Am Wochenanfang präsentierte
die EU-Verteidigungsagentur – wieder einmal mit reichlich Verspätung – ihre
Daten über die Militärausgaben der Mitgliedsstaaten des Jahres 2018. Sie
bestätigen – entgegen dem allgegenwärtigen Gejammer von Politik, Militär und
Industrie – den Trend zu immer weiter steigenden Ausgaben.
Gleichzeitig nehmen die Verhandlungen um den nächsten
Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF), den EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027,
allmählich Fahrt auf. Deren Ergebnisse werden mit Blick auf die Höhe der
Militärausgaben aus mindestens zwei Gründen von entscheidender Bedeutung sein: Einmal
sollen mit dem kommenden MFF erstmals beträchtliche Summen für
rüstungsrelevante Bereiche ausgelobt werden, die zudem zumindest im Falle des
deutschen Anteils dennoch nicht aus dem Topf des Verteidigungsministeriums
stammen werden. Und zum zweiten sollen diese Beträge teils um nationale Gelder
ergänzt werden, um so im Ergebnis enorme Summen für den Aufbau eines
Europäischen Rüstungskomplexes mobilisieren zu können.
Vor diesem Hintergrund ist es überaus interessant, dass die
finnische Ratspräsidentschaft Anfang Dezember Zahlen für die anstehenden MFF-Verhandlungen
präsentierte, die in erheblichem – nämlich geringerem – Umfang von den
Vorstellungen der Kommission abweichen. Man darf somit gespannt sein, wie in
den kommenden Monaten versucht werden wird, die finnischen Vorschläge wieder einzukassieren,
da sie für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie in dieser Form angenommen
würden, den hochtrabenden Plänen der neuen Rüstungskommission unter Ursula von
der Leyen zumindest in Teilen einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen
würden.
Allzeithoch!
Auch wenn der Bericht der Verteidigungsagentur sich eifrig
darum bemüht das Bild der unterfinanzierten Armeen Europas zu zeichnen, geben
die realen Zahlen derlei Aussagen nicht her. Laut Verteidigungsagentur beliefen
sich die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten im Jahr 2018
zusammengenommen auf 223,4 Mrd. Euro. Dabei handelt es sich nicht nur um eine
deutliche Steigerung gegenüber den 214 Mrd. Euro des Vorjahres. Auch der
Gesamttrend ist eindeutig: Das erste Mal erhob die Behörde diese Zahlen im Jahr
2005, als die Mitgliedsstaaten auf gemeinsame Militärausgaben von „lediglich“
193 Mrd. Euro kamen. Dementsprechend stiegen auch die Gelder für
Rüstungsanschaffungen von 29,2 Mrd. Euro (2006) auf 36,2 (2017) Mrd. Euro steil
an, nur um im letzten Erhebungszeitraum 2018 noch einmal einen deutlichen
Sprung auf 44,5 Mrd. Euro zu machen.
Geh es nach der EU-Kommission sollen künftig zu diesen rein
nationalen Militärausgaben auch noch hohe Summen aus dem EU-Haushalt
hinzukommen.
EU-Rüstungsgelder außerhalb der Rüstungshaushalte
Im Mai 2018 legte die Kommission den Vorschlag
für den neuen EU-Haushalt 2021 bis 2027 vor. Darin wurden erstmals über diverse
Töpfe verteilt beträchtliche EU-Gelder zur Finanzierung militärischer Vorhaben
ausgelobt, die künftig im Wesentlichen von der beim Industriekommissariat
angesiedelten neuen „Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum“
verwaltet werden sollen.
Die „Europäische Friedensfazilität“ (EFF) soll mit 10,5 Mrd.
Euro unter anderem künftige EU-Militäreinsätze querfinanzieren. Die EFF ist
zwar kein offizieller Teil des MFF, sondern soll sich aus Beiträgen der
Mitgliedsstaaten speisen, ihr Budget wurde aber paradoxerweise dennoch von der
Kommission zusammen mit dem EU-Haushalt 2021 bis 2027 vorgeschlagen.
