Dienstag, 5. Januar 2016

Rocker bekämpfen den Staat vor Gericht

Der Gremium MC Sachsen wurde 2013 verboten – und klagt jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen. Sollte der Motorradclub gewinnen, wäre das ein schwerer Schlag im Kampf gegen Rockerkriminalität.
In der rechtlichen Auseinandersetzung des Staates mit dem Rockermilieu wird an diesem Dienstag ein wichtiges Kapitel aufgeschlagen. Dann beginnen zwei umfangreiche Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, in denen sich Rockergruppierungen gegen ihr staatliches Verbot wenden: Der Regionalverband Gremium MC Sachsen und seine ihm angehörenden Niederlassungen – sogenannte Chapter – wollen erreichen, dass die Verbote gegen sie höchstrichterlich für rechtswidrig erklärt werden und sie damit offiziell wieder als Verein tätig werden könnten.
Den beiden Verfahren beim ersten Senat des Bundesverwaltungsgerichts (Az.: 1 A 2.15 und 1 A 3.15), die vom Vorsitzenden Richter Uwe-Dietmar Berlit geleitet werden, kommt aus mehreren Gründen große Bedeutung zu. Das liegt zum einen daran, dass gegen die beiden Urteile keine Rechtsmittel wie Berufungen oder Revisionen möglich sein werden. Die fünf Richter verhandeln und entscheiden in erster und zugleich letzter Instanz. Zum anderen wäre ein möglicher Sieg der Rocker vor Gericht ein schwerer Rückschlag im staatlichen Kampf gegen die Rockerkriminalität, der in diesem Fall mit den Mitteln des Vereinsrechts geführt wird.
Beim Gremium MC handelt es sich um den größten deutschen Motorradclub. Er wurde 1972 gegründet; die Abkürzung MC steht für Motorcycle Club. Die Behörden stufen den Club als "Ein-Prozenter" ein; in den USA werden solche Clubs von den Behörden als "Outlaw Motorcycle Gangs" bezeichnet Mit dem Begriff "Ein-Prozenter" sind Motorradfahrer gemeint, die sich selbst als Gesetzlose (Outlaws) ansehen und das bestehende Rechtssystem ablehnen.
Ein Polizeibeamter (M.) und Mitglieder des Motorradclubs Gremium MC in Oldenburg (Niedersachsen). Die sächsische Vertretung der Rocker klagt gegen ihr Verbot© picture alliance / dpa Ein Polizeibeamter (M.) und Mitglieder des Motorradclubs Gremium MC in Oldenburg (Niedersachsen). Die sächsische Vertretung der Rocker klagt gegen ihr Verbot
Sie begehen oft Straftaten, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, etwa Rauschgifthandel, Bedrohung und Körperverletzung. In Deutschland werden vor allem der Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC, Mongols MC, Rock Machine MC und eben der Gremium MC den "Ein-Prozentern" zugerechnet.

"Punktuell" Überschneidungen mit Neonazi-Szene

In Sachsen werden die Rocker nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, wohl aber in Bayern: Der dortige Inlandsgeheimdienst beobachtet "punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen". Es seien "einzelne Personen aus der Rockerszene und rechtsextremistischen Szene festgestellt worden, die Sicherheitsunternehmen betreiben oder in diesem Bereich arbeiten und so versuchen, Waffenerlaubnisse zu erhalten".
Auf der Internetseite des Gremium MC ist zu lesen: "Schon oft wurde versucht, uns ideologisch in irgendeine Ecke zu stellen oder als rechtsradikale oder gar kriminelle Vereinigung abzustempeln – jedes Mal ohne Erfolg und ohne bleibende Schäden für uns." Der Gremium MC selbst hat mehr als 100 Chapter; er gilt als einer der größten Rockerclubs Europas. Seine Clubfarben sind Schwarz und Weiß. Auf dem Rückenabzeichen ist neben dem Schriftzug "Gremium" und dem Städte- oder Chapternamen eine Faust zu sehen, die durch die Wolken stößt.
Zum Rückenabzeichen heißt es auf der Website des Gremium MC, dass es "unsere Einstellung und unsere Power durch die aufgehende Sonne und die geballte Faust, die sich in den Himmel streckt" verkörpere. Und: "Man wird bei uns nicht ,einfach so' Mitglied, sondern durchläuft eine längere Probezeit, in der man alle Mitglieder kennenlernt und man selbst bekannt wird. Wenn's dann auf beiden Seiten ,passt', steht einer Aufnahme als Vollmitglied nichts mehr im Weg."

