Sonntag, 29. Dezember 2019

Das Tauziehen um den EU-(Militär-)Haushalt geht in die heiße Phase

Am Wochenanfang präsentierte die EU-Verteidigungsagentur – wieder einmal mit reichlich Verspätung – ihre Daten über die Militärausgaben der Mitgliedsstaaten des Jahres 2018. Sie bestätigen – entgegen dem allgegenwärtigen Gejammer von Politik, Militär und Industrie – den Trend zu immer weiter steigenden Ausgaben.
Gleichzeitig nehmen die Verhandlungen um den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF), den EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027, allmählich Fahrt auf. Deren Ergebnisse werden mit Blick auf die Höhe der Militärausgaben aus mindestens zwei Gründen von entscheidender Bedeutung sein: Einmal sollen mit dem kommenden MFF erstmals beträchtliche Summen für rüstungsrelevante Bereiche ausgelobt werden, die zudem zumindest im Falle des deutschen Anteils dennoch nicht aus dem Topf des Verteidigungsministeriums stammen werden. Und zum zweiten sollen diese Beträge teils um nationale Gelder ergänzt werden, um so im Ergebnis enorme Summen für den Aufbau eines Europäischen Rüstungskomplexes mobilisieren zu können.
Vor diesem Hintergrund ist es überaus interessant, dass die finnische Ratspräsidentschaft Anfang Dezember Zahlen für die anstehenden MFF-Verhandlungen präsentierte, die in erheblichem – nämlich geringerem – Umfang von den Vorstellungen der Kommission abweichen. Man darf somit gespannt sein, wie in den kommenden Monaten versucht werden wird, die finnischen Vorschläge wieder einzukassieren, da sie für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie in dieser Form angenommen würden, den hochtrabenden Plänen der neuen Rüstungskommission unter Ursula von der Leyen zumindest in Teilen einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen würden.
Allzeithoch!
Auch wenn der Bericht der Verteidigungsagentur sich eifrig darum bemüht das Bild der unterfinanzierten Armeen Europas zu zeichnen, geben die realen Zahlen derlei Aussagen nicht her. Laut Verteidigungsagentur beliefen sich die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten im Jahr 2018 zusammengenommen auf 223,4 Mrd. Euro. Dabei handelt es sich nicht nur um eine deutliche Steigerung gegenüber den 214 Mrd. Euro des Vorjahres. Auch der Gesamttrend ist eindeutig: Das erste Mal erhob die Behörde diese Zahlen im Jahr 2005, als die Mitgliedsstaaten auf gemeinsame Militärausgaben von „lediglich“ 193 Mrd. Euro kamen. Dementsprechend stiegen auch die Gelder für Rüstungsanschaffungen von 29,2 Mrd. Euro (2006) auf 36,2 (2017) Mrd. Euro steil an, nur um im letzten Erhebungszeitraum 2018 noch einmal einen deutlichen Sprung auf 44,5 Mrd. Euro zu machen.
Geh es nach der EU-Kommission sollen künftig zu diesen rein nationalen Militärausgaben auch noch hohe Summen aus dem EU-Haushalt hinzukommen.
EU-Rüstungsgelder außerhalb der Rüstungshaushalte
Im Mai 2018 legte die Kommission den Vorschlag für den neuen EU-Haushalt 2021 bis 2027 vor. Darin wurden erstmals über diverse Töpfe verteilt beträchtliche EU-Gelder zur Finanzierung militärischer Vorhaben ausgelobt, die künftig im Wesentlichen von der beim Industriekommissariat angesiedelten neuen „Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum“ verwaltet werden sollen.
Die „Europäische Friedensfazilität“ (EFF) soll mit 10,5 Mrd. Euro unter anderem künftige EU-Militäreinsätze querfinanzieren. Die EFF ist zwar kein offizieller Teil des MFF, sondern soll sich aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten speisen, ihr Budget wurde aber paradoxerweise dennoch von der Kommission zusammen mit dem EU-Haushalt 2021 bis 2027 vorgeschlagen.
