Montag, 28. April 2014
Deutsche Weltmachtpolitik: Verantwortung predigen – Imperialismus ausschenken
IMI-Standpunkt 2014/018
Rede auf dem Ostermarsch in Bruchköbel am 18.04.2014
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 20. April 2014
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ausgerechnet 2014, also in dem Jahr, in dem sich bekanntlich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal und der des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal jährt, weht in ein neuer Wind durch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – und der stinkt friedenspolitisch zum Himmel!
Paradigmenwechsel zur offensiven Weltmachtpolitik
Es ist wohl keine Untertreibung, dass Bundespräsident Joachim Gauck auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz nicht weniger als einen offensiven Paradigmenwechsel der deutschen Politik einforderte.
Die bisher – angeblich – praktizierte „Kultur der (militärischen) Zurückhaltung“ müsse endgültig ad acta gelegt werden. Deutschland brauche vielmehr eine „Kultur der Kriegsfähigkeit‘ und eine „Kultur der Interessen“.
Gaucks Äußerungen fielen allerdings nicht vom Himmel. Er übernahm dabei lediglich nahezu eins zu eins die Ergebnisse des Papiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das im September 2013 von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und dem „German Marshall Fund“ veröffentlicht wurde. Es fasst den Konsens zusammen, an dem 50 Mitglieder des außen- und sicherheitspolitischen Establishments über ein Jahr lang gebastelt hatten.
Die Begründung dieses Paradigmenwechsel erinnert verdächtig an das Spiderman-Motto „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“.
So heißt es im Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“:
„Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur durch eigenes Zutun – mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm. Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“
Verantwortung scheint man dabei zu allererst für die eigenen Interessen übernehmen zu wollen, wenn es in dem Papier weiter heißt: „Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die sie möglich macht. Gleichzeitig ist Deutschland aber auch besonders abhängig vom Funktionieren dieser Ordnung. Es ist damit auf besondere Weise verwundbar und anfällig für die Folgen von Störungen im System.“
Und schließlich: „Wenn Deutschland die eigene Lebensweise erhalten und schützen will, muss es sich folglich für eine friedliche und regelbasierte Weltordnung einsetzen; mit allen legitimen Mitteln, die Deutschland zur Verfügung stehen, einschließlich, wo und wenn nötig, den militärischen.“
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
zweifellos ist es richtig, dass Deutschland von diesem Weltwirtschaftssystem profitiert.
Aber dieses System basiert auf der Ausbeutung von Milliarden Menschen.
Und genau darum geht es Gauck, von der Leyen, Steinmeier und wie sie alle heißen: Nämlich darum, dieses ungerechte und konfliktträchtige – dieses „störanfällige“ – System auszuweiten und notfalls militärisch abzusichern.
Dieses Bestreben ist an sich nicht neu. Neu ist aber die Ankündigung, dies künftig deutlich aggressiver tun zu wollen. Und neu ist auch die Offenheit und Direktheit, mit der dies in die Welt hinausposaunt wird.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt diesen neuen Kurs ab – und auch wir müssen hier vom Ostermarsch aus die klare Botschaft senden: Wir wollen keine militaristische deutsche Weltmachtpolitik!
Dass sich Gauck gegen den Willen der Bevölkerung als Lautsprecher dieses neuen Elitenkonsenses berufen fühlt, ist alles andere als ein Zufall. Schließlich war Thomas Kleine-Brockhoff als Direktor des „German Marshall Fund“ eng an der Erarbeitung der Studie beteiligt. Und genau dieser Thomas Kleine-Brockhoff wurde von Gauck im Sommer 2013 als neuer Leiter seiner Stabsstelle Planung und Reden verpflichtet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich erspare mir und Euch an dieser Stelle jetzt ausführlich aus Gaucks Rede auf der Sicherheitskonferenz zu zitieren.
Er übernahm darin wie gesagt ohnehin nahezu wortgleich die relevantesten Passagen aus dem Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“.