Aktivitäten mit Ziel "gewalttätige Machtentfaltung"

In Sachsen allerdings kann man seit bald drei Jahren zumindest offiziell nicht mehr Mitglied des Gremium MC werden. Denn im Mai 2013 ließ das Bundesinnenministerium zusammen mit den Innenministerien von Sachsen und Brandenburg den Regionalverband Sachsen des Clubs mit seinen Teilorganisationen verbieten.
Im Juli 2013 informierten der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sowie seine Kollegen aus Sachsen und Brandenburg, Markus Ulbig (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), darüber, dass die Verbotsverfügung dem Regionalverband zugestellt wurde und Durchsuchungen sowie Beschlagnahmungen stattfanden: in Sachsen und Brandenburg, zudem in Berlin, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Bei den Niederlassungen des sächsischen Regionalverbands, die ebenfalls verboten wurden, handelt es sich um folgende: Gremium MC Dresden, Gremium MC Chemnitz, Gremium MC Plauen, Gremium MC Nomads Eastside und Härte Plauen.
Als Gründe für die Verbote gaben die Minister an, dass "Strukturen und Aktivitäten des Vereins auf die gewalttätige Machtentfaltung mit dem Ziel der Begehung von Straftaten in seinem Einflussgebiet vor allem in Sachsen und Brandenburg ausgerichtet" seien. Die Ressortchefs sprachen dabei von einer "strafgesetzwidrigen Prägung" des Rockerclubs. Sie bezogen sich vor allem auf einen gewalttätigen Racheakt, den Mitglieder des sächsischen Regionalverbands Gremium MC gegen den rivalisierenden Hells Angels MC geplant, veranlasst und auch begangen haben sollen.
Auslöser für diese Tat soll ein Angriff von Mitgliedern der Hells Angels Ende 2011 gewesen sein. Bei diesem wurde ein Mitglied des Gremium MC dem Vernehmen nach tätlich angegriffen und lebensbedrohlich verletzt. Diese Tat führte dann offenbar zu einer Vergeltungsmaßnahme des Gremium MC. Bei dem Angriff am Silvestertag 2011 wurde ein unbeteiligter Jugendlicher in Königs Wusterhausen (Brandenburg) lebensgefährlich verletzt.
Das Bundesinnenministerium hat außerdem ermittelt, dass sich der sächsische Regionalverband des Gremium MC und seine Mitglieder allgemein durch straffälliges Verhalten auszeichneten. "Gleichzeitig unternimmt der Regionalverband Gremium MC Sachsen keinerlei Anstrengungen, um seine Mitglieder von der Begehung von Straftaten abzuhalten", sagte ein Ministeriumssprecher. "Im Gegenteil, Straftaten im Interesse des Vereins führen zu Belobigungen und Beförderungen innerhalb seiner Strukturen." Straffällig gewordene Mitglieder würden anwaltlich und finanziell unterstützt.

Anwälte könnten Existenz des Clubs bestreiten

In den beiden Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht lässt sich der Rockerclub von Anwälten aus Jena, Dresden und Heidelberg juristisch vertreten. Die Juristen dürften sich im Wesentlichen darauf beschränken, die Voraussetzungen der Verbote von 2013 zu bestreiten. So dürften die Anwälte behaupten, dass es den Regionalverband Gremium MC Sachsen in der dargestellten Form überhaupt nicht gebe und dass die Straftat in Königs Wusterhausen dem verbotenen Verein gar nicht zuzurechnen sei.
Das Bundesinnenministerium wiederum will diese Behauptungen mit einer Vielzahl von Beweismitteln widerlegen, wie sein Sprecher sagte. Damit dürften Erkenntnisse aus Telefonüberwachungen und Observationen gemeint sein. Nach sechs Verhandlungstagen werden die fünf Richter dann entscheiden, ob diese Erkenntnisse die Verbote rechtfertigen.

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