 
    Corona hat das Leben in Deutschland und in der Welt grundlegend verändert. Deutlich wird, dass die wirtschaftlichen und sozialen Kosten Frauen wesentlich stärker treffen. Die Pandemie vergrößert alle gleichstellungs- und frauenpolitischen Probleme/Schieflagen, auf die wir bereits seit Jahrzehnten hinweisen. Angesichts der existenziellen Krise wird deutlich, wie lebensbedrohlich sich die über Jahre privatisierte und eingesparte öffentliche soziale Infrastruktur und die falschen Arbeitsbewertungen jetzt auf unseren Lebensalltag auswirken. Wann, wenn nicht jetzt werden unsere frauen-und gleichstellungspolitischen Forderungen anerkannt und umgesetzt. Wir erwarten von Politik, Arbeitgeber*innen und allen Verantwortungsträger*innen ein ebenso mutiges, sachbezogenes und schnelles  Handeln wie jetzt in der Zeit von Corona. Deshalb fordern wir u.a.: finanzielle Aufwertung und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, im Gesundheitswesen, der Erziehung und im Einzelhandel; Abschaffung der Sonderregelungen für Minijobs; Rahmenbedingungen und Arbeitszeiten, die es Eltern ermöglichen, sich die Care-Arbeit gereicht zu teilen; eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung mit Beratungsstellen und Gewaltschutzeinrichtungen…” Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen externer Link zum Aufruf externer Link 
  • [ver.di: virtuelle Townhall am 12. Mai 20] Schluss mit Ausreden: Applaus reicht nicht- jetzt handeln! 
    Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens treffen in einer virtuellen Townhall am 12. Mai auf Politik und Arbeitgeber – und lassen keine Ausreden mehr gelten. Anmelden und mitmachen. Zu wenig Personal im Gesundheitswesen, zu schlechte Bezahlung in der Altenpflege, arbeiten bis zum Umfallen. Seit Jahren prangern wir die Missstände an. Und nicht erst seit der Corona-Krise kennen wir das Spiel. Es gibt ein Problem und alle schieben sich die Verantwortung zu: Die Politik sagt, die Arbeitgeber*innen seien schuld. Die Arbeitgeber*innen sagen, die Politik sei schuld. Und am Ende ändert sich für die Beschäftigten wenig. Am Tag der Pflegenden soll Schluss sein mit den Ausreden. Wir bringen Politik und Arbeitgeber an einen Tisch mit den Beschäftigten, damit sich niemand aus der Verantwortung schleichen kann. Wie läuft das ab? ver.di richtet ein virtuelles Townhall Meeting aus. 12. Mai, 18:30 – 20:00 Uhr. In einer Videokonferenz konfrontieren Branka Ivanisevic, Altenpflegerin; Dana Lützkendorf, Fachkraft für Intensivpflege; Kerrin Deisler, medizinisch-technische Assistentin die Verantwortlichen mit ihren Erfahrungen und Erwartungen. ver.di lädt alle Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen ein teilzunehmen. Seid dabei, bringt euch ein und zeigt, dass hinter den Sprecherinnen und Forderungen Hunderte stehen…” Infos und Anmeldung bei ver.di Gesundheit & Soziales externer Link zu #townhall1205.
    • Siehe nun den Bericht bei ver.di, Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen externer Link#townhall1205: Beschäftigte reden TachelesKolleginnen senden bei Internetdebatte am Tag der Pflegenden eine klare Botschaft an die Vertreter der Arbeitgeber und der Bundesregierung: Applaus reicht nicht – jetzt handeln! Klare Worte, eindeutige Botschaften: Die Kolleginnen, die am Tag der Pflegenden (12. Mai 2020) beim ver.di-»Townhall-Meeting« stellvertretend für tausende Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen sprachen, nahmen kein Blatt vor den Mund. Sie konfrontierten die anwesenden Regierungs- und Arbeitgebervertreter mit ungeschminkten Berichten über die Zustände in Kliniken, Pflegeheimen und anderen Einrichtungen. Und sie artikulierten deutlich ihre Forderungen: mehr Personal, eine flächendeckend gute Bezahlung und den Schutz ihrer Gesundheit…”
  • Gerade in systemrelevanten Berufen sind die Monatseinkommen deutlich unterm Durchschnitt / ver.di will Tarifverträge zur Aufwertung systemrelevanter Berufe 