Nur einen wie ich finde besonders perfiden Aspekt, den Gauck besonders betonte, möchte ich hinweisen, nämlich wie er seine Rede begann:
„Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Botschaft hier war klar – und sie wurde auch verstanden. So kommentierte die FAZ die Rede des Bundespräsidenten folgendermaßen:
„[Gauck] erkannte an, dass militärische Beiträge von Deutschland wegen seiner historischen Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus lange nicht verlangt worden seien. Doch nun dürfe Pazifismus kein Deckmantel für Bequemlichkeit werden. Er bestritt, dass Deutschland wegen seiner Geschichte dauerhaft ein ‚Recht auf Wegsehen’ erworben habe. Dies führe zu ‚so etwas wie Selbstprivilegierung’“.
Aus der deutschen Geschichte wird das Recht, ja sogar die Pflicht für eine neue deutsche Weltmachtpolitik abgeleitet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das ist eine Unverschämtheit, die ich hier lieber nicht noch weiter mit Worten kommentieren möchte.
Testfall Ukraine
Gerade die jüngsten Ereignisse in der Ukraine zeigen deutlich die katastrophalen Folgen deutscher Weltmachtpolitik.
Die Ukraine ist aus westlicher Sicht ein geopolitischer Schlüsselstaat, dessen Kontrolle es ermöglichen würde, Russland machtpolitisch langfristig niederhalten zu können.
Um das Land neoliberal umzubauen und dauerhaft in die europäische Einflusssphäre zu integrieren, wurden 2005 Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine aufgenommen.
Gleichzeitig wurden Milliardenbeträge in den Aufbau pro-westlicher Gruppen gesteckt.
Im November 2013 legte der damalige Präsident Janukowitsch dann die Verhandlungen mit der EU auf Eis. Und zwar mit dem – vollkommen richtigen – Verweis, das Abkommen werde sich extrem schädlich für die ukrainische Wirtschaft auswirken.
Damit hatte er sich mächtige Feinde in Washington, Brüssel und Berlin gemacht.
Um auch dies klar zu sagen: Es gab sicher durchaus gute und nachvollziehbare Gründe, dass viele Menschen bereit waren, gegen die korrupte Janukowitsch-Regierung auf die Straße zu gehen.
Allerdings wurden diese Proteste schnell durch ein Dreierbündnis gekapert. Es bestand einmal aus der vor allem von den USA unterstützten Timoschenko-Partei.
Die zweite Partei war „Udar“ („Schlag“) mit dem Aushängeschild Witali Klitschko. Die Partei des ehemaligen Box-Weltmeisters wurde massiv seitens der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und auch durch die Europäische Volkspartei (EVP), die konservative Fraktion im Europaparlament, unterstützt.
Beide diese Parteien hatten augenscheinlich keinerlei Probleme mit dem dritten Bündnispartner zusammenzuarbeiten: „Swoboda“ („Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze. Eine Partei, die im Mai 2013 vom Jüdischen Weltkongress als neonazistisch eingestuft wurde.
Und auch unzählige westliche Politiker scheuten nicht davor zurück, die gewaltsamen Proteste gegen die Janukowitsch-Regierung durch ihre Präsenz auf dem Maiden in Kiew zu unterstützen und sich dabei mit Swoboda-Führer Tjagnibok ablichten zu lassen.
Der Grund liegt auf der Hand: Ohne diese rechtsradikalen Kräfte wäre der Sturz der Janukowitsch-Regierung wohl unmöglich gewesen.
Und hierfür wurden sie nun auch mit zahlreichen Ministerposten in der neuen Übergangsregierung belohnt, während das Land im Chaos versinkt.
Ich will die Rolle Russlands hier nicht beschönigen, das ebenfalls mit harten Bandagen vorgeht. Aber man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln und Russland reagiert hier auf eine geopolitische Offensive des Westens.
Dass dabei selbst vor der Zusammenarbeit mit Faschisten nicht halt gemacht wurde, scheint selbst Teilen des Establishments zu weit zu gehen. So kritisierte der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, „dass dort [in der Ukraine] ein fataler Tabubruch begangen worden ist, dem wir auch noch applaudieren, der Tabubruch nämlich, zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen, und das ist ein Schritt zu weit.“
So sieht sie also aus, die neue „verantwortungsbewusste“ deutsche Weltmachtpolitik.
Offensichtlich waren die Lehren aus zwei Weltkriegen, in denen Deutschland die Welt ins Unglück gestürzt hat, nie wichtiger: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder deutsche Weltmachtpolitik!“
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