Die Iraner verehren und lieben ihre Dichter. Deshalb besuchen wir 25 Kilometer nördlich von Mashhad, am Rande der einst bedeutenden Seidenstraßen-Handelsstadt Tūs, das imposante Grabmal von Abu l-Qāsim Ferdowsi. Er gilt als der persische Homer.
Erst einmal aber hat Mansur, unser Fahrer, Mühe, den Kleinbus durch den dichten Autoverkehr der Großstadt zu steuern. Auch auf den Autobahnen rund um Mashhad herrscht reger (LKW-)Verkehr. Ich werte das als ein Zeichen dafür, dass die US-Sanktionen die iranische Wirtschaft noch nicht stranguliert haben und dass die illegale US-Wirtschaftsblockade doch nicht so lückenlos ist, wie die USA wollen. Auch meine Befürchtung, dass große Teile der iranischen Bevölkerung inzwischen wegen der Sanktionen in Armut und Elend versunken sind, kann der erste Augenschein nicht bestätigen. Während der ganzen Reise sehe ich keine Obdachlosen und – abgesehen von zwei alten Frauen – auch keine bettelnden Menschen.
Schließlich steuern wir auf einen grünen Park zu, durch den iranische Familien und Paare schlendern. Es sind längst nicht so viele wie in Shiraz in den Gärten rund um die Gräber von Saadi und Hafiz. Aber das mag Zufall sein. Hinter einem großen gemauerten Wasserbecken erhebt sich in der Mitte der gepflegten Grünanlage das Mausoleum, ein würfelförmiger Klotz aus weißem Marmor, der auf zwei breiten Sockeln ruht. Die stufenförmige Gestaltung ähnelt dem Grab von Kyros dem Großen in Pasargard, in der Steppe nahe Shiraz. Die schmückenden Säulen an seiner Außenfassade erinnern an Persepolis. Diese Anmutung ist wohl beabsichtigt. Es war Reza Khan, der Vater des letzten Schahs der Pahlavi-Dynastie, der den Befehl gab, das Grabmal zum 1000. Geburtstag von Ferdowsi im Jahr 1934 zu errichten. Die Pahlavis waren autoritär bemüht, persische Traditionen aus der Zeit vor der islamischen Eroberung des Irans als Gegengewicht zum Einfluss der Mullahs zu popularisieren. Dazu eignet sich Ferdowsi bedingt. Der Dichter war Moslem, aber in den 60.000 Versen seines monumentalen Hauptwerks »Schāhnāme« (»Buch der Könige«) habe er arabische Begriffe konsequent vermieden und durch Begriffe in Farsi ersetzt, erläutert Hartmut Niemann, unser Reiseleiter: »Ferdowsi hat damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Sprache und Kultur der Perser im Iran geleistet.«
Niemanns Assistent Mojtabah liest uns Verse aus dem »Schāhnāme« vor, die in die Außenwände des Mausoleums gemeißelt sind; so bekommen wir einen Eindruck vom Wohlklang und Rhythmus der Sprache. Im Innern des Grabraums verharren Iraner andächtig am Gedenkstein für den Dichter, legen voller Ehrfurcht ihre Hände auf die Marmorplatte.
Nach diesem Ausflug geht es über gut ausgebaute Autobahnen in Richtung Süden. Immer wieder sehen wir am Straßenrand grün-weiße Autos der Polizei, die die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Kilometer pro Stunde mit mobilen Radargeräten überwacht. Wir passieren bewässerte Äcker, die grüne Tupfer ins alles dominierende Braun der brettflachen Steppe setzen. Die geht irgendwo hinter dem Horizont im Westen in die große Salzwüste über, die Dasht-e-Kavir, während sich bald im Südosten von uns, hinter den mehr als 4000 Meter hohen Bergen des Kuhha-ye-Kuhpaye-Gebirges, die Wüste Kavir-e-Lut erstreckt.
Diese Topographie, der Wechsel von flacher Hochland-Steppe und Gebirgen, ist für den Iran ein Glück. An den Bergen regnen sich in Winter und Frühjahr Wolken ab, während im Sommer die Sonne das Land verbrennt. Das Wasser sammelt sich am Fuß der Gebirge, von wo es seit rund 3000 Jahren in unterirdischen Kanälen, den kunstvoll und mit äußerst geringem Gefälle kilometerlang gegrabenen Qanaten, in die Gärten der Städte und Dörfer geleitet wird. Als wir am staubigen Rand der Stadt Gonabad in eine etwa drei Meter unter der Erde verlaufende, mit Ziegeln ausgemauerte Qanatanlage hinabsteigen, flüchtet sich dort ein wenig bekleideter Mann aus einem Wasserbecken erschrocken in eine Mauernische. Wir haben ihn bei einem erfrischenden Bade überrascht. In Gonabad und mehreren anderen Städten hat die Unesco die Qanate als Teil des Weltkulturerbes unter ihren Schutz gestellt. Zahlreiche Wassermuseen erklären ihre Funktionsweise und ihre nicht zu überschätzende Bedeutung für das Leben in dem ariden Land.
Der Iran hat die vergangenen drei Jahrzehnte unter einer extremen Dürre gelitten, bis während der letzten beiden Frühjahre unerwartet gewaltige Wassermassen über den Gebirgen niedergingen und Überschwemmungen Hunderte Tote forderten. Der drohende Wassernotstand ist damit aber nicht behoben. Südlich von Mashhad ist der Grundwasserspiegel von 80 Meter Tiefe auf 150 Meter Tiefe gesunken. Bereits 2013 warnte Agrarminister Isa Kalantari, die Wassernot sei »gefährlicher als Israel, die USA oder die politischen Machtkämpfe« im Land. Mojtabah und seine Frau Fatemeh, die im Nordwesten des Irans nahe dem Urmia-See wohnen, berichten, das riesige Binnengewässer drohe auszutrocknen.
Es ist schon dunkel, als wir gegen 19 Uhr in unserem Quartier in der Nähe von Tabas eintreffen, dem alten Lehmdorf Esfahak. Kleine Öllampen leuchten uns den Weg zu einer traditionellen Unterkunft, in der wir wie Iraner auf Teppichen schlafen werden. Ein junger Mann in weißem Hemd und weißer Leinenhose begrüßt uns herzlich, zeigt uns unsere Zimmer und die sauber gefliesten Toiletten und Duschen. Alle Räume, in denen es dank der Lehmwände angenehm kühl ist, gruppieren sich um einen Innenhof. In dessen Mitte langweilt sich ein einsamer Goldfisch in einem Wasserbecken. Daneben wächst ein junger Feigenbaum. Im Haus gibt es elektrisches Licht, so dass wir auf der Teppich-Schlafstatt noch lesen können. Die Unterlage sei ungewohnt hart, murren am nächsten Morgen einige meiner Freunde.
Das Dorf Esfahak war 1978 – wie auch die benachbarte kleine Großstadt Tabas – durch ein Erdbeben zerstört worden. Die Bewohner standen, soweit sie überlebt hatten, vor dem Nichts. Die meisten zogen weg. Sieben junge Familien aber gaben sich und ihre Dattelgärten nicht auf, sie schlossen sich zu einer Genossenschaft zusammen und bauten mehrere Lehmhäuser wieder auf, um sie als Öko-Hotel stadtmüden Iranern für Urlaubstage zu vermieten. Eine erfolgreiche Idee, die Nachahmer gefunden hat. Aktuell können die Öko-Tourismus-Pioniere aus Esfahak darauf hoffen, im März bei der Internationalen Tourismus-Börse Berlin für ihr mutiges Projekt mit einem Preis für nachhaltigen Tourismus geehrt zu werden.
Öllampen leiten uns zum Abendessen in ein Lehmhaus drei Dorfstraßen weiter. Hinter einem Foyer reihen sich in einem hohen, langen Raum schmale Holztische und Stühle zu einer langen, geschmackvoll gedeckten Tafel; hinter dem bunten Vorhang der angrenzenden Küche lugen ab und an neugierig Kinder zu uns herüber, machen Späßchen. Es gibt ein Potpourri frischer Kräuter, Kartoffelomelett, gedünstetes Gemüse und Joghurt zum Essen. Anschließend wechseln wir auf die nachtstille Terrasse des Teehauses unter den Sternenhimmel, wo Frauen Pfefferminztee servieren. Daneben befindet sich das restaurierte Badehaus, dessen Wasser im großen Becken am nächsten Abend für uns aufgeheizt wird. Entspannung pur, erst für die Frauen, dann für die Männer.
In der nächsten Ausgabe: Zu starken Frauen in die Wüste Lut. Der erste Teil der Reisenotizen von Rainer Butenschön erschien in Heft 23/2019 unter dem Titel »Im Epizentrum der iranischen Schiiten«.
Erst einmal aber hat Mansur, unser Fahrer, Mühe, den Kleinbus durch den dichten Autoverkehr der Großstadt zu steuern. Auch auf den Autobahnen rund um Mashhad herrscht reger (LKW-)Verkehr. Ich werte das als ein Zeichen dafür, dass die US-Sanktionen die iranische Wirtschaft noch nicht stranguliert haben und dass die illegale US-Wirtschaftsblockade doch nicht so lückenlos ist, wie die USA wollen. Auch meine Befürchtung, dass große Teile der iranischen Bevölkerung inzwischen wegen der Sanktionen in Armut und Elend versunken sind, kann der erste Augenschein nicht bestätigen. Während der ganzen Reise sehe ich keine Obdachlosen und – abgesehen von zwei alten Frauen – auch keine bettelnden Menschen.
Schließlich steuern wir auf einen grünen Park zu, durch den iranische Familien und Paare schlendern. Es sind längst nicht so viele wie in Shiraz in den Gärten rund um die Gräber von Saadi und Hafiz. Aber das mag Zufall sein. Hinter einem großen gemauerten Wasserbecken erhebt sich in der Mitte der gepflegten Grünanlage das Mausoleum, ein würfelförmiger Klotz aus weißem Marmor, der auf zwei breiten Sockeln ruht. Die stufenförmige Gestaltung ähnelt dem Grab von Kyros dem Großen in Pasargard, in der Steppe nahe Shiraz. Die schmückenden Säulen an seiner Außenfassade erinnern an Persepolis. Diese Anmutung ist wohl beabsichtigt. Es war Reza Khan, der Vater des letzten Schahs der Pahlavi-Dynastie, der den Befehl gab, das Grabmal zum 1000. Geburtstag von Ferdowsi im Jahr 1934 zu errichten. Die Pahlavis waren autoritär bemüht, persische Traditionen aus der Zeit vor der islamischen Eroberung des Irans als Gegengewicht zum Einfluss der Mullahs zu popularisieren. Dazu eignet sich Ferdowsi bedingt. Der Dichter war Moslem, aber in den 60.000 Versen seines monumentalen Hauptwerks »Schāhnāme« (»Buch der Könige«) habe er arabische Begriffe konsequent vermieden und durch Begriffe in Farsi ersetzt, erläutert Hartmut Niemann, unser Reiseleiter: »Ferdowsi hat damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Sprache und Kultur der Perser im Iran geleistet.«
Niemanns Assistent Mojtabah liest uns Verse aus dem »Schāhnāme« vor, die in die Außenwände des Mausoleums gemeißelt sind; so bekommen wir einen Eindruck vom Wohlklang und Rhythmus der Sprache. Im Innern des Grabraums verharren Iraner andächtig am Gedenkstein für den Dichter, legen voller Ehrfurcht ihre Hände auf die Marmorplatte.
Nach diesem Ausflug geht es über gut ausgebaute Autobahnen in Richtung Süden. Immer wieder sehen wir am Straßenrand grün-weiße Autos der Polizei, die die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Kilometer pro Stunde mit mobilen Radargeräten überwacht. Wir passieren bewässerte Äcker, die grüne Tupfer ins alles dominierende Braun der brettflachen Steppe setzen. Die geht irgendwo hinter dem Horizont im Westen in die große Salzwüste über, die Dasht-e-Kavir, während sich bald im Südosten von uns, hinter den mehr als 4000 Meter hohen Bergen des Kuhha-ye-Kuhpaye-Gebirges, die Wüste Kavir-e-Lut erstreckt.
Diese Topographie, der Wechsel von flacher Hochland-Steppe und Gebirgen, ist für den Iran ein Glück. An den Bergen regnen sich in Winter und Frühjahr Wolken ab, während im Sommer die Sonne das Land verbrennt. Das Wasser sammelt sich am Fuß der Gebirge, von wo es seit rund 3000 Jahren in unterirdischen Kanälen, den kunstvoll und mit äußerst geringem Gefälle kilometerlang gegrabenen Qanaten, in die Gärten der Städte und Dörfer geleitet wird. Als wir am staubigen Rand der Stadt Gonabad in eine etwa drei Meter unter der Erde verlaufende, mit Ziegeln ausgemauerte Qanatanlage hinabsteigen, flüchtet sich dort ein wenig bekleideter Mann aus einem Wasserbecken erschrocken in eine Mauernische. Wir haben ihn bei einem erfrischenden Bade überrascht. In Gonabad und mehreren anderen Städten hat die Unesco die Qanate als Teil des Weltkulturerbes unter ihren Schutz gestellt. Zahlreiche Wassermuseen erklären ihre Funktionsweise und ihre nicht zu überschätzende Bedeutung für das Leben in dem ariden Land.
Der Iran hat die vergangenen drei Jahrzehnte unter einer extremen Dürre gelitten, bis während der letzten beiden Frühjahre unerwartet gewaltige Wassermassen über den Gebirgen niedergingen und Überschwemmungen Hunderte Tote forderten. Der drohende Wassernotstand ist damit aber nicht behoben. Südlich von Mashhad ist der Grundwasserspiegel von 80 Meter Tiefe auf 150 Meter Tiefe gesunken. Bereits 2013 warnte Agrarminister Isa Kalantari, die Wassernot sei »gefährlicher als Israel, die USA oder die politischen Machtkämpfe« im Land. Mojtabah und seine Frau Fatemeh, die im Nordwesten des Irans nahe dem Urmia-See wohnen, berichten, das riesige Binnengewässer drohe auszutrocknen.
Es ist schon dunkel, als wir gegen 19 Uhr in unserem Quartier in der Nähe von Tabas eintreffen, dem alten Lehmdorf Esfahak. Kleine Öllampen leuchten uns den Weg zu einer traditionellen Unterkunft, in der wir wie Iraner auf Teppichen schlafen werden. Ein junger Mann in weißem Hemd und weißer Leinenhose begrüßt uns herzlich, zeigt uns unsere Zimmer und die sauber gefliesten Toiletten und Duschen. Alle Räume, in denen es dank der Lehmwände angenehm kühl ist, gruppieren sich um einen Innenhof. In dessen Mitte langweilt sich ein einsamer Goldfisch in einem Wasserbecken. Daneben wächst ein junger Feigenbaum. Im Haus gibt es elektrisches Licht, so dass wir auf der Teppich-Schlafstatt noch lesen können. Die Unterlage sei ungewohnt hart, murren am nächsten Morgen einige meiner Freunde.
Das Dorf Esfahak war 1978 – wie auch die benachbarte kleine Großstadt Tabas – durch ein Erdbeben zerstört worden. Die Bewohner standen, soweit sie überlebt hatten, vor dem Nichts. Die meisten zogen weg. Sieben junge Familien aber gaben sich und ihre Dattelgärten nicht auf, sie schlossen sich zu einer Genossenschaft zusammen und bauten mehrere Lehmhäuser wieder auf, um sie als Öko-Hotel stadtmüden Iranern für Urlaubstage zu vermieten. Eine erfolgreiche Idee, die Nachahmer gefunden hat. Aktuell können die Öko-Tourismus-Pioniere aus Esfahak darauf hoffen, im März bei der Internationalen Tourismus-Börse Berlin für ihr mutiges Projekt mit einem Preis für nachhaltigen Tourismus geehrt zu werden.
Öllampen leiten uns zum Abendessen in ein Lehmhaus drei Dorfstraßen weiter. Hinter einem Foyer reihen sich in einem hohen, langen Raum schmale Holztische und Stühle zu einer langen, geschmackvoll gedeckten Tafel; hinter dem bunten Vorhang der angrenzenden Küche lugen ab und an neugierig Kinder zu uns herüber, machen Späßchen. Es gibt ein Potpourri frischer Kräuter, Kartoffelomelett, gedünstetes Gemüse und Joghurt zum Essen. Anschließend wechseln wir auf die nachtstille Terrasse des Teehauses unter den Sternenhimmel, wo Frauen Pfefferminztee servieren. Daneben befindet sich das restaurierte Badehaus, dessen Wasser im großen Becken am nächsten Abend für uns aufgeheizt wird. Entspannung pur, erst für die Frauen, dann für die Männer.
In der nächsten Ausgabe: Zu starken Frauen in die Wüste Lut. Der erste Teil der Reisenotizen von Rainer Butenschön erschien in Heft 23/2019 unter dem Titel »Im Epizentrum der iranischen Schiiten«.
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