Offiziell zum MFF gehören sollen aber die 6,5 Mrd. Euro, die im Rahmen der „Militärischen Mobilität“ für Infrastrukturmaßnahmen zur schnellen Verlegung von Truppen und Material vor allem an die Ostgrenze verausgabt werden sollen. Insgesamt 16 Mrd. Euro sind für sicherheits- bzw. militärrelevante Weltraumprogramme vorgesehen, der Löwenanteil davon soll auf das Satellitennavigationssystem Galileo (9,7 Mrd. Euro) und das Geoinformationssystem Copernicus (5,8 Mrd. Euro) entfallen. Als „Kronjuwel“ unter all diesen neuen Rüstungstöpfen gilt allerdings der „Europäische Verteidigungsfonds“ (EVF), der zwischen 2021 und 2027 nach Vorstellungen der Kommission für die Erforschung (4,1 Mrd. Euro) und die Entwicklung (8,9 Mrd. Euro) von Rüstungsgütern mit insgesamt 13 Mrd. Euro befüllt werden soll.
Zumindest im Falle Deutschlands werden die Gelder für den EVF – anteilig nach einem Brexit 25 Prozent der Gesamtsumme – nicht dem Verteidigungsbudget (Einzelplan 14), sondern dem Allgemeinen Haushalt (Einzelplan 60) entnommen. Es handelt sich bei ihnen also eindeutig um Rüstungsausgaben, die sich allerdings dennoch nicht im offiziellen Verteidigungshaushalt niederschlagen werden. Nach Angaben der Bundesregierung ist zwar scheinbar noch offen, ob bei den anderen Haushalten – v.a. EFF und Military Mobility – in ähnlicher Weise verfahren werden wird, davon ist aber auszugehen. Angesichts einer gegenüber allzu hohen Militärausgaben tendenziell eher skeptisch eingestellten Bevölkerung handelt es sich hier um eine willkommene Möglichkeit, das Budget künstlich kleinzurechnen – mit anderen Worten also, Augenwischerei zu betreiben. Gleichzeitig lassen sich diese Gelder bei der NATO als Militärausgaben melden, was wiederum hilft, den Druck der USA auf höhere Ausgaben abzumildern.

Ambitionierte Rüstungshebel
Der EVF hat explizit das Ziel, die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes voranzubringen, indem nur länderübergreifende Projekte finanziert und dadurch Konzentrationsprozesse forciert werden. Gleichzeitig sollen die im EVF vorgesehenen 8,9 Mrd. Euro für die Entwicklung von Rüstungsprojekten national um den Faktor 5 „gehebelt“ werden. Das heißt, in den Genuss dieser Gelder werden die Länder nur kommen, wenn sie aus ihren nationalen Budgets – und in diesem Falle wäre es dann im Falle Deutschlands tatsächlich aus dem Verteidigungshaushalt – noch einmal den fünffachen Betrag zuschießen (bei sogenannten PESCO-Projekten wird ein reduzierter nationaler Anteil fällig). Im Extremfall könnten so also über den EVF bis zu 44,5 Mrd. mobilisiert werden, zu denen dann noch die 4,1 Mrd. an Forschungsgeldern hinzukommen würden.
Doch geht es nach den Vorstellungen ambitionierter Rüstungsstrategen wie Daniel Fiott vom EU-eigenen „Institute for Security Studies“, soll auch damit beileibe noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. In einem neuen Papier schlägt er vor, die nationalen Hebel ab 2023 auf den Faktor zehn hochzuschrauben, wodurch die Schlagkraft des Fonds – zumindest aus Sicht derjenigen, die sich die Schaffung eines europäischen Rüstungskomplexes auf die Fahnen geschrieben haben – noch einmal erheblich „verbessert“ würde. Gerechnet über den gesamten MFF wäre es damit möglich, annähernd 100 Mrd. Euro für Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu mobilisieren.
Finnischer Lichtblick
Nachdem die Kommission im Juni 2018 ihre Vorstellungen zum „Europäischen Verteidigungsfonds“ präsentiert hatte, stimmte auch das Parlament diesen Zahlen im Wesentlichen mit einer Legislativen Entschließung im April 2019 mehrheitlich zu. Als letzte Hürde steht dem EVF (und den anderen Budgets) damit nur noch der Mehrjährige Finanzrahmen entgegen, der in nächster Zeit zwischen Kommission, Rat und Parlament ausgehandelt werden muss. Angesichts der vorherigen Einigung über den EVF-Verordnungsvorschlag war es deshalb aus friedenspolitischer Sicht eine positive Überraschung, dass der Anfang Dezember vorgelegte „Verhandlungsaufschlag“ der finnischen Ratspräsidentschaft ganz erheblich von den Vorstellungen der Kommission abweicht.
Seltsamerweise verwendet die finnische Ratspräsidentschaft im entsprechenden, „Verhandlungsbox“ genannten Dokument ausschließlich Preise von 2018, die geringer ausfallen als die gewöhnlich angegebenen aktuellen Preise – im Falle des Europäischen Verteidigungsfonds ergibt das im Kommissionsvorschlag zum Beispiel 11,453 Mrd. Euro statt der üblicherweise angegebenen 13 Mrd. Euro. Auch wenn also die Ausgangsangaben dadurch für alle Rüstungstöpfe niedriger angesetzt sind, zeigt sich doch die durchaus erfreuliche Tendenz der finnischen Vorschläge gleich auf den ersten Blick.
Vergleichsweise glimpflich kamen noch die großen Weltraumprogramme davon, für die nun 12,7 Mrd. Euro statt noch im Kommissionsvorschlag 14,2 Mrd. Euro vorgeschlagen werden. Kräftig Federn lassen mussten aber die Friedensfazilität mit 4,5 Mrd. Euro (statt 9,2 Mrd. Euro) sowie die Militärische Mobilität mit 2,5 Mrd. Euro (statt 5,8 Mrd. Euro). Und auch der Europäische Verteidigungsfonds kam alles andere als ungeschoren davon: Für ihn schlägt die finnische Ratspräsidentschaft nur noch 6,0 Mrd. Euro statt der von der Kommission anvisierten 11,5 Mrd. Euro vor.
Heiße Verhandlungsphase
Klar, aus friedenspolitischer Sicht wäre eine glatte Null bei all diesen Töpfen natürlich noch besser gewesen – bei den von der finnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Zahlen handelt es sich aber dennoch um ganz empfindliche Kürzungen der bislang kursierenden Beträge. Und dementsprechend entgeistert reagierte die sogenannte „Strategische Gemeinschaft“ auch auf die finnischen Vorschläge: „Zu einem Zeitpunkt, an dem Sicherheit und Verteidigung immer wichtigere Bereiche werden, steht die Botschaft nicht im Einklang mit den Ambitionen“, kritisierte beispielsweise umgehend Eric Trappier, der Chef der größten EU-Rüstungslobbyorganisation ASD.
So erfreulich das ist, angesichts der Bedeutung, die diesen Fonds beigemessen wird, ist davon auszugehen, dass die finnischen Vorschläge von der im Januar 2020 beginnenden kroatischen, spätestens dann aber von der in der zweiten Jahreshälfte übernehmenden deutschen Ratspräsidentschaft kassiert werden dürften. Schließlich werden Deutschland und die hiesige Rüstungsindustrie zu den Hauptprofiteuren zählen, womöglich auch deshalb wird hinter kaum vorgehaltener Hand bereits immer lauter gemunkelt, die MFF-Verhandlungen würden sich wohl bis in die zweite Jahreshälfte ziehen.


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