Ihr Besitzer, der eigentlich Andrej heißt - seinen Nachnamen will er nicht nennen -, aber von allen Rumman genannt wird, hat sich mit einer Tasse an den großen Tisch von Klik e.V. in der Berliner Torstraße gesetzt. Die Kontakt- und Beratungsstelle lädt - wie jeden Dienstag und Donnerstag - zum offenen Angebot für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen zwischen 18 und 26. Aus den kleinen Boxen am Computertisch tönt Punkmusik, auf den Sofas sitzen junge Leute, teilweise mit Hunden. Einer jungen Frau läuft eine große, weiße Ratte über die Schulter.
Donnerstagnachmittags kommt auch die Tierärztin Jeanette Klemmt - und Rumman hat sich angemeldet. »Elizza braucht eine Impfung«, erzählt er. Krank sei die Hündin noch nie gewesen, ergänzt der 26-Jährige. Zum Glück. Denn Geld hat er nicht. Deswegen kommt er zu Jeanette Klemmt, die mit ihrer mobilen Tierarztpraxis verschiedene Kontaktläden in Berlin ansteuert. Im Rahmen des Projekts HundeDoc der sozialpädagogischen Stiftung SPI bietet sie seit 2000 kostenfreie Beratungen und tiermedizinische Grundversorgung für mittellose Menschen an - vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene.
Rumman stammt ursprünglich aus der Slowakei. Seit sechs Jahren ist der junge Mann auf Reisen durch Europa. »Ich mag es, neue Leute und Kulturen kennenzulernen«, berichtet er. Gerade kommt er aus Südfrankreich. Ein scheinbar besserer Ort zum Überwintern. Doch Rumman erzählt, dass er dort Probleme hatte. Die Menschen seien nicht so offen wie in Berlin und reagierten ablehnend. »Hier ist es zwar kälter, aber besser«, sagt er. Denn hier sei vieles billiger - Hundefutter zum Beispiel.
»Elizza ist ein Teil von mir«
Elizza begleitet ihn seit zwei Jahren auf seinen Reisen. Er hätte vorher länger mit dem Gedanken gespielt, sich einen Hund zuzulegen, erzählt er. Dann sagte ihm ein Freund in Tschechien, dass er Welpen erwarte. Rumman fuhr hin und wusste sofort, dass er sich für Elizza entscheiden würde. »Das ist mein Hund«, sagt er und lächelt.Mit einem Tier zu reisen macht vieles schwieriger. Früher sei er häufiger getrampt. Doch viele Leute mögen keine Hunde in ihrem Auto. »Das kann ich verstehen«, sagt Rumman. Auch im Bus dürfe er Elizza nicht mitnehmen. Deswegen nimmt er den teureren Zug. Trotzdem will er nicht mehr ohne seine Gefährtin unterwegs sein. »Sie ist wie ein Baby. Sie ist ein Teil von mir«, sagt er mit Blick auf den Hund, der auf der Bank liegt und keinen Mucks von sich gibt.
Rumman trägt einen grauen Kapuzenpulli mit St.-Pauli-Logo, auf seiner Schirmmütze steht seitlich »Anti Fascistas«, in seinen Ohrläppchen stecken Sicherheitsnadeln, er trägt Lederhose, feste Stiefel und hat einen Wanderrucksack dabei. Lächelnd erzählt er, warum er immer unterwegs ist. Bei Bekannten habe er erlebt, wie sie einen Job suchten und sich ein Haus kauften. Danach lebten sie nur noch, um das Haus abzubezahlen und zu essen, weil sonst nichts mehr übrig blieb. »Wenn ich den Job verliere, verliere ich auch das Haus«, sagt Rumman. In diesem Teufelskreis wolle er nicht leben. Prekär scheint das Dasein in jedem Fall. Deswegen entschied sich Rumman für die Freiheit.
Seiner Mutter falle es schwer, seinen Lebensstil zu akzeptieren, berichtet Rumman. Wenn er in ihrer Nähe ist, besuche er seine Eltern. Manchmal rufe er an und melde sich mit: »Ich bin in Frankreich« oder »Ich bin in Spanien«.
