Sonntag, 17. Juni 2018

Im Juni 1948 wurde in den Westzonen und Westberlin die Deutsche Mark eingeführt. Die Währungsreform begünstigte die Besitzenden

Ungerechter Tausch


Von Jörg Roesler
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Am 21. Juni 1948 bildeten sich vor den Banken der Westzonen lange Schlangen (Aufnahme aus Essen)
»Sie haben uns von 1945 bis zur Währungsreform richtig ausgehungert und mit unserer Arbeit die ganzen Folgen des Krieges beseitigen lassen. Wir haben den Schutt und die Trümmer weggeräumt und die Fabriken wieder aufgebaut, und die Kapitalisten haben die sich angeeignet und sich die Taschen voll Geld gemacht. Dann kam das große Wunder, die Währungsreform. Das, was wir vorher mit Hunger und Schweiß erarbeitet hatten, wurde uns jetzt für viel Geld verkauft. Aber ich bin mir klar darüber, dass diese Tatsache, wenn auf einmal alles, was das Herz nur wünschen kann, zu kaufen ist, eine große Wirkung auf das Denken und Fühlen aller Menschen gehabt hat.«
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Der 20. Juni 1948 gilt bis heute in der historischen Erinnerung der Bundesrepublik als Beginn des Wirtschaftswunders, als eigentliches Gründungsdatum der Republik. An diesem Tag durften die Bewohner der Westzonen einen Teil ihres Barbestandes, 60 Reichsmark, in Deutsche Mark umtauschen. Wenn das so eine tolle Sache war, fragt man sich, warum wurde der Start in den Wohlstand erst mehr als drei Jahre nach dem Krieg vollzogen? Denn jedermann in den Westzonen wusste: Notwendig war ein Währungsschnitt schon lange. Das Naziregime hatte durch Rüstung und Krieg die Staatsschulden vervielfacht und den Geldumlauf inflationär in die Höhe getrieben. Die Inflation zeigte sich an der Differenz zwischen den festgesetzten Höchstpreisen für die mit Lebensmittelkarten erhältlichen Waren und den Preisen auf dem Schwarzmarkt. Dort kosteten im Frühjahr 1948 eine amerikanische Zigarette sechs, eine Glühbirne 50, ein Pfund Kaffee 400 und ein Radio 3.000 Reichsmark. Spekulanten, die derartige Güter anbieten konnten, horteten einen Teil davon in Erwartung weiter steigender Preise. Die westdeutschen Behörden konnten angesichts dieser Misere nicht länger untätig bleiben. Im Frühjahr 1948 stellte die »Sonderstelle Geld und Kredit« in Bad Homburg, eine Einrichtung der das britische und US-amerikanische Besatzungsgebiet umfassenden Zweizonenverwaltung, den sogenannten Homburger Plan für eine Währungsreform vor. Für die dann erfolgte Reform spielte er allerdings keine Rolle, denn die letzte Entscheidung lag bei den Besatzungsmächten.
Dass die Alliierten in der Währungsfrage nicht längst eingeschritten waren, hatte politische Gründe. Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten konnten sich im Alliierten Kontrollrat nicht auf eine für alle Besatzungszonen geltende Währungsreform einigen. Als dann der sowjetische Militärgouverneur Wassili Sokolowski im März 1948 im Streit den Kontrollrat für immer verließ, erreichten die US-Amerikaner, dass sich Engländer und Franzosen ihren Reformvorschlägen anschlossen. Zu letzten Abstimmungen über den Modus des Geldumtauschs setzten die Westmächte im April eine Kommission von Experten aus den Westzonen ein, die unter strengster Geheimhaltung die Umtauschaktion vorbereiten sollte. Sieben Wochen dauerte die Arbeit der »Währungskonklave«, die in Rothwesten, nördlich von Frankfurt am Main, tagte. Am 16. Juni teilten die Westalliierten der sowjetischen Seite mit, dass sie für ihre Zonen die Geldumstellung vornehmen würden.