    • ver.di will Tarifverträge zur Aufwertung systemrelevanter Berufe – Staat soll bei geretteten Unternehmen aktiv beteiligt seinDie Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) will nach dem Höhepunkt der Pandemie bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung besonders in den systemrelevanten Berufen „notfalls auch mit Streiks“ durchsetzen. „Wir werden Tarifvertrag für Tarifvertrag aufrufen und alle die beim Wort nehmen, die zurzeit täglich eine größere gesellschaftliche Anerkennung für diese Berufe fordern, in denen besonders viele Frauen arbeiten. Extrazahlungen sind gut, nachhaltige Tarifverträge besser“, erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke zum „Tag der Arbeit“. Gleichzeitig sei es eine „gesellschaftliche Aufgabe, für den Erhalt jedes Arbeitsplatzes zu kämpfen, der gefährdet ist, ob in der Tourismusbranche, im Luftverkehr, in Kultureinrichtungen oder im Handel.“ Die gesetzliche Erhöhung des Kurzarbeitergeldes wertete Werneke als Erfolg der Gewerkschaften: „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Erhöhung erst ab dem vierten Monat für viele Beschäftigte in Dienstleistungsbranchen mit niedrigen Einkommen und einem hohen Anteil an Teilzeitarbeit viel zu spät kommt.“ Kritik übte der ver.di-Vorsitzende an Unternehmen, die staatliche Gelder für ihren Erhalt bekommen und gleichzeitig versuchen, Arbeitsplätze zu vernichten. „Wir müssen verhindern, dass mithilfe von Steuergeldern Personalabbau finanziert wird oder Dividenden an Aktionäre und Boni an Führungskräfte gezahlt werden“, sagte Werneke. Deshalb sei es wichtig, dass „der Staat an Unternehmen, die mit Steuergeldern gerettet werden, aktiv beteiligt ist und so verantwortlich dafür bleibt, was mit dem Steuergeld passiert“…” ver.di-Pressemitteilung zum 01.05.2020 externer Link, siehe auch:
      • Wir bleiben hier… Beschäftigte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen machen mit einer Foto-Aktion im Berliner Regierungsviertel ihre Forderungen nach Gesundheitsschutz, Aufwertung und Entlastung sichtbarBeschäftigte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen haben mit einer besonderen Aktion auf ihre Forderungen nach mehr Gesundheitsschutz, Aufwertung und Entlastung hingewiesen. In den vergangenen beiden Nächten projizierten ver.di-Aktivisten Fotos auf Fassaden des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundestags und weiterer zentraler Orte in Berlin. Auf den projizierten Fotos sind Beschäftigte aus Krankenhäusern und Pflegeheimen, der Sozialen Arbeit, der Behindertenhilfe und vielen anderen Bereichen zu sehen, die ihre Anliegen auf Plakaten sichtbar machen. Sie stehen stellvertretend für viele hundert Beschäftigte, die sich an einer bundesweiten Foto-Aktion von ver.di beteiligt haben. Sie fordern unter anderem mehr Personal und Entlastung, ausreichende Schutzausrüstung und besondere Zulagen in Zeiten der Corona-Pandemie…” Pressemitteilung vom 30.04.2020 bei ver.di Gesundheit & Soziales externer Link mit Fotos/Videos
    • Gerade in systemrelevanten Berufen sind die Monatseinkommen deutlich unterm Durchschnitt“… In den aufgrund der Corona-Pandemie im Fokus stehenden systemrelevanten Wirtschaftsbereichen erzielten vollzeitbeschäftigte Fachkräfte 2019 im Durchschnitt folgende Bruttomonatsverdienste: – in Krankenhäusern (zum Beispiel in der Gesundheits- und Krankenpflege) 3.281 Euro, – in Altenheimen 2.702 Euro und – im Lebensmitteleinzelhandel 1.840 Euro. Der Durchschnittsverdienst aller Fachkräfte im Produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich betrug zum Vergleich 2.785 Euro brutto pro Monat. Der Anteil an Teilzeitarbeit war im Gesundheits- und Sozialwesen mit 57,9 Prozent sowie im Einzelhandel mit 53,6 Prozent am höchsten. Der Durchschnitt im Produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich lag dagegen bei 27,4 Prozent. Die erwähnten systemrelevanten Fachkräfte identifizieren die Statistiker mit der „Leistungsgruppe 3“: Arbeitnehmer/-innen mit schwierigen Fachtätigkeiten, für deren Ausübung in der Regel eine abgeschlossene Berufsausbildung, zum Teil verbunden mit Berufserfahrung, erforderlich ist. Und der Blick auf deren Einkommen zeigt: Egal, wo sie tätig sind – sie verdienen im Schnitt