Offiziell zum MFF gehören sollen aber die 6,5 Mrd. Euro, die
im Rahmen der „Militärischen Mobilität“ für Infrastrukturmaßnahmen zur
schnellen Verlegung von Truppen und Material vor allem an die Ostgrenze
verausgabt werden sollen. Insgesamt 16 Mrd. Euro sind für sicherheits- bzw. militärrelevante
Weltraumprogramme vorgesehen, der Löwenanteil davon soll auf das Satellitennavigationssystem
Galileo (9,7 Mrd. Euro) und das Geoinformationssystem Copernicus (5,8 Mrd. Euro)
entfallen. Als „Kronjuwel“ unter all diesen neuen Rüstungstöpfen gilt
allerdings der „Europäische Verteidigungsfonds“ (EVF), der zwischen 2021 und
2027 nach Vorstellungen der Kommission für die Erforschung (4,1 Mrd. Euro) und
die Entwicklung (8,9 Mrd. Euro) von Rüstungsgütern mit insgesamt 13 Mrd. Euro
befüllt werden soll.
Zumindest im Falle Deutschlands werden die Gelder für den EVF –
anteilig nach einem Brexit 25 Prozent der Gesamtsumme – nicht dem
Verteidigungsbudget (Einzelplan 14), sondern dem Allgemeinen Haushalt
(Einzelplan 60) entnommen.
Es handelt sich bei ihnen also eindeutig um Rüstungsausgaben, die sich
allerdings dennoch nicht im offiziellen Verteidigungshaushalt
niederschlagen werden. Nach Angaben der Bundesregierung ist zwar
scheinbar noch offen, ob bei den anderen Haushalten – v.a. EFF und
Military Mobility – in ähnlicher Weise verfahren werden wird, davon ist
aber auszugehen. Angesichts einer gegenüber allzu hohen Militärausgaben
tendenziell eher skeptisch eingestellten Bevölkerung handelt es sich
hier um eine willkommene Möglichkeit, das Budget künstlich
kleinzurechnen – mit anderen Worten also, Augenwischerei zu betreiben.
Gleichzeitig lassen sich diese Gelder bei der NATO als Militärausgaben
melden, was wiederum hilft, den Druck der USA auf höhere Ausgaben
abzumildern.
Ambitionierte Rüstungshebel
Der EVF hat explizit das Ziel, die Herausbildung eines
europäischen Rüstungskomplexes voranzubringen, indem nur länderübergreifende
Projekte finanziert und dadurch Konzentrationsprozesse forciert werden.
Gleichzeitig sollen die im EVF vorgesehenen 8,9 Mrd. Euro für die Entwicklung
von Rüstungsprojekten national um den Faktor 5 „gehebelt“ werden. Das heißt, in
den Genuss dieser Gelder werden die Länder nur kommen, wenn sie aus ihren
nationalen Budgets – und in diesem Falle wäre es dann im Falle Deutschlands
tatsächlich aus dem Verteidigungshaushalt – noch einmal den fünffachen Betrag
zuschießen (bei sogenannten PESCO-Projekten wird ein reduzierter nationaler
Anteil fällig). Im Extremfall könnten so also über den EVF bis zu 44,5 Mrd. mobilisiert
werden, zu denen dann noch die 4,1 Mrd. an Forschungsgeldern hinzukommen würden.
Doch geht es nach den Vorstellungen ambitionierter
Rüstungsstrategen wie Daniel Fiott vom EU-eigenen „Institute for Security
Studies“, soll auch damit beileibe noch nicht das Ende der Fahnenstange
erreicht sein. In einem neuen Papier
schlägt er vor, die nationalen Hebel ab 2023 auf den Faktor zehn
hochzuschrauben, wodurch die Schlagkraft des Fonds – zumindest aus Sicht
derjenigen, die sich die Schaffung eines europäischen Rüstungskomplexes auf die
Fahnen geschrieben haben – noch einmal erheblich „verbessert“ würde. Gerechnet
über den gesamten MFF wäre es damit möglich, annähernd 100 Mrd. Euro für Erforschung
und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu mobilisieren.
