Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Oktober 2018
In mehreren Stadtstaaten und nun auch im Flächenstaat Bayern gibt es Initiativen für ein Volksbegehren gegen Pflegenotstand, deren Ziel es ist, über einen Volksentscheid einen verbindlichen und festen Personal-PatientInnen-Schlüssel auf gesetzlicher Ebene durchzusetzen.
Allen Initiativen ist gemein, dass sie in relativ kurzer Zeit mehrere 10.000 Unterstützerunterschriften erreicht haben, was zeigt, dass der Pflegenotstand für die Mehrheit der Bevölkerung ein akutes Problem darstellt, das nach einer Lösung schreit!
So richtig es ist, auf politischer Ebene gegen den Pflegenotstand aktiv zu werden, so eingeschränkt ist aber auch ein Volksbegehren, denn seine wirklichen Ursachen kann es nicht aufheben:
Zum einen ist das die Privatisierung der ehemals kommunal verwalteten Krankenhäuser und die Öffnung dieser für die Übernahme durch privatwirtschaftlich organisierte Konzerne, denen es in erster Linie um Profit geht.
Zum anderen ist dies das 2003 gesetzlich eingeführte System der Fallpauschalen (DRGs). Diese refinanzieren nicht die gesamten Kosten einer Behandlung, sondern bezahlen nur eine bestimmte Pauschale pro diagnostiziertem Fall. Alle Krankenhäuser müssen damit ihre laufenden Betriebskosten abdecken.
Privatisierungen rückgängig machen und …
Noch in den 1970igern bis Anfang der 1980iger Jahre befanden sie sich zum größten Teil in kommunaler Hand. Sie hatten damit auch den Auftrag, die Bevölkerung – egal ob reich oder arm, jung oder alt, ob in Land oder Stadt, chronisch krank oder nicht, die Behandlung teuer ist oder nicht – gleichwertig zu behandeln.
Von 1972 bis 1985 galt das vollständige Selbstkostendeckungsprinzip, nach dem die Krankenhäuser ihre Behandlungskosten vollständig von den Krankenkassen refinanziert bekamen. Sie durften keinen Gewinn machen, standen noch nicht in unmittelbarer Konkurrenz zueinander, wie das heute der Fall ist, denn unter den DRGs machen einige Gewinne, andere Verluste.
Der Einstieg in die Verschlechterung und schließlich das Auslösen einer massiven Privatisierungswelle erfolgte über die Finanzierungskrise der Sozialsysteme. Ab den 1970er Jahren setzte die Dauerwirtschaftskrise Staatsfinanzen und Sozialversicherungen unter Druck.
Sinkende Reallöhne führten dazu, dass die Gesundheitsausgaben den Einnahmen der Sozialversicherungen enteilten. Die paritätische Finanzierung wurde zugunsten der „ArbeitgeberInnen“ verändert, ihr Beitrag auf 7,3 % eingefroren. Seitdem zahlen die Versicherten alle Mehrkosten (Krankenkassenzusatzbeiträge) und Zuzahlungen bei sehr vielen Behandlungskosten und Medikamenten.
Bereits in den 1980iger Jahren wurde das Verbot, Gewinne zu machen, aufgehoben und damit begonnen, erste Fallpauschalen für bestimmte Behandlungen einzuführen. Das bedeutete nichts anderes, als einen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, der unter staatlicher Verwaltung stand, profitorientierten Konzernen zu öffnen. Das Privatkapital sollte wieder direkt auf bis dahin für es verschlossene Bereiche Zugriff erhalten.
Aber mit der Öffnung der Krankenhäuser für private Konzerne, deren erstes Ziel der maximal mögliche Profit ist und nicht die optimale Gesundheitsversorgung der Bevölkerung oder gute Arbeitsbedingungen für das Personal und der Einführung der Fallpauschalen gerieten die Krankenhäuser stärker in Konkurrenz zueinander und unter weiteren Kostendruck.
… weg mit dem Fallpauschalen-System!
Dieses System der Fallpauschalen hatte Auswirkungen auf zwei Ebenen:
Kommunale Krankenhäuser konkurrieren nun mit den privaten um möglichst viele „profitable Fälle“, denn nur diese gewährleisten Kostendeckung bzw. sogar Gewinne (das sind vor allem planbare chirurgische Eingriffe ohne großes Risikopotential). Ansonsten droht Insolvenz. Zwar steht im Hintergrund noch der gesetzliche Auftrag der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Dieser wird aber praktisch nicht mehr eingehalten, denn dadurch können Krankenhäuser nicht mehr rentabel arbeiten. (Sehr deutlich bei der Geburtshilfe, in den Kinderkliniken und internistischen Abteilungen.) Droht die Insolvenz, stehen die privaten Konzerne zur Übernahme parat – mit allen Verschlechterungen.
