Samstag, 15. September 2018

Vorzugsbehandlung für einen Terrorhelfer: Zum milden Urteil gegen den im NSU-Prozess Angeklagten André Eminger

Nichts an der Urteilsverkündung im NSU-Prozess am 11. Juli 2018 hat so sehr für Irritation, Unverständnis und Empörung gesorgt, wie die unerwartet milde Verurteilung und der Teilfreispruch des Angeklagten André Eminger. Nicht nur der Inhalt dieses Teils des Urteils, sondern auch die Art seiner Bekanntgabe machten viele Anwesende im Gerichtssaal fassungslos.
Die Bundesanwaltschaft hatte für ihn, ebenso wie für den Angeklagten Ralf Wohlleben, 12 Jahre Haft gefordert, weil sie in ihm nicht nur den engsten Vertrauten des untergetauchten NSU-Kerntrios in Sachsen sah, sondern vermutlich gar das «vierte Mitglied» dieser Terrorzelle. Eminger wurde daraufhin Mitte September 2017 im Gerichtssaal in Untersuchungshaft genommen. Vorher war er immer brav zu den bis dahin etwa 380 Prozesstagen erschienen.
Viertes Mitglied der Terrorzelle
Ihm wurde in der Anklage nicht nur Unterstützung der terroristischen Vereinigung NSU nach Paragraph 129a vorgeworfen, sondern auch Beihilfe zum versuchten Mord und zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion. Es geht dabei um den sogenannten Stollendosenanschlag in der Kölner Probsteigasse, wo am 19. Januar 2001 eine mit einem Sprengsatz präparierte Stollendose im Lebensmittelladen einer iranischstämmigen Familie detonierte und die damals 19-jährige Tochter lebensgefährlich verletzte. Eminger hat für diese tödliche Fahrt von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Transportfahrzeug angemietet - die Bundesanwaltschaft ist sich sicher, dass Eminger wusste, wozu das Fahrzeug gebraucht wurde.
Das Gericht sah das in auffälliger Weise anders: Es erklärte, es gebe keine Hinweise, dass Eminger gewusst habe, zu welchem verbrecherischen Zweck der von ihm angemietete Transporter verwendet werden sollte. Nach der Beweisaufnahme kann jedoch im Grunde ausgeschlossen werden, dass der glühende Fanatiker Eminger, der mit seinem Bruder das einschlägige «Skinzine» «White Aryan Law and Order» herausgab und die «Weiße Bruderschaft Erzgebirge» gründete, nicht wusste, wen er da und wofür unterstützte. Warum sollte ausgerechnet dieser treue Gefolgsmann nicht gewusst haben, was der als «Trottel» und unsicherer Kantonist geltende Unterstützer Holger Gerlach wusste?
Zudem stützte das Gericht seine entlastende Einschätzung gerade in diesem Punkt auf die «insoweit glaubwürdige» Aussage Beate Zschäpes, dass Eminger erst zu einem späteren Zeitpunkt «eingeweiht» wurde in das Treiben des «Trios». Einer Aussage, die Götzl erst kurz zuvor insgesamt als «unglaubhaft» eingestuft hatte. Insofern ist der Skandal des Quasi-Freispruchs Emingers nicht nur ein politischer, sondern auch ein juristischer.
Emingers politische Agenda jedenfalls ist im Laufe der 5 Jahre sehr deutlich geworden: Die Bundesanwaltschaft hat sich in ihrem Plädoyer viel Zeit genommen für seine ideologische Ausrichtung, seine positiven Bezüge zum historischen Nationalsozialismus und ein durch und durch rassistisches Weltbild. Bei einer Hausdurchsuchung sei in seiner damaligen Wohnung eine «geständnisgleiche Wohnzimmerwandgestaltung» vorgefunden worden: ein schwulstiger Traueraltar für seine beiden toten Freunde Mundlos und Böhnhardt.
geständnisgleiche Wohnzimmerwandgestaltung
Eminger, der von Beginn des Prozesses an standhaft schwieg und nur mildes Amüsement für das Verfahren übrig zu haben schien und gar Urlaub vom Prozess beantragt hatte an den Tagen, an denen es nicht um die Tatvorwürfe gegen ihn ging, stellt sich selbst über seine Verteidiger als Vollnazi dar: In seinem Plädoyer nannte ihn sein Verteidiger Herbert Hedrich einen «Nationalsozialisten mit Haut und Haaren».
Um seine Haut ging es auch im Prozess: Besucher_innen und -beteiligte hatten das «Vergnügen», Eminger auch fast unbekleidet auf Fotos zu sehen, die riesig an die Seitenwände des Saales A 101 im Strafjustizzentrum projiziert wurden und auf denen eine Auswahl seiner Tätowierungen zu sehen waren. Auf dem Bauch steht etwa zwischen zwei Pistolen «Die Jew die», «Stirb, Jude, stirb», es gibt die Initialen «AH» in einem Lorbeerkranz zu sehen und in Runenschrift den Wahlspruch: «Ich bin nichts, mein Volk ist alles».
