Mittwoch, 17. Oktober 2018

Kindeswohl im Plenarsaal gefährdet?


Die Abgeordneten Madeleine Henfling (Grüne) und Beate Meißner (CDU) im Streitgespräch zum Erfurter »Babygate«



Frau Henfling, Frau Meißner, können Sie sich vorstellen, dass Ihre Kinder in Zukunft hier am Rande der Plenarsitzungen gemeinsam spielen?
Madeleine Henfling: Vielleicht mal bei irgendeinem Fest … Mal schauen, wie sich die Kinderfreundlichkeit in diesem Landtag weiter entwickelt.

Im Gespräch

Die Thüringer Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Bündnis 90/Grüne) hat kürzlich international für Schlagzeilen gesorgt. Als die 35-Jährige Ende August ihren wenige Wochen alten Sohn mit in den Plenarsaal des Thüringer Landtages nahm, kam es zum Eklat: Landtagspräsident Christian Carius (CDU) verwies sie des Saales. Henfling und die CDU-Landtagsabgeordnete Beate Meißner (36), Mutter einer kleinen Tochter, haben ganz unterschiedliche Ansichten zu dem, was inzwischen »Babygate« genannt wird. Sebastian Haak traf die beiden Politikerinnen zum gemeinsamen Gespräch über ihre Sicht auf die hinter dem Vorfall liegenden Probleme.
Beate Meißner: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass unsere Kinder mal miteinander spielen. Aber ob das hier im Landtag sein muss? Es gibt Orte, an denen Kinder bessere Möglichkeiten dazu haben.
Zu dem Vorfall, der in den Medien schnell unter dem Stichwort »Babygate« behandelt wurde, vertreten Sie beide unterschiedliche Standpunkte. Frau Meißner, Sie glauben, Frau Henfling habe provozieren wollen, als sie Ende August ihren erst wenige Wochen alten Sohn mit in dem Plenarsaal genommen hat.
Meißner: Ich will dazu erst mal eine Bemerkung vorweg schicken, die mir ganz wichtig ist: Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Mutter am besten weiß, wo ihr Kind gut aufgehoben ist. Trotzdem muss ich sagen: Die Sache mit dem Baby im Plenarsaal wurde mir dann mit dem Laufe der Zeit zu viel. Das hat bei mir den Eindruck geweckt , dass es dabei um eine Provokation, um eine Inszenierung ging. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als Frau Henfling mit ihrem Baby vor der Brust eine Pressekonferenz gegeben hat. Ich finde das eigentlich sehr schade. Denn das Thema, über das wir hier reden, ist ja wichtig. Aber ich finde Ihren Umgang damit, Frau Henfling, nicht angemessen.
Frau Henfling, nicht nur Frau Meißner hat den Eindruck, dass es Ihnen mit der Aktion um eine Provokation ging. War es eine?
Henfling: Ich finde es interessant, dass Sie, Frau Meißner, das als Inszenierung wahrgenommen haben. Aber wie hätten wir das denn inszenieren sollen? Wir hatten doch keinen Einfluss auf die Reaktion von Landtagspräsident Christian Carius. Bislang war seine Reaktion, wenn jemand mit Kind den Plenarsaal betreten hat, eine andere: Er hat jemanden von der Verwaltung zu der Abgeordneten geschickt, der sie dann dezent nach draußen gebeten hat. Wenn er das gemacht hätte, wäre ich mit meinem Sohn auch wieder raus gegangen. Dass Carius mich in diesem Fall aber vor dem versammelten Landtag, in aller Öffentlichkeit, des Saals verweisen würde, damit hatten wir niemals gerechnet. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Sache am Ende solche Wellen geschlagen ist.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern arbeitete nach der Geburt ihres Kindes im Juni weiter
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Jetzt haben Sie auf den Vorhalt reagiert, dass die Aktion eine Inszenierung war. Noch mal: Wollten Sie provozieren?
