Samstag, 2. März 2019

Waffen für Kolumbiens paramilitärische Mordbanden: Endlich Anklage gegen SIG Sauer? Und was ist aus dem Verfahren gegen H&K wegen Mexiko geworden?


Dossier

Enthüllungsbuch »NETZWERK DES TODES. DIE KRIMINELLEN VERFLECHTUNGEN VON WAFFENINDUSTRIE UND BEHÖRDEN« von Jürgen Grässlin, Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg im Heyne Verlag MünchenSig Sauer soll ohne Genehmigung über die USA Pistolen nach Kolumbien geliefert haben. Die Staatsanwaltschaft wollte die Anklage zunächst weder bestätigen noch dementieren. Kolumbien hatte den Import deutscher Pistolen aus den USA bestätigt. Demnach hatte Bogota von 2006 an über das US-Verteidigungsministerium knapp 65.000 Pistolen vom Typ SP 2022 für 28,6 Millionen Dollar gekauft, von denen ein Teil in Eckernförde hergestellt worden war. Für dieses Geschäft soll es keine Genehmigung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gegeben haben“ – aus dem Beitrag  „Staatsanwalt klagt Mitarbeiter von Sig Sauer an“ von Ulrich Metschies am 11. April 2018 bei den Kieler Nachrichten externer Link, worin der Unternehmens-Anwalt als Quelle der Information benannt wird – der, wenig überraschend, das ganze Geschäft als rechtskonform ansieht. Siehe dazu weitere aktuelle Beiträge, darunter eine juristische Dokumentation, eine doppelte Erinnerung an ähnliche Mexiko-Geschäfte – und zwei Verweise auf frühere Beiträge im LabourNet Germany, worin auch die fördernde Rolle der Bundesregierung Thema war:
  • Skandalöser Deal mit Waffendealern im Sig-Sauer-Strafprozess am Landgericht Kiel: Trotz Beihilfe zu Massenmord durch Export von 38.000 Pistolen in 99 Fällen ins Bürgerkriegsland Kolumbien Bewährungsstrafen angekündigtNew 
    Schlag ins Gesicht der Opfer des Einsatzes von Sig-Sauer-Waffen in Kolumbien ++ Keine abschreckende Wirkung für zukünftige illegale Waffenhändler ++ Bundesregierung muss Rüstungsexportkontrollgesetz verabschieden ++
    Angesichts des größten illegalen Rüstungsexports von Kleinwaffen in ein Bürgerkriegsland in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wären hohe Haftstrafen zu erwarten gewesen: Fünf Jahre gemäß Außenwirtschaftsgesetz und ggf. zehn Jahre bei Anerkennung gewerblichen Waffenhandels. Schließlich wird den drei Sig-Sauer-Managern zu Recht vorgeworfen, zwischen April 2009 und April 2011 summa summarum rund 47.000 Pistolen des Typs SP 2022 in die USA geliefert zu haben (was noch legal war). Doch gemäß der Anklage wurden davon mehr als 38.000 zu einem Preis von rund 14 Millionen Euro illegal ins Bürgerkriegsland Kolumbien weiterverkauft. „Waffen wandern, das zeigen meine langjährigen Vor-Ort-Recherchen in Kriegsgebieten“, so der Anzeigenerstatter gegen H&K und Sig Sauer, Jürgen Grässlin. „Das vermeintliche Argument, man liefere Kriegswaffen nur an die Guten, ist bestenfalls Barbiturat fürs Volk.“ (…) Der Dramatik dieses Falles ungeachtet zeichnete sich bereits am 26.02.2019, dem Eröffnungstag des Strafverfahrens gegen drei führende Mitarbeiter der Sig-Sauer-Gruppe in Deutschland und der Sig Sauer Inc. in den USA, auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft am Landgericht Kiel ein skandalöser Deal mit den Waffendealern ab. Nachdem auf Vorschlag des Vorsitzenden Richters Richter (sic!) die Verlesung aller 99 illegalen Exportfälle frühzeitig unterbunden worden war, präsentierte Oberstaatsanwalt Welz einen Deal gemäß einer Vorabsprache der Staatsanwaltschaft mit den