deutlich weniger als die sonstigen Beschäftigten im selben Wirtschaftsbereich. Besonders deutlich wird das in Krankenhäusern, wo Pflegekräfte deutlich weniger verdienen als das ärztliche Personal. Andererseits sind hier die Einkommen wieder deutlich höher als im Bereich „Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln“ oder im Lebensmitteleinzelhandel. Und gerade die beiden letzten Wirtschaftsbereiche zeigen ja, dass sie auch in Epidemien weiterhin systemrelevant sind. Es fließt in Deutschland also viel zu wenig Geld in die wirklich wichtige Nahrungsmittelversorgung. Hier zeigt die Billigpreispolitik der großen Einzelhandelskonzerne fatale Folgen, die sich in ihrer Schärfe auch nach Corona zeigen werden, denn gerade die Bauern haben bei diesem Preisdruck längst massive Existenzprobleme. Und der Blick auf die Krankenhäuser zeigt nur die halbe Wahrheit, denn dort sind eher nicht die Einkommen das Problem, sondern die auf Kante gesparten Arbeitsbedingungen mit überlangen Schichten, viel zu geringem Personaleinsatz und entsprechender Überlastung für Ärzt/-innen und Pflegekräfte. Mit Lohnerhöhungen kann man sich hier nicht freikaufen. Die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten müssen sich deutlich verbessern…” Beitrag von Ralf Julke vom 3. Mai 2020 bei der Leipziger Internetzeitung externer Link
  • Die zentrale Rolle von Frauen im Kampf gegen die Corona-Krise 
    “Die COVID-19-Pandemie hat schwerwiegende Konsequenzen für unsere Gesundheit, unsere wirtschaftliche Zukunft und unser soziales Gefüge. Dabei sind Frauen in verschiedener Hinsicht besonders betroffen. Sie stellen einen Großteil der Beschäftigten im Gesundheitswesen und anderen systemrelevanten Berufen, etwa in der Kindernotbetreuung und der Lebensmittelversorgung. Damit setzen sie sich einem erhöhten Infektionsrisiko aus. Trotzdem sind sie in diesen Berufen unterdurchschnittlich bezahlt und genießen oft ein geringes Ansehen. Gleichzeitig tragen Frauen einen Großteil der Last zu Hause, wenn Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen werden, denn es gibt bei der unbezahlten Arbeit seit langem geschlechtsspezifische Ungleichheiten. Zudem tragen Frauen ein höheres Risiko von Arbeits- und Einkommensverlusten und sehen sich in Krisen- und Quarantänezeiten eher Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch oder Belästigung ausgesetzt. Die OECD-Kurzstudie „Women at the Core of the Fight against COVID-19 Crisis” untersucht genau diese Rollen, die Frauen in der Krise ausfüllen, und die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. In einem Webinar in Zusammenarbeit mit dem DIW haben wir die Studie am 9. April 2020 einem deutschsprachigen Publikum vorgestellt…” Veröffentlichung des Webinars vom und beim OECD Berlin Centre Blog am 9. April 2020 externer Link mit der Power Point Präsentation von Monika Queisser, mit Daten zu Geschlechterdifferenzen im OECD-Vergleich und Handlungsempfehlungen für die Politik sowie der Power Point Präsentation von Josefine Koebe, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIW Berlin, mit Fokus auf die Situation in Deutschland
  • Schlecht bezahlte Dienstleister bekommen während der Corona-Krise Applaus vom Balkon, während ihre Jobs noch härter werden / [In der Schweiz ist es nicht anders] “Während ihr klatscht – denke ich an…” 
    • Noch mehr schuften. Schlecht bezahlte Dienstleister bekommen während der Corona-Krise Applaus vom Balkon, während ihre Jobs noch härter werdenDie Spaltung der Arbeitswelt in Arbeiter und Angestellte hat man lange nicht so deutlich gesehen wie in diesen Tagen. Das Coronavirus sortiert die Beschäftigten: Während die einen stundenlang in Videokonferenzen hängen, fahren die anderen Tag für Tag an ihre Arbeitsstätten. Es sind vor allem Angehörige schlecht bezahlter Dienstleistungsberufe, die jetzt die soziale Infrastruktur am Laufen halten und zu Helden verklärt werden, während ihnen die Privilegierteren allabendlich vom Balkon vorm Homeoffice aus kollektiven Applaus spendieren. Viele unserer neu entdeckten Helden arbeiten zu so niedrigen Löhnen, dass