Dienstag, 5. Januar 2016

Eiszeit am Golf

 

Riad zieht Botschafter ab: Iran bezeichnet saudische Begründung für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen als Vorwand

Von Knut Mellenthin
Mideast_Iran_Saudi_A_47817869.jpg
Protest vor der saudischen Botschaft in Teheran am Sonntag nach der Massenhinrichtung in Riad

Kronprinz bin Naif

Saudi-Arabien hat seit einem Jahr einen neuen König. Wie seine Vorgänger ist der 80jährige Salman ein Sohn des 1953 verstorbenen Ibn Saud, der durch eine Reihe von Kriegszügen den Staat in seinen gegenwärtigen Grenzen schuf. Salman ist vermutlich der letzte direkte Nachfolger des Gründers der Dynastie auf dem saudischen Thron. Danach käme die Generation der Enkel Ibn Sauds, von denen es Hunderte gibt, an die Reihe.
Wirklich sicher ist das jedoch nicht. Ibn Saud hatte 44 offiziell anerkannte Söhne, von denen elf noch am Leben sein sollen. In Saudi-Arabien gibt es keine gesetzliche Hierarchie von Thronfolgern. Der Kronprinz wird vom amtierenden Herrscher ausgewählt, wobei dieser in der Regel die Meinung einiger wichtiger Familienmitglieder berücksichtigt. Salmans designierter Nachfolger war zunächst sein damals 69jähriger Halbbruder Mukrin, den bereits sein Vorgänger Abdullah zum stellvertretenden Kronprinzen ernannt hatte. Diese Anordnung stieß Salman jedoch im April 2015 ohne Begründung um.
Kronprinz ist seither Mohammed bin Naif. Wie sein 2012 verstorbener Vater, der ein Sohn Ibn Sauds war, leitet der 65jährige das Innenministerium. Damit ist er ein Hauptverantwortlicher für die Repression der letzten Jahre und für die Massenhinrichtungen am Wochenende. Bin Naief hat das volle Vertrauen der westlichen Allianz. Er studierte in den USA, nahm von 1985 bis 1988 an Sicherheitskursen des FBI teil und erhielt von 1992 bis 1994 eine Ausbildung in Antiterroreinheiten des britischen Scotland Yard.
Zugleich setzte Salman seinen Lieblingssohn Mohammed als stellvertretenden Kronprinzen ein. Zum Verteidigungsminister hatte er ihn schon bei seinem Amtsantritt gemacht. Mohammed bin Salman ist außerdem Vorsitzender eines Gremiums, dem unter anderem die Ölindustrie untersteht. Vor allem aber ist der 30jährige, dem man Unbesonnenheit und Mangel an Erfahrung nachsagt, verantwortlich für die Militärintervention im Jemen. (km)
Die saudische Regierung hat am Sonntag abend ihr Botschaftspersonal aus Teheran zurückgerufen und die Beziehungen zum Iran abgebrochen. Die iranischen Diplomaten wurden aufgefordert, Saudi-Arabien innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Die Aktion kam nicht völlig unerwartet, nachdem am Vormittag während einer Demonstration vor der saudischen Botschaft in Teheran einige Menschen in ein Nebengebäude eingedrungen waren und es in Brand gesetzt hatten. Auf einer Pressekonferenz in Riad warf der saudische Außenminister Adel Al-Dschubeir dem Iran vor, »die Region zu destabilisieren«, »Terrorzellen« in Saudi-Arabien zu unterhalten und dessen »Sicherheit zu untergraben«.
Das Saudi-Regime hatte am Sonnabend 47 Menschen als »Terroristen« hinrichten lassen. Unter den Getöteten war der international bekannte und angesehene schiitische Geistliche Scheich Nimr Al-Nimr. Der 56jährige war im Juli 2012 verhaftet worden, nachdem er Protestaktionen der schiitischen Minderheit unterstützt hatte, die von der grenzüberschreitenden Bewegung des »arabischen Frühlings« inspiriert worden waren. Zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind Schiiten. Sie leben überwiegend im Osten des Landes und damit im Gebiet der wichtigsten Erdölvorkommen. Der Geistliche hatte sich für die Hunderte von Gefangenen eingesetzt, die wegen ihrer Beteiligung an Demonstrationen oder auch nur wegen kritischer Äußerungen inhaftiert worden waren. Im Oktober 2014 wurde er in einem von Amnesty International scharf kritisierten Prozess zum Tode verurteilt. Das Gericht warf ihm »Aufwiegelung«, »Ungehorsam« und Waffenbesitz vor. Al-Nimr bestritt, jemals zu Gewalttaten aufgerufen oder an ihnen teilgenommen zu haben. Auch besitze er keine Waffe, außer der des Wortes. Im Oktober 2015 bestätigte das oberste Gericht Saudi-Arabiens dennoch das Todesurteil.