Henfling: Ich bin ja nicht naiv. Natürlich habe ich das Kind mit rein genommen, um einen Punkt zu machen. Denn wir haben den Landtagspräsidenten mehr als ein halbes Jahr lang darauf hingewiesen, dass wir eine Lösung dafür brauchen, wenn Abgeordnete ihr Kind mit in den Plenarsaal nehmen wollen - wenigstens zu den Abstimmungen. Und darauf hat er einfach nicht reagiert. Insofern war die Aktion natürlich eine Reaktion auf diese Weigerung, mit uns zu reden. Kinder lassen sich aber einfach nicht aufhalten. Irgendwann werden sie geboren.
Mit »wir« meinen Sie die Grünen-Landtagsfraktion?
Henfling: Ja.
Und Frau Meißner hat also ein bisschen recht: Ihr Auftritt war vielleicht nicht inszeniert, aber kalkuliert.
Henfling: Noch mal: Ich wollte einen Punkt machen, aber da war nichts inszeniert; wir haben im Vorfeld auch nicht mit der Presse gesprochen. Dass Carius vom Sitz des Landtagspräsidenten aus sagt, ich würde das Wohl meines Kindes gefährden, damit hätte ich nie gerechnet. Das war schon echt hart.
Meißner: Aber warum haben Sie denn im Vorfeld dann nicht auf eine Änderung der Geschäftsordnung des Landtages gedrungen, wenn für Sie das Problem schon so lange absehbar war?
Henfling: Weil man die Geschäftsordnung nicht ändern muss. Es ist ein Mythos, dass die Geschäftsordnung des Landtages es verbietet, Kinder in den Plenarsaal mitzunehmen. Darin steht lediglich, dass die Entscheidung darüber beim Landtagspräsidenten liegt.
Frau Meißner, Sie haben geschrieben, Sie glaubten, Frau Henfling wolle mit der Aktion letztlich das Stillen im Plenarsaal ermöglichen. Wie kommen Sie auf diese Idee?
Meißner: Ich hatte den Eindruck, dass es um mehr geht als um die Anwesenheit bei Abstimmungen …
Henfling: … Aber jetzt mal ganz ehrlich, Frau Meißner: Niemand von uns will im Plenarsaal stillen. Diese Befürchtung ist immer nur vom Landtagspräsidenten und aus den Reihen der CDU geäußert worden. Ich will nicht im Plenarsaal stillen und ich kenne auch niemanden, der das will. Dazu braucht man ja Ruhe.
Meißner: Aber selbst wenn es nicht das Stillen ist: Es geht Ihnen doch um eine permanente Präsenzmöglichkeit im Plenarsaal, oder?
Henfling: Es geht mir darum, dass ich selbst entscheiden will, wie ich mein Mandat ausübe; darum, dass ich mich selbstverständlich mit dem Kind zusammen in den Plenarsaal setzen kann, um eine Debatte zu verfolgen, solange es nicht stört. Wenn es anfängt zu schreien, dann gehe ich selbstverständlich mit ihm raus.
Meißner: Um einer Debatte zu folgen, müssen Sie doch aber nicht mit Ihrem Kind dauernd im Plenarsaal sein. Das geht auch von ihrem Büro aus.
Henfling: Aber Sie können dann nicht intervenieren, also etwa einen Zwischenruf machen oder sich spontan zu Wort melden. Sie haben vorhin gesagt, es obliege den Eltern zu entscheiden, was für ihr Kind das Beste ist. Wenn das so ist: Warum soll ich dann nicht selbst bestimmen können, wann ich mit dem Baby in mein Büro zum Zuhören gehe und wann ich das vom Plenarsaal aus tun möchte. Es geht mir um diese Selbstbestimmtheit.