drei Waffendealern von Sig Sauer. Am 27.02.2019 einigten sich nunmehr Staatsanwaltschaft, Verteidiger und das Landgericht Kiel auf Bewährungsstrafen für die drei Angeschuldigten. Zwei ehemalige Mitarbeiter der Firma mit Sitz in Eckernförde, unter ihnen der Firmenmiteigentümer Michael Lüke, erwarten gemäß Gericht Bewährungsstrafen in Höhe von bis zu elf Monaten. Ron Cohen, der Topmanager der Schwesterfirma Sig Sauer Inc. in den USA, wird mit einer Bewährungsstrafe von maximal einem Jahr und zehn Monaten bestraft, zudem einer Geldstrafe in Höhe von maximal 900.000 Euro. Zugleich erklärten die Angeklagten ihre Bereitschaft zu Geständnissen. (…) Für Aktion Aufschrei fordert Grässlin „die schnellstmögliche Implementierung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes als Ersatz für das Kriegswaffenkontrollgesetz und das schädliche Außenwirtschaftsgesetz. Dieses neue REKG soll klare rechtliche Vorgaben für ein grundsätzliches Exportverbot von Kriegswaffen festschreiben, die Haftstrafen im Falle der Beihilfe zu Mord und Massenmord bei illegalem Waffenhandel auf bis zu lebenslange Haft erhöhen und den Weg zu einem Klagerecht gegen Rüstungsunternehmen eröffnen. Den Opfern muss in Nebenklagen eine Stimme gegeben werden
    .“” Pressemitteilung von Jürgen Grässlin vom 28.02.2019 bei der Aktion Aufschrei externer Link
  • Prozessauftakt gegen Sig Sauer wegen illegalen Exports von mehr als 38.000 Pistolen ins Bürgerkriegsland Kolumbien / bedenklicher Deal droht  
    “… die Verurteilung des Kleinwaffenherstellers Heckler & Koch am Landgericht Stuttgart wegen illegaler Gewehrexporte in Unruheprovinzen Mexikos erregte am vergangenen Donnerstag weltweit großes Aufsehen. Ausgangspunkt waren die Strafanzeigen von Jürgen Grässlin und Rechtsanwalt Holger Rothbauer. Nur fünf Tage danach, am 26. Februar 2019, verhandelt die 3. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kiel ab 9:00 Uhr einen weiteren skandalösen Fall von Waffenhandel. Den drei vormaligen führenden Topmanagern des schleswig-holsteinischen Kleinwaffenproduzenten Sig Sauer wird in der Anklage der Export von über 38.000 Pistolen des Typs SP 2022 aus Deutschland legal an die USA und illegal ins Bürgerkriegsland Kolumbien zur Last gelegt. (…) Holger Rothbauer, Rechtsanwalt der Aufschrei-Kampagne, äußerte „die große Hoffnung, dass – anders als beim Heckler & Koch-Verfahren in Stuttgart – das Kieler Landgericht Endverbleibserklärungen als essenziellen Bestandteil von Ausfuhrgenehmigungen ansieht. Demnach müssten die falsch angegebenen Endverbleibe für die USA trotz Kenntnis des Weiterlieferungsverbots nach Kolumbien als Bruch eines bestehenden Exportverbots gewertet werden. Dieser Vorgang ist in höchstem Maße kriminell und strafbar. Wir setzen darauf, dass von der Firma Sig Sauer der gesamte Bruttokaufpreis dieses illegalen Waffendeals eingezogen wird.“ Die Kieler Friedensbewegung ruft mit der DFG-VK zur Teilnahme an der Mahnwache um 8:30 Uhr am Schützenwall/Harmsstraße im Gedenken an die Opfer auf. ACHTUNG: Der 26. Februar ist als Prozessauftakt ein für die Aktion Aufschrei höchst symbolisch wichtiger Tag. An diesem Tag erinnert die Kampagne an die Ausgangsvorschrift Artikel 26 (2) des Grundgesetzes, nämlich ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung keine Waffen zu exportieren. Die Aufschrei-Kampagne führt zeitgleich in Berlin eine größere Aktion gegen Waffenhandel in Krisen- und Kriegsgebiete durch…” Presseerklärung der ‘Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!’ vom 25. Februar 2019 externer Link, siehe dazu
