Freitag, 8. Januar 2016

Vergessene Tragödie

 

Auch an Spaniens Exklaven in Nordafrika sterben weiter Flüchtlinge. Drei Todesopfer zu Jahresbeginn

Von Carmela Negrete, Huelva
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Marokkanische Grenzpolizisten führen am Montag einen Mann ab, der versucht hatte, die Absperrungen zu überwinden
Mindestens drei Menschen sind in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar ums Leben gekommen, als sie versuchten, die Sperranlagen zu überwinden, die das von Spanien beherrschte Ceuta vom marokkanischen Staatsgebiet trennen. Wie Helena Maleno von der spanischen Menschenrechtsorganisation »Caminando Fronteras« informierte, ertranken die Flüchtlinge, als sie den ins Meer hineinragenden Grenzzaun umschwimmen wollten. Die Leichen wurden nach Augenzeugenberichten von marokkanischen Polizisten aus dem Wasser gezogen. Die Behörden des nordafrikanischen Landes dementierten gegenüber der Nachrichtenagentur Europa Press den Vorfall.
Im Laufe der ersten Woche des Jahres haben mehrfach Hunderte Menschen versucht, die meterhohen und mit NATO-Draht gespickten Sperren zu überwinden, die mit Millionenhilfen der EU entlang der Grenze zwischen spanischem und marokkanischem Territorium errichtet wurden. Rund 200 Flüchtlingen gelang es Medienberichten zufolge, den Zaun zu überklettern oder zu umschwimmen. Dabei wurden zahlreiche von ihnen verletzt. Schon am ersten Weihnachtstag hatten 300 Menschen die Grenze gestürmt, von ihnen gelangten 185 auf die spanische Seite.
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Seit Jahren riskieren es viele Menschen vor allem aus afrikanischen Ländern, in Ceuta und Melilla – der anderen spanischen Exklave in Marokko – die Grenze zwischen den beiden Königreichen zu überwinden. In den vergangenen Monaten richtete sich die internationale Aufmerksamkeit jedoch mehr auf die zahlenmäßig weit größere Fluchtbewegung im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis. Doch auch im westlichen Mittelmeer, zwischen Nordafrika und Spanien, starben 2015 nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 74 Schutzsuchende. Menschenrechtsorganisationen prangern zudem an, dass die spanische Grenzpolizei immer wieder Flüchtlinge abschiebt, ohne dass diese einen Asylantrag stellen können oder ihr Anliegen geprüft wird. Die marokkanischen Sicherheitskräfte ihrerseits gehen immer wieder mit Schlägen und Misshandlungen gegen Menschen vor, die in der Nähe der Grenze auf eine Gelegenheit zum Überqueren der Demarkationslinie warten.
Eine der schlimmsten Tragödien in Ceuta ereignete sich am 6. Februar 2014, als 15 Menschen bei dem Versuch starben, am Strand von El Tarajal den Grenzzaun zu umschwimmen. Die Regierung in Madrid sprach damals in einem offiziellen Kommuniqué von einem versuchten »Angriff« auf die Grenze und stritt jede Verantwortung für den Tod der Schutzsuchenden ab. Stunden später veröffentlichte das Internetportal eldiario.es jedoch die Aussagen überlebender Flüchtlinge, denen zufolge die Guardia Civil mit Rauchbomben und gummiummantelten Stahlgeschossen auf die im Wasser Schwimmenden gefeuert habe. Madrid musste schließlich den Einsatz dieser Waffen zugeben. Zudem konnte durch die Veröffentlichung von Aufnahmen der Überwachungskameras belegt werden, dass einige der Menschen, die es auf die spanische Seite der Grenze geschafft hatten, von Grenzpolizisten direkt durch eine Tür im Zaun zurück auf marokkanisches Gebiet gebracht wurden, ohne dass ihre Identität festgestellt worden wäre. Obwohl einige der Flüchtlinge offenkundig verletzt waren, wurden sie von den Spaniern ihrem Schicksal überlassen. Keiner der beteiligten Beamten wurde bislang zur Rechenschaft gezogen. Statt dessen legalisierte die spanische Regierung im März 2015 das Vorgehen im Rahmen ihrer Änderung der Sicherheitsgesetze. Dieses »Maulkorbgesetz« hat international vor allem deshalb für Aufsehen gesorgt, weil es die Demonstrations- und Meinungsfreiheit in Spanien drastisch einschränkt.

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