Meißner: Aber das ist doch der Punkt. Und auch ein Grund, warum viele Eltern in Thüringen so verständnislos darauf blicken, dass Sie Ihr Kind dauerhaft mit in den Plenarsaal nehmen wollen. Denn diese Möglichkeit, die Sie hier für sich fordern, haben viele Eltern überhaupt nicht, wenn sie berufstätig sind. Durch diese Debatte um die Anwesenheit Ihres Kindes im Plenarsaal und das, was daraus schon gefolgt ist - die Einrichtung des Stillzimmers oder die Möglichkeit, einen Babysitter zu nutzen -, sieht es wieder so aus, als würden wir Abgeordnete uns Sonderrechte herausnehmen. Außerdem will ich noch anmerken: Ich könnte mein Abgeordnetenmandat nicht zu 100 Prozent wahrnehmen, wenn ich ständig mein Baby mit mir herumtragen würde.
Der Landtagspräsident hat gesagt, dass aus seiner Sicht das Kindeswohl gefährdet ist, wenn das Baby mit im Plenarsaal ist. Frau Henfling, das wissen wir, hält diese Aussage für Quatsch. Wie sehen Sie das, Frau Meißner?
Meißner: Ich glaube das auch nicht. Kindswohlgefährdung ist ein hartes Wort, das hier überhaupt nicht passt. Aber ich glaube auch, dass Christian Carius sich da viel schärfer ausgedrückt hat, als er das wollte. Fakt ist aber: Der Plenarsaal mit seiner klimatisierten Luft und seiner Lautstärke ist wohl nicht der ideale Ort für ein Baby.
Henfling: Das bestreite ich auch gar nicht, weshalb ich ja gesagt habe, dass ich nicht dauerhaft mit dem Kind im Plenarsaal sein will. Es gibt aber trotzdem die Notwendigkeit, manchmal dort zu sein - und damit will ich noch etwas auf das entgegnen, was Frau Meißner gerade gesagt hat: Es stimmt, dass viele Eltern ihr Kind nicht mit zur Arbeit nehmen können. Aber sie haben in der Regel einen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschutz und Elternzeit. Beides gibt es de facto für Abgeordnete nicht.
Weil Abgeordnete ihr Mandat nicht übertragen können.
Henfling: Genau. Das heißt: Wenn ich für mich entscheide, dass ich wegen meines Kindes eine bestimmte Zeit lang nicht im Landtag arbeite - und Abstimmen und an Parlamentsdebatten teilnehmen ist ein wichtiger Teil der Arbeit eines Abgeordneten -, dann fehlt der Koalition eine Stimme. Ich verstehe also Frau Meißner, wenn sie sagt, sie wolle nicht, dass Abgeordnete Sonderrechte zugesprochen bekommen. Aber wir haben eben ein Sonderproblem, für das wir eine besondere Lösung brauchen.
Meißner: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Aber ich frage mich, ob wir als Abgeordnete uns da nicht zu wichtig nehmen. Ich habe den Mutterschutz für mich in Anspruch genommen, als meine Tochter geboren worden ist. Das Mutterdasein ist etwas ganz besonders und ich wollte mir die Zeit mit dem Kind so kurz nach der Geburt durch nichts in der Welt nehmen lassen. Dazu habe ich weder von Kollegen hier im Landtag noch von Bürgerinnen und Bürgern jemals auch nur ein böses Wort gehört. Wobei ich aber grundsätzlich ganz bei Frau Henfling bin, wenn es darum geht, dass man mal darüber reden müsste, wie man auch für Abgeordnete die gesetzlichen Regelungen zum Mutterschutz umsetzen kann.
Henfling: Aber, sorry, Frau Meißner, Sie waren in der Opposition, als Ihre Tochter geboren wurde. Ich bin Teil einer Regierungskoalition, die nur eine Stimme Mehrheit hat.
Allerdings ist es doch in allen deutschen Parlamenten üblich, dass sich Regierungskoalition und Opposition in solchen Fällen über das sogenannte Pairing arrangieren: Wenn aus menschlichen Gründen - wie Krankheit oder Geburt - ein Abgeordneter einer Seite nicht anwesend sein kann, nimmt ein Abgeordneter der anderen Seite freiwillig nicht an wichtigen Abstimmungen teil, um die Stimmendifferenz zu wahren.
Meißner: Genau. Und dieses Pairing-Modell haben wir hier im Landtag in der Vergangenheit auch erfolgreich praktiziert.