    • die aktuelle Einschätzung von Jürgen Grässlin, Anzeigeerstatter gemeinsam mit Paul Russmann für Aktion Aufschrei (am Abend des 26.2.2019 per e-mail): “Im Strafverfahren gegen drei Topmanager von Sig Sauer droht nunmehr ein mehr als bedenklicher Deal zwischen der Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten – damit würde Richter Richter (sic) kaltgestellt! Richter hatte sich als ein Verfechter einer konsequenten Linie präsentiert und den CEO der Sig Sauer Inc. (USA) im Herbst vorübergehend inhaftieren lassen und erst gegen eine hohe Kaution wieder aus der Haft entlassen. Kaum vorstellbar und doch nicht unwahrscheinlich sind aufgrund des angebotenen Deals von Oberstaatsanwalt Welz nunmehr ausschließlich Haftstrafen auf Bewährung für die drei Beschuldigten – wohlgemerkt im Fall des größten Exports deutscher Kleinwaffen in ein Kriegsgebiet – mehr als 38.000 Pistolen vom Typ SP 2022 – mit zahlreichen Verstümmelten und Toten durch Sig-Sauer-Waffen in Kolumbien!
    • Prozessauftakt gegen Sig Sauer am 26.2. am Landgericht Kiel: Zehntausende Sig Sauer-Pistolen illegal nach Kolumbien verkauft
      Zum am Dienstag beginnenden Prozess gegen den Waffenhersteller Sig Sauer am Landgericht Kiel fordert das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes eine Verschärfung der deutschen Waffenexportgesetzgebung. Nach Recherchen von terre des hommes in Kolumbien hat die kolumbianische Regierung rund 125.000 Sig Sauer-Pistolen des Modells SP 2022 im Wert von 65 Millionen Dollar von den USA gekauft. Vermutlich über 30.000 davon wurden bei Sig Sauer in Deutschland produziert und zunächst zwischen 2009 und 2012 in die USA geliefert. Dieser Export in die USA war legal, es gab eine Exportgenehmigung mit Endverbleibserklärung für die USA. Der Weiterverkauf der Pistolen von den USA in das Konfliktland Kolumbien war hingegen ein Verstoß gegen das deutsche Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz. »Wie schon das kürzlich ergangene Urteil gegen Heckler und Koch zeigt auch dieser Fall, dass die Bundesregierung keine Kontrolle über den Export von Kleinwaffen hat. Die Pistolen von Sig Sauer hätten niemals in ein Land wie Kolumbien gelangen dürfen, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden – auch mit deutschen Waffen. Konsequenzen auf politscher Ebene sind überfällig. Wir fordern einen kompletten Exportstopp von Kleinwaffen und die Schaffung eines restriktiven Rüstungsexportgesetzes«, erklärte Albert Recknagel, Vorstandssprecher von terre des hommes…” PM vom 25.02.2019 von und bei terre des hommes externer Link, siehe auch deren Dossier zum Thema externer Link 
  • „Fünf Mitarbeiter von Sig Sauer angeklagt“ am 12. April 2018 beim NDR externer Link ist eine Meldung, die von der Anklageerhebung als Fakt ausgeht: „Die Staatsanwaltschaft Kiel hat gegen fünf Mitarbeiter des Eckernförder Waffenherstellers Sig Sauer Anklage erhoben. Das Unternehmen soll ohne Genehmigung 36.628 Pistolen des Typs SP 2022 von 2009 bis 2012 über ihre Schwesterfirma in den USA nach Kolumbien geliefert haben, dort herrschte damals Bürgerkrieg. Aus der Anklageschrift, die Journalisten der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung einsehen konnten, geht zudem hervor, dass das Unternehmen die Erlöse aus den Lieferungen von mehr als zwölf Millionen Euro zahlen soll“.