Finnischer Lichtblick
Nachdem die Kommission im Juni 2018 ihre Vorstellungen
zum „Europäischen Verteidigungsfonds“ präsentiert hatte, stimmte auch das
Parlament diesen Zahlen im Wesentlichen mit einer Legislativen
Entschließung im April 2019 mehrheitlich zu. Als letzte Hürde steht dem EVF
(und den anderen Budgets) damit nur noch der Mehrjährige Finanzrahmen entgegen,
der in nächster Zeit zwischen Kommission, Rat und Parlament ausgehandelt werden
muss. Angesichts der vorherigen Einigung über den EVF-Verordnungsvorschlag war
es deshalb aus friedenspolitischer Sicht eine positive Überraschung, dass der Anfang
Dezember vorgelegte „Verhandlungsaufschlag“ der finnischen Ratspräsidentschaft
ganz erheblich von den Vorstellungen der Kommission abweicht.
Seltsamerweise verwendet die finnische Ratspräsidentschaft
im entsprechenden, „Verhandlungsbox“ genannten Dokument
ausschließlich Preise von 2018, die geringer ausfallen als die gewöhnlich
angegebenen aktuellen Preise – im Falle des Europäischen Verteidigungsfonds
ergibt das im Kommissionsvorschlag zum Beispiel 11,453 Mrd. Euro statt der
üblicherweise angegebenen 13 Mrd. Euro. Auch wenn also die Ausgangsangaben
dadurch für alle Rüstungstöpfe niedriger angesetzt sind, zeigt sich doch die
durchaus erfreuliche Tendenz der finnischen Vorschläge gleich auf den ersten
Blick.
Vergleichsweise
glimpflich kamen noch die großen Weltraumprogramme davon, für die nun 12,7 Mrd.
Euro statt noch im Kommissionsvorschlag 14,2 Mrd. Euro vorgeschlagen werden. Kräftig
Federn lassen mussten aber die Friedensfazilität mit 4,5 Mrd. Euro (statt 9,2
Mrd. Euro) sowie die Militärische
Mobilität mit 2,5 Mrd. Euro (statt 5,8 Mrd. Euro). Und auch der
Europäische Verteidigungsfonds kam alles andere als ungeschoren davon: Für ihn
schlägt die finnische Ratspräsidentschaft nur noch 6,0 Mrd. Euro statt der von der Kommission anvisierten 11,5 Mrd. Euro vor.
Heiße Verhandlungsphase
Klar, aus friedenspolitischer Sicht wäre eine glatte Null
bei all diesen Töpfen natürlich noch besser gewesen – bei den von der
finnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Zahlen handelt es sich aber
dennoch um ganz empfindliche Kürzungen der bislang kursierenden Beträge. Und
dementsprechend entgeistert reagierte die sogenannte „Strategische
Gemeinschaft“ auch auf die finnischen Vorschläge: „Zu einem Zeitpunkt, an dem Sicherheit
und Verteidigung immer wichtigere Bereiche werden, steht die Botschaft nicht im
Einklang mit den Ambitionen“, kritisierte
beispielsweise umgehend Eric Trappier, der Chef der größten
EU-Rüstungslobbyorganisation ASD.
So erfreulich das
ist, angesichts der Bedeutung, die diesen Fonds beigemessen wird, ist
davon auszugehen,
dass die finnischen Vorschläge von der im Januar 2020 beginnenden
kroatischen,
spätestens dann aber von der in der zweiten Jahreshälfte übernehmenden
deutschen
Ratspräsidentschaft kassiert werden dürften. Schließlich werden
Deutschland und die hiesige Rüstungsindustrie zu den Hauptprofiteuren
zählen, womöglich auch deshalb wird hinter kaum vorgehaltener Hand
bereits immer
lauter gemunkelt, die
MFF-Verhandlungen würden sich wohl bis in die zweite Jahreshälfte ziehen.
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