Zehn zu eins

Der 20. Juni wurde zum ersten Umtauschtag. Alle Westzonenbewohner begaben sich an diesem Tag zu den für sie zuständigen Lebensmittelkartenstellen. Gegen Vorlage ihres Ausweises und der Lebensmittelkarten erhielten sie das Kopfgeld, die ersten neuen Geldscheine. Insgesamt wurden an diesem und dem folgenden Tag 37 Milliarden Reichsmark eingezogen. Bis zum Oktober wurden auch die Bank- und Sparguthaben in einem Verhältnis von zehn zu eins umgestellt.
Politisch brisant war der Geldumtausch in den drei Westsektoren Berlins, den die Westalliierten am 24. Juni bekanntgaben. Einen Tag zuvor hatte die sowjetische Militäradministration für ihre Zone eine Währungsreform verkündet – und offensichtlich sollte diese nicht nur für Ost-, sondern für ganz Berlin gelten. Daraufhin dehnten die Westalliierten ihre Währungsreform eilig auf die drei Westsektoren aus. Im sowjetischen Sektor, wo fortan die Deutsche Mark der Deutschen Notenbank als Zahlungsmittel galt, wurde jede Zahlung in Westmark bei Strafe verboten. In Westberlin ließ man anfangs eine Doppelwährung zu, weil viele Menschen in Ostberlin arbeiteten und in ostdeutscher Mark entlohnt wurden. Bald entstanden Wechselstuben. Im Juli konnte hier die Ostmark im Verhältnis von zwei zu eins in Westmark umgetauscht werden, im Oktober dann bereits zum dem jahrelang üblichen Kurs von vier zu eins.
Die Mehrzahl der Westdeutschen scherte das wenig. Sie starrten seit der Währungsreform fasziniert in die Auslagen der Geschäfte, in denen bisher über die für Marken erhältlichen Waren hinaus nur wenige Güter gekauft werden konnten und für die man zudem oft stundenlang hatte anstehen müssen. Am Tag nach der Währungsreform, einem Montag, waren die Schaufenster schlagartig gefüllt. Die lange gehorteten Waren kamen ans Tageslicht, denn die Preise waren, gemessen an den Schwarzmarktkursen, dramatisch gesunken. Hatte man in der Woche zuvor noch sechs Reichsmark für eine amerikanische Zigarette bezahlt, so konnte man dafür jetzt eine ganze Packung erwerben. Wer allerdings als Arbeitsloser, Kleinverdiener oder Rentner seinen Konsum weitgehend auf die früher zu subventionierten Kartenpreisen erworbenen Lebensmittel beschränken musste, erlebte dieses Preiswunder kaum. Die Währungsreform bewirkte hier eher das Gegenteil: Die Preise für Lebensmittel stiegen, verglichen mit dem Kartenpreisniveau, deutlich an. Auch in anderer Weise benachteiligte die Währungsreform die ärmeren Schichten: Die mühsam ersparten Notgroschen wurden beim Umtausch im Verhältnis von zehn zu eins nicht anders behandelt als die gut gefüllten Konten der Schwarzmarkthändler. Diejenigen, die Sachvermögen besaßen, wurden bevorteilt gegenüber Ausgebombten und Flüchtlingen, die ihre Immobilien und Wertgegenstände weitgehend verloren hatten.

Kritik der Gewerkschaften

Einer der wenigen Politiker, die die Währungsreform nicht uneingeschränkt begrüßten, war Reinhold Maier von der Demokratischen Volkspartei, die wenig später in die FDP aufging. Dem ersten baden-württembergischen Ministerpräsidenten war es, in Kenntnis des Homburger Plans, »unverständlich, dass bei der Währungsreform soziale Gesichtspunkte nicht berücksichtigt worden sind«.
Die Gewerkschaften reagierten unmittelbar und verlangten zur Absicherung des Grundbedarfs bei einigen Gütern, Lebensmitteln, aber auch Textilien und Schuhen, ein ausreichendes Konsumgüterangebot zu niedrigen Preisen bereitzustellen. Am 12. November 1948 beteiligten sich in den Westzonen mehr als neun Millionen Bürger an einem von den Gewerkschaften ausgerufenen Streik. Daraufhin sah sich Ludwig Erhard, der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft der westlichen Besatzungszonen, gezwungen, ein »Konsumbrotprogramm« zu initiieren. Es ermächtigte die Regierungsbehörden, den »Preis für Mehl, Brot und Kleingebäck« festzulegen, »soweit dies zur Sicherung der Brotversorgung der Bevölkerung oder eines volkswirtschaftlich gerechtfertigten Brotpreises erforderlich ist«. Die Gewerkschaften hatten damit einen Achtungserfolg errungen. An der sozialen Differenzierung, die mit der Währungsreform vorangetrieben wurde, änderte das aber nichts.

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