Im Gerichtssaal trat Eminger des Öfteren mit provokanten T-Shirt- und Sweatshirt-Aufschriften in Erscheinung: Bei der Aussage seines eineiigen Zwillingsbruders Maik, zu jener Zeit Funktionär der Nazi-Kleinpartei «III. Weg», trugen beide ein T-Shirt mit der Aufschrift «Brüder schweigen», eine Reminiszenz zu einem SS-Lied und zur US-Terrorgruppe «The Order». Mit einem Sweatshirt mit Andreas-Baader-Konterfei stilisierte sich Eminger zum «politischen Gefangenen».
Auch während des laufenden Prozesses zeigte sich Eminger immer wieder auf einschlägigen Nazi-Demos wie der Pegida-Demo in München und Großereignissen wie dem Rechtsrock-Konzert im thüringischen Themar im vergangenen Jahr. Nach seiner Ingewahrsanahme im Gerichtssaal stieg Eminger zu Ralf Wohlleben in den Fokus der «Solidarität» der deutschen Naziszene auf: «Freiheit für Wolle und André» hieß der Slogan.
Im Laufe des Prozesses zeigen sich immer häufiger «Kamerad_innen» Emingers und schüchterten zunehmend aggressiv Besucher_innen und Medienvertreter_innen ein, ohne dass die wachhabenden Justizbeamt_innen einschritten. Auch am Tag der Urteilsverkündung hatten es etwa 15 sichtliche Hardcore-Nazis, einige davon einschlägig bekannt, in den Saal geschafft und setzten wirkungsvoll ihre Akzente. Unter den Nazis im Publikum war auch der verurteilte Rechtsterrorist Karl-Heinz Statzberger, einst Mitglied der Nazigruppe um Martin Wiese, die Anfang der Nuller Jahre einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge in München vorbereitete. Statzberger war mit Maik Eminger schon am ersten Prozesstag anwesend und spreizte sich selbstbewusst in der ersten Reihe der Zuschauertribüne. Seither war er sicher ein Dutzend Mal da. Häufig kamen diese «Kameradinnen und Kameraden», wenn die Ehefrau Emingers, Susann Eminger, ihren Mann in der Hauptverhandlung besuchte. Sie war, obwohl gegen sie eines der 9 weiteren Ermittlungsverfahren im NSU-Komplex geführt wird, von Götzl als «Beistand» zugelassen worden und konnte so an Verhandlungstagen händchenhaltend bei ihrem angeklagten Mann sitzen. Für Betroffene des NSU-Terrors muss das ein unerträglicher Anblick gewesen sein. Auch die Ehefrau des Angeklagten Ralf Wohlleben war ihrem Mann als «Beistand» beigeordnet.
Am Mittwoch, 11.7.2018, dem Tag der Urteilsverkündung, klatschten Emingers Freunde zunächst bei der Verkündung des sehr milden Urteils und brachen, quasi zum Abschluss des ganzen 438-tägigen Verfahrens, in haltlosen Jubel aus, als der Vorsitzende Richter Manfed Götzl die Aufhebung des Haftbefehls gegen Eminger verkündete und seine sofortige Freilassung. Vom Vorwurf der Beihilfe zum versuchten Mord hatte ihn der Senat freigesprochen, da nicht erwiesen sei, dass er von der Art der Verwendung des von ihm angemieteten Autos gewusst habe.
Dass Eminger am letzten Prozesstag als freier Mann mit seinen johlenden Kameraden das Gerichtsgebäude unter Polizeischutz verlassen konnte, war für viele Nebenkläger_innen ein Schlag ins Gesicht und sorgte vor dem Gerichtsgebäude für Entsetzen.
Klatschende und johlende Kameraden
Dass im Netz nun Vergleiche zwischen dieser Vorzugsbehandlung für einen Unmenschen wie Eminger und den harschen Urteilen in den laufenden G20-Verfahren gezogen werden, wo ein 28-jähriger Demonstrant für einen Flaschenwurf auf einen vollgepanzerten Polizisten, der nur leicht verletzt wurde, 3 Jahre und sechs Monate ins Gefängnis muss, während dieser Terrorhelfer nur 2 1/2 Jahre bekommt, ist nachvollziehbar.
Ein Gespür für die politischen Signale, die vom Münchener Gerichtssaal ausgehen, hat der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes in München jedenfalls völlig vermissen lassen. In einem Land, wo kein Tag ohne mehrere rassistische Angriffe und Anschläge vergeht, hat das Handeln des OLG eine verheerende Wirkung und ist eine Ermunterung für Leute vom Schlage Wohllebens und Emingers in bewährter Manier fortzufahren: Dieser Staat wird sie sicher nicht aufhalten.  

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