  • „Sig-Sauer-Manager wegen Waffenexporten angeklagt“ von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer am 12. April 2018 in der Süddeutschen Zeitung externer Link zur Entstehung der Anklage: „Nachdem die Süddeutsche Zeitung zusammen mit NDR und WDR im Sommer 2014 enthüllt hatte, dass Sig Sauer offenbar die deutschen Behörden getäuscht hat, um illegal Pistolen nach Kolumbien zu exportieren, ließ die Staatsanwaltschaft den Unternehmenssitz im schleswig-holsteinischen Eckernförde durchsuchen. Es folgte ein Exportverbot gegen Sig Sauer, das inzwischen wieder aufgehoben wurde. Vier Jahre später hat die Staatsanwaltschaft Kiel nun Anklage gegen fünf aktuelle oder ehemalige Verantwortliche erhoben, wie zuerst die Kieler Nachrichten berichteten. In ihrer fast 100-seitigen Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Männern nach Informationen von SZ, NDR und WDR vor, zwischen 2009 und 2012 insgesamt 36 628 Waffen nach Kolumbien geliefert, ohne die dafür nötige Genehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eingeholt zu haben“.
  • „Mord in Mexiko mit deutscher Pistole“ von Ben Knight am 01. September 2015 bei der Deutschen Welle externer Link berichtete über das Wirken von SIG Sauer in Mexiko: „Mehr als 200 Morde hatte José Zavala gestanden, bevor er selbst in seiner Gefängniszelle liquidiert wurde. Zavala gehörte dem mexikanischen Drogenkartell “Los Zetas” an. Für mindestens zwölf seiner Auftragsmorde benutzte Zavala eine Sig Sauer P239. Ein Detail im Prozess gegen den Killer. Doch für den deutschen Hersteller der Pistole hat es ein Nachspiel: Der deutsche Waffen-Gegner Jürgen Grässlin hat Anziege gegen das Unternehmen aus Eckernförde erstattet – wegen illegaler Waffenexporte. (…) Zavala – in der Szene als “The Wicked” (dt. der Böse) bekannt – wurde gefasst, nachdem vor einer laufenden Überwachungskamera Marisela Escobedo getötet hatte. Escobedo war zur Aktivistin gegen die verbreitete Straflosigkeit in Mexiko geworden, nachdem ein Gericht den geständigen Mörder ihrer Tochter wegen angeblichen Mangels an Beweisen freisprach. Nach langem Kampf erreichte Escobedo, dass ein übergeordnetes Gericht den Freispruch revidierte und den Angeklagten in Abwesenheit schuldig sprach. Monatelang hatte Escobedo vor dem Gouverneurspalast von Chihuahua protestiert, um den Fahndungsdruck auf den Flüchtigen zu erhöhen. Bis das Drogenkartell Zavala schickte, um sie zu ermorden. (…) Im Gegensatz zum Mörder ihrer Tochter wurde Zavala festgenommen. In seinem Waffenarsenal fanden die Ermittler rund 200 Feuerwaffen, darunter auch die Tatwaffe aus deutscher Produktion. Aus den Akten, berichten ARD-Journalisten, gehe hervor, dass Zavala mit derselben Waffe mindestens elf weitere Menschen getötet hat“.
  • „Zollfahnder werfen Heckler & Koch illegale Waffenexporte vor“ von Frederik Obermaier und Klaus Ott am 07. Mai 2015 in der Süddeutschen Zeitung externer Link zum Umfang der Waffenlieferungen nach Mexiko: „Die schwäbische Waffenfirma Heckler & Koch soll 4767 Stück ihres Sturmgewehrs G 36 verbotenerweise in die mexikanischen Bundesstaaten Jalisco, Guerrero, Chiapas und Chihuahua verkauft haben. Das geht nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR aus dem Schlussbericht des Kölner Zollkriminalamtes (ZKA) hervor, das jahrelang ermittelte. Heckler & Koch hat dem Bericht zufolge von 2003 bis 2011 insgesamt 9472 Stück des G 36 nach Mexiko geliefert und dabei wiederholt die deutschen Behörden getäuscht. Diese hatten Exporte in den größten Teil des Landes erlaubt, nicht aber nach Jalisco, Guerrero, Chiapas und Chihuahua“.

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