Henfling: Ich muss hier schon wieder intervenieren. Mein Vertrauen in die CDU-Fraktion reicht inzwischen nicht mehr, als dass ich mich guten Gewissens darauf verlassen könnte, dass sie freiwillig auf eine Stimme verzichten würde, wenn ich wegen des Kindes nicht zu einer Abstimmung komme. Ich will jedenfalls nicht die diejenige sein, die dann als Buhfrau dasteht, wenn eine Abstimmung schief gegangen ist.
Meißner: Also das bedauere ich sehr, dass Sie dieses Vertrauen nicht haben. Das trifft mich, wirklich.
Henfling: Da müssen Sie sich bei Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer Jörg Geibert bedanken. In jüngster Zeit hat der so viele Absprachen nicht eingehalten, dass ich mich nicht mehr auf den guten Willen der Opposition verlassen kann und will.
Meißner: Also das weise ich vehement zurück. Wir als CDU-Fraktion werden es nicht ausnutzen, dass eine junge Mutter nicht an einer Abstimmung teilnimmt, weil sie bei ihrem Kind ist. Das C in unserem Namen tragen wir nicht umsonst. Aber darf ich mal eine Zwischenfrage stellen? Warum nimmt denn Ihr Mann nicht Elternzeit und kümmert sich um ihren Sohn, während Sie als Abgeordnete arbeiten und abstimmen?
Henfling: Mein Mann wird Elternzeit nehmen, keine Frage. Aber nicht jetzt, während ich noch stille. Wie sollte das denn funktionieren? Soll ich jedes Mal zum Stillen zu uns nach Hause nach Ilmenau fahren? Oder soll er den ganzen Plenartag hier mit mir im Landtag sein? Wir haben noch zwei weitere Kinder, um die er sich auch kümmern muss, während ich hier bin. Mein Mann kann nicht drei Tage lang von morgens bis abends im Landtag sitzen und eines der Kinder schaukeln. Und da sind wir dann wieder beim Anfang: Jede Frau und damit auch jede Familie muss für sich eine Lösung finden, wie es am besten für sie funktioniert.
Meißner: Und wir sind auch deshalb wieder am Anfang, weil durch die Diskussion, die wir hier führen, viele Menschen verschreckt werden, weil sie den Eindruck haben, dass sich Politiker nur mit sich selbst beschäftigen und sich nicht um die eigentlichen Probleme kümmern.
Henfling: Das stimmt vielleicht in der Blase, in der Sie leben. Ich habe auch viel Zustimmung von Menschen dafür erfahren, dass wir so offen über die Probleme von jungen Müttern in der Politik reden. Es gibt viele Frauen, die sagen: Es ist richtig, dass das mal thematisiert wird.
Was eine schöne Überleitung zum Schluss ist: Über die Vereinbarkeit von Politik und Familie für Frauen wird weltweit immer wieder debattiert, zuletzt, nachdem Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern im Juni ein Kind bekommen hat und weiter gearbeitet hat. Glauben Sie, dass dergleichen in 20 Jahren noch ein Thema sein wird?
Meißner: Ich glaube, in 20 Jahren werden wir entspannter mit solchen Fragen umgehen, auch wenn es sicher immer verschiedene Ansichten darüber geben wird, wie Mütter mit der Frage umgehen, ob sie ihr Kind mit in einen Plenarsaal nehmen.
Henfling: Im Kern gebe ich Ihnen Recht. Aber wir haben ja auch heute schon Landtage, in denen es kein Problem ist, wenn Mütter ihre Kinder mit in den Plenarsaal nehmen. Es geht doch auch um die Frage, ob wir wollen, dass auch junge Mütter die Interessen von Menschen als Abgeordnete vertreten. Oder ob sich diejenigen durchsetzen, die tatsächlich von mir verlangt haben: Gib’ doch dein Mandat ab, wenn du ein Kind bekommen hast.
Meißner: So was haben Leute Ihnen gesagt? Was für ein Blödsinn.
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