sie sich schlicht kein Auto leisten können. Sie sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen – staatliches Abstandsgebot hin oder her. Man darf in Berlin zwar nicht allein mit einem Buch auf der Parkbank sitzen, mit einem Dutzend niesender Mit-Passagiere im U-Bahn-Abteil aber schon. Da der Takt von Bussen und Bahnen ausgedünnt wurde, sind sie trotz gesunkener Fahrgastzahlen im Berufsverkehr oft überfüllt. Wie sieht es erst am Arbeitsplatz aus? In den Logistikzentren der großen Supermarktriesen ist von Krise keine Spur: „Bei uns werden gerade massiv zusätzliche Leiharbeiter eingestellt“, sagt ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus einem Lidl-Zentrallager bei Augsburg. Von hier werden über 90 Discounter in der Region beliefert. Hart ist die Arbeit ohnehin, doch das ist nichts im Vergleich zur aktuellen Lage. Fühlt er sich geschützt? „Na ja.“ Es gibt Aushänge mit der Aufforderung, zwei Meter Abstand zu halten. Doch im Alltag ist das praktisch unmöglich, wenn auf einmal Dutzende Leute mehr im Betrieb sind. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Amazon im nordrhein-westfälischen Rheinberg. Dort laufen so viele Pakete über die Packtische wie selten. (…) Auch bei der Warenlieferung steigt das gesundheitliche Risiko. Der Arbeitstag eines LKW-Fahrers dauert schon in normalen Zeiten oft mehr als 13 Stunden. Im Zuge der Corona-Krise wurde das Sonntagsfahrverbot aufgehoben, Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten sollen gelockert werden…” Artikel von Jörn Boewe und Johannes Schulten vom 6.04.2020 bei Der Freitag online externer Link
    • [In der Schweiz ist es nicht anders] “Während ihr klatscht – denke ich an…” „Während ihr klatscht, bin ich vor allem verwirrt. Während ihr klatscht, denke ich, falls es Menschen gibt, die erst jetzt merken, was wertvoll ist, dann ist die aktuelle Krise ihr kleinstes Problem.“ (…) Während ihr klatscht, ist ein Teil von mir auch ergriffen und bewegt, weil es vor allem die Pflegefachfrauen sind, die ich schon seit jeher bewundere für das, was sie tun. Weil ich weiss, wie es hinter den Kulissen aussieht. Ich denke wieder an meine Mutter, die in den 90ern, als meine Tante, meine Grossmutter, mein Stiefvater und ich in einer Eineinhalbzimmerwohnung lebten, für uns alle sorgte, weil sie die Einzige war, die arbeiten durfte. Dass ich es bis heute unfassbar finde. Ich denke an ihre Morgen-, Spät- und Nachtschichten und daran, wie sie mir eben damals, als ich mich dann für eine Ausbildung entscheiden sollte, sagte, ich solle auch ins Gesundheitswesen. Kranke und Tote wird es immer geben – hatte sie gesagt. Das ist wohl dieses „systemrelevant“ von dem wir heute so viel lesen. Ich denke, für sie war es klar, dass man einer Arbeit nachgehen soll, die man ausüben kann, sobald eine Krise kommt. Denn Krisen wurden für Menschen wie sie eine Selbstverständlichkeit. Und während ihr klatscht, werde ich auch sauer, weil ich weiss, wie seit jeher gespart, zusammengestrichen und ausgeblendet wird, wenn es um das Gesundheitswesen geht. Ich denke auch daran, dass es vor allem die Frauen sind, die diese Berufe machen und dass sie schon so viel länger Heldinnen sind und nicht erst seit Covid-19. Wie unsichtbar sie sonst sind. Sie sind meiner Mutter nicht unähnlich. Ich denke daran, welche rassistischen Aussagen ich von Patienten aufschnappte in der Cafeteria oder in den Wartezimmern, weil das Deutsch von einer Pflegenden nicht gut genug oder weil ihr Deutsch zu Hochdeutsch ist. Und dabei denke ich, dass es so manche Krankenpflegerin gibt, die trotz Sprachmangel in Kompetenz, Fachwissen und Fähigkeit so manchen Arzt übertrumpft. (…) Ich denke aber auch daran, was ich an diesem Betrieb nicht mag. Ich habe selten so viel Konservatismus erlebt wie in gewissen Spitälern. Wer sie leitet und wie sie geleitet werden, wo die Entscheidungen gefällt werden, den Sexismus und die unfassbar steilen Hierarchien. Ich denke über Sonderrechte nach und Verhaltensarten. Ich denke, ich weiss auch, warum ich es manchmal fast nicht aushielt, warum ich ausbrechen wollte. Ich denke auch an die Ärzt*innen, die schon davor Leben gerettet haben. Ich denke aber auch an einige Ärzte, die ganz viel zum Unwohlsein in diesem System beitragen. An die Arroganz; an die, welche mich unnötigerweise über Tippfehler belehrten, obwohl ich am Literaturinstitut studiert habe; an den Arzt, der mich von hinten mit einem Kugelschreiber pikste, weil ich nicht sofort auf seine Frage reagierte; an den einen, der mir, als ein Stück Fisch am Mittagstisch auf mein Bein fiel, sagte: Fisch zu Fisch; an den Urologen, der die Harnröhrenabstriche bei schwulen Männern absichtlich tiefer, länger und somit schmerzhafter gestaltete, damit sie „ENDLICH LERNEN EIN KONDOM ZU BENUTZEN“; an das Gefühl, dass sich einstellt, wenn dich jemand durch deine Position und deinen Nachnamen schlichtweg als dumm liest…“ Kolumne von Ivona Brdjanovic vom 05.04.2020 im schweizerischen Blog “das Lamm” externer Link – es geht zwar um die Schweit, aber kaum anders, siehe daher dazu auch das Dossier: Auch in Deutschland stehen dem Corona-Virus (politisch gewollt) knappe Ressourcen des Gesundheitswesens gegenüber
  • [Transparent-Kampagne] „Applaus ist nicht genug! Gerechte Löhne für Pfleger*innen, Verkäufer*innen…“ 
    AKU Wiesbaden: [Transparent-Kampagne] „Applaus ist nicht genug! Gerechte Löhne für Pfleger*innen, Verkäufer*innen…“Seit Wochen bestimmt der Corona-Virus und seine Auswirkungen auf unsere Gesellschaften fast alle Nachrichten. Und in diesen Wochen hat sich einiges verändert. Die Grenzen sind für Menschen dicht, Waren kommen durch. In Spanien und Italien sterben inzwischen täglich hunderte am Virus Erkrankte. In Griechenland sind zehntausende Geflüchtete in Lagern unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht. Die europäische Solidarität, sprich Krankenhauskapazitäten, die Aufnahme von Geflüchteten, oder sonstige Hilfe, ist minimal bis nicht vorhanden. Inspiriert aus Italien und Spanien wird in den Massenmedien und über private Kanäle mobilisiert, jeden Abend um 21 Uhr auf die Balkone und an die Fenster zu treten, und kollektiv, den in der Pflege eingesetzten Menschen, für ihre wichtige und aufopferungsvolle Arbeit in diesen düsteren Zeiten zu applaudieren. Eine schöne Geste. Und wie immer in Krisenzeiten – und nicht nur dann – ist es so, dass es die Frauen sind, die den Laden am Laufen halten und die dann auch mal richtig doll gelobt werden. Die gleichzeitig seit Wochen von Wirtschaftsverbänden geforderten Milliardenzahlungen und Zuschüsse für die vom Virus bedrohten Konzerne und Betriebe sind inzwischen verabschiedet. Allein in Deutschland werden 156 Milliarden Euro locker gemacht. Was nun plötzlich geht nachdem wir mindestens ein Jahrzehnt auf jede Forderung von unten das Dogma der schwarzen Null als Antwort bekamen. Nach dreißig Jahren Klassenkampf von oben ist das für (fast) alle auch scheinbar selbstverständlich. Kein Wort dagegen ist zu hören, endlich die Löhne der Pfleger*innen, Verkäufer*innen, Betreuer*innen u.a. zu erhöhen. Ihnen soll dafür jetzt kollektiv applaudiert werden, oder besser gesagt, die in den dicht bewohnten  Stadtvierteln lebenden Niedriglohngruppen, beklatschen sich selbst, wenn sie dafür nach Sonderschichten nicht zu müde sind. (…) Deshalb, Applaus ist gut, ist Balsam für die Seele, macht aber weder satt noch bezahlt er die Miete. Applaudieren wir also all den Frauen und Männern, die täglich ihre Kräfte aufopfern, sogar ihr Leben riskieren, damit die Gesundheitsversorgung, die Lebensmittelversorgung, die Fürsorge von Pflege- und Betreuungsbedürftigen aufrechterhalten wird. Doch lassen wir es nicht dabei bewenden: Sorgen wir dafür, dass Frauen – und nicht nur sie – endlich einen gerechten Lohn erhalten. Machen wir mit Transparenten und Fahnen auf jedem Balkon, an jedem Fenster klar, dass wir eine sofortige Lohnerhöhung für alle in diesen Bereichen Arbeitenden fordern. Machen wir klar, dass Krankenhäuser nicht dazu da sind um Profit zu erwirtschaften, sondern das auch nach dem Ende der Corona-Krise die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem zumindest verdoppelt werden müssen. Mehr Ärzt*innen, mehr Pfleger*innen, mehr Betten, besseres Essen usw. Gleiches gilt für alle Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge wie Wasser, Strom, Gas, Müll, öffentlicher Nahverkehr usw… Alle Gelder für jetzt Entlassene müssen unbürokratische Zuschüsse ohne Gegenleistung sein. (…) Aktionsideen: Transparente mit Forderungen aus den Fenstern. Transparente vor Krankenhäusern, Alten-, Pflege-, Obdachlosenheimen und Supermärkten aufhängen. Transparente fotografieren und über soziale und sonstige Medien verbreiten…” Kampagne am 31.3.2020 von AKU Wiesbaden gestartet externer Link
  • Systemrelevante Berufe: Kostenloser Applaus reicht nicht!Krankenpfleger, Verkäuferinnen, LKW-Fahrer – sie alle halten in der aktuellen Corona-Krise den Laden am Laufen. Was erhalten sie dafür? Höchste gesundheitliche Risiken und Applaus. Was verdienen Sie? Viel zu wenig! Mit “Corona-Boni” ist es nicht getan. Flächendeckende Tarifverträge mit einer höheren Bezahlung müssen her. Und das nicht erst seit Corona…” Schlaglicht 13/2020 vom 02.04.2020 von und bei DGB Niedersachsen externer Link
  • “Lohngerechtigkeit”: Tausende Pflegekräfte und Verkäufer müssen aufstocken / 500 Euro Prämie: ver.di fordert Anerkennung für die Heldinnen und Helden 
    • Lohngerechtigkeit: Tausende Pflegekräfte und Verkäufer müssen aufstockenViele Beschäftige, auf die es in der Corona-Krise besonders ankommt, müssen Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Das geht aus der Antwort auf eine Schriftliche Frage der Linksfraktion hervor. Im Jahr 2018 mussten beispielsweise mehr als 50 000 Verkäuferinnen und Verkäufer Leistungen der Grundsicherung beantragen, obwohl sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Zumindest können aber einige der Beschäftigten nun auf Prämien hoffen. (…) Zuletzt hatten mehrere große Ketten, darunter Rewe, Lidl, Kaufland, Aldi und Real, für ihre Beschäftigten einen Bonus ausgelobt, als Dank für die Arbeit in den Lagern, an den Regalen und Kassen. Wie es aussieht, soll dieser Bonus auch steuerfrei sein, ähnlich wie in Frankreich. Angesichts der erschwerten Bedingungen erhielten die Beschäftigten diesen Bonus zu Recht, twitterte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Sonntag. “Ich werde am Montag die Anweisung erlassen, dass ein solcher Bonus bis 1500 Euro komplett steuerfrei sein wird.” Der Linkspartei geht das nicht weit genug. Scholz’ Vorschlag sei zwar richtig, sagt Bartsch. “Er löst aber nicht das Grundproblem viel zu niedriger Löhne.” Stattdessen solle die Bundesregierung den Mindestlohn und entsprechende Branchenmindestlöhne anheben. “Die Stützen unseres Landes haben mehr Wertschätzung, vor allem auch mehr Geld verdient.”” Artikel von Michael Bauchmüller vom 30. März 2020 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
    • 500 Euro Prämie: ver.di fordert Anerkennung für die Heldinnen und Helden dieser TageDie derzeitigen Arbeitsbelastungen sind für viele Beschäftigte in versorgungsrelevanten Bereichen enorm. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordere die Arbeitgeber deswegen auf, in allen betroffenen Bereichen eine besondere Anerkennung von zusätzlich 500 Euro je Monat, in dem die Krise andauert, zu zahlen, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke: „Unsere Forderung an die Politik lautet: Dieser Betrag soll steuerfrei sein“. „Die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in Versorgung und Handel, bei der Bundesagentur für Arbeit – und das sind nur Beispiele –, halten dieses Land für uns alle am Laufen. Sie stehen unter extremen Belastungen und gefährden zum Teil in besonderer Weise ihre eigene Gesundheit. Die Arbeitgeber müssen sich dafür erkenntlich zeigen“, sagte Werneke. (…) Die Sonderzahlungen ersetzten jedoch keinesfalls vernünftige tarifliche Regelungen: „Für die Zukunft sind deshalb dauerhaft bessere tarifliche Entgelte und Regelungen erforderlich. Das wird ver.di aufrufen, wenn die derzeitige Pandemie überwunden ist“, sagte Werneke. „Aber bereits jetzt gilt es, Danke zu sagen“, betonte der ver.di-Vorsitzende. Deshalb werde die Forderung nach der Anerkennungsprämie von 500 Euro erhoben, die ab sofort und unbürokratisch durch die Arbeitgeber gezahlt werden solle, zumal etwa die Einzelhandelsunternehmen, die derzeit geöffnet seien, gegenwärtig Extra-Profite einfahren würden.” Pressemitteilung vom 27.03.2020 externer Link
