Freitag, 1. Februar 2019

Zwischen Kunst und Politik: Frühe sinfonische Raritäten von Schostakowitsch in der Dresdner Philharmonie

Vom Chaos zum Kosmos


Von Dietrich Bretz
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Spannt dramatische Bögen: Chefdirigent Michael Sanderling
Bei Sony Classical wird im Frühjahr 2019 eine Gesamteinspielung der Sinfonien von Beethoven und Schostakowitsch mit der Dresdner Philharmonie unter Michael Sanderling vorliegen
Wenn Michael Sanderling am Ende dieser Saison seine Tätigkeit als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie beendet, dürften seine mit diesem Orchester unternommenen Erkundungsreisen durch den Kosmos der Sinfonik von Dmitri Schostakowitsch in bester Erinnerung bleiben.
Durch seinen mit Schostakowitsch befreundeten Vater Kurt Sanderling – langjähriger Leiter des Berliner Sinfonieorchesters – war er schon früh in das vielgestaltige Œuvre des bedeutenden Komponisten eingeweiht worden. »Ich hatte das große Glück, aus erster Hand Details zu Schostakowitschs Sinfonien zu erfahren … Dieses Wissen hat mein gesamtes Musikerleben … tief geprägt«, bekannte Michael Sanderling. So ist es ihm ein Herzensanliegen, eine Gesamtaufnahme der 15 Sinfonien Schostakowitschs mit allen Sinfonien von Beethoven zu kombinieren. Ein fesselnder musikalischer Dialog zwischen zwei Tondichtern, deren Kompositionen für die Freiheitlichkeit des Menschen und Eigenständigkeit des Denkens plädieren. Wobei die Werke zudem in öffentlichen Konzerten präsentiert werden.
Mit der Aufführung der frühen Sinfonien Nr. 2 op. 14 »An den Oktober« (1927) und Nr. 3 op. 20 »Der 1. Mai« (1929) lenkte Sanderling jetzt das Augenmerk der Besucher auf sinfonische Raritäten des sowjetischen Tonschöpfers, der sich bereits in seinem Frühschaffen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik bewegte. Eine von avantgardistischen Ideen beflügelte Atmosphäre in der noch jungen Sowjetunion während der 20er Jahre war es gewiss, als der hochbegabte junge Tonschöpfer zum Komponisten reifte. Das Verlangen nach klassischer wie auch moderner Kunst besonders in den Kulturmetropolen Moskau und Leningrad war enorm, wobei die Tür weit geöffnet war. Bedeutende Komponisten wie Paul Hindemith, Alban Berg oder Darius Milhaud kamen in die Sowjetunion und stellten eigene Werke vor.
In diesem Umfeld hatte Schostakowitsch 1925 sein Studium am Leningrader Konservatorium abgeschlossen mit einer Diplomarbeit der besonderen Art – dem Geniestreich seiner 1. Sinfonie f-Moll op. 10. Von der Leningrader Philharmonie unter Nikolai Malko 1926 aus der Taufe gehoben, bahnte sich das Opus schnell seinen Weg in die internationale Musikwelt. So machte Bruno Walter 1927 auch Berlin mit diesem Meisterstück bekannt.
Den beiden nachfolgenden Sinfonien war ein so euphorischer Widerhall nicht beschieden. Die 2. Sinfonie entstand als Auftrag des Musikverlages Mus-Sektor anlässlich des zehnten Jahrestages der Oktoberrevolution. Als Textgrundlage für das Chorfinale erhielt Schostakowitsch vom Verlag ein Gedicht des Komsomol-Poeten Alexander Besymenski, das den Komponisten jedoch wegen des plakativ-pathetischen Gehalts nicht gerade begeisterte. Gleichwohl vermochte er dem Instrumentalkomplex eine beeindruckende musikalische Aussage zu verleihen. Packend ist der Anfang der einsätzigen Sinfonie, wenn der von den tiefsten Registern der Streichinstrumente ausgehende, athematische musikalische Gedanke nach und nach von den anderen Instrumenten aufgenommen wird und so eine amorphe Klangfläche sich bildet. Geradezu überwältigend, wie aus dem scheinbaren Chaos ein atonales Motiv der Trompete entsteht. Vielgestaltige Klangbilder vermag Schostakowitsch unter einen dramaturgischen Bogen zu spannen. Bewegend ist, wie sich aus dem diffusen Klangfeld, dem Chaos, zielgerichtete Impulse entwickeln, die Entschlossenheit zu einer Veränderung andeuten.
Ist der instrumentale Komplex des Werkes durch eine innovative Tonsprache charakterisiert, erweist sich das Chorfinale in seinem tonalen Duktus konventioneller. Allerdings wusste der hervorragende MDR-Chor (Einstudierung: Pavel Brochin) dem vom Komponisten rezitativisch behandelten Chorpart markanten Ausdruck zu verleihen.
»Es wäre interessant, eine Sinfonie zu schreiben, in der kein Thema sich wiederholt.« Von seiner Idee ließ sich Schostakowitsch bei der Gestaltung seiner 3. Sinfonie »Der 1. Mai« leiten. Wie schon das Vorgängerwerk wird auch die Dritte von einem Chorfinale beschlossen, dessen textliche Grundlage auf einem literarisch etwas anspruchslosen Gedicht von Semjon Kirsanow basiert. Im Gegensatz zur experimentierfreudigen 2. Sinfonie ist die dritte in einer sehr weitgefassten Tonalität angelegt. Gemäß dem Prinzip der entwickelnden Variation erscheint ein Thema in immer neuen Varianten. Nicht eine bildhaft-anschauliche Darstellung der Programmatik ist vorherrschend, vielmehr bestimmt eine abstrahierte Widerspiegelung des Maifestes das musikalische Geschehen.
Auch die 3. Sinfonie, gleichfalls einsätzig, gliedert sich in mehrere Episoden. Schostakowitsch, zum Zeitpunkt ihrer Komposition auch mit Arbeiten an Film- und Schauspielmusiken befasst, benutzte bei der Formung der Dritten nicht etwa sinfonische Prinzipien, sondern wählte auch hier filmische Techniken. Mit einem Klarinettensolo beginnend, wird ein fast atemloses musikalisches Geschehen entfesselt, in dem marschartig geprägte Teile ebenso wie groteske, von grellen Klangfarben gezeichnete Episoden in szenischer Anschaulichkeit den Ton angeben. Ein Orchestertutti scheint da in einem nachdrücklich intonierten Rezitativ eine Mairede zu versinnbildlichen. Und der Chor verdeutlicht mit dem Aufruf »Setzt nun in Brand die alte Zeit, Flamme gib neues Licht« den Sinn der Maifeier. Ein von Sanderling sowie seinen Philharmonikern und dem MDR-Chor nachdrücklich gestaltetes Finale.

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