Presseinformation am 13.7.2020 (im Anhang der gleiche Text als
DOC)
Diese Presseinformation wurde aus der Projektwerkstatt in Saasen heraus verschickt. Die Projektwerkstatt ist eine offene Aktionsplattform und der Name des Hauses. Sie ist keine politische Gruppe, d.h. obige Presseinformation ist nicht Meinung "der" Projektwerkstatt, sondern hier und anderswo aktiver Menschen, die die Plattform nutzen.
_______________________________________________Autostadt verteidigt: Polizei und Ordnungsamt unterbinden Verkehrswende-Demos in Wolfsburg – Angriff auf Presse
Die
Stadt wurde für die Autoproduktion gebaut, und zumindest ihre
Institutionen scheinen diesem Ziel immer noch verpflichtet zu
sein. Polizei und Stadtverwaltung in Wolfsburg verbannten Anfang
Juni Demonstrationen auf Rad- und Fußwege. Als der Protestzug
für eine Verkehrswende eine Straße betrat, griff die Polizei
durch. Es folgten ein fast zweistündiger Kessel, Platzverweise
gegen Demonstrant*innen und Angriffe auf Journalist*innen. Das
hat jetzt ein Nachspiel: Betroffene reichen fast 20 Klagen gegen
Wolfsburger Polizei ein.
Die Polizeiaktionen gegen friedliche
Demonstrant*innen und zwei das Geschehen verfolgende
Journalist*innen am 2. Juni in Wolfsburg haben Konsequenzen.
Betroffene reichten inzwischen fast zwanzig Klagen ein. Ihre
Vorwürfe: Die Polizei hätte Demonstrieren in Grünanlagen und auf
Straßen untersagt, Aktivist*innen grundlos verhaftet, eine
daraufhin stattfindende Demonstration gekesselt und allen
Teilnehmer*innen Platzverweise erteilt. Außerdem seien zwei
Journalist*innen, die das Geschehen verfolgten, ebenfalls per
Platzverweis aus dem Stadtgebiet von Wolfsburg verbannt worden.
Einem der Journalisten wurden sogar die gesamte Kameraausstattung
und alle Datenträger beschlagnahmt. Damit seien gleich mehrere
Grundrechte gebrochen worden – die Versammlungs- und die
Pressefreiheit. „Ich habe selten erlebt, dass Polizeieinheiten
derart ignorant mit verfassungsmäßig garantierten Grundrechten
umgehen“, bewertet der Gießener Anwalt Tronje Döhmer, der einige
Betroffene bei ihren Klagen vertritt, die beschriebenen Abläufe
und fügt hinzu: „Ich fühle mich an den 70er-Jahre-Sponti-Spruch
erinnert: Legal – illegal – scheiß egal. Nur dass das diesmal von
der Polizei kommt.“ Neben den Klagen wegen Verstößen gegen die
Versammlungs- und Pressefreiheit haben 4 Aktivist*innen von Robin
Wood noch Klage gegen ihre Ingewahrsamnahme eingereicht. Sie waren
daran gehindert worden, ein Transparent an einer Brücke zu zeigen.
Auch ihre Versammlung wurde durch die Polizei unter Mithilfe der
Security von VW komplett unterbunden.
Betroffene, die bei den angegriffenen
Kundgebungen dabei waren und bis zu zweieinhalb Stunden bei
sengender Sonne im Kessel ausharren mussten, sehen auch politische
Motive hinter den uniformierten Übergriffen: „Wir traten mit
unserer Versammlung für eine Verkehrswende und den Umbau des
VW-Konzerns zu einer Fabrik für Straßenbahnen und Busse ein.
Offenbar sehen sich staatliche Stellen in dieser Stadt aber als
Schutztruppe des Großkonzerns.“ Darauf deuteten Bemerkungen
verschiedener Polizist*innen hin, die offen aussagten, dass die
Straßen in Wolfsburg den Autos gewidmet seien. Versammlungen
dürften nur auf Fuß- und Radwegen stattfinden, auch wenn diese
dadurch komplett versperrt würden. Erst später seien vermeintliche
Verstöße gegen die Corona-Bestimmungen als Argument aufgekommen,
die zudem pauschal erhoben wurden und inzwischen in
Bußgeldverfahren mündeten. Die Betroffenen wiesen die Vorwürfe als
nachträgliche Erfindung zurück. Vielmehr hätten gerade die
Zwangsmittel der Polizei eine problematische Situation geschaffen.
Mit den Worten „Anderthalb Stunden Corona-Kessel - nicht deren
Ernst!“ quittierte Marten Reiß, der als Letzter aus dem Kessel
entlassen wurde und ebenfalls Klage eingereicht hat, die Abläufe.
Andere kritisierten auch die Stadt Wolfsburg: „Stadtverwaltung und Polizei arbeiten hier Hand in Hand gegen VW-kritische Stimmen.“ Das Ordnungsamt sei mit mehreren Personen während der Polizeiübergriffe anwesend gewesen, hätte aber tatenlos zugeschaut, obwohl das Amt als Versammlungsbehörde eigentlich zuständig gewesen wäre. Die Bediensteten vor Ort hätten Gespräche verweigert und auf die Telefonzentrale der Stadtverwaltung verwiesen, wo Anrufende allerdings in Endloswarteschleifen geschickt wurden. „In dieser Stadt scheint VW über den Grundrechten zu stehen“, beurteilte Rechtsanwalt Nils Spörkel die zahlreichen Rechtsverstöße. Aus dem Kreis der vom Kessel direkt Betroffenen ist die Kritik noch klarer: „Dass eine Polizeieinheit derart viele Rechtsfehler in so kurzer Zeit begehen kann, ist schon rekordverdächtig – und das, obwohl sie wegen der unmittelbar vorher stattfindenden Kundgebung sogar auf ein Demonstrationsgeschehen vorbereitet und deshalb auch die Versammlungsbehörde anwesend war.“
Andere kritisierten auch die Stadt Wolfsburg: „Stadtverwaltung und Polizei arbeiten hier Hand in Hand gegen VW-kritische Stimmen.“ Das Ordnungsamt sei mit mehreren Personen während der Polizeiübergriffe anwesend gewesen, hätte aber tatenlos zugeschaut, obwohl das Amt als Versammlungsbehörde eigentlich zuständig gewesen wäre. Die Bediensteten vor Ort hätten Gespräche verweigert und auf die Telefonzentrale der Stadtverwaltung verwiesen, wo Anrufende allerdings in Endloswarteschleifen geschickt wurden. „In dieser Stadt scheint VW über den Grundrechten zu stehen“, beurteilte Rechtsanwalt Nils Spörkel die zahlreichen Rechtsverstöße. Aus dem Kreis der vom Kessel direkt Betroffenen ist die Kritik noch klarer: „Dass eine Polizeieinheit derart viele Rechtsfehler in so kurzer Zeit begehen kann, ist schon rekordverdächtig – und das, obwohl sie wegen der unmittelbar vorher stattfindenden Kundgebung sogar auf ein Demonstrationsgeschehen vorbereitet und deshalb auch die Versammlungsbehörde anwesend war.“
Nicht nur eine Missachtung der
Versammlungsfreiheit wird in den zahlreichen Klagen, die jetzt
beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingegangen sind, moniert.
Auch hätte es Verstöße gegen die Pressefreiheit gegeben. So seien
gegen zwei Journalist*innen Platzverweise verhängt worden. „Ich
sollte sofort und für den ganzen Tag Wolfsburg verlassen“,
berichtet Cecile Lecomte aus Lüneburg, die das Geschehen per
Kamera aufzeichnete. „Ich wurde bis in den Zug von Polizei
begleitet - offenbar war das Ziel, kritische Berichterstattung
über die Polizeimaßnahmen zu verhindern.“ Dabei hatte sich die
Journalistin mit einem gültigen Presseausweis gegenüber der
Polizei legitimiert. Einen solchen zeigte auch ihr Kollege Jörg
Bergstedt vor, den es aber noch schlimmer erwischte. Er erhielt
nicht nur den Platzverweis, sondern seine gesamte
Kameraausstattung plus Datenträgern wurde beschlagnahmt. Um nach
diesen zu suchen, wurde der Journalist sogar festgenommen und ins
Polizeirevier verbracht. Inzwischen erklärte das Wolfsburger
Amtsgericht das Vorgehen der Polizei pauschal für zulässig und die
Stadt stellte einen Bußgeldbescheid aus. „Ich war gar nicht Teil
der Demonstration und auch nicht im Kessel – aber hier wird
offenbar nach Schema F gehandelt. Wer gegen VW demonstriert,
verliert in Wolfsburg offenbar seine Bürgerrechte“, kommentiert
Jörg Bergstedt die Abläufe. Seine Arbeitsausstattung hat er bis
heute nicht wieder. Mehrere der Klagenden haben das
Verwaltungsgericht aber aufgerufen, die Datenträger des
Journalisten vor der Polizei zu sichern, damit dessen Aufnahmen
des Geschehens als Beweismittel für die anstehenden Verfahren
verwendet werden können. „Jeden Tag, den die Datenträger länger
bei der Polizei liegen, erhöht die Gefahr, dass diese gezielt
gelöscht oder vernichtet werden“, fürchten viele der am 2. Juni
Gekesselten. Das sei zwar widersprüchlich, weil die Polizei die
Beschlagnahme als angebliches Beweismittel begründet hat, also
diese eigentlich sorgsam aufbewahren müsste. Aber dieser Grund
wirkte von Beginn an vorgeschoben. „Alle Handlungen und Äußerungen
mir gegenüber machten klar, dass hier Beweismittel nicht
gesichert, sondern vernichtet werden sollten“, schildert der
betroffene Journalist seine Beobachtungen während seiner Kontrolle
und zeitweisen Festnahme. Er erinnert zudem an polizeiliche
Maßnahmen gegen Journalisten bei einer VW-kritischen Aktion im
August 2019. Auch dort erstattete die Polizei Strafanzeigen für
das Fotografieren der Abläufe – trotz vorgezeigtem Presseausweis.
Berichte zu den Abläufen im Internet:
- Filmbeitrag der Journalistin Cecile Lecomte: https://youtu.be/f9HsMEiI5Yo
- Textbeitrag des Journalisten Jörg Bergstedt: https://projektwerkstatt.de/index.php?p=21140
- Bericht auf der Seite des VVN/BdA: https://wolfsburg.vvn-bda.de/2020/07/08/gegen-polizeiwillkuer-in-wolfsburg-und-anderswo/
- Strafanzeige gegen einen Journalisten bei der Aktion im August 2019: https://twitter.com/fein_frisch/status/1282357217287708672
Auswahl der Klagen (online abrufbar):
- Klage der Journalistin Cecile Lecomte: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_klagececile.pdf
- Klage des
Journalisten Jörg Bergstedt (Verwaltungsrecht): https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_klagejb.pdf
Bestätigung der Beschlagnahme durch Amtsgericht: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_beschlagagbest.pdf
Beschwerde gegen die Beschlagnahme: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_beschlagbeschw.pdf - Klage des Anmelders der zweiten Versammlung, Edmund Schultz: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_klageede.pdf
- Klagen gegen
Platzverweise und Kesselung von Teilnehmer*innen der
verhinderten Demonstration:
1. Hans-Georg Dempewolf, 0531-330202 oder 0176-35391426, sde@jpberlin.de: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_klageschorse.pdf
2. Lise Menzel, lis.e@disroot.org: https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_klagelise.pdf
3. Etliche weitere wurden eingereicht mit ähnlichem Wortlaut.
Beispiel für die pauschalen Bußgeldbescheide
wegen vermeintlichen Verstoß gegen die Corona-Auflagen (hier gegen
den Journalisten Jörg Bergstedt, dessen Anwesenheit als Journalist
bereits als Verstoß gewertet wird): https://projektwerkstatt.de/media/text/verkehr_download_wobcoronaanhoerung.pdf
Kontakte für Nachfragen:
- Für die
Personen, die an der Demonstration teilnahmen und im
Polizeikessel ausharren mussten sowie Platzverweise erhielten:
Mechthild Hartung, 05361-76263 und 0157-7727 1986, mecki.hartung@gmx.de - Anmelder der
zweiten Versammlung:
Edmund Schultz, 0157 31714242, e.schultz@posteo.de - Die
Journalist*innen:
Cecile Lecomte, 0170-6028362, cecile@eichhoernchen.fr
Jörg Bergstedt, 06401-903923, joerg@projektwerkstatt.de - Die Anwälte:
Nils Spörkel, 0551-4883169, mail@rechtsanwalt-spoerkel.de
Tronje Döhmer, 06445-9231043, kanzlei-doehmer@t-online.de
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