  • Coronavirus: Systemrelevante Löhne fehlen noch / Systemrelevant ja, gut bezahlt nein” / Ihr beklatscht euch selbst
    • Systemrelevante Jobs in Coronakrise: Ihr beklatscht euch selbstUnser Autor findet das Klatschen für Pflegekräfte verlogen. Er ist selbst Pfleger und fordert: Kümmert euch lieber um die Alten und Vulnerablen. Punkt 18 Uhr stehen sie auf den Balkonen und klatschen und jubeln und freuen sich. Zu Ehren aller Systemrelevanten, unter anderem in der Pflege. Selbst der Bundestag ist aufgestanden und hat applaudiert. Auch zu meinen Ehren. Neulich schrieb eine Kollegin auf Twitter, das sei wie jeden Tag Muttertag, wenn es immerzu Blumen gäbe, aber den Haushalt müsse die Frau dann trotzdem allein schmeißen. Sie wollen nett sein, die Klatschenden, aber nett hat eine große Schwester. Ich arbeite in einer Wohngruppe mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Mit Glückwünschen und warmen Worten kenne ich mich aus. Ich weiß auch, was diese Glückwünsche heißen: „Schön, dass du diese Arbeit machst, ich könnte das nicht. Zum Glück muss ich mich da nicht drum kümmern.“ In dem Lob versteckt sich immer eine satte Prise Abwehr: Ich werde gelobt, damit sich niemand mit den Bewohner*innen auseinandersetzen muss, also jenen Menschen, die im Falle der Triage externer Link dann als Erste dem Tod überlassen werden, weil die halt keinen jucken. Den Klatschenden möchte ich drei Dinge sagen, erstens: Hört auf, den Pflegenden die Wange zu tätscheln, und kümmert euch um die alten, kranken, vulnerablen Menschen. Ja, auch die, die Europa gerade in Moria verrecken lässt externer Linkein besonderer Platz in der Hölle ist für jene reserviert, die abends angesichts dieser Katastrophe im Ernst die Europahymne von den Balkonen singen. Zweitens: Der Applaus schmeckt schal. Seit Jahrzehnten hat man unsere Forderungen, die der Pflegenden, ignoriert, weggedrückt, abgetan. (…) Und nein, da geht es (nicht nur) um mein Gehalt, das lässt sich nicht mit 500 netto pro Nase einfach zuschütten. Es geht darum, wie es in den Heimen, den Krankenhäusern, den Wohngruppen aussieht. Ich kann mich an keine Reform erinnern, deren Ankündigung ohne den Zusatz „Kostenneutralität“ auskam, obwohl allen klar ist, dass die Bedarfe steigen. Und kaum eine*n hat es gejuckt. (…) Und drittens: Nein, Pflegende sind keine Heiligen. Ich will auf keinen Sockel gehoben werden, bloß damit ihr euch besser fühlt. Unter den Pflegenden sind Arschlöcher, Ignoranten und – ja – auch Rassist*innen. Wer die Pflege jetzt in den Himmel hebt, verdeckt das…” Kommentar von Frédéric Valin vom 26.3.2020 bei der taz online externer Link
    • Coronavirus: Systemrelevante Löhne fehlen noch – Der Bundestag kann sich trotz seltener Einigkeit nicht auf das Nächstliegende einigen“… Die Beschlüsse zur Bekämpfung der Corona-Krisenfolgen gehen an diesem Mittwoch in rasender Geschwindigkeit vonstatten. Erst recht gemessen an ihrer Tragweite. Die zeigt sich an der gewaltigen Summe, über die der Bundestag zu befinden hat. 1400 Milliarden Euro stelle der Bund an Zahlungen, Krediten, Gewährleistungen und Garantien bereit, lobte Alexander Dobrindt (CSU). Nicht alles Geld wird sofort fließen, aber es ist Geld, das verfügbar sein muss. (…) Wenn kostenloses Mittagessen für Kinder in der Schule oder Kita jetzt wegfällt, kann das für manche Eltern ein großes Problem bedeuten, weil sie die Kosten nun aus dem Familienbudget bestreiten müssen. Eine vorübergehende Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes, die die Grünen wie auch die Linke vorgeschlagen hatten, ist in den Gesetzen nicht enthalten. Dennoch herrscht eine ungewohnte Friedfertigkeit im Hohen Haus. (…) Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken, fügt in ihrer Rede an, dass ihre Partei die Schuldenbremse schon immer als unzulässige Beschränkung staatlicher Handlungsfähigkeit abgelehnt hat. Darüber hinaus hat sie Forderungen über die jetzigen Pläne hinaus. Es fehlten wichtige Regelungen, sagt sie. So gelte es den Menschen in den »systemrelevanten« Berufen, die jetzt unter großem Einsatz das Leben am Laufen halten, mehr als warme Dankesworte zu spenden. Vielmehr sollte es einen sofortigen Lohnzuschuss in Höhe von 500 Euro geben. Das Kurzarbeitergeld solle von 60 auf 90 Prozent des Lohns erhöht werden und eine Lohnfortzahlung für Eltern solle gelten, die von Kita- und Schulschließungen betroffen sind. Kleine Renten und der Hartz-IV-Regelsatz sollte nach dem Willen der Linken um 200 Euro pro Monat aufgestockt werden. Das Gesetz sieht nun lediglich vor, die Leistungen in einem »vereinfachten Verfahren schnell und unbürokratisch zugänglich« zu machen, »um die Betroffenen zeitnah unterstützen zu können«.” Beitrag von Uwe Kalbe bei neues Deutschland vom 25. März 2020 externer Link zu Corona-Schutzschild des Bundesfinanzministeriums externer Link
    • Kassiererin, Krankenpfleger, Müllwerker So viel verdienen die Corona-Helden des AlltagsSie sind die Helden der Coronakrise: Kassiererinnen, Pflegekräfte, Müllwerker. Nun werden die Dienstleister des Alltags teils beklatscht – aber sonst schlecht bezahlt. Ein Gehaltscheck. (…) Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kündigte an, eventuelle Sonderprämien für den Einsatz in der Coronakrise von der Steuer zu befreien – und erhält dafür die Unterstützung aus der Unionsfraktion. Rewe hat bereits Prämien für die Mitarbeiter angekündigt, 20 Millionen Euro sollen es insgesamt sein – angesichts des boomenden Geschäfts einer der wenigen Gewinnerbranchen des Coronaschocks kann sich die Einzelhandelskette das auch gut leisten. Auch Aldi Süd ließ verlauten, über Sonderzahlungen nachzudenken. (…) Noch erfreuter wären die so rasant zu “Heldinnen und Helden des Alltags” geadelten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aber, wenn sie auch auf Dauer besser bezahlt würden. So fordert es nun Arbeitsminister Heil: “Die haben nicht nur warme Worte, sondern langfristig auch bessere Löhne verdient”, sagte er den Funke-Zeitungen, denn “Leistungsträger sind nicht nur Krawattenträger, sondern auch diejenigen, die jetzt im Supermarkt an der Kasse sitzen, die in Krankenhäusern Zusatzschichten schieben oder weiterhin unseren Müll entsorgen”. Die würden nämlich mitunter sehr niedrig bezahlt – allerdings könne man höhere Löhne nicht staatlich verordnen. (…) Daten des Statistischen Bundesamts geben Aufschluss über die durchschnittlichen Brutto-Monatsgehälter von Vollzeit-Angestellten dieser Berufsgruppen im vergangenen Jahr. Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind bereits eingerechnet. Angegeben sind die Gehälter unterschiedlicher Qualifikationen: Fachkräfte – also jene mit formaler Berufsausbildung, Angelernte – also jene ohne Ausbildung, aber Berufserfahrung sowie Ungelernte – also jene ohne Ausbildung und einfachen Tätigkeiten. Zum Vergleich sind auch die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller Arbeitnehmer in Deutschland angegeben. (…) Die Daten machen klar: Tatsächlich liegen die Löhne aller genannten Berufsgruppen unter dem deutschen Durchschnitt – mit einer Ausnahme: In Krankenhäusern verdienen Arbeitnehmer etwas besser. Besonders schlecht bezahlt werden die Angestellten im Einzelhandel: Hier verdient man selbst mit abgeschlossener Berufsausbildung mit 2841 Euro rund 750 Euro weniger als den deutschen Durchschnitt – liegt also rund 20 Prozent unter dem Normalniveau. Bei An- und Ungelernten ist die Differenz etwas geringer, aber immer noch immens...” Artikel von Florian Diekmann vom 25.03.2020 beim Spiegel online externer Link, siehe eine noch bessere Darstellung in “Systemrelevant ja, gut bezahlt nein” bei de.statista.com externer Link
  • Siehe auch zum Thema: [Wichtige Debatte, wenn auch erst durch Corona] Was ist notwendige Arbeit? Und wer entscheidet darüber?
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164592

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