Neben dem international bekannten und angesehenen Kleriker waren unter den 47 Opfern der Massenhinrichtung auch drei weitere Schiiten. Ihnen wurde die Teilnahme an Demonstrationen vorgeworfen, bei denen es zum Teil zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war. Die übrigen Hingerichteten waren wegen angeblicher Unterstützung von Al-Qaida zum Tode verurteilt worden. Auch diese Prozesse waren von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert worden, weil Aussagen unter Folter erpresst worden seien und ein Teil der Vorwürfe rein politischer Art gewesen sei.
junge Welt - Halt deine Presse
Dass jetzt neben den vier Schiiten hauptsächlich Gläubige der sunnitischen Richtung des Islam hingerichtet wurden, beweise, dass zwischen Verbrechern kein Unterschied gemacht werde, beteuerten saudische Politiker und regierungstreue Journalisten. Der höchste Geistliche des Landes, Großmufti Abdulasis Al-Scheich, lobte die Vollstreckung der Todesurteile als »Gnade für die Gefangenen«, da sie auf diese Weise am Begehen weiterer Sünden gehindert worden seien.
Der Iran hatte seit dem Prozess gegen Al-Nimr immer wieder vor der Vollstreckung des Urteils gewarnt und deutlich gemacht, dass eine Hinrichtung des Geistlichen die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern drastisch verschlechtern würde. Neben den zahlreichen außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten streiten Teheran und Riad auch über die Katastrophe von Mina bei Mekka. Dort war am 24. September 2015 während der Hadsch eine Panik unter den Pilgern ausgebrochen, bei der auch mehrere hundert Iraner ums Leben kamen. Nach Angaben westlicher Nachrichtenagenturen gab es insgesamt zwischen 2.200 und 2.400 Tote. Die iranische Regierung geht von einer noch höheren Zahl aus, während Saudi-Arabien an seiner ersten Behauptung festhält, dass 769 Menschen getötet worden seien. Iran wirft den Saudis vor, durch schwere Organisa­tions- und Sicherheitsfehler für die Tragödie mitverantwortlich zu sein, und fordert – bisher vergeblich – eine internationale Untersuchung unter Aufsicht der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Insbesondere konservative Kreise Irans drängten außerdem darauf, den Saudis die alleinige Verantwortung für die Organisierung der Hadsch zu entziehen.
In den letzten Wochen hatte die iranische Regierung jedoch eine weitere Zuspitzung dieses Themas vermieden. Trotz scharfer Äußerungen in den Medien und gelegentlicher Polemiken mancher Politiker ist Iran grundsätzlich bemüht, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu verbessern. Zwei Hauptgründe für diese Strategie sind zu erkennen: Erstens will Iran auf staatlicher Ebene keinen Dauerstreit, weil befürchtet wird, dass davon hauptsächlich die USA und Israel profitieren würden. Zweitens will Iran auf gar keinen Fall Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten fördern. Teheran strebt im Gegenteil mehr Einigkeit und Zusammenarbeit unter den Muslimen an.
In einer ersten Stellungnahme bedauerte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hossein Dschaberi Ansari, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen, bezeichnete die saudische Begründung aber als Vorwand. Bei der Demonstration vor der Botschaft in Teheran habe die Polizei eingegriffen und etwa 50 Menschen festgenommen. Saudische Diplomaten seien nicht gefährdet gewesen. Der Abbruch der Beziehungen sei Teil von Riads Bemühungen, von inneren Problemen abzulenken. »Es scheint, dass Saudi-Arabien nicht nur seine Interessen, sondern auch sein Überleben im Aufrechterhalten von Spannungen und Konflikten sieht.«

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen