Freitag, 27. Dezember 2019

Walter Libudas metaphernreiche Bildwelten (Klaus Hammer)


Die Beziehung von Innen und Außen, von Sichtbarem und Unsichtbarem, Wahrnehmung und Vorstellung, Objektivierbarem und Subjektivem bestimmt das Werk des in Schildow nördlich von Berlin lebenden Malers, Zeichners, Bildhauers und Objektkünstlers Walter Libuda. Sein Interesse zielt neben den kostbar strukturierten, die optischen Sinne ansprechenden malerischen Oberflächen immer auch auf das ideelle Wesen einer Erscheinung, ihren inneren Gehalt ab. Seine Arbeiten sind Boten aus einem Zwischenreich, weder Traum noch Realität.
Eine Auswahl von Bildern, Skulpturen, Keramiken, Objekten, Reliefkästen beziehungsweise mit Papierarbeiten gefüllten Objektkästen der letzten 20 Jahre zeigt jetzt der Kunsthandel Dr. Wilfried Karger. In malerischen Körpern kreist Libuda seine Bildthemen ein, dabei ganz unterschiedliche Techniken, Materialien und Kunstgattungen wählend. »Gelb-Kragen« (2010), »Hand an der Nase« (2015), »Wie man sich sieht« (2015), »Drei-Tage-Viertel« (2006–2019), »Kleiner Fischschlucker« (2009–2019) oder »Nicht vorn, nicht hinten« (2010–2019, alle Öl auf Leinwand), so die Bildtitel. Doch die sind trügerisch, nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Es sind Vexierbilder, die alles verkehren, einen narren, unterschiedliche Bildinhalte wahrnehmen lassen, Suchbilder, die außer dem scheinbar erkennbaren Sujet, der Figur auch Anderes, nicht gleich Erkennbares enthalten. Schnappschüsse des Unmöglichen. Es ist das surrealistische Verfahren, wie man eine Bildvorstellung hervorruft durch unerwartete Assoziationen und anscheinend zufällige Zusammenstellungen, die sich dann als durchaus bewusst herausstellen. Ein Ding zu betrachten und ein anderes zu sehen. Oder ein Ding verändert durch sein Vorhandensein die Bedeutung eines anderen. Und so läuft durch Libudas Arbeiten eine Kette von sich summierenden Bedeutungen.
Wie bei einem Blick durch ein Vergrößerungsglas oder ein Mikroskop eröffnet sich dem Betrachter eine metaphernreiche Bildwelt der Irrgärten freier Assoziation, kühner Konstrukte und Apparaturen, fremdartiger Geschöpfe, mit Bildfallen versehener Örtlichkeiten – eine eigenen Gesetzen folgende »Schöpfungsgeschichte« von überquellendem Erfindungsreichtum. Eingesetzt in die leuchtenden, juwelenartig funkelnden und wie magnetisch geordneten Ströme lassen sich Figurationen ausmachen, nicht zur Figur zusammengezogen, aber zugleich auch vor dem Verschwinden im Grund gerettet. Sie stehen bewegungslos im (Bild-)Raum, suggerieren aber eine oft aggressive Vehemenz des Handelns. Das Bild eine Bühne, Poesie, Verwandlung, Verwechslung, Farce, Magie, Zauber, Zirkus, venezianischer Karneval, Puppenspiel, Tag- und Nachttraum, auch »Alice im Wunderland«, aber eher noch »Alice hinter den Spiegeln«. Denn dahinter steht die moderne Erfahrung von Abgründigkeit und Bodenlosigkeit, die sich in den zwei- und dreidimensionalen Arbeiten Libudas so auswirkt, dass ihre Darstellungsmittel auseinandertreiben und sich nicht mehr zu einer sofort erkennbaren bildlichen Darstellung fügen wollen.
Seine Kunstwerke drängen über die Bildfläche hinaus, verdichten sich zu Reliefs, wuchern als halb organische, halb geometrische Konstruktionen in den Raum aus, werden zu gebauten Architekturen, runden sich zu Figuren, Gestalten, Menschenbildern, führen als Fabelwesen ihr geheimnisvolles Eigenleben. Libudas Skulpturen mögen überfüllt und impulsiv erscheinen, aber das machen sie durch die Intensität des Gefühls, aus dem sie eruptiv entstanden sind, wieder wett.
Seine bemalten und verglasten Objektkästen hat er als »Welträume« bezeichnet. Es sind verschachtelte, geheimnisvolle, unüberschaubare Miniaturwelten, gefertigt in sorgfältiger Kleinarbeit aus Pappe, Papiermaché und Papier. Losgelöst von konkreten Inhalten lassen sie komplexe Gestaltungen in zahlloser Variation zu: statische Formen, die in Bewegung geraten, geschlossene Bauteile, die sich öffnen und miteinander korrespondieren. Die Kästen sind voller Leben, aber es ist kein Leben, das morphologisch einen Sinn ergibt. Wenn die Arbeit für Zufallseffekte, unvorhergesehene Kombinationen und unbeabsichtigte Metaphern offenbleibt, wenn sie sich selbst erst im Verlauf des Herstellungsprozesses »entdeckt«, nicht aber bewusst geplant und durchgeführt wird, dann kann das Unbewusste in ihr wirken. Das Unterbewusste ein Instrument, mit dem man neue Formen erfinden kann. Der Künstler als Schöpfer eines eigenen Universums.
Die ganze Tragödie und Komödie des Menschenlebens, Gefährdungen, Lockungen, Täuschungen, Verletzungen und Entblößungen, ohnmächtiges Auflehnen und Selbstzerstören, der Kampf um Selbstbehauptung, auch gegen sich selbst, der notwendige wie erfundene – ein Formwerden aus Farbe, eine verdichtete Ahnung. Wenn die Farbe sich wie ein waberndes Gespinst verdichtet zu einem Körper, soll die Malerei einen festen Körper erhalten. Gegen die Gefährlichkeit der Auflösung der Malerei als Erinnerung setzt Libuda die schwere Körperlichkeit der malerischen Mittel, die Wolkenbrüche der Farbe und die Magie einer erfundenen, komplexen Welt. Aber immer bleiben die Strukturen offen.

»Freireiser« – Plastiken, Objektkästen, Bilder von Walter Libuda. Kunsthandel Dr. Wilfried Karger im stilwerk Berlin, Kantstraße 17, Die – Fr 14 – 19 Uhr, Sa 10 – 19 Uhr, bis 25. Januar 2020

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