Geld verdient er, indem er auf der Straße Gitarre spielt. Er komponiert Songs, die sich zwischen Folk und Punk bewegen. Bei Klik holt er seine Gitarre heraus und spielt ein Lied mit einem wehmütigen Unterton. Elizza legt sich auf seine ausgebreitete Jacke und den Kopf auf die Gitarrenhülle. Meistens schreibt Rumman seine Texte auf Slowakisch oder Tschechisch. Bei diesem Song habe er sich von George Orwells Buch »Farm der Tiere« inspirieren lassen, in dem es um die Auflehnung von Tieren gegen menschliche Herrschaft geht. Viele seiner Songs behandeln politische Themen, kritisieren Sozialsysteme oder protestieren gegen Krieg. Den Sommer über ist er auf Festivals unterwegs, wo er beim Aufbau hilft und selbst musiziert.
Manchmal schläft er auf der Straße, manchmal bei Freunden. Inzwischen wisse er, welche Plätze gut und sicher sind. Man müsse aufpassen, dass einem niemand die Sachen klaut. Ein Hund kann dabei helfen. »Das ist mehr psychologisch. Elizza ist ja nicht gefährlich. Aber die Leute haben Respekt«, sagt Rumman und blickt auf seinen kleinen schwarzen Hund. Als die Tür aufgeht, springt Elizza plötzlich auf und läuft schwanzwedelnd zu den beiden Hunden, die hereinkommen.
»Ein bisschen Familiengefühl«
Wenn er in Berlin ist, kommt Rumman gerne zu Klik e.V. Dort kann er duschen, seine Sachen waschen, das Handy aufladen, Internet nutzen, Musik hören und Freunde treffen. Montags und freitags bietet der Verein Beratungssprechstunden an, die im Gegensatz zu den offenen Angeboten keine Altersbegrenzung haben. Viele der Klientinnen und Klienten sind junge Erwachsene aus Osteuropa. »Sie haben hier und im Herkunftsland mit Diskriminierungserfahrungen und Sprachbarrieren zu kämpfen und leiden unter absoluter Armut«, erzählt Anett Leach, Beraterin und Projektkoordinatorin bei Klik. Denn der Anspruch dieser jungen Leute aus dem EU-Ausland auf Regelleistungen sei sehr begrenzt. Im Verein können sie praktische, alltägliche Dinge erledigen und erfahren »ein bisschen Familiengefühl«. »Viele von ihnen kommen aus zerrütteten Familien«, erklärt die Sozialpädagogin. In der Beratung geht es dann an die schwierigen Themen: eine Unterkunft finden, Wohnberechtigungsscheine beantragen, Besuche bei Ämtern vorbereiten - oder auch über Probleme wie Suchtproblematiken zu sprechen.Donnerstags kommt die Tierärztin vorbei. Die HundeDoc-Sprechstunde werde nicht mehr so häufig genutzt wie früher, erzählt Anett Leach. Das habe auch mit der Veränderung der Klientel zu tun. »Früher hatten wir den klassischen deutschen Punk, der hatte manchmal drei Hunde«, erzählt sie. Heute kämen vor allem junge Leute aus Osteuropa, die nicht einmal ALG-II-Leistungen beziehen. »Ein Tier muss man sich leisten können«, sagt Leach. Sie vermutet, dass auch deshalb weniger ihrer Klientinnen und Klienten Hunde haben als früher.
Der Wunsch nach einem Tier habe viel mit dem Bedürfnis nach Nähe zu tun, meint Anett Leach. Ein Hund ist folgsam und wird einen niemals verlassen. »Das ist eine Liebe, die viele so früher nicht erfahren haben.« Auch Sicherheit sei ein Aspekt - nicht nur auf der Straße. Prinzipiell seien die Gründe für alle Menschen gleich, erklärt sie. »Da unterscheidet sich ein Obdachloser von keinem anderen Tierbesitzer.«
Viele der Klientinnen und Klienten von Klik kommen seit Jahren zur Tierärztin Jeanette Klemmt. Mit ihrem zur mobilen Tierklinik umgebauten Rettungswagen hält sie auf der Torstraße, kommt mit schnellen Schritten zur Tür hinein und bedeutet Rumman, das er rauskommen könne. Elizza hat Glück. Sie braucht nur eine Wurmkur, sonst ist alles in Ordnung. Eine Sache wäre also erledigt. Nun wartet Rumman noch auf eine Antwort von Bekannten, ob er bei ihnen übernachten kann. Mindestens bis Silvester will er in Berlin bleiben. Danach wird er mit Elizza nach Rumänien fahren, wo seine Freundin lebt. Wohin es danach geht, wird 2020 zeigen.
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