Auf diesen verstärkten Sparzwang reagierten die Krankenhäuser – ob privatwirtschaftlich oder kommunal organisiert – mit folgenden Maßnahmen:
- Behandlung einer größeren Anzahl von PatientInnen in kürzerer Zeit bei gleichbleibendem oder weniger Personal.
- Bettenabbau bei gleichzeitiger gesteigerter Bettenbelegung.
- Bevorzugte Behandlung von Fällen, die am meisten Gewinn versprechen.
- Personalabbau: Zwischen 1995 und 2016 wurden über 25.000 Pflegekräfte abgebaut (7,3 %). 2010 bildete Deutschland zusammen mit Polen im europäischen Vergleich das Schlusslicht beim Verhältnis Pflegekräfte zu PatientInnen (Deutschland: 1:9,9 – Norwegen: 1:3,7).
- Auslagerung von Abteilungen wie Küche, Reinigung mit schlechterer Bezahlung und Tarifflucht.
- Schlechtere Bezahlung der Beschäftigten im Kernbetrieb – z.B. durch Tarifflucht oder Abschluss eines schlechteren Haustarifvertrags als der geltende TVöD-K.
- Schließungen.
Schlechtere Versorgung der PatientInnen ist eine Folge von …
Die Folgen sind bekannt, eine gute Versorgung der PatientInnen ist nicht mehr gewährleistet. In vielen Bereichen kommt es zu einer Belegung von 110 – 120 % (PatientInnen auf dem Flur oder in Badezimmern etc.). Vor allem die Pflegekräfte geraten verstärkt unter Druck, burn out oder andere Krankheiten nehmen zu. Viele sehen keinen anderen Ausweg, als in Teilzeit zu gehen oder ganz aus ihrem Beruf auszuscheiden. Nach ver.di-Angaben fehlen bundesweit um die 70.000 Pflegekräfte.
… Kostendruck, Personalabbau, Arbeitsstress und führt zu …
Die Krankenhäuser kommen aber auch noch dadurch weiter unter Kostendruck, dass die Bundesländer, die für die Investitionskosten zuständig sind, von Jahr zu Jahr ihre Beiträge kürzen. Der notwendige Investitionsbedarf, der 2018 bei 6 Mrd. Euro liegt, wovon die Länder gerade mal die Hälfte zahlen, wird dann von den Krankenhäusern aus den Mitteln, die eigentlich für die Betriebskosten vorgesehen sind – also durch die Krankenkassen-Beiträge -, finanziert. Damit fehlen diese Mittel wiederum beim Personal, dies führt direkt zu Personalabbau.
Die Umstellung auf DRGs hat viele Kommunen ihre Kliniken an private Träger verkaufen lassen, wenn sie mit den Fallpauschalen nicht auskamen und zusätzlich noch aus laufenden Einnahmen dringend notwendige Investitionen tätigen mussten. Die privatisierten Betreiber schlossen übrigens Verträge mit den Ländern/Kommunen, um auch diese aus Steuergeldern finanziert zu bekommen, oft mehr als zuvor, als sie noch staatlich waren!
… hohen Profiten für die Krankenhauskonzerne!
Die Konzerne dagegen profitieren von diesem Fallpauschalen-System, da sie am rigorosesten oben angeführte Kostensenkungsmaßnahmen durchziehen. Der Anteil der Krankenhäuser, die sich in Besitz der großen Konzerne befinden, hat sich von 2002 bis 2013 von 23,7 auf 34,8 Prozent erhöht, während der in öffentlicher Trägerschaft von 37 auf 30 Prozent gesunken ist. Die deutschen Krankenhauskonzerne (Fresenius-Helios, Asklepios, Sana) überrundeten alle anderen in Europa und zählen heute zu den zehn größten weltweit. (Alle Zahlen nach: Fakten und Argumente zum DRG-System und gegen die Kommerzialisierung der Krankenhäuser, hrsg. von „Krankenhaus statt Fabrik“, März 2018). Oftmals gehen sie aus Pharma- und Geräteherstellern hervor, die schon vor 2003 die Ausrichtung der Medizin bestimmten. Dieser Vorteil verschaffte einigen wie dem Pharma- und Dialysekonzern Fresenius SE & Co. KGaA weiteren Marktzugang als Betreiber zahlreicher Kliniken.
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