Dienstag, 2. Oktober 2018

Jedes Unternehmen ein Start-up? (Marcus Schwarzbach)


Die Digitalisierung wird oft mit großen Ankündigungen verbunden. Milliardäre wie Mark Zuckerberg, Peter Thiel und Elon Musk sprechen »nie von Profiten, immer nur von Missionen und davon, wie sie den Menschen helfen. Das hat etwas Evangelikales: Steve Jobs wird als erleuchtet wahrgenommen, nicht einfach nur als Geschäftsmann. In Wirtschaftszeitungen wird er mit Heiligenschein dargestellt«, erläutert Oliver Nachtwey, Professor an der Universität Basel und Autor von »Die Abstiegsgesellschaft«. Nachtwey berichtet auch von einer Veranstaltung in Berlin mit Konzernmanagern. Bei der »Singularity University« im Juni 2018 sprachen Manager von Daimler, VW und Bosch von »exponentiellen, singularistischen Technologieentwicklungen«. Deutsche und internationale Unternehmen entsandten Vertreter. »Das hatte was von einem spirituellen Happening, einer Messe einer erleuchtenden Gemeinschaft.«

»Learning by Doing« sei ein entscheidender Faktor bei der Umsetzung der Digitalisierung, betont Dorothea von Wichert-Nick von der Beratungsgesellschaft Etventure. Etventure berät Unternehmen wie Daimler, Bayer, Bosch oder Telekom und gehört zur Unternehmensberatung Ernst & Young. Mit »Start-up-Methoden« sollen »außerhalb der Konzerndisziplin digitale Geschäftsmodelle« entwickelt werden. Dazu zähle ein »Digital Lab«, eine »Plattform für die Kooperation zwischen Unternehmen, Start-ups und Wissenschaft«. Dieses »digitale Labor« könne ein »physischer oder virtueller Raum« sein, der zur »Umsetzung neuer innovativer Ideen in einem geschützten Umfeld dient. In den kreativ gestalteten Räumlichkeiten wird eine, oft zeitlich begrenzte, Zusammenarbeit möglich gemacht, um Kommunikation und Austausch außerhalb etablierter Unternehmensstrukturen zu fördern«. Sie »ermöglichen interdisziplinären Teams außerhalb des Unternehmens schnelle, disruptive Denk- und Arbeitsmethoden zu entwickeln. Sie sind sowohl Keimzellen innovativer Ideen und Geschäftsmodelle als auch maßgebliche Transferleister in die Kernorganisation«, verkündet Etventure auf der Homepage.

Hierzulande sei man »Veränderungen gegenüber skeptisch. Dinge brauchen länger, um disrupted, grundlegend neu organisiert zu werden«, beklagt sich Rahmyn Kress von der Geschäftsführung des Chemiekonzerns Henkel. »Die notwendige kulturelle Transformation der Unternehmen wird unterschätzt«, denn auch »die Organisationsstruktur muss entsprechend angepasst werden.«

Was vordergründig wie eine technisch-organisatorische Anleitung zur Umsetzung der Digitalisierung erscheint, zielt auf die Einschränkung von Beschäftigtenrechten ab. Mit weitgehenden Folgen: »Man lagert zunehmend Bereiche der Forschung und Entwicklung aus dem Unternehmen in Start-ups aus«, schildert Constanze Kurz, Referentin des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Robert Bosch GmbH, die Entwicklung. »Die Belegschaften der Start-ups sind nicht tarifgebunden und haben in der Regel auch keinen Betriebsrat. Damit wächst die Gefahr von Unsicherheit und Entsolidarisierung.«

Bei der Digitalisierung sei wichtig, »dass uns die Entscheidungshoheit nicht entgleitet und dass Prozesse mitbestimmbar und mitgestaltbar sind«, erklärt dagegen Annette Mühlberg, die beim Ver.di-Bundesvorstand die Projektgruppe »Digitalisierung« leitet. »Betriebsräte, Personalräte und die Gewerkschaften stehen für eine konstruktive Debatte bereit«, so Mühlberg.

Verzichten die Gewerkschaften auf eine eigene Strategie und sehen sich nur als Diskussionspartner, werden sie scheitern – die Unternehmen setzen derzeit die Digitalisierung in ihrem Interesse durch. Auch die Politik hat den Start-up-Kult entdeckt. »Macron hatte zu seinem Amtsantritt gesagt: Frankreich muss wie ein Start-up regiert werden«, verdeutlicht Oliver Nachtwey. »Und diese Drohung setzt er aktuell mit den neuen, neoliberalen Arbeitsgesetzen um.«

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