Montag, 3. Dezember 2018

Wohnungslose Menschen sind weitgehend auf sich gestellt. Etablierte Politik gibt sich gleichgültig. Hilfsorganisationen fordern zum Handeln auf

Drohender Kältetod


Von Markus Bernhardt
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Bereits drei Kältetote in Hamburg in den vergangenen Wochen: Obdachloser campiert an der Außenalster (Februar 2010)
Kriminalisierung
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In den vergangenen Wochen sind bereits mindestens fünf wohnungslose Menschen im Land erfroren. Die Betroffenen stammten aus Osteuropa und lebten in Köln, Hamburg und Düsseldorf. Während sich Sozialvereine und Ehrenamtliche aufopferungsvoll um Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, kümmern, sitzt die etablierte Politik das Problem auch in diesem Jahr wieder aus. Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) zufolge sind zwischen 1991 und 2017 mindestens 289 Obdachlose erfroren. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen. Verlässliche Zahlen existieren nicht, da die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD sich weiterhin weigert, eine Statistik zu den Kältetoten zu führen. Gleiches gilt für eine bundesweite Statistik über Obdachlose und Wohnungslose allgemein. Handlungsbedarf gäbe es genug. Seit 2014 steigt die Zahl obdachloser Menschen drastisch an. Die Gründe dafür sind vielfältig: schwierige Lebenssituationen, Armut, Sucht oder Gewalt. Rund die Hälfte der Betroffenen in bundesdeutschen Großstädten stammt aus anderen EU-Ländern, insbesondere aus Rumänien, Polen oder Lettland. In Düsseldorf, so berichtete Hubert Ostendorf vom dortigen Straßenmagazin Fiftyfifty, werde diese »Personengruppe zu Touristen erklärt«, was bedeute, dass ihnen dann »der Zugang zu städtischen Notunterkünften in der Regel verwehrt« werde, obwohl sie sich zum Teil seit Jahren im Stadtgebiet aufhielten. All das geschieht, obwohl derlei Vorgehen schlicht rechtswidrig ist, wie der Experte für Ordnungsrecht, Karl-Heinz Ruder, in einem von der BAGW beauftragten Gutachten betont. Hingegen hat man in Köln bereits reagiert. So verfügt man in der Domstadt über eine ganzjährig geöffnete Notschlafstelle für EU-Obdachlose, in der diese auch tagsüber versorgt werden und zudem eine warme Mahlzeit erhalten. »Düsseldorf hält lediglich von Mitte November bis Mitte März eine ›Winternothilfe‹ mit 20 Plätzen in einem Schlafsaal und zusätzlich sechs Plätzen in einem weiteren Bereich für Frauen vor«, so Ostendorf. Während in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen die Winternothilfen bereits im Oktober starteten, nimmt man es in der reichen Landeshauptstadt mit den Hilfsangeboten nicht ganz so genau. So ist der Beginn der Winternothilfe in Düsseldorf ungeachtet der tatsächlichen Temperaturen auf den 15. November festgelegt.
Auch im Norden sieht es nicht besser aus. Obwohl die Temperaturen in Hamburg auch tagsüber nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen, sieht der Senat aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen keinen Grund, das dortige Winternotprogramm ganztägig zu öffnen. Wie die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft Ende November mitteilte, hätten SPD und Grüne im Sozialausschuss des Parlaments lediglich versprochen, »bei sehr kalten Temperaturen« die Öffnungszeiten zu erweitern. Ab wann der Senat die Temperaturen für »sehr kalt« befindet, hat er nun in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion dargestellt. Er verweist darauf, dass während der von Eisregen begleiteten Kältewelle Ende Februar/Anfang März 2018 die Öffnungszeiten des Winternotprogramms erweitert worden seien, jedoch nur, um angesichts »teils extremer Glätte insbesondere im Zeitraum bis zu einer Räumung der Gehwege die Sicherheit der Übernachtenden bei An- und Abreise nicht zu gefährden«.
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»Das kann nur ein schlechter Witz sein«, kommentierte die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, Cansu Özdemir. »Der Senat sorgt sich darum, dass Menschen auf dem Weg zum Winternotprogramm ausrutschen könnten. Er sollte lieber dafür sorgen, dass es nicht noch mehr Kältetote gibt. Wenn das Winternotprogramm geschlossen ist, erfrieren Menschen – egal ob die Zugangswege geräumt und gestreut sind oder nicht«, so Özdemir, die den Senat aufforderte, endlich zu handeln. Da Obdachlose – erst recht, wenn sie aus Osteuropa stammen – über keinerlei Lobby verfügen, steht zu befürchten, dass sie auch in diesen Wintermonaten weitgehend auf sich selbst gestellt sind.
https://www.jungewelt.de/artikel/344665.obdachlosigkeit-drohender-k%